Refine
Document Type
- Part of a Book (5)
- Article (2)
- Preprint (1)
Language
- German (8)
Has Fulltext
- yes (8)
Is part of the Bibliography
- no (8)
Keywords
- Levi, Primo (8) (remove)
Dennis Bock stellt in seinem Beitrag "'Denn es geht hier nicht um Mögen oder Nichtmögen. Die Muselmänner stören ihn, das ist es' - Erzählungen über Muselmänner in der Literatur über die Shoah heraus", wie durch die narrative Variation der im Rahmen der Shoah-Literatur inventarisierten Figur des Muselmanns und dem mit ihr verbundenen konventionalisierten Narrativ ein Störpotential erzeugt wird, das den Fokus auf die Berührbarkeit eines Tabus legt. Es ist die Berührbarkeit des Todes, die durch die erzählerische Identifikation mit einer zwischen Leben und Tod begriffenen Figur evoziert wird, und dergestalt einen Reflexionsprozess in Gang setzt.
Von vielen Überlebenden, die über das Erlittene geschrieben haben, ist bekannt, dass auch sie Schuld empfanden - viele von ihnen konnten "nicht mehr heimisch werden in der Welt", die "Schmach der Vernichtung" nicht mehr austilgen. Nicht selten endete ihr Überleben im Freitod, wie bei Jean Améry, Paul Celan und Primo Levi.
Die Erfahrung von Auschwitz bleibt eine offene Wunde, eine in der Zeit dauernde Frage, die auch die Gegenwart betrifft. In seinem Gedicht "Lehren ziehen" beschwört Günter Kunert die Welt der Konzentrationslager herauf, und er findet dort die Wurzeln eines Übels, das die Existenz der Menschheit bedroht. [...] In den ersten fünf Versen läßt der Dichter eine Situation wieder aufleben, die Primo Levi mehrfach in "Se questo è un uomo" (1947) beschrieben hat [...] Das von Kunert aufgerufene Bild verweist unzweifelhaft auf diese Erfahrung. Aber nach mehr als vierzig Jahren zeitlichen Abstands läd es sich auch auf mit Elementen aus der nachfolgenden Geschichte, und nicht nur der deutschen. [...] Das nur aus einer Strophe bestehende Gedicht ist Primo Levi gewidmet, wie der geklammerte Untertitel angibt, der seinen Namen zwischen lateinischer Erinnerungsformel und den Leerzeilen zum Gedichtanfang aufspannt. Das 1989 geschriebene Gedicht erinnert an den italienischen Autor, der 1987 unter nicht geklärten Umständen umkam.
Der vorliegende Beitrag versucht, am Leitfaden der Scham einen Zugang zu Agambens Theorie der Subjektivität zu gewinnen, um die theoretischen und historischen Voraussetzungen seiner Ethik einer Prüfung zu unterziehen, die zugleich an die Kritik Thomäs anschließen kann. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bietet Agambens Untersuchung zum 'homo sacer'. In einem zweiten Schritt geht es um die Theorie der Scham, die "Was von Auschwitz bleibt" vorlegt. Die kritische Diskussion von Agambens Ethik leitet die Auseinandersetzung mit dem Gewährsmann ein, den "Was von Auschwitz bleibt präsentiert", mit Primo Levi. Sie wird weitergeführt und zugespitzt durch die Überbietung, die Levis' Frage "Ist das ein Mensch?" in Imre Kertész' "Roman eines Schicksallosen" gefunden hat. Vor dem Hintergrund der zentralen Bedeutung der Scham bei Primo Levi und Imre Kertécs kehrt der letzte Teil zu Agambens Ethik zurück, um deren Grundlagen im Rückgriff auf Aristoteles einer Revision zu unterziehen.
In der von Adorno häufig gebrauchten Periodisierung 'Nach Auschwitz' artikuliert sich das Bewusstsein einer historischen Zäsur, die zu einer Revision der überkommenen Grundbegriff e und kulturellen Leitvorstellungen nötigt. Die Tiefe des zivilisatorischen Einschnitts lässt sich daran ermessen, dass er sogar die vermeintlich unverrückbare Relation von Leben und Tod fundamental verändert hat. Im Folgenden möchte ich verschiedene Formen der Zerrüttung dieser Relation durch den Nationalsozialismus untersuchen. Ich thematisiere das nationalsozialistische Programm der Vernichtung durch Arbeit, den Umgang der Nazis mit den Körpern der Ermordeten, die Gestalt des Muselmanns, die medizinischen Menschenversuche der Nazis sowie die Spätfolgen und Nachwirkungen der Konzentrations- und Vernichtungslager. Es versteht sich von selbst, dass im Rahmen eines Aufsatzes keines dieser Themen auch nur annähernd detailliert ausgeführt werden kann. Ein Ziel meiner Ausführungen liegt in der Analyse verschiedener Formen und in der Darstellung der spezifischen Charakteristika und Folgewirkungen der Formen, in denen die Nazis traditionelle Bestimmungen des Verhältnisses von Leben und Tod verändert oder zerstört haben.
