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Der poetologische Begriff der Katharsis aus der "Poetik" des Aristoteles hat in einer langen Rezeptionsgeschichte viele widersprüchliche Lesarten erfahren. Im Wien der Jahrhundertwende erlebte diese Rezeption einen Höhepunkt. Die Neubestimmung des aristotelischen Katharsisbegriffs durch den Klassischen Philologen Jacob Bernays (1824–1881) fiel besonders in Wien auf fruchtbaren Boden und betrifft - wenn auch nur indirekt und vermittelt - auch die Werke Arthur Schnitzlers. [...] Die folgende Studie stellt sich die Frage, wie Arthur Schnitzler sich in dieser vielstimmigen Diskussion des aristotelischen Begriffs positionierte und wie er in seinen Werken, besonders in seinen Tragödien, den Katharsisbegriff verstand und einsetzte. Schnitzlers Part im Konzert der Wiener Katharsisrezeption ist zunächst einmal durch seine frühen Verbindungen zu den "Hysterie"-Studien von Breuer und Freud von Interesse, hat er doch therapeutische Einsichten dieser Schrift, wie vor allem die Technik der Hypnose, geteilt oder sogar vorweggenommen.
Annkatrin Buchens Beitrag mit dem Titel " Wenn es aber... bei mir anders wäre? Geschlechter-Rollen-Spiele und alternative Rollenentwürfe in Arthur Schnitzlers "Reigen"" setzt am Ehe- und Sexualitätsdiskurs an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert an. Der Hauptaugenmerk liegt auf den im Reigen inszenierten Geschlechterverhältnissen und den hierin geschaffenen Spielräumen. Die Verfasserin stellt fest, dass Schnitzler in seinem zyklisch angelegten Drama eine bemerkenswerte Beobachtung über den Umgang mit Sexualität und die damit verbundene Reziprozität männlicher und weiblicher Rollenentwürfe präsentiert. Dabei greift Schnitzler auf stereotypisierte Figuren zurück, die die moralische Repression von Sexualität mit der männlichen Dominanz respektive der weiblichen Unterlegenheit verbinden. Gleichzeitig stellt er diesen Figuren zum Teil radikale Gegenentwürfe weiblicher Frauenfiguren gegenüber und zeigt auf diese Weise die Problematisierung männlicher und weiblicher Rollenentwürfe zu einer Zeit auf, in der die explizite Thematisierung von Sexualität auf der Theaterbühne wie im Fall des Reigen zu einem öffentlichen Skandal führte.
Die im Jahr 1925 erschienene "Traumnovelle" erfreut sich - nicht erst seit Stanley Kubricks Verfilmung "Eyes Wide Shut" (1999) - eines besonderen literaturwissenschaftlichen Interesses. Der Geschichte einer Beziehungskrise, die ein dem gehobenen Wiener Bürgertum angehörender junger Arzt und seine Ehefrau durchleben, wurde oft eine Sonderstellung in Schnitzlers OEuvre zugewiesen. In der Erzählung sah man das einzige Werk des Autors, in dem die Liebesbeziehung der Protagonisten - allen außerehelichen erotischen Versuchungen zum Trotz - am Ende doch aufrechterhalten, wenn nicht sogar auf eine höhere Ebene der Verständigung gehoben würde. Der für Schnitzler so untypische positive Ausgang der Erzählung erscheint in den Augen der Interpreten bereits mit einem wesentlichen Merkmal des formalen Aufbaus gegeben: mit dem Kompositionsprinzip der Symmetrie. Für William Rey etwa formieren sich die erotischen Erfahrungen von Mann und Frau in einer bipolaren Entsprechung, so dass es aus den Schuldgefühlen beider zu gegenseitiger Vergebung und Versöhnung komme.
