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Es ist nicht zu übersehen, dass spätestens seit der Jahrtausendwende in den Geisteswissenschaften ein gesteigertes Bedürfnis nach einer Historisierung der eigenen Zunft existiert, bei der es nicht um die eher pflichtschuldige Übung eines einleitenden Forschungsstandes geht, von dem aus die eigene Arbeit vorangetrieben wird, sondern die die Wissensbestände des Fachs selbst zum Thema hat. Auch die Rechtsgeschichte reiht sich hier ein in einen allgemeinen Trend zu (geisteswissenschaftlicher) Wissenschaftsgeschichte und vielleicht ist es nicht verfehlt, mit Ernst-Wolfgang Böckenförde und seiner 1961 erschienenen (philosophischen) Dissertation einen gleichermaßen frühen wie wirkmächtigen rechtsgeschichtlichen Innovator zu identifizieren. ...
Verstanden die europäischen Invasoren und die Angehörigen indigener Völker in Amerika sich eigentlich, wenn sie Verträge schlossen, über Rechte verhandelten, vor Gericht miteinander stritten? Fanden sie einen middle ground oder agierten sie nach dem Prinzip des code switching? Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des von den US-amerikanischen Rechtshistorikern Brian P. Owensby und Richard J. Ross herausgegebenen Bandes Justice in a New World. Negotiating Legal Intelligibility in British, Iberian, and Indigenous America. Sieben Fallstudien rekonstruieren Momente der rechtlichen Interaktion zwischen Angehörigen indigener Gemeinschaften und Euro-Amerikanern in Anglo- und Iberoamerika zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert. Sie werden gerahmt von einleitenden Überlegungen der beiden Herausgeber zur Möglichkeit des Vergleichs zwischen britischen und iberischen Rechtsräumen sowie zwei zusammenfassenden Beobachtungen. ...
In this article, we hypothesize, and then demonstrate, that experiences of embarrassment have significantly increased in the United States, due in part, to the current situation in American politics under President Donald Trump. We provide support for our hypothesis by conducting both qualitative and quantitative analyses of Twitter posts in the U.S. obtained from the Crimson Hexagon database. Next, based on literature from social psychology, social neuroscience, and political theory, we propose a two-step process explaining why Trump's behavior has caused people in the U.S. to feel more embarrassment. First, compared to former representatives, Trump violates social norms in a manner that seems intentional, and second, these intentional norm violations specifically threaten the social integrity of in-group members—in this case, U.S. citizens. We discuss how these norm violations relate to the behavior of currently represented citizens and contextualize our rationale in recent changes of political representation and the public sphere. We conclude by proposing that more frequent, nation-wide experiences of embarrassment on behalf of the representative may motivate political actions to prevent further harm to individuals' self-concepts and protect social integrity.
Die gegenwärtige Krise der Demokratie wird besonders sichtbar in der "symbolischen Dimension politischer Repräsentation". Diese Auffassung vertritt Paula Diehl in ihrem Aufsatz Demokratische Repräsentation und ihre Krise. "In Bildern, Inszenierungen und Diskursen werden sowohl demokratisierende als auch antidemokratische Konzepte 'getestet'. Erfahren sie Resonanz in der Öffentlichkeit und in der Bevölkerung, kann sich die Lage in die eine oder in die andere Richtung entwickeln. Denn Symbole aktivieren Vorstellungen über die politische Ordnung, Repräsentanten, Bürgerinnen und Bürger, über den Staat und auch darüber, wie politische Institutionen funktionieren sollen." So Paula Diehl im besagten Aufsatz, der Überlegungen bündelt, die sie in ihrer Studie Das Symbolische, das Imaginäre und die Demokratie. systematisch entfaltet hat. In dieser Arbeit analysiert Diehl den Zusammenhang zwischen den normativen Strukturen und der symbolischen Praxis eines demokratisch verfassten politischen Gemeinwesens. Beide bedingen sich gegenseitig. Die normative Struktur einer Gesellschaft findet den Grund ihrer Geltung und der Stabilität in der symbolischen Praxis; diese wiederum muss begriffen werden als Ausdruck der Prinzipien und Regeln der normativen Grundstruktur. Eine Krise des Politischen ist zu verstehen als Resultat und Ausdruck einer Störung in diesem wechselseitigen Bedingungsverhältnis von normativer Struktur und symbolischer Praxis der politischen Gemeinschaft. ...
Künstliche Intelligenz als Ende des Strafrechts? Zur algorithmischen Transformation der Gesellschaft
(2019)
Does Artificial Intelligence (AI) imply the end of criminal law and justice as we know it? This article submits that AI is a transformative technology that seemingly assumes and optimizes the rationalities of criminal law (the effective prevention of crime; the objective, neutral and coherent application of the law etc.), namely by replacing the counterfactual guarantees of the law with the factual guarantees of technology. As a consequence, AI must not be trivialized by criminal law theory. Likewise, it is not enough to subversively criticize the current weaknesses of AI (e.g. vis-à-vis the “bias in, bias out” problem). Rather, criminal law theory should draw on the highflying promises of AI to reflect upon the foundational premises of criminal law. For a criminal law that is mostly a governance tool in the administrative and/or welfare state, AI applications promise the culmination of the law’s very objectives (like the effective inhibition and prevention of crime, e.g. by means of predictive policing; or the political determination of fuzzy sentencing rationales in sentencing algorithms that ensure equal sentences for comparable crimes). For a criminal law, however, that protects liberal freedoms and rests on inter-personal trust, AI may well lead to the passing of the law’s very ideals (e.g. of the presumption of innocence, which can no longer be upheld once everyone, ordinary citizens and judges alike, is deemed a possible risk). The question about “AI as the end of criminal law?” thus eventually raises the two-pronged question “Which criminal law for which society?”. Indeed, what is the status of freedom (esp. in a surveillance society needed to power Big Data driven algorithms), trust (esp. under the zero trust paradigm that underlies many risk assessment algorithms) and future (esp. when algorithms make predictions based on past data) once AI enters into the administration of criminal justice? These are the questions, or so I respectfully submit, that criminal law theory needs to address today in order to come up with a criminal law that is both (for pragmatic reasons) open to technology as well as (for humane reasons) sensible. In all of this, we must take to heart Joachim Hruschka’s great legacy and remain intellectually honest.
Eine wichtige Facette des Wirkens von Ernst-Wolfgang Böckenförde ist die Entfaltung des freiheitlichen Charakters des Grundgesetzes. Sein zentrales Anliegen war es, Freiheitlichkeit nicht nur auf Angehörige des Mainstream zu beschränken, sondern auch die Freiheit der Andersdenkenden zu schützen. Gerade in den 1960er und 1970er Jahren war diese konsequente Liberalität von kaum zu unterschätzender Bedeutung, denn es gab nicht viele, die sich in diesem Sinne äußerten. Damals war die Staatsrechtslehre äußerst konservativ. Schon der SPD anzugehören, war eine große Ausnahme. Das Recht, auch das Verfassungsrecht, wurde häufig geradezu als Bollwerk gegen die Ideen der 1968er-Revolution eingesetzt.
Doch der Beitrag von Ernst-Wolfgang Böckenförde hat nicht nur historische Bedeutung. Das von ihm entwickelte liberale Fundament ist aktueller denn je: In den Debatten um den Umgang mit religiösen Minderheiten ist seine konsequent liberale Haltung von höchster Relevanz. Er selbst hat seinen Ansatz noch in die Debatten um das Kopftuch der muslimischen Lehrerin eingebracht und im Sinne der Liberalität Position bezogen.