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Die von dem karibischen Schriftsteller Patrick Chamoiseau geprägte Wendung "l'actif relationnel des langues, des cultures et des hommes" bezeichnet die kreative Dynamik, die entsteht, wenn verschiedene Sprachen und Kulturen miteinander in Beziehung treten. Die folgende Studie zeigt, wie Chamoiseau in seinem literarischen und theoretischen Werk dieses 'Relationspotential' der in den französischen Antillen koexistierenden Sprachen auf mehreren Ebenen "mobilisiert". In seiner Trilogie "Une enfance créole" erfindet er eine höchst suggestive poetische Sprache, die den kolonialen Antagonismus der kreolischen und der französischen Sprache auflöst, indem er die klangliche, lexikalische und semantische Verwandtschaft beider Sprachen aktiviert. Indem er eine Gattung französischer Tradition, die Kindheitsbeschreibung ('récit d’enfance') mit einer fundamentalen kreolischen Gattungspraxis, dem 'conte créole', kombiniert, gelingt es ihm auch, das 'actif relationnel' beider Kulturen zu mobilisieren. Sein Werk begründet mit seinem 'récit d'enfance créole' eine Gattungspraxis, die beide Sprachen und Kulturen auf kreative Weise in ihrer "Diversalität" ('diversalité') vereint. Damit realisiert Chamoiseau auf künstlerischer und auf metapoetischer Ebene sein mit anderen kreolischen Schriftstellern (Glissant, Bernabé, Confiant) formuliertes Postulat, der "oft verflachenden Universalität" die "Dynamik einer Einheit im Diversen" entgegenzusetzen.
Elsa Triolet (1896-1970), geb. Ella Kagan, Ehefrau von Louis Aragon und Schwester von Lili Brik, war eine französische Schriftstellerin russischen Ursprungs. Ihr Werk "Roses à crédit" ("Rosen auf Kredit"), der erstes Band der Trilogie "L'âge de nylon" ("Das Nylon-Zeitalter"), schreibt sich in mehrere Gattungsformen ein. Der Verlag Gallimard bezeichnet das Werk im Untertitel der ersten Auflage von 1959 als Roman. Das für die 1994 erschienene Übersetzung ins Russische verantwortliche Verlagshaus Khorda bezeichnet ihn genauer als einen "Roman für Frauen". Mit Hilfe der von Ute Heidmann etablierten Methode des "differenzierenden Vergleichs" analysiert der vorliegende Beitrag die generischen und stilistischen Merkmale der russischen Märchen im Band "Roses à crédit". Dazu bediene ich mich seiner Übersetzung ins Russische ("Розы в кредит"), der Märchen Afanassjews, und A. Puschkins "Märchen vom Fischer und Fischlein" ("Сказка о рыбаке и рыбке"). Die vergleichende Analyse zeigt deutlich, sich das literarische Schreiben einer mehrsprachigen Autorin sich keineswegs auf eine einzige Sprache reduzieren lässt. In Elsa Triolets "Roses à crédit" lassen sich eindeutige Spuren der russischen Sprache in Form von stilistischen Merkmalen finden, die sich der Einschreibung in die Gattung der russischen Märchen verdanken.
Rezension zu Andreas Böhn: Das Formzitat. Bestimmung einer Textstrategie im Spannungsfeld zwischen Intertextualitätsforschung und Gattungstheorie. Berlin (Erich Schmidt) 2001 (= Philologische Studien und Quellen; Heft 170). 208 Seiten.
Einen breit angelegten Beitrag zur Intertextualitäts- bzw. Transtextualitätsforschung hat jüngst Andreas Böhn mit seiner Studie 'Das Formzitat' vorgelegt, die 1999 von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Mannheim als Habilitationsschrift angenommen wurde. Böhns Studie versteht sich zum einen als Beitrag zur Allgemeinen Literaturwissenschaft. Begriff und Phänomen des Formzitats werden theoretisch beschrieben und definiert. Zum anderen zeigt Böhn an ausgewählten literarischen Beispielen aus der deutschen Literatur vom 18. bis zum 20. Jahrhundert die verschiedenen Funktionen des Formzitats und versucht auf diesem Wege, seine theoretischen Ausführungen historisch zu akzentuieren.
