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Mein Beitrag zeichnet im ersten Teil die Theoreme der Soziologie nach. Bis in die siebziger Jahre - die Palette reicht von Talcott Parsons über Erving Goffman bis zu Rollenanalyse als kritische Soziologie, das sich zu Alfred Schütz bekennt, und darüber hinaus - kann man verschiedene Stränge der Argumentation unterscheiden, allesamt bemüht, zu sozialen Rollen bzw. der Rollenhaftigkeit des sozialen Lebens etwas zu sagen, und bei einigen außerdem, die (idealisierende) Typisierung ins Visier zu nehmen. Im zweiten Teil wird der Gang des Theaters in den letzten Jahrzehnten skizziert. Seit es kein Stück und kein Publikum – also keine Rollen – mehr geben soll, sondern ein Skript genügen und eine Performance ausreichen soll, hat sich eine Theaterkultur entwickelt, die mit Blick auf Rollenrepertoire und Aufführungspraxis sich durch Wissenschaft begründet oder selbst eine "angewandte Theaterwissenschaft" sein will. Im dritten Teil wird das Verhältnis zwischen Rollen und Theater angesprochen. Nun wird die Typisierung zum Thema: Denn die Gesellschaft und die Bühne haben gemeinsam, dass eine Typisierung stattfindet, wenn in den sozialen Rollen, die das Leben verkörpern, oder dem Leben, das auf der Bühne nachempfunden oder gelegentlich beschworen wird, zwischen den Protagonisten etwas geschieht. Die Gesellschaft und die Bühne - im Blick auf Typisierung und Theater - kann man unter die Perspektive eines Dritten stellen, das sowohl eine Methode der Wissenschaft als auch ein Vorgang des Alltags ist - das Verstehen.
Wir haben das Feld der sozialen Situationen sondiert und die spektatorische Situation als eine spezifische Zeichensituation und Verkehrsform erörtert. Darüber hinaus sind problemgeschichtliche Aspekte der Figur des Zuschauers zur Sprache gekommen; gleichsam als Bestandteil konzeptioneller Vorarbeiten zur konkreten kultursemiotischen Untersuchung historischer Modelle von Spectatorship in ihrer funktionellen Typenvielfalt.
Soziologie und Politik
(2017)
Bei "Soziologie und Politik" handelt es sich um eine Vorlesung aus Bertha von Suttners "Maschinenalter" (1889) (in späteren Auflagen "Maschinenzeitalter"). Das vortragende Ich hält in einer fiktiven Zukunft, in welcher der Mensch höher entwickelt ist, eine Vorlesungsreihe über die gesellschaftlichen Zustände des 19. Jahrhunderts. Die einzelnen Vorlesungen bilden die Kapitel des Buches, welches nicht nur die gesellschaftlichen Missstände des 19. Jahrhunderts darlegt, sondern eine soziale, in sich stimmige Utopie erschafft. [...] Bertha von Suttners Soziologieverständnis war stark von Auguste Comtes positivistischer Sichtweise geprägt, die auf einem absoluten Glauben an Wissenschaft und Vernunft beruht. Dieses positivistisch geprägte soziologische Programm hatte um 1900 seinen Höhepunkt erreicht und war danach für Jahrzehnte unter den Generalverdacht der Faktenhuberei und der naiven Wissenschaftsgläubigkeit gestellt worden. Mit den Positivisten teilte Suttner ein monistisches Weltbild, sah das menschliche Zusammenleben als naturgesetzliches Ganzes an und negierte eine nomothetische Wissenschaftsauffassung. Für sie hatte die Soziologie - wie die Wissenschaft überhaupt - die Aufgabe, das menschliche Zusammenleben sowohl zu beschreiben als auch zu verbessern. In "Soziologie und Politik" sieht das Ich den Staat als Organismus und vergleicht die Vorgangsweise mancher Politiker mit einem Menschen, welcher über keine physikalischen Kenntnisse verfügt, aber in einem Chemielabor versucht, Substanzen herzustellen. Suttner fordert deshalb für Politiker eine Ausbildung in Sozialwissenschaften und kritisiert, dass Politiker gar keine fachspezifische Ausbildung brauchten, sondern dass der Gewinn von Wählerstimmen reiche. Allein durch die Wahl erhielten Personen eine Position mit Entscheidungsrecht über weitreichende politische Bereiche - Kultur, Gesundheit, Landwirtschaft, Handel, etc. Für Suttner entbehrte dieses System der objektiven Wahrheit; sie sah es vielmehr geprägt von den ausschließlich individuellen Interessen der einzelnen Personen und den Interessen der politischen Parteien. Die Führung eines Staates aber müsse über die "Wechselbeziehungen zwischen Ursache und Wirkung" Bescheid wissen und dürfe nicht nur kurzsichtig handeln.
im folgenden möchte ich dazu beitragen, goffman als soziologen der rituellen spiele mit darstellungsidiom zu verstehen, indem ich die konstruktion von authentizität in alltäglichen umfeldern durch einen goffmanesken zugriff wende: es ist die dramaturgische konstruktion von realität, vermengt und ergänzt durch eine dramaturgische produktion von glaubwürdigkeit durch die darstellung von "persönlichkeit" und nähe. während in vielen kontexten definitionen sozialer realität aufrechterhalten werden, denen keinesfalls glaubwürdigkeit unterstellt wird, steht gerade in der konstruktion persönlicher beziehungen eine form der realitätskonstruktion im vordergrund, die ich 'rituelle spiele mit glaubwürdigkeit' nennen möchte.