'Leutnant Gustl' als eine repräsentative Figur für die
Identitätsdefizite in der Gesellschaft
(2018)
In vorliegender Arbeit haben wir den Versuch unternommen, die Novelle mit dem Titel "Leutnant Gustl" von Arthur Schnitzler im Lichte der wissenschaftlichen Literatur mit dem deskriptiven Verfahren zu analysieren. Es geht darin um einen Konflikt zwischen der inneren Welt des kleinbürgerlichen Protagonisten der k.u.k. Monarchie der Jahrhundertwende, und der Gesellschaft, in der er lebt. Hier wird vorwiegend die Identitätskrise der Figur Leutnant Gustl, die mit seiner Umgebung zu tun hat, und die sich mit der Überwindung derselben auseinandergesetzt. Bei der Analyse wird nicht zuletzt auf die Fragen eingegangen, worin die Identitätsprobleme liegen, wie der Protagonist aus diesen Problemen herauszukommen versucht.
Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil I: Korrespondenzen / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2011)
Der Erfolg, den Arthur Schnitzlers "dramatische Historie" "Der junge Medardus" bei und nach seiner Premiere am 24. November 1910 im Wiener Burgtheater feierte, steht in auffälligem Kontrast zu seiner weiteren Rezeptionsgeschichte. Zunächst bescherten die Vorstellungen dem Theater seiner Zeit einen "[n]och nicht erreichte[n] Record"; 1914 erhielt Schnitzler für sein Drama den Raimund-Preis, und Richard Specht mutmaßte, es könne diejenige "Historie sein […], die Arthur Schnitzlers Namen als den des österreichischen Dramatikers kraftvoller als seine anderen Schöpfungen zu den Späteren hintragen" würde. Doch zählt der Medardus heute sicherlich nicht mehr zu seinen bekannteren Stücken und ist im Fahrwasser der Zeitläufte von den Bühnen verschwunden: Seit einer Aufführung anläßlich des 100. Geburtstages von Schnitzler 1962 wurde es in den vergangenen 50 Jahren an keiner deutschsprachigen Bühne mehr inszeniert.
Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil II: Materialien / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2013)
Der umfänglichen "dramatischen Historie" "Der junge Medardus" kommt innerhalb des OEuvres Arthur Schnitzlers ein Sonderstatus zu. Dieser gründet zum einen in der schieren Fülle des nachgelassenen Materials, das mit ungefähr 1.700 Blatt quantitativ bei weitem die Entwurffassungen und Skizzen der übrigen Dramen übertrifft. Zum anderen bietet das seinerzeit außerordentlich erfolgreiche Werk die seltene Gelegenheit, eine plurimediale "Mehrfachverwertung" par excellence beobachten zu können, da sich neben dem Lesedrama auch die Strichfassung der Uraufführung, ein Drehbuchentwurf Schnitzlers und eine unter der Regie von Mihály Kertész/Michael Curtiz (1888-1962) ausgeführte Verfilmung vollständig erhalten haben. Lediglich eine 1931 - ohne Schnitzlers Wissen erstellte - Rundfunkbearbeitung muss als verloren gelten. Mit Hilfe des Tagebuchs von Arthur Schnitzler lässt sich überdies die Entstehungsgeschichte beinahe lückenlos rekonstruktieren.
Während der erste Teil der "Medardus Affairen" die zu großen Teilen unbekannte Korrespondenz Schnitzlers mit dem Wiener Burgtheater, den Schauspielern, seinem Verleger Samuel Fischer sowie der Sascha-Filmgesellschaft präsentiert hat, dokumentiert der zweite Teil exemplarisch Entstehung und Wirkung des Dramas
In seinem Tagebuch erwähnt Arthur Schnitzler über 8 500 Personen namentlich. Zumeist hält er nur kurz fest, dass ein Gespräch stattgefunden hat. Selten sind Rede und Gegenrede ausführlich dokumentiert. Die zweite Seite des Gesprächs, die persönliche Wahrnehmung des Gegenübers, ist in den wenigsten Fällen überliefert. Drei dieser seltenen Fälle finden sich in den Schriften von Albert Ehrenstein, Victor Klemperer und Robert Adam. Schnitzlers Tagebucheintragungen zu den Begegnungen mit den drei jungen Autoren werden durch deren Aufzeichnungen ergänzt, kommentiert und teilweise konterkariert. Der (mit der Ausnahme Klemperers) hier erstveröffentlichte Austausch besteht aus Gesprächen über literarische Texte und wie sie ihre Wirkung entfalten. Wenn man diese Aufzeichnungen Schnitzlers Tagebuch gegenüberstellt, gelingt es zudem, an mehreren Stellen blinde Flecken in den Notizen des jeweils anderen aufzuzeigen und teilweise zu beheben.
Über den heute vielleicht bekanntesten seiner Texte schrieb Arthur Schnitzler 1897, es handele sich um "nichts als eine Scenenreihe, die vollkommen undruckbar ist, literarisch auch nicht viel heißt, aber, nach ein paar hundert Jahren ausgegraben einen Theil unserer Cultur eigentümlich beleuchten würde." Lediglich in Bezug auf den Zeitraum hat Schnitzler sich geirrt. Ein Schlaglicht auf die Kultur des ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhunderts hat "Reigen" bereits zu Lebzeiten seines Verfassers geworfen, und lange Zeit stand Schnitzlers "Scenenreihe" nicht nur im Licht, sondern auch im Schatten der Auseinandersetzungen, die bereits unmittelbar nach der ersten Drucklegung des Textes im Jahr 1900 entbrannten und in den zwanziger Jahren in einer Reihe von Prozessen ihren Höhepunkt fanden. Die Kontroversen, die sich um Zensurmaßnahmen und Aufführungsverbote entspannen, haben den Gegenstand des Anstoßes keineswegs vergessen gemacht, vielmehr haben sie die Aufmerksamkeit umso stärker auf jenen Bereich der Kultur der frühen Moderne gelenkt, der nach Schnitzlers eigener Einschätzung in "Reigen" so "eigentümlich" zur Darstellung kommt: auf die Bestimmung des Menschen ausgehend von seiner Physis und seinen Trieben. Gegenstand des Textes, darin waren Kritiker und Befürworter von "Reigen" sich stets einig, ist der "homo sexualis", der Mensch im Spiegel seiner Triebe.
Das Kunstzitat als Selbstzitat? : verstimmte Einfühlung in Arthur Schnitzlers "Fräulein Else"
(2019)
In the 1924 novella "Fräulein Else" by Arthur Schnitzler, intermediality influences narrative empathy. Written in the stream of consciousness technique, the text presents an examination of the nineteen-year-old protagonist's inner struggle and its sexual implications (to save her father from jail, Else must approach an elderly acquaintance to borrow money from him), arousing the reader's empathy. The image of Else is supported, even overlapped by hidden art references - examples of how women have been portrayed and represented in art and cultural history. In the most famous moment of the novella - Else undresses herself during a public concert - the stream of consciousness is interrupted by musical excerpts. Mostly considered as an emotional catalyst, at this point the musical quotation is blocking narrative empathy. Else's thoughts as well as her naked body become unreadable, because the notation is indifferent towards the reader's desires. Paradoxically, the narrative turning point is represented by an intermedial censorship.
In dem vorliegenden Beitrag werden die markantesten intertextuellen Bezüge der beiden Kasperlstücke 'kasperl am elektrischen stuhl' (1962) von Konrad Bayer und 'Kasperlspiel vom Meister Siebentot' (1955/1965) von Albert Drach vergleichend analysiert. Die jeweilige Neukontextualisierung der Grundkonstellation des Spiels im Spiel in Kombination mit einer Hanswurst/Kasperl-Figur, die auf Ludwig Tiecks "Kindermärchen" 'Der gestiefelte Kater' (1797) zurückgeht, aber auch auf Arthur Schnitzlers Bursleske 'Zum großen Wurstel' (1901/05) Bezug nimmt, wird auf literarische Formen des Experimentellen hin untersucht. Dabei werden zwei grundlegend unterschiedliche Positionen des literarischen Experiments in den zwei Jahrzehnten nach 1945 sichtbar.