Refine
Year of publication
- 2010 (52) (remove)
Document Type
- Article (52)
Has Fulltext
- yes (52)
Is part of the Bibliography
- no (52) (remove)
Keywords
- Filmmusik (52) (remove)
Institute
- Extern (52) (remove)
Der Text beleuchtet die dramaturgische Rolle der Filmmusik im Dokumentarfilm. Ausgehend von verschiedenen Dokumentarfilm-Typen sollen sehr unterschiedliche Beispiele zeigen, wie Musik und Tongestaltung verschiedenartige Erzählstrukturen, Wirkungsmechanismen und ästhetische Merkmale ausprägen. Zugleich wird ein Trend eingehender untersucht, der publikumswirksame Dokumentarfilme im Kinoformat hervorgebracht hat, zu dessen Charakteristikum es gehört, dass Musik für eine Dramatisierung des an sich Dokumentarischen und zur Immersion in Dienst genommen wird. Es zeigt sich, wie groß der Anteil der Musik daran ist, dass Wirkungsmechanismen, die dem Publikum aus dem fiktionalen Genre vertraut sind, in den Dokumentarfilm übertragen werden können und dort ebenso funktionieren. Inwieweit dies der poetischen Verdichtung dient oder einer Einfühlungsästhetik zuarbeitet und möglicherweise die Glaubwürdigkeit des abgehandelten Themas in Frage stellt, ist eine kritisch zu diskutierende, stets für den Einzelfall zu beantwortende Frage. Der Beitrag möchte über die Anwendung beim Dokumentarfilm hinausgehend dafür eintreten, Filmmusik als "tiefenwirksames" dramaturgisches Element zu analysieren, wofür die vorgestellten Kategorien Anwendung finden und als Grundlage weiterer Diskussionen verstanden werden können.
Eric Clapton gilt als eher wortkarger Künstler, der Klappentext seiner eigenen Biografie besagt, er sei „bekannt für seine Verschlossenheit“. Den bildlichen Beweis dafür liefert der Konzertmitschnitt ERIC CLAPTON & FRIENDS IN CONCERT aus dem New Yorker Madison Square Garden im Juni 1999, dessen Besonderheit in einer ungewöhnlich deutlichen Distanzierung von Bühne und Zuschauerraum liegt. Während viele Künstler die Interaktion mit ihrem Publikum förmlich suchen und diese einen Großteil ihrer Bühnenshow ausmacht, findet sie bei Eric Clapton de facto nicht statt, eine Verbindung von Bühne und Auditorium wird gar nicht oder zumindest nur minimal angestrebt. Die Handlung auf der Bühne wirkt stattdessen wie ein Treffen virtuoser Musiker, die sich für eine gemeinsame Jam-Session zusammenfinden; die Gäste im Zuschauerraum dürfen dieser lediglich folgen, sind aber kein Teil davon. Folglich sind auch die Sequenzen, in denen das Publikum gezeigt wird, selten und vor allem kurz. Ihren Gipfel findet die Distanz zwischen Künstlern und Publikum darin, dass Clapton mehrfach für längere Zeit der Halle den Rücken zuwendet und sich ganz seinen Musikern widmet; während eines Solos seines Keyboarders Tim Carmon im Stück Old Love tut er dies für fast fünf Minuten.
Elvis : Aloha from Hawaii
(2010)
Die einzige Show, die Elvis Presley selbst produziert hat, sollte gleich erfolgreicher werden als die Mondlandung: Über eine Milliarde Menschen sahen weltweit am 14. Januar 1973 Aloha from Hawaii, live oder zeitversetzt. Sie machten das erste per Satellit weltweit ausgestrahlte Konzert, das in 40 Ländern über die Fernsehsender ausgestrahlt wurde, zu einem riesigen Erfolg und zu Presleys großem Comeback. Das Konzert im Neal Blaisdell Center sorgte für so viel Aufsehen, dass der Bürgermeister von Honolulu den „Elvis-Presley-Day“ am 13. Januar als hawaiianischen Feiertag ausrief. Das Elvis-Presley-Denkmal, das am 26.7.2007 in Honolulu enthüllt wurde, erinnert an den legendären Auftritt.
Filmische Biografien von Musikern gibt es schon seit dem Stummfilm. Aus dem Bereich klassischer Musik haben es Ludwig van Beethoven, Franz Liszt und Wolfgang Amadeus Mozart auf die meisten Filme gebracht. Aber auch ihre Kollegen Mahler, Schubert oder Wagner können filmische Darstellungen ihres Lebens vorweisen. Für das Massenmedium Film waren und sind Musikerbiografien als Stoffe für Spielfilme aus zweierlei Gründen interessant: zum einen, wenn es sich dabei um besonders populäre Vertreter handelt, und zum anderen, wenn mit den Musikernamen ein hohes kulturelles Ansehen verbunden ist. Die beiden Pole Entertainment und Hochkultur sind für das Mainstream-Kino, insbesondere für Hollywood, gleichermaßen faszinierend, erfüllen sie doch die unterschiedlichen, aber ebenso wichtigen Funktionen von Massentauglichkeit und kultureller Respektabilität. Für letzteres sind die filmischen Biografien klassischer Komponisten ein Beispiel, für ersteres ebensolche Filme, in deren Mittelpunkt die Walzerkönige und Operettenkaiser wie Johann Strauss Jr. und Franz Lehár stehen. Die filmische Biografie eines bestimmten Musikers hebt nicht nur diesen selbst aus der Masse hervor, sondern auch das musikalische Genre, das er repräsentiert.