Regulation und Geschlecht : zur feministischen Erweiterung der Regulationstheorie bei Kohlmorgen
(2006)
Die Regulationstheorie bietet Konzepte zur Untersuchung der Bestandsfähigkeit, der Struktur und Dynamik von Gesellschaften, in denen kapitalistische Produktionsweise herrscht. Sie erlaubt es, die Entwicklung des kapitalistischen Weltsystems zu periodisieren und die von Marx zunächst abstrakt als Selbstverwertung des Werts gefasste Kapitalakkumulation in ihren historisch-konkreten Formen zu analysieren. Durch die Neubestimmung der Rolle von sozialen Kompromissen und Kräfteverhältnissen für die kapitalistische Dynamik sowie die Betonung der grundsätzlichen Kontingenz und Offenheit der historischen Entwicklung bietet die Regulationstheorie eine Möglichkeit der Überwindung von deterministischem und ökonomistischem Denken, das im traditionellen Marxismus dominant war, ohne die Möglichkeit einer umfassenden kritischen Gesellschaftstheorie aufzugeben. Zu einer solchen kritischen Gesellschaftstheorie gehört natürlich auch eine Kritik geschlechtsspezifischer Herrschaft und Ausbeutung, die von der Regulationstheorie zwar oft erwähnt, jedoch lange Zeit nicht systematisch in regulationistische Arbeiten einbezogen wurden. Mit Lars Kohlmorgens "Regulation, Klasse, Geschlecht" (2004) haben wir den ersten systematischen Versuch, die Regulationstheorie um die Analyse der Geschlechterverhältnisse zu erweitern und die regulationistischen Kategorien zu diesem Zweck zu reformulieren. Die Frage, ob und inwieweit es Kohlmorgen gelungen ist, die geschlechtertheoretische Leerstelle der Regulationstheorie zu füllen, ist Gegenstand dieser Arbeit.
Das Forschungsprojekt PROTOSOZIOLOGIE an der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main hat seit 1991 eine grundlagentheoretische Forschung auf dem Gebiet der Theoriebildung der modernen Sozialwissenschaften durchgeführt. Dabei waren die drei Kontexte Phänomenologie, System- und Sprachtheorie relevant. Die Phänomenologie der Lebenswelt und die Systemtheorie haben in der Philosophie und Soziologie des 20. Jahrhunderts – neben dem Sprachbegriff – eine paradigmatische Bedeutung. Edmund Husserls Lebensweltbegriff ist in der phänomenologischen Schule und der phänomenologischen Soziologie von Alfred Schütz, in der konstruktiven Wissenschaftstheorie von Paul Lorenzen und seiner Schüler, in der Systemtheorie Niklas Luhmanns und der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas wirkungsgeschichtlich geworden. Die Systemtheorie und der soziologische Funktionalismus hat seit den 40er Jahren eine paradigmatische Bedeutung für die Sozialwissenschaften und Wissenschaftstheorie. System und Lebenswelt avancierten somit zu den zentralen Begriffen der Philosophie, Soziologie und Kommunikationstheorie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für die beiden deutschen Soziologen Luhmann und Habermas ist darüber hinaus – wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung – die Verbindung beider Begriffe von grundlegender Bedeutung. Im Rückblick können wir feststellen, daß in der Philosophie des 20. Jahrhunderts drei Philosophien dominierten: die Sprachphilosophie in der heute weitverzweigten und dominierenden analytischen Philosophie (Frege, Russell, Wittgenstein, Carnap u.a.), Husserls Phänomenologie in der »Phänomenologischen Schule« und Soziologie und Heideggers Fundamentalontologie in der Philosophischen Hermeneutik. Gemeinsam ist den Hauptrichtungen der Philosophie in diesem Jahrhundert, daß sie die Erkenntnistheorie nicht mehr cartesianisch und mentalistisch konstruieren. Paradigmatisch wurde diese Umorientierung in der Erkenntnistheorie Wittgensteins, der Frege folgend, in seinem »Tractatus« lakonisch formuliert: »Das denkende, vorstellende Subjekt gibt es nicht«. Husserl nimmt zwar eine Sonderstellung ein, da seine Egologie und Erkenntnistheorie cartesianisch orientiert ist. Mit der Hinwendung zur Lebensweltanalyse gibt er auch eine Antwort auf die Konstruktionsprobleme