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Während der Arbeit an den 'Thesen über den Begriff der Geschichte' hat Walter Benjamin den in der Geschichtsschreibung gebräuchlichen Begriff der "Quelle" einer radikalen Kritik unterworfen, die die Formen der Überlieferung überhaupt infrage stellt. Statt sich an das Schauspiel eines Stroms der Überlieferung zu verlieren, zu dem sich die Quellen vereinigt haben, frage der historische Materialist danach, wessen Mühlen der Strom treibe, wer sein Gefälle verwerte, wer ihn eindämmte, und indem er die Kräfte beim Namen nenne, "die in ihr am Werke gewesen sind", verändere er "das Bild der Landschaft" (GS I, 1160 f.). Diese Kritik sieht die "Quellen" in einen selber von Interessen und Macht bestimmten, weitgehend 'verderbten' Prozess der Überlieferung eingebunden. In der echten Geschichtsschreibung, heißt es in einem Entwurf der 'Thesen', erwachse daraus, und eben so stark wie ihr destruktiver Impuls, "der Impuls der Rettung", nicht nur vor "dem Verruf und der Mißachtung", in die Gewesenes geraten ist, sondern eben "vor einer bestimmten Art seiner Überlieferung" (WuN XIX, 128) selber. Der Begriff der "Quelle" gehört für Benjamin einer positivistisch verstandenen 'reinen' Wissenschaft der Geschichte an; der "wissenschaftliche" Charakter der Geschichte aber wird "erkauft mit der gänzlichen Ausmerzung alles dessen, was an ihre ursprüngliche Bestimmung als Eingedenken erinnert. Die falsche Lebendigkeit der Vergegenwärtigung, die Beseitigung jedes Nachhalls der 'Klage' aus der Geschichte bezeichnet ihre endgültige Unterwerfung unter den modernen Begriff der Wissenschaft." (GS I, 1231) Die 'Thesen' legen theoretisch-methodisch den Grund dafür, dass Referenztexte ganz anders aufgefasst werden als "Quellen" in einer begriffs- oder ideengeschichtlichen Darstellung. Wie aber dann, zumal in den 'Thesen' selber? Die Frage nach der Funktion der Referenzen in den 'Thesen' ist anders zu stellen als die nach einer Verwendung von Quellen, nämlich als die Frage danach, in welcher Weise Benjamin 'in' ihnen, 'mit' ihnen und 'gegen' sie denkt. So kommen auch die unterschiedlichen Formen der nicht explizit gemachten, verborgenen Referenzen ins Spiel.
1925 ließ Ernst Troeltsch einen "modernen Theologen" sagen, dass "das eschatologische Bureau heutzutage zumeist geschlossen [sei], weil die Gedanken, die es begründeten, die Wurzel verloren haben". Zurückzuführen sei diese Entwertung der Eschatologie auf die Integration der Idee des Fortschritts in den christlichen Erlösungsgedanken. Der Frage, ob diese Diagnose für die Theologie zutraf, kann hier nicht nachgegangen werden. In unserem Zusammenhang ist sie nur deshalb interessant, weil die Dependance des eschatologischen Bureaus in der philosophischen Fakultät der Heidelberger Universität ein Jahr später in einer heiklen Angelegenheit tätig werden musste. 1926 wurde Alexander Koschewnikoff, ein junger Russe, der seit dem Sommersemester 1921 Philosophie und Orientalistik in der süddeutschen Universitätsstadt und seinem Wohnort Berlin studiert hatte, von Karl Jaspers mit einer Arbeit über 'Die religiöse Philosophie Wladimir Solowjews' promoviert. 1930 erschien ein zwanzigseitiger Auszug der Doktorarbeit in einer in Bonn erscheinend en 'internationalen Zeitschrift für russische Philosophie, Literaturwissenschaft und Kultur'. Laut Koschewnikoff war für Vladimir Solov'ev (1853-1900), den vielleicht bedeutendsten russischen Philosophen des 19. Jahrhunderts "von Anfang an eine religiös-mystische Weltauffassung charakteristisch". Diesen religiösen Charakter habe seine Philosophie bis zuletzt beibehalten und auch seine Geschichtsphilosophie wesentlich geprägt: "es wird ein zu verwirklichendes Zukunftsideal [...] aufgestellt, und die 'tatsächliche' Geschichte als eine dazu mit Notwendigkeit führende Entwicklung konstruiert". Bei der Aufstellung dieser "Zukunftsideale" hat die Kenntnis der tatsächlichen Geschichte keine nennenswerte Rolle gespielt. Insofern habe Solov'ev nicht Geschichtsphilosophie im modernen Sinne des Wortes betrieben, sondern "Geschichtskonstruktion". Koschewnikoff unterscheidet in Solov'evs Geschichtsauffassung drei Perioden: eine slawophile, eine katholische Periode und den Standpunkt der letzten Schrift Solov'evs, der 'Drei Gespräche'.
Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Kyung-Ho Cha widmet sich in seinem Beitrag Benjamins Reaktion auf die Entdeckung der Kernspaltung im Jahre 1938. Den Ausgangspunkt des Aufsatzes bildet der Vergleich zwischen der Methode, die seiner Arbeit am Passagen-Werk zugrunde liegt, und der "Methode der Atomzertrümmerung", womit er sich auf die Kernspaltung bezieht. Im Aufsatz wird gezeigt, wie Benjamin mit dem Begriff aus der Kernphysik die in der Geschichte verborgenen und unsichtbaren Energien zu erfassen versucht.
In the present context of the triumph of capitalism over real socialism, this article points out that, despite their ideological differences, both systems are bound to the same conception of history-as-progress. In contrast, it recalls Walter Benjamin's philosophy of history, marked by the critique of progress in the name of a revolutionary time, which interrupts history's chronological continuum. Benjamin's perspective is used to study the conflict of temporalities among the Soviet artists in the two decades after the October Revolution: on the one hand, the anarchic, autonomous and critical time of interruption – which is the time of avant-gade –, on the other hand, the synchronization with the ideas of a progressive time as ordered by the Communist Patty; this is the time of vanguard, whose capitalist Counterpart is fashion.
"Der Mensch ist gar nicht gut/ Drum hau ihn auf den Hut./ Hast du ihn auf den Hut gehaut/ Dann wird er vielleicht gut". Mit dem grotesk-frivolen, bänkelsängerischen Ton verpackt Brecht im Lied von der Unzulänglichkeit ein durchaus ernstes geschichtsphilosophisches Programm: den Menschen - in schlechter, kapitalistischer Gegenwart – besser zu machen. Dazu reichen aber guter Wille, gute Absichten und Pläne keineswegs aus: "Denn für dieses Leben/ Ist der Mensch nicht schlecht genug./ Doch sein höh'res Streben/ Ist ein schöner Zug." Damit der Mensch die Gesellschaft und sich selbst besser machen kann, muss er zunächst vorübergehend härter, skrupelloser‚ 'böser' werden. Erst wenn er zunächst einmal klüger und 'böser' wird, ist er befähigt, an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Das ist dialektische Revolutions- bzw. Geschichtsphilosophie; das ist im Kern eine dialektische Figur in der Tradition der Theodizee.
Voltaire prägte 1767 den Begriff einer "philosophie de l’histoire", nachdem Leibniz 1710 den Begriff der Theodizee eingeführt hatte - als eine Lehre zur Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel, des Bösen in der Welt. Die radikale Freiheitsphilosophie des Deutschen Idealismus ist im Kontext der Theodizee begreifbar. Sie entlastet Gott, indem sie zeigt: "nicht Gott ist verantwortlich für diese schlimme Welt, denn nicht er macht und lenkt sie - sondern ein anderer: nämlich der Mensch oder (wie Kant, Fichte, Schelling statt dessen sagen) das Ich." Kant rief nicht zufällig "Gott" als wichtigste der "Vernunftideen" herbei, die zwar keine Erkenntnisse stiftet, den Erkenntnisprozess aber produktiv, regulativ begleitet. Hegel begreift - im Anschluss an Schiller - Geschichte als Universalgeschichte mit dem "Endzweck", "die Freiheit sich zum Bewußtsein […] und damit zur Wirklichkeit zu bringen", zugleich als eine "Theodizee", denn jener Endzweck ist genau "das, was Gott mit der Welt will".
O artigo busca explorar a temática da 'posthistoire' no romance "Eumeswil", de Ernst Jünger, e numa série de publicações do sociólogo e filósofo Arnold Gehlen. Tentamos evidenciar as surpreendentes afinidades eletivas que existem entre os dois autores, assim como extrair de seus escritos elementos que permitam lançar luz sobre alguns dos dilemas de nossa própria época.
Verrufenes historisieren
(2019)
Idee und Ideologie des Fortschritts wurden im 19. Jahrhundert nicht zuletzt von den historischen Wissenschaften hervorgebracht und durch die enormen Fortschritte der Wissenschaften ungemein plausibilisiert. [...] Vielleicht müssen wir rabiat werden, wenn wir den uns immer noch selbstverständlichen ideologischen Komplex von Fortschritt, Zeit und Historisierung verstehen und überwinden wollen; Immanuel Wallerstein hat dafür einmal die sprachlich gewöhnungsbedürftige Formel eines "Unthinking the 19th Century" ins Spiel gebracht. Vielleicht müssen wir unsere begrifflichen und rhetorischen Routinen - die auch in Deckbegriffen wie der Moderne, der Gesellschaft oder der Wissenschaft noch wirksam sind - irritieren, etwa durch 'illegitime', 'unwissenschaftliche' oder verrufene Formen des Historisierens.
