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Unsere Ausgangsthese ist, dass sich die unterschiedlichen methodischen Zuspitzungen und Richtungswechsel, die die Philologie seit ihrer disziplinären Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert erlebt hat, als Parametrisierung des Verhältnisses von Konjektur und Krux beschreiben lassen. Anders gewendet: Konjektur und Krux markieren die Grenzen eines epistemischen Bezirks, der von unterschiedlichen philologischen Methodenpolitiken konfiguriert wird. Die sich daraus ergebende "disziplinäre Matrix" an Verfahrensweisen, die den Anspruch erheben, 'Methode' zu sein, hat insofern politischen Charakter als die Entscheidung für bzw. gegen eine bestimmte Verfahrensweise implizit oder explizit ein Interesse verfolgt, das in aller Regel über das Anliegen einer bloßen Textrekonstruktion entschieden hinausreicht: Es geht darum, die Bedingungen festzulegen, unter denen eine philologische Aussage als 'wissenschaftlich qualifiziert' gelten darf.
Liebe, Situation, Sprache
(2013)
The paper presents a reading of "celestinesque literature" - texts surrounding Fernando de Rojas’ famous novel 'La Celestina' (1499) - in view of the question, to what extent the term "marranism" may serve as a philological rather than a biographical category. Dealing with Stephen Gilman’s exemplary studies, the paper shows how Rojas’ text subverts some of the most important metaphorical structures used by philologists to represent "marranism" and to read "marrano literature." Celestinesque novels, on the other hand, develop their own notion of "philology:" the "love" that they narrate also reflects the "desire of the logos" that works throughout their language.
Philologie der Hand
(2019)
Mit größter Selbstverständlichkeit spricht die Wissensgeschichte der Philologie von einer "Philologie des Ohrs" und einer "Philologie des Auges". Während sich die Ohrenphilologie in der Tradition des Phono(logo)zentrismus eingerichtet hat, beruft sich die Augenphilologie darauf, dass Literatur als Schrifttum zunächst optisch wahrgenommen werden müsse, bevor aus gesehenen Texten auch gelesene würden. Wie verkürzt beide Schulen argumentieren, zeigt sich nicht nur an Schriftsystemen, die den Tastsinn adressieren, oder an Sprachformen, die sich wesentlich auf die Handgeste stützen. Ein näherer Blick auf die Geschichte der Literatur enthüllt, dass die vermeintlich klare Aufteilung des philologischen Territoriums zwischen Akustik und Optik deutlich komplexer ist, denn die Dyade Auge-Ohr unterliegt permanenten Triangulierungen durch die Hand. Der Beitrag zeichnet diese Dreiecksbeziehungen mit ‚Blick‘ auf drei vernachlässigte Paradigmen der Moderne nach: Die Poetik der Geste, die Poetik des Werkzeugs und die Poetik der Berührung. Im Zentrum stehen dabei Konzepte des russischen Formalismus, der konstruktivistischen Produktionsliteratur, der symbolistischen Lautlehre und der futuristischen Haptologie.
Die verfügbaren theoretischen und kulturhistorischen Untersuchungen über das Lesen zeigen kaum Neigung, sich mit dem Problem der Abgrenzung wissenschaftlichen Wissens von anderen Wissensbeständen zu beschäftigen; vielleicht, weil es so selbstverständlich scheint, dass die Fähigkeit zu lesen keine Domäne bildet, die exklusives Eigentum einer Wissenschaft sein könnte. Da jedoch viele geisteswissenschaftliche Disziplinen der Vorstellung verhaftet bleiben, dass sie über besondere Methoden des Lesens verfügen, die ansonsten unerreichbares Wissen hervorbringen, klafft hier eine epistemologische Lücke.
Was ist Computerphilologie?
(1999)
Im Zuge seiner weltweiten Verbreitung konnte sich der PC gegen anfängliche Bedenken und Widerstände auch in der Literaturwissenschaft als Werkzeug der täglichen Arbeit etablieren. Anfangs waren es vor allem die Vorteile der Textverarbeitung und deren Entlastung vom mechanischen Aspekt des Schreibens und Wiederschreibens, die den Rechnern den Weg auf die Schreibtische ebneten. Ist aber die Maschine einmal vorhanden, man sich mit geringem Aufwand Zugang zum Internet verschaffen. E-Mail und das World Wide Web eröffnen einfachere Kommunikationswege, dazu kommen die Vorteile des Intranets, also eines universitätseigenen Netzes mit Zugriff auf elektronische Bibliographien und die Bibliothekskataloge einschließlich der Bestellmöglichkeiten vor Ort. Nicht wenige Literaturwissenschaftler haben sich inzwischen auch mit den neueren elektronischen Texten angefreundet, deren einfachen Benutzeroberflächen althergebrachte philologische Tätigkeiten sehr beschleunigen, zum Beispiel die Klärung von Wortbedeutungen mittels der Suche nach Parallelstellen beim selben Autor oder in derselben Epoche.