des modernen Mentalismus. Die Dekonstruktion des erkennenden Ichs (transzendentalen Bewußtseins) hat sich in der Philosophie, Wissenschaftstheorie und Soziologie des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Dies gilt sowohl für den radikalen Konstruktivismus, die allgemeine und die soziologische Systemtheorie Luhmanns aber auch für die konstruktive Philosophie von Lorenzen, den sogenannten »Erlangener Konstruktivismus« und seine heutigen Vertreter. Belegen läßt sich das Ende der Bewußtseinsphilosophie aber auch in der Erkenntnistheorie ohne erkennendes Subjekt von Popper, dem erkenntnistheoretischen Naturalismus von Quine und Davidson, der sprachtheoretischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie von Essler (W.K.) und in der Organtheorie der Sprache von Chomsky. Inhalt Einleitung: »Lebenswelt« und »System« in Philosophie und Soziologie 9 Gerhard Preyer, Georg Peter, Alexander Ulfig ZUM BEGRIFF DER LEBENSWELT Ernst Wolfgang Orth ›Lebenswelt‹ als unvermeidliche Illusion? Husserls Lebensweltbegriff und seine kulturpolitischen Weiterungen 28 Walter Biemel Gedanken zur Genesis der Lebenswelt 41 Alexander Ulfig Lebenswelt und Reflexion. Anhang: Lebenswelt als Fundament der Wissenschaft 55 Gerhard Preyer Hintergrundwissen: Kritik eines Begriffs 81 Hubert A. Knoblauch Soziologie als strenge Wissenschaft? Phänomenologie, kommunikative Lebenswelt und soziologische Methodologie 93 LEBENSWELT – BEGRÜNDUNG – WISSENSCHAFT Jürgen Mittelstraß Das lebensweltliche Apriori 106 Peter Janich Die Rationalität der Naturwissenschaften 133 Jürgen Mittelstraß Rationalität und Reproduzierbarkeit 152 Elisabeth Ströker Lebenswelt durch Wissenschaft: Zum Strukturwandel von Welt- und Selbsterfahrung 163 Paul Janssen Lebenswelt, Wissen und Wissenschaft – Möglichkeiten ihrer Konstellation 184 Richard T. Murphy E. Husserl's Phenomenology of Reason 202 LEBENSWELT / LEBENSFORM – SPRACHE Pierre Kerszberg Lifeworld and Language 216 John F.M. Hunter The Motley Forms of Life in the Later Wittgenstein 228 Peter A. French Why did Wittgenstein read Tagore to the Vienna Circle? 241 Georg Peter Die Nebenbeschäftigung der Symbole: Zu Wahrheit und Funktion der Metapher 251 SYSTEM – SOZIALSYSTEM – GESELLSCHAFT Niklas Luhmann Die Lebenswelt nach Rücksprache mit Phänomenologen 268 Niklas Luhmann Observing Re-entries 290 Gerhard Preyer System-, Medien- und Evolutionstheorie. Zu Niklas Luhmanns Ansatz 302 Richard Münch Autopoesis per Definition 347 Hans Zitko Codierungen der Kunst: Zur Kunstsoziologie Niklas Luhmanns 357 James Bohman The Completeness of Macro-Sociological Explanations: System and Lifeworld 370 Göran Ahrne Outline of an Organisational Theory of Society 382 Anhang: Karl Otto Hondrich Zu Göran Ahrnes Ansatz 390
In der Medien- und Filmwissenschaft, von deren semiologischen Ansätzen sich Pierre Bourdieu scharf abgrenzt, wird sein Konzept der symbolischen Herrschaft vergleichsweise wenig rezipiert. Darin selbst sind einige blinde Flecken, die von Bourdieu nicht reflektiert wurden. Zu den blinden Flecken gehören zum einen die Nichtberücksichtigung der darstellerischen, ästhetischen wie narrativen Eigenlogiken des Films, zum anderen die Nichtberücksichtigung der Eigensinnigkeit der ZuschauerInnen in der Rezeption und Aneignung filmischer Inhalte, zwei Aspekte, die die symbolische Herrschaft des oder im Film unterlaufen können. Da Bourdieu weder Filme inhaltlich analysiert noch Rezeptionsstudien durchführte, wird fälschlicherweise von der Form auf die Schichten der ZuschauerInnen geschlossen. Im Anschluss an die zentrale Thematik der symbolischen Herrschaft (symbolischen Gewalt, symbolischen Macht) lassen sich diese Konzepte allerdings gewinnbringend auf die verschiedensten Dimensionen und Instanzen der medialen Analyse an der Schnittstelle zwischen Medien- und Filmwissenschaft sowie der Filmsoziologie, im Folgenden insbesondere die Soziologie des Films respektive die Soziologie durch Film, anwenden.
Mehr Dissonanz wagen!
(2016)