Unter dem Zeichen des Anderen : Jaspers’ Blick zurück auf den Ursprung Europas in der "Achsenzeit"
(2013)
In seinem Beitrag zu der ersten Tagung, die die 'Rencontres Internationales' 1946 in Genf zum Thema 'Europa' ausrichteten, merkt Karl Jaspers an, dass wir heutzutage, das heißt nach den zwei Weltkriegen, kein Vertrauen mehr in den Humanismus, in den Glauben an zivilisatorischen Fortschritt durch Wissenschaft und Technik, in eine Gesellschaft, die auf einem Gleichgewicht souveräner Staaten basiert, und in die lebendige geistige Kraft der christlichen Kirchen besitzen. Dies alles waren die Säulen gewesen, die das Konzept Europa aufrechterhielten. In seinem Vortrag 'Vom europäischen Geist' kommt Jaspers folglich zu dem Schluss: "Wollen wir auf europäischem Grunde leben, dann müssen wir einen tieferen Ursprung wirksam werden lassen." Und er fügt hinzu: "Wir müssen tiefer zurück in unsere geschichtlichen Ursprünge, dorthin, woraus alle jene schwach gewordenen Mächte einst ihre Kraft hatten." In diesem Beitrag möchte ich einen Blick auf die Modalitäten einer solchen Rückkehr zu einem tieferen und grundsätzlicheren Ursprung des europäischen Geistes werfen; meinen Bezugspunkt bilden hierbei die Fragen, die die Gastgeber jener Konferenz stellten: Was ist Europa? Wie steht Europa in der veränderten Welt? Und was können wir aus europäischem Selbstbewusstsein wollen?
Was soll es bedeuten, dass etwas geschichtlich ist und nicht nur vergangen? Diese nur scheinbar harmlose Frage führt in ein Labyrinth verschiedener Antworten. Hier tut sich eine oft behauptete und ebenso oft bestrittene Beziehung von Geschichtlichkeit und Unsterblichkeit als Leitlinie auf. Im 18. und 19. Jahrhundert entsteht auf eher zufällige Weise eine Ideenkonstellation, in der die Unsterblichkeit der menschlichen Gattung und der einzelnen menschlichen Seele gegeneinander ausgespielt, kombiniert oder auch gemeinsam abgewiesen werden. Erschließbar durch Lektüren geschichtsphilosophischer Beiträge von Leibniz, Nietzsche, Benjamin und anderen, scheint sich für das 20. Jahrhundert zunächst abzuzeichnen, dass die Verschränkung von (Un-)Sterblichkeitsbehauptungen verschwunden ist. Doch tatsächlich hat sie sich vor allem verwandelt und verlagert. Insbesondere zeigt sich im modernen Verständnis von Normen als in die Unsterblichkeit überführten Werten ein unterschwelliger Fortbestand der älteren Konstellation. Die Studie erarbeitet eine neuartige Konzeption von Historizität, Historisierung und deren Zusammenhängen in kulturellen Erscheinungen wie der Totenfürsorge, des Humanitarismus und der Lebensrettung. Damit lassen sich zeitgenössische Welt- und Krisendeutungen bis hin zu derjenigen des Anthropozäns neu erklären.
In his article "The End of History?", originally published in the journal "The National Interest" in Summer 1989, Frances Fukuyama argued that 'the triumph of the West, of the Western idea, is evident first of all in the total exhaustion of viable systemic alternatives to Western liberalism.' It was in this respect that history had reached its 'end': the course of history in the sense of 'mankind's logical evolution' had arrived at 'the universalization of Western liberal democracy as the final form of human government'. [...] A look at some of the historical fiction written in the 1980s might suggest ways out of this potential imaginative impasse, offering up alternative possibilities, or 'Gegenwelten', in place of the dispiriting spectacle of history-on-repeat. Fukuyama himself does not mention literature. In fact, the historical fiction of the 1980s reveals a space in which the meaning of 'history' is still very much contested and where the threat of the 'end of history' in its more obvious sense - in the form of nuclear war or climate apocalypse - emerges as a force that speaks powerfully to the anxiety of our present moment. Two evocative novels that have much to tell us in these respects are Christa Wolf's "Kassandra" and Jeanette Winterson's "Sexing the Cherry". Published in 1984 and 1989, these two texts challenged the idea of rational progress and 'mankind's logical evolution' by raising the prospect of a distinctive feminist poetics - of 'écriture féminine' and 'what it will do' as Hélène Cixous had put it in her 1975 essay "The Laugh of the Medusa". The 'Gegenwelten' they propose suggest ways out of the macho strait jacket of violence, destruction and impending nuclear war.