Wie keine andere kulturelle Handlung spiegelt das Tätowieren eine intentionale Ästhetisierung des menschlichen Körpers, zwischen individueller (und damit hoch-persönlicher) Schönheitsvorstellung auf der einen und öffentlicher (Selbst-)Inszenierung auf der anderen Seite schwankend. Die Haut wird dabei – quasi lebenslang beschrieben – zum Medium der Erinnerung. Zwar wurde bereits in der Antike 'tätowiert', der heutige Begriff sowie die 'Wiederentdeckung' dieser Praxis geht allerdings auf die Forschungs- und Entdeckungsreisen des 18. Jahrhunderts zurück, in denen Europäer mit fremden Kulturen in Kontakt kamen, die solche Verfahren mit einem ästhetischen oder rituellen Hintergrund praktizierten. So übernahm James Cook in seinen Aufzeichnungen den samoanischen Begriff "tatau", etymologisch die Grundlage für "to tattoo" und das deutsche "tätowieren". Inzwischen gilt die Modifikation des eigenen Körpers durch eine Tätowierung längst nicht mehr als 'verrucht' und stellt ebenso auch keine Ausnahmeerscheinung mehr dar, was sich vor allem an der explosionsartig gestiegenen Zahl von Tattoo-Studios in der Bundesrepublik ablesen lässt – und so trägt in Deutschland heute (konservativ geschätzt) etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung und 23 Prozent der 16- bis 29-Jährigen mindestens ein Tattoo auf der Haut. Aber längst nicht jede Tätowierung ist auch der Ausdruck des eigenen Schönheitsempfindens oder eine vom Träger intentional auf dem Körper eingeschriebene Botschaft. Denn bereits in der griechischen Antike wurde das Verfahren auch dazu benutzt, Sklaven zu markieren, Besitzverhältnisse und damit ihre Unfreiheit auf der Haut einzuritzen; diese entpersonalisierende Markierung setzt sich mit der Häftlingstätowierung in Gefängnissen und schließlich den nationalsozialistischen Konzentrationslagern fort, die vor allem in literarischen Texten des Shoah-Diskures aufgegriffen und verhandelt wird.
Dieser Beitrag möchte auf einen gegen seinen Willen (und trotz seines Anschreibens dagegen) in Vergessenheit geratenen Warschauer Überlebenden der nationalsozialistischen Konzentrationslager aufmerksam machen, Edmund Polak (1915-1980). Sein Einsatz besteht darin, Polak in eine Linie zu stellen mit den nobilitierten Granden der KZ-Erinnerungsliteratur, also solchen, die sich wie er authentisch, weil selber in den Lagern gewesen und diese überlebend, mit einem der großen Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts auseinandergesetzt haben. Geschehen soll das durch die Parallelsetzung der generisch vielfältigen Erfahrungs- und Verarbeitungszeugnisse Polaks - vor allem seiner reflexiv-autobiographischen Arbeiten - mit den Erinnerungen des ungleich prominenteren italienisch-jüdischen Auschwitzüberlebenden Primo Levi (1919-1987). Außerdem soll Polaks Rehabilitierung erfolgen durch eine Einpassung in die Denkgebäude des mit seinen Ausführungen zum "Homo sacer" (1995) akademische und memorialpolitische Diskurse anleitenden venezianischen Rechtsphilosophen Giorgio Agamben.
Vielfältig sind die Definitionen, die das Überlebensparadigma im Sinne eines die Weltsicht prägenden Denkmusters zu erfassen versuchen, und verschieden sind die Aspekte, die der Betrachter in seiner Auffassung jeweils als die dominierenden pointiert. Nichtsdestoweniger wurzelt das moderne Verständnis vom 'Überleben' zuletzt im evolutionistischen Diskurs der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Unter dem evolutionistischen Diskurs sind nicht bloß Darwins Werke zu verstehen, sondern vielmehr die Konstellation von Autoren, Diskursen, Berichtigungen, Anregungen, Ergänzungen, die sich um Darwins Evolutionstheorie drehen und die den Namen Darwinismus tragen. Anders ausgedrückt: Unsere Auffassung des Überlebensbegriffs ist in diesem Diskurs verfangen und kann von ihm nicht restlos loskommen. Dies gewinnt an höchster Evidenz in den Reflexionen über das Überleben von kulturellen Artefakten, die in Analogie zu den Exemplaren bestehender Spezies als Resultat einer 'natürlichen' Auslese gedeutet werden. Unter den unzähligen Beispielen einer Übertragung des Auslesegesetzes von der biologischen auf die kulturelle Evolution mag hier die Reflexion von Hans Blumenberg vorgeführt werden, denn sie bietet viel mehr als eines der rein evolutionistischen Modelle, die eine Erläuterung des kulturellen Überlebens präsentieren. Kein weiterer Autor hat meines Erachtens in der Nachkriegszeit solch einen anspruchsvollen Versuch unternommen, das Darwinsche Evolutionsgesetz jenseits der Fehlschlüsse des Sozialdarwinismus wiederherzustellen und es für die kulturelle beziehungsweise ästhetische Anthropologie fruchtbar zu machen. Des Weiteren erzielte Blumenberg mit seiner theoretischen Berichtigung zuletzt die Beschreibung eines humaneren Modells der kulturellen Produktion, dessen ethische Dimension im Folgenden auszuloten ist. Das Heranziehen einiger Betrachtungen über Primo Levis narrative Erfahrung dient anschließend dazu, die ethische Grundproblematik herauszudestillieren, die das Verbleiben in diesem - obschon korrigierten - Überlebensparadigma in Hinblick auf das historische Gedächtnis impliziert.