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Eine Dichterfreundschaft hat zwischen Gerhart Hauptmann und Paul Ernst nicht bestanden, nicht einmal eine kontinuierliche persönliche Beziehung. Dennoch soll hier kein abstrakter Vergleich zwischen zwei Autoren unternommen werden, deren Werke vielleicht zu einer bestimmten Form der Zusammenschau einladen, sondern ist tatsächlich die Rekonstruktion der Bedeutung geplant, die die beiden Generationsgenossen über einen längeren Zeitraum füreinander hatten. Es geht um die wechselseitige Wahrnehmung und Bewertung ihrer Positionen und Personen einschließlich der zugehörigen biographischen Voraussetzungen, und es kann keinesfalls überraschen, dass dabei die Momente der Kritik und Ablehnung, ja Abstoßung überwiegen. Denn natürlich stehen Gerhart Hauptmann und der vier Jahre jüngere Paul Ernst für unterschiedliche literarische Richtungen. Die Literaturgeschichte verbucht den einen als prominentesten Repräsentanten des Naturalismus im deutschen Sprachraum, den anderen als Begründer und charakteristischsten Vertreter der gegen diesen Naturalismus gerichteten neuklassischen Bewegung. Eine andere unsere heutige Auffassung bestimmende Differenz und Disproportionalität ist damit eng verbunden: Während dem Dramatiker Hauptmann schon in jungen Jahren spektakuläre öffentliche Aufmerksamkeit und ökonomische Prosperität zuteil wurden, die auch alle späteren Fehlschläge überstanden, ist Paul Ernst, der sich - jedenfalls bis 1918 - gleichfalls in erster Linie als Dramatiker verstand, zu Lebzeiten nie aus seiner Nischenexistenz herausgetreten.
Jenny Mautner (1856-1938), verheiratet mit dem jüdischen Großindustriellen Isidor Mautner (1854-1930), führte seit den 1890er Jahren in Wien einen bedeutenden Salon, zu dessen Gästen neben vielen anderen bedeutenden Kulturschaffenden wie Richard Strauss, Max Reinhardt oder Arthur Schnitzler mitunter auch Gerhart Hauptmann zählte.
Dass dessen gelegentlichen Besuchen mehr als nur berufliche Kontaktpflege zugrunde lag, zeigte sich, als im Jahr 1926 das Ehepaar Mautner die goldene Hochzeit beging. Es trafen zahlreiche Glückwunschschreiben ein, die sorgfältig gesammelt und zu einem repräsentativen Werk gebunden wurden. In dieser bisher unerschlossenen Sammlung findet sich auch ein Gedicht aus der Hand Gerhart Hauptmanns.
Die vorliegende Arbeit stellt diesen überraschenden Fund vor, erläutert den historischen Kontext und geht der Frage nach, wieso Gerhart Hauptmann es für angezeigt erachtete, für dieses Ereignis eigens ein Gedicht zu verfassen. Es wird aufgezeigt, dass es seit 1909 persönliche und briefliche Kontakte zwischen Jenny Mautner und Gerhart Hauptmann bzw. dessen zweiter Ehefrau Margarete gab. Anhand der bislang unveröffentlichten Briefe Jenny Mautners wird deutlich, dass sie Gerhart Hauptmann über den prekären Gesundheitszustand des von ihm hoch geschätzten Burgschauspielers Josef Kainz (1858-1910), der zu den engsten Freunden der Familie Mautner gehörte, auf dem Laufenden hielt. Doch auch nach dem Tod des bedeutenden Schauspielers blieb der Kontakt über Jahrzehnte erhalten, eine letzte persönliche Begegnung mit Jenny Mautner fand im Herbst 1937 in Wien statt.