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In der Zeit des Vormärz entsteht mit den Stücken von Büchner und Grabbe eine innovative moderne Dramