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Dass der Tanz und die Pantomime sehr nahe verwandt sind, betont Hofmannsthal in seinem 1911 entstandenen Essay "Über die Pantomime", den er in Anlehnung an die gleichnamige Schrift von Lukian ausarbeitet: Danach sind die mimetische Darstellung und der amimetische Ausdruckstanz vom Pantomimischen und von rhythmischer Bewegung durchwirkt. Was aber in diesem Text hervorgehoben wird, ist vor allem die "reine Gebärde", die den Kern der Pantomime bildet, und am besten das Innere des Individuums zu offenbaren vermag. Die "reine Gebärde" verwirklicht sich, laut Hofmannsthal, in einem religiös motivierten, ursprünglichen Tanz, der in seinem Kern aus einem zeremoniellen Akt entsteht: "Auf Zeremonie läuft alles hinaus". Sie vermag "ein Verhältnis zu umgebenden Personen, gedrängter, und bedeutender als die Sprache es vermöchte, auszusprechen, etwas an den Tag zu geben, was zu groß, zu allgemein, zu nahe ist, um in Worte gefasst zu werden". Hier artikuliert Hofmannsthal sein Erfahrungswissen in Fragen nach dem Schöpferischen des Körpers im Tanz, sowie nach der Inspirationsquelle. So benötigt der Tänzer nicht nur eine entsprechende körperliche Eignung, sondern auch ein spezielles, kulturelles Wissen - memoria -, auf Grund dessen er eine gemeinmenschliche Gebärde, wie ein für alle verständliches Symbol konstruiert. Seine Wirkung wird weiterhin in der Selbstvergessenheit des Körpers im Tanz intuitiv-individuell vervollständigt.
Das neue Tanzmodell eroberte nicht nur die Aufmerksamkeit solcher dichterischen Größen wie Hugo von Hofmannsthal, Ludwig Hevesi oder des Kulturkritikers Hermann Bahr, es galt auch als Inspirationsquelle für die historische Avantgarde in der bildenden Kunst und Literatur. Solch ein "choreographisches Gedicht" wählt der bedeutendste Vertreter der Wiener Jahrhundertwende, Egon Schiele (1890-1918) zu seinem Hauptthema. Ins Zentrum dieser "Choreographien" rückt er seinen eigenen Körper, den er in fast manischer Weise gestaltet.
Ich nähere mich dem Thema Gesicht in einer spezifischen Darstellungsform. Zum einen geht es um die visuelle Formation von Gesicht mit Hilfe der Fotografie. Zum zweiten spreche ich von einem toten Gesicht, und zwar in doppeltem Sinn: auf medialer Ebene, weil fotografierte Gesichter im Moment der Aufnahme gemäß Roland Barthes immer schon "Gewesene" sind, und auf symbolischer Ebene, weil das von mir vorgestellte Gesicht zu einer Person gehört, die uns in einer Aufbahrungsszenerie als Verstorbener gezeigt wird. Damit ist es in ein konventionelles Zeichensystem des Totengesichts eingefügt, dem der lebendige Blick fehlt. Mit Jean Cocteau habe ich eine künstlerische Figur gewählt, die mit diesen beiden Prämissen spielerisch und reflexiv umgeht. Er versucht dabei ein Ding der Unmöglichkeit: nämlich das eigene Totengesicht als Angesicht zu konstruieren, insofern er uns als Betrachterinnen und Betrachter in einen unendlichen Prozess des vis-à-vis verstrickt. Anders als etwa Emmanuel Levinas ging es Cocteau in seiner Versuchsanordnung eines 'Von Angesicht zu Angesicht' jedoch weniger um eine ethische als um eine poetische Frage, und mit einem Augenzwinkern, um im Bild zu bleiben, nicht zuletzt auch um seine eigene Apotheose als genialer Künstler.
Ein trompe-l’oeil ist es nur auf den zweiten Blick, was der Maler, Zauberer, Ingenieur und Cineast Georges Méliès (1861–1938) um 1900 gemalt hat, eher die malerisch gelungene Zerstörung eines fast leeren Bildes und dessen Ersetzung durch ein Porträt. Méliès stellt ein Tafelbild her, das über jenes auf der Staffelei stehende Tableau um ein Weniges hinausragt. Der die Leinwand durchstoßende Kopf (des Malers) – seine realistische Darstellung läßt selbst die weißgefleckten Schrammen auf Nase und Stirn nicht aus und zielt darauf ab, den Betrachter zu erschrecken.
Es gab augenscheinlich ein Bild, eine Darstellung, die vor diesem Augenblick der (gemalten) Zerstörung vorhanden war – und sei es die leere, monochrome Leinwand, auf die die lateinische Zeile "Ad Omnia" und darunter – und damit assoziiert? – "Leonardo da Vinci" wie ein fragmentarisches Logogryph geschrieben ist. [...]
Leonardo wie Méliès waren ubiquitäre Künstler. Sie vereinigten auf sich die Fähigkeiten des Handwerks, die künstlerische Gestaltung sachlicher Zeichnung, konzeptuelles Design und utopische Entwürfe. Méliès war professioneller Zauberer, wie Leonardo planender Ingenieur war. Leonardo hat diese Galerie eröffnet, und Méliès, der heute nur noch als phantasievoller Pionier der Kinematographie gewürdigt wird, sieht sich, zu Recht, in dieser großen Reihe. Mit diesem Bild hat er sich ein Denkmal gesetzt.