Jean Pauls "Schulmeisterlein Wutz" beendet kurz vor seinem Tod mit einer eigenwilligen und ein wenig melancholisch gestimmten Geste die umfangreiche schriftstellerische Arbeit seines Lebens: er beschwört die Erinnerung an die Bilderwelten seiner Kindheit herauf, indem er ein Sortiment von abgelegten Gebrauchsgegenständen und Besitztümern auf dem Krankenbett ausbreitet, welche unter der Treppe im Hausflur (chronologisch geordnet) die Zeit überdauert haben. Neben einem Schreibbuch und der Miniaturausgabe eines Exzerpteheftchens sind eine grüne Kinderhaube dabei, ein Finkenkloben, eine "mit abgegriffenen Goldflitterchen überpichte Kinderpeitsche" und - zur weiteren Vertiefung - ein Kalender mit "abscheulichen", jahreszeitlich gestalteten Vignetten.
Paul Celans Gedichte begleiten uns schon ein halbes Jahrhundert und sind doch weitgehend fremd geblieben. Manchen Anstrengungen zum Trotz haben sie ihre Widerständigkeit bewahrt und befremden noch immer, sind also im Sinne von Harald Weinrich "imagines agentes" par excellence. Ihre ebenso herausfordernde wie leise anklopfende Poetik ist wenig erkannt, geschweige verstanden worden. Dabei frappiert dieser Dichter mit seiner Aufforderung: „Machs Wort aus.“ Ob dieser imperativischen Zumutung möchte es einem beinahe die Sprache verschlagen. Doch bemerkt man dann vielleicht, dass es nur an einem selbst liegt, sie wiederzuerlangen und das Wort von neuem auszumachen. Zu einer solchen Neubestimmung des Wortes und der Sprache fordern Celans Gedichte auf, seit die großen Verheerungen und Verwerf- ungen dieses zu Ende gehenden zwanzigsten Jahrhunderts über die Menschen hereingebrochen sind. Zu keiner früheren Zeit sind sie von so systematischer Vernichtung heimgesucht worden wie in diesem Jahrhundert.
Der Begriff des Klassikers ist assoziiert mit der überzeitlichen Geltung seines Werkes. Seit dem 19. Jahrhundert schreibt man diese den Schriften Goethes und Schillers zu. Jean Pauls Schriften verstehen sich, nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit den Weimarer Kollegen, als grundsätzlich weniger robust im Widerstand gegen das Fortschreiten der Zeit. Den Autor und sein Werk sieht er durch Hinfälligkeit bedroht. Dagegen gilt es in einem unablässigen Prozeß anzuschreiben. Von den frühen Satiren bis zum Spätwerk, das er „Papierdrache“ nennt – aus Schriftfetzen zusammengeleimt – ist er, wie gezeigt wird, von diesem Impuls angetrieben. Aus heutiger Sicht wird er dadurch zu einer Art Gegenklassiker: ein Klassiker der Zeitverfallenheit. Der Beitrag eröffnete eine Tagung zu Jean Pauls 175. Todestag.
Das Empfindbild ist ein Grenzwert des Literarischen. Es bezeichnet eine Bildlogik des Ungewissen, eine Evidenz des Halbdunkels und kann, was die poetische Sprache nicht kann: den Eindruck von Intensität, von sinnlicher Dichte erwecken, von ungewollter, reflexionsloser Überzeugungskraft. Poetologisch gedacht sind Empfindbilder ein literarisches Reservoir reflexionsfreier Evidenz , sie begründen eine Poesie an der Grenze des Sagbaren, klar und ver¬schwimmend zugleich. Der Beitrag erschließt dieses diskursive Feld und erörtert instruktive Beispiele von Jean Paul und Goethe bis zu Hofmannsthal.
Bei Jean Paul zeigt sich ein eigentümliches, charakteristisches, ja geradezu programmatisches Schwanken hinsichtlich biologischer Grundfragen seiner Zeit, Präformation oder Epigenesis, Urzeugung oder Neuzeugung und der Unsterblichkeit der Seele. Konstitutiv ist der Zweifel. Jean Paul, so zeigt der Beitrag, entwickelt sich in diesem Felde der Argumentation nicht; er gelangt, bei aller Periodisierungsmöglichkeit seiner Optionen, nicht eigentlich von einer Position zu einer anderen, wissenschaftlich besser abgesicherten; er aktualisiert vielmehr immer wieder die Gegensätze, malt sich immer wieder die gleichen Alternativen aus, treibt sein Spiel zwischen metaphysischem Enthusiasmus über die uranfänglichen Verbürgtheiten und skeptischer, kontingenzoffener neuerer Biologie. Dies, nicht der argumentative Fortschritt wird zum Grund literarischer Inspiration. Der Roman „Siebenkäs“ ist ein Schauplatz der konfligierenden Konzepte; er agiert die Extreme, wie sie in den gegensätzlichen Optionen der Biologie des 18. Jahrhunderts angelegt sind und hier nun subjektiviert, zugespitzt, dramatisiert und in Handlungsverläufe ausgefaltet werden.
Jean Pauls sorgfältig komponierte Sterbeszenen werden zu phantasievollen, anräuhrenden Inszenierungen. In ihnen zeigt sich aber auch die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten im Reich der Traumwelten: Sie folgt den Debatten des 18. Jahrhunderts und weist voraus auf die psychoanalytischen Positionen des 20. Jahrhunderts.
Die Kunst des Schattenrisses, die in der Goethezeit populär war, erreicht mit Paul Konewka (1840-1870) einen Höhepunkt: „Das Geheimnis der Silhouette, das in der bewegten Linie beruht, hatte sich ihm vollkommen erschlossen,“ heißt es in einer Monographie. „Es ist erstaunlich, wie er im Umriß seiner Gestalten die verschiedensten Situationen und die ganze Skala der Empfindungen auszudrücken vermochte. Holde Naivetät, Grazie, jugendliche Anmut, Geckenhaftigkeit des Stutzertums, Witz und Laune lustiger Narren, bedächtige Würde des Alters, Lust und Leid, alles klingt aus der langen Reihe seiner Silhouetten bestrickend heraus.“ Das Goethezeitportal publiziert die „Gestalten aus Faust“, eine Serie von 12 Silhouetten in Wiedergaben auf Postkarten. Die Kritik hob insbesondere „die gestaltenreiche, köstlich anmutende Darstellung“ des Osterspaziergangs hervor.