Der 'hybriden' Gattung Biographie, zwischen Literatur und Wissenschaft verortet und changierend, wird oftmals Theorieferne vorgeworfen. Der Umstand, dass das Genre Biographie ohne (Regel-)Poetik seine Leserinnen und Leser findet, wird ihm auch heute noch von der germanistischen Literaturwissenschaft angekreidet. Bemühungen jüngerer Zeit, sowohl die ausgelagerte theoretische Reflexion zu würdigen und zu erweitern, als auch die in biographischen Werken enthaltene gattungstheoretische Konzeption aufzuspüren und zu systematisieren, werden unter dem Zeichen der theoretischen Mängelbeseitigung verfolgt. Der Beitrag analysiert die Verknüpfung biographischer Praxis mit Subjekttheorien und stellt die Frage, wie sich aus der Perspektive der Literaturwissenschaft Konzeptionen von Subjekt bzw. Individuum auf die Strukturen biographischer Darstellungen auswirken und inwiefern Biographien zur Verfestigung bzw. Subversion von 'authentischer' und 'konstruierter' Individualität bzw. von Gruppen und Gesellschaften beitragen.
Für die Literaturwissenschaft bedeutet Historisierung inzwischen eine nahezu selbstverständliche Übung, wenn es um die Analyse von Diskursen und produktions- oder rezeptionsästhetischen Aspekten in Einzelwerken geht - bei literarischen Gattungen ist sie aber noch immer eine Herausforderung. Die Versuche, die Großgattungen Epik - Lyrik - Dramatik nicht als überzeitliche Grundformen der Dichtung, sondern als geschichtlich wandelbare Konstrukte zu beschreiben, haben nicht selten zum Verschwinden der Gegenstände geführt. [...] Das Drama ist besonders schwer zu historisieren, weil es einerseits eine Gattungstradition hat, die bis zu den Tragödien der griechischen Antike zurückreicht, es aber andererseits stärker als andere Gattungen permanent aktualisiert werden muss, nämlich auf der Bühne. Damit pendelt die Gattung zwischen dem Anspruch überzeitlicher Gültigkeit und einer Wandelbarkeit, die gleichermaßen die Möglichkeit der Historisierung infrage zu stellen scheinen.
2. Workshop der AG "Erzählforschung" und der AG "Rezeption und Inter-textualität" im Rahmen der Kooperation des Zentrums für Graduiertenstudien (ZGS) der Bergischen Universität Wuppertal und der Graduiertenschule Kultur- und Sozialwissenschaften (GSKS) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 21. und 22. April 2012, Bergische Universität Wuppertal.
One of the most fundamental problems of systemic approaches to literature is the question of how systemic principles might be translated into a manageable methodological framework. This contribution proposes that a combination of functionalistsystemic theories (in casu Itamar Even-Zohar’s Polysystem theory – especially the textually oriented versions – and the prototypical genre approach proposed by Dirk De Geest and Hendrik Van Gorp 1999) with Mikhail Bakhtin’s chronotope theory shows great promise in this respect. Since I am primarily interested in literary genres, the prototypical genre approach assumes a central position in my theoretical framework. My main argument is that Bakhtin’s chronotope concept offers interesting perspectives as a heuristic tool within a functionalist-systemic approach to genre studies, enabling the study not only of the constitutive elements of genre systems, but also of their mutual relations. Bakhtin’s own vague definitions of the concept somewhat hamper the process of putting it into practice for this purpose, but with the aid of the distinction between generic and motivic chronotopes, that problem can be solved. A detailed, comprehensive account of the theoretical premises underlying my proposal can be found in Bemong (under review); here I restrict myself to the basics.