Don Alan Pennebaker
(2010)
Geboren am 15. Juli 1925, dreht der heute vierundachtzigjährige Don Alan Pennebaker, Sohn eines Fotografen, noch immer Filme. Nach seinem Militärdienst und einem Ingenieurstudium in Yale sowie am M.I.T in Cambridge arbeitete er in verschiedenen Berufen, bevor er auf Drew und Leacock stieß. Michael Barchet zufolge verdiente Pennebaker sein Geld zunächst als Werbetexter und entwickelte u.a. ein computergestütztes Buchungssystem für Fluglinien (Barchet 1991, 154). Inspiriert durch den Filmemacher Francis Thompson drehte Pennebaker mit Ende zwanzig mit DAYBREAK EXPRESS (1953) und BABY (1954) seine ersten Filme über die New Yorker U-Bahn und einen Zoobesuch mit seiner Tochter. Letzterer war eigentlich nichts anderes als ein Amateur-Familienfilm. Jedoch wurde ihm während des Schneidens bewusst, dass er nicht seinem Material eine Story aufdrängen, sondern dass er sich Story und Rhythmus später in der Montage aus sich selbst heraus entwickeln lassen sollte (Saunders 2007, 10).
„This film should be played loud!“ Der ungewöhnlich zwingende Appell in Form der direkten Zuschauer-Adressierung schwirrt noch vor Augen und hallt im Bewusstsein nach. Unter dem Schwarzbild sind Wortfetzen, teils unverständliche Regieanweisungen zu hören, die eine kurze, offen inszenierte Szene mit Rick Danko am Billardtisch vorbereiten. Doch hier ist der Bassist, Violinenspieler und Sänger kein musikalischer Virtuose, sondern nur ein nicht mehr ganz junger Mann von der Straße bei seinem Zeitvertreib. Cut und Zeitsprung.
Gilt das, was der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase im oben wiedergegeben Zitat für die Wirkung eines Films im Allgemeinen behauptet, eigentlich auch für die Filmmusik, den Ton, den Dialog? Wenn ja, was ist das dann, die imaginäre[...] Mitte zwischen dem Absender und dem Empfänger, zwischen der Leinwand und den Bedürfnissen und den Emotionen" (ebd.) der Zuschauer/innen? Wo liegt diese Mitte? Lässt sie sich in Begriffe fassen oder entzieht sie sich einer sprachlichen Darstellung? Im Folgenden soll ein Anlauf dazu unternommen werden, die Wirkung dessen, was bei der Rezeption eines Spielfilms gehört wird, gleichermaßen in Abhängigkeit vom audiovisuellen Material und von den intersubjektiven und subjektiven Faktoren zu bestimmen, die die Rezipient/innen in diejenigen Prozesse mit einbringen, in deren Verlauf figureninterne und -externe Realitäten im Spielfilm konstituiert werden.
Devotional
(2010)
Ist der Zustand einer Band an der Inszenierung eines Konzertes respektive dessen filmischer Dokumentation erkennbar? Im Fall von Anton Corbijns DEVOTIONAL ja, denn der Film zeigt die englischen Pioniere des Synthie-Pops Depeche Mode einerseits auf dem Höhepunkt ihres musikalischen Schaffens, andererseits setzt er die Spannungen zwischen dem sichtbar vom Drogenkonsum gezeichneten Sänger Dave Gahan und dem Rest der Band eindrucksvoll in Szene. Ein Spiel mit Nähe und Distanz, von Annäherung und Entfremdung durchzieht den Film auf allen Ebenen und macht ihn zu einem künstlerischen Dokument des ostentativen musikalischen und visuellen Tanzes einer Band am Abgrund.
Depeche Mode – 101
(2010)
Für den Tourfilm 101 der Synthie-Pop-Gruppe Depeche Mode wurde der bekannte Musikdokumentarfilmer D.A. Pennebaker zusammen mit seiner Ehefrau Chris Hedegus sowie David Dawkins engagiert, um die letzten Etappen der Tour filmisch im Stile des Direct Cinema zu begleiten. Die Wahl fiel deshalb auf genau dieses Filmteam, weil die Band einen unmanipulierten Einblick ins Tourleben geben wollte und man in Pennebaker und seinen Mitstreitern dafür die richtigen Leute vermutete. Der Sänger Dave Gahan erklärte: „Wir hatten gesehen, was er mit Dylan und Monterey Pop und der Kennedy-Doku gemacht hatte – diese Filme geben nur Tatsachen wieder. Allzu viele Bands lassen solche Filme mit genauen Drehbuchvorschiften, Klischees und viel Glanz und Glamour machen.“ Pennebaker äußerte eine ähnliche Intention: „Ich wollte einen Film über reale Leute im realen Leben machen“ (Malins 2007, 133).
Ebenso wie sein Vorbild Martin Scorsese (THE LAST WALTZ, 1978; SHINE A LIGHT, 2008) drehte Fatih Akin mit CROSSING THE BRIDGE: THE SOUND OF ISTANBUL ein Rockumentary, das einen emotionalen Strudel erzeugt und den Zuschauer sehr nah ans Geschehen bringt. Anders aber als Scorsese, der in SHINE A LIGHT den Mythos „Rolling Stones“ feiert und somit sein Publikum sicher hat, begibt sich Akin auf eine Reise ins Unbekannte. Die Musikszene Istanbuls, die er porträtiert, ist für die meisten Europäer Neuland.