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"Du musst das Leben nicht verstehen, dann wird es werden wie ein Fest." In seinem Gedichtband "Mir zur Feier" (1897/98) fordert Rainer Maria Rilke, das Leben zu feiern anstatt es zu verstehen. Diejenigen, die verstehen wollen, haben nichts zu lachen. Stimmungstöter, die das Fest des Lebens stören. Verstehen oder Feiern? So einfach ist es wohl nicht. Zunächst wäre zu klären, was man unter Verstehen versteht: Verstandesmäßiges Erkennen. Sinnliches Erfassen. Existenzielles Ergründen. Rilkes Aversion richtet sich vor allem gegen das Streben, durch rational-wissenschaftliche Analyse das große Rätsel der Existenz lösen zu wollen. Davon unbenommen kreist er selbst lebenslang jenes Rätsel ein, versucht schreibend, das Leben nicht nur zu feiern, sondern auch seinen Sinn zu verstehen, zu erfassen – in poetischer Form.
Aus dem nun mehr als sechzig Jahre zurück liegenden Streit zwischen Staiger und Heidegger über das rechte Verständnis einer Verszeile von Eduard Mörike, der im Laufe der Jahre immer neue Stellungnahmen provozierte, läßt sich Aufschluß über die blicklenkenden Kategorien hermeneutischer Interpretation gewinnen, wenn man die Position einer Beobachtung zweiter Ordnung einnimmt. Es zeigt sich dann in großer Klarheit, daß die Interpretation literarischer Polyvalenzen und Ambiguitäten ihre Eindeutigkeit aus der Zuhilfenahme regulativer Ideen gewinnt, die nicht dem literarischen Text, sondern ästhetischen Vorlieben, philosophischen Axiomen oder politisch – moralischen Überzeugungen entstammen. Sie erzielen Sinneffekte, weil sie sich mehr oder weniger erfolgreich als subjektive Setzungen unsichtbar machen und aus der "Sache" heraus zu sprechen vorgeben. Werden diese regulativen Ideen aus der Perspektive einer Beobachtung zweiter Ordnung ins Sichtfeld gerückt, erscheint die Kontingenz jeder Interpretation, die immer auch anders möglich ist. Sie hat sich freilich am Wortlaut des literarischen Werkes zu bewähren, der jedem Konstruktivismus eine unüberschreitbare Grenze setzt. So verstanden ist die berühmte und nicht selten auch bespöttelte Kontroverse zwischen Heidegger und Staiger noch heute eine anregende Hilfestellung für jeden Versuch eines neuen Verständnisses von Mörikes Gedicht und eine grundsätzliche Herausforderung der Reflexion auf die Voraussetzungen literaturwissenschaftlicher Interpretation.