Erich Amborns 'Und dennoch Ja zum Leben' zeichnet das Leben eines_r Protagonist_ in nach, dessen Geschlechtsidentität immer wieder infrage gestellt wird. Das Buch erschien 1981 unter einem Pseudonym und erzählt von Ereignissen, die von 1914 bis 1933 stattfanden. Gattungsspezifisch ist der Text weder der Autobiographie noch dem Roman eindeutig zuzuordnen. Mal aus der Ich- Perspektive, mal mithilfe einer auktorialen Erzählinstanz werden die Geschehnisse aus dem Leben von Martina erzählt. Bei der Geburt im ausgehenden 19. Jahrhundert wird Martina dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Später jedoch nimmt sie – nun als ›er‹ – den Namen Martin, dann den Namen Toni an. Im Berlin der 1920er Jahre unterzieht er sich schließlich experimentellen chirurgischen Eingriffen zur Anpassung des Geschlechts. Anhand dieses Textes untersucht dieser Beitrag welche gesetzlichen und zugleich symbolischen und performativen Legitimationsmechanismen zur Regulierung von Transgeschlechtlichkeit im Text thematisiert werden, und wie sich diese Regulierungen auf den sozialen Status des_r transgeschlechtlichen Protagonist_ in auswirken. Von besonderer Bedeutung wird hier die Vergabe oder Aberkennung des Namens hervorgehoben, durch den die enge Verflechtung von Körperlichkeit und Geschlechtsidentität zementiert beziehungsweise erodiert werden kann.
The present paper aims to elucidate the conceptual structure of the aesthetics of literature.Following Fechner's "aesthetics from below" (1876) and adopting a method introduced by Jacobsen, Buchta, Kohler, and Schroeger (2004), we asked 1544 German-speaking research participants to list adjectives that they use to label aesthetic dimensions of literature in general and of individual literary forms and genres in particular (novels, short stories, poems, plays, comedies). According to our analyses of frequency, mean list rank, and the Cognitive Salience Index, beautiful and suspenseful rank highest across all target categories. For plays/comedies, funny and sad turned out to be the most relevant terms; for novels and short stories, suspenseful, interesting and romantic; and for poetry romantic, along with the music-related terms harmonious, rhythmic, and melodious. A comparison of our results with analogous studies for visual aesthetics and music yielded a comprehensive map of the distribution of aesthetic appeal dimensions across sensory modalities and aesthetic domains, with poetry and music showing the greatest overlap.
Stefan Zweig entwickelt in "Castellio gegen Calvin" (1936) die These, dass Machtformen, die Lebensprozesse mit Zwang regulieren und elementare Bedürfnisse dauerhaft unterdrücken, Widerstände hervorrufen, die letztlich die Emanzipation und Entfaltung des Unterdrückten forcieren. Am Beispiel des Liberalismus ursprünglich autoritär geprägter calvinistischer Gesellschaften veranschaulicht der 1934 nach London emigrierte Autor die Dialektik von Unterdrückung und deren Überwindung. Er thematisiert ein Verhältnis von Leben und Politik, das Michel Foucault mit dem Begriff der "Bio-Politik" bezeichnet. Dieser Begriff, der vor allem in jüngerer Vergangenheit vermehrt Aufmerksamkeit erfährt, beschreibt eine spezielle Form politischer Herrschaft, die sich durch "verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper und Kontrolle der Bevölkerungen" kennzeichnet. Die Anwendung dieser 'biopolitischen' Disziplinierungstechniken bringt nach Foucault einen speziellen Machttyp, die "Bio-Macht", hervor, die sich zu einem Prinzip aller modernen Staaten entwickelt und somit nicht nur auf Extremfälle zu beschränken ist. [...] In diesem Beitrag soll untersucht werden, inwiefern Stefan Zweig in "Castellio gegen Calvin" anhand der Darstellung des Calvin'schen Gottesstaats biopolitische Herrschaft thematisiert. Ausgehend von einigen Überlegungen zu dessen Komposition und der Schwierigkeit einer eindeutigen gattungstheoretischen Zuordnung wird Zweigs Darstellung von Calvins Herrschaft hinsichtlich der politischen Unterwerfung und Kontrolle des Lebens analysiert. Die Untersuchung schließt mit Blick auf den parabolischen Charakter des Textes, der eine Erklärung dafür bietet, warum Zweigs Darstellung des Calvin'schen Gottesstaats aus dem 16. Jahrhundert Charakteristika eines Machttyps aufweist, der sich nach Foucault erst Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt.