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Zarathustra in den Tropen : der Text als Spirale der Wiederholung in Nietzsche und Robert Müller
(2010)
Der Einfluss Nietzsches auf die Autoren des Fin-de-Siècle und des so genannten „Expressionistischen Jahrzehnts“ wird unumstritten von der Kritik akzeptiert. Jedoch beschränkt sich diese Einschätzung auch in den jüngsten Abhandlungen (Ester 2001) aufgrund von Thesen aus den 70er Jahren (zum Beispiel die des kanonischen Bandes von Martens von 1971) auf den Parameter des Vitalismus. Die Untersuchungen zur Rezeption Nietzsches in dieser Zeit konzentrieren sich größtenteils auf 'Also sprach Zarathustra' und ignorieren oder unterschätzen somit andere philosophische Texte des Autors. Auf jeden Fall kann man den deutlichen Einfluss Nietzsches auf den deutschsprachigen Modernismus weder auf den 'Zarathustra' und sein vorherrschendes Thema den Übermenschen, noch auf die metaphysische Dimension seiner Philosophie beschränken, ein Umstand, den auch das fiktionale und essayistische Werk des Wiener Autors Robert Müller (1887-1924) musterhaft unter Beweis stellt. 'Der Mythos der Reise. Urkunden eines deutschen Ingenieurs' (1915) ist ein Beispiel für einen essayistischen Roman, der nicht nur direkt von der Philosophie Nietzsches, sondern auch gerade von der jeweiligen begrifflichen und diskursiven Methodologie sowie dem jeweiligen textuellen Konzept profitiert. Es handelt sich damit um Faktoren, die auch unter dem Zeichen des Essayismus gesehen werden müssen.
Der Begriff und das Thema einer "Fröhlichen Wissenschaft" sind bei Nietzsche paradox, kämpft der Philosoph doch in vielen seiner Texte gegen die Wissenschaft. Denn dem Begehren nach Wissen haftet etwas Reaktives und somit Trauriges an. Wie wird nun eine Leserin Freuds diese Ambiguität verstehen, wenn sie sie ins Verhältnis mit der doppelseitigen und komplexen Verbindung von Todestrieb und sexuellem Trieb setzt?
"Der Mensch ist gar nicht gut/ Drum hau ihn auf den Hut./ Hast du ihn auf den Hut gehaut/ Dann wird er vielleicht gut". Mit dem grotesk-frivolen, bänkelsängerischen Ton verpackt Brecht im Lied von der Unzulänglichkeit ein durchaus ernstes geschichtsphilosophisches Programm: den Menschen - in schlechter, kapitalistischer Gegenwart – besser zu machen. Dazu reichen aber guter Wille, gute Absichten und Pläne keineswegs aus: "Denn für dieses Leben/ Ist der Mensch nicht schlecht genug./ Doch sein höh'res Streben/ Ist ein schöner Zug." Damit der Mensch die Gesellschaft und sich selbst besser machen kann, muss er zunächst vorübergehend härter, skrupelloser‚ 'böser' werden. Erst wenn er zunächst einmal klüger und 'böser' wird, ist er befähigt, an einer besseren Zukunft zu arbeiten. Das ist dialektische Revolutions- bzw. Geschichtsphilosophie; das ist im Kern eine dialektische Figur in der Tradition der Theodizee.
Voltaire prägte 1767 den Begriff einer "philosophie de l’histoire", nachdem Leibniz 1710 den Begriff der Theodizee eingeführt hatte - als eine Lehre zur Rechtfertigung Gottes angesichts der Übel, des Bösen in der Welt. Die radikale Freiheitsphilosophie des Deutschen Idealismus ist im Kontext der Theodizee begreifbar. Sie entlastet Gott, indem sie zeigt: "nicht Gott ist verantwortlich für diese schlimme Welt, denn nicht er macht und lenkt sie - sondern ein anderer: nämlich der Mensch oder (wie Kant, Fichte, Schelling statt dessen sagen) das Ich." Kant rief nicht zufällig "Gott" als wichtigste der "Vernunftideen" herbei, die zwar keine Erkenntnisse stiftet, den Erkenntnisprozess aber produktiv, regulativ begleitet. Hegel begreift - im Anschluss an Schiller - Geschichte als Universalgeschichte mit dem "Endzweck", "die Freiheit sich zum Bewußtsein […] und damit zur Wirklichkeit zu bringen", zugleich als eine "Theodizee", denn jener Endzweck ist genau "das, was Gott mit der Welt will".
Das Faszinosum Weimar in seiner sich selbst überlassenen Modernität gründet nicht zuletzt in der Mischung von hochartifizieller Weltbetrachtung und bis heute uneingelösten philosophischen Maximen. Gerade jene Postulate - vom zielgerichtet individuellen, imperativisch-unverbindlichen "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" bis zum kollektivistisch orientierten Gedanken des Weltbürgertums - boten durch Zeiten und Kriege eine Utopie des schönen Scheins, die immer irgendwo zitabel und stets irgendwie variierbar war. Zudem sicherte die Verschränkung von Weltbürgertum und Humanitas, deren Kerngedanke recht gut mit der Goetheschen Aufforderung zu solidarischem Handeln und Gutsein umschrieben werden kann, dem Zitat seinen Aufstieg zur klassischen Sentenz und allen damit verbundenen sittlichen Unverbindlichkeiten.
Versprechen
(2016)
Das Versprechen ist an der Grenze zwischen Sprache und Handlung zu verorten, denn ein Versprechen verweist auf die zukünftige Ausführung eines Aktes. Damit geht es mit dem Versprechen weniger um das Wissen von der Zukunft als um die Herstellung einer 'verbindlichen Beziehung' zwischen Gegenwart und Zukunft: Wenn ein Versprechen gegeben wird, geht man davon aus, dass es in der Zukunft auch eingehalten werden wird. Zur Herstellung eines 'verbindlichen' Versprechens bedarf es daher zum einen spezifischer Regeln und Methoden, zum anderen über die Sprache hinausgehender Faktoren. Der Akt des Versprechens erfordert einen Zusatz – eine Kraft, eine Absicht, einen Willen oder bestimmte Umstände. Das Versprechen führt somit paradigmatisch vor, unter welchen Bedingungen überhaupt eine sprachliche Äußerung eine Verpflichtung auf zukünftiges Handeln zum Ausdruck bringt, zumal das Versprechen auch den Kern einer ganzen Reihe zukunftsbezogener Sprechakte bildet, man denke an den Bund, das Gelübde, den Eid oder den Schwur.
Untersuchungen zur Gattung und Metrik der Dionysos-Dithyrambe "Letzter Wille" von Fr. Nietzsche
(2021)
In diesem Aufsatz wird Nietzsches Dionysos-Dithyrambe "Letzter Wille" im Hinblick auf Charakteristiken der Gattung "Hymne", welcher der Dithyrambus als Untergattung zugerechnet werden kann, analysiert. Zwei Aspekte werden besonders berücksichtigt: Sprachgebärden und Freie Rhythmen. Sprachgebärden der Hymnen konnten hier nicht ermittelt werden. Die metrische Struktur des Gedichts wird im Kontext des lyrischen Werkes Nietzsches besonders nach Begriffen von Moennighoff und Schulz (2007) sowie Bunia (2014) untersucht und auf andere, der Gattung "Hymne" zugeschriebene Elemente bezogen. Dabei werden kompositorische Prozesse von "Letzter Wille", wie die Spiegelung von seinen Teilen, herausgehoben, und seine Beziehung zu anderen Gedichten des Autors kurz betrachtet. Zum Schluss widmet sich die Analyse dem Motiv des Dionysischen bei Nietzsche.
Sensibel auf Abstand
(2021)
Abstand kann schwer zu ertragen sein, vor allem dann, wenn er unfreiwillig eingehalten werden muss. Sollten Abstandsregeln und Masken in näherer Zukunft fallen, gibt es trotzdem gute Gründe, immer wieder auf Distanz zu seinen Nächsten zu gehen. Das lässt sich zum Beispiel nachlesen bei Nietzsche. Unter dem Titel "Von der Nächstenliebe" fällt Zarathustra ein wenig schmeichelhaftes Urteil über jene Motive, die die Menschen zueinander treiben.
Für Nietzsche sind die metaphysischen Orientierungspunkte des menschlichen Selbstbewusstseins unter Generalverdacht geraten, ebenso wie die für ewig gehaltenen Werte, aus denen der Mensch den Glauben an seine Würde bezog. Angesichts der Unwürdigkeit des Menschen erhebt die Selbstverkleinerung der Moderne die Scham zum bestimmenden Grundgefühl, und das schambestimmte Bewusstsein richtet sich letztlich gegen die Moral selbst. Der damit angezeigte Immoralismus wagt einen freien Blick auf die Selbstherabsetzung des modernen Menschen und einen tapferen Ausblick auf einen möglichen Gegenentwurf zur modernen Selbstverkleinerung. Das Verhältnis des Menschen zu sich selbst neu zu bestimmen, diesen Versuch unternimmt Nietzsche anhand der Frage nach der Vornehmheit. Der Vornehme ist ohne jene Scham vor dem Menschen, zeichnet sich zugleich aber durch einen 'Instinkt der Ehrfurcht' und Ehrfurcht vor sich aus.
Der Band bietet erstmalig eine umfassende Analyse der Schlüsselbegriffe Scham und Würde bei Nietzsche. So schließt er zugleich an gegenwärtige ethische Debatten an.
In der Moderne wird das Menschengesicht, das lange Zeit Sinnbild für die Ebenbildlichkeit Gottes und somit für menschliche Ganzheitlichkeit war, radikalen Auflösungsprozessen unterzogen. Zugleich scheinen immer wieder Erlösungsutopien durch, die eine neue Suche nach dem verlorenen oder erst noch zu schauenden Gesicht initiieren. Dieser Doppelstrebigkeit wird im Folgenden unter dem Leitbegriff des Rätsels nachgegangen. Letzterer lässt sich hierbei auf seinen zweifachen altgriechischen Ursprung zurückführen, auf 'griphos' ('Fischernetz, Schlinge': Ratespiel) und 'ainigma' ('dunkle Andeutung': das Rätselhafte). Das Rätsel wird in der Theologie seit jeher - in der Philosophie vermehrt in der Moderne – mit dem Gesicht (in seiner Doppeldeutigkeit von gesehenem und sehendem Gesicht) assoziiert, dessen Les- und Lösbarkeit es einer hermeneutischen Bewährungsprobe unterzieht. An zwei philosophischen Werken soll in einem ersten Schritt dieses Junktim von Rätsel und Gesicht(e) im Diagramm der beiden Lösungsbewegungen von Auflösung und Erlösung nachgezeichnet werden: an Friedrich Nietzsches 'Also sprach Zarathustra' (1883–1885) und Franz Rosenzweigs 'Stern der Erlösung' (1921) sowie seinen "nachträgliche[n] Bemerkungen" hierzu in "Das neue Denken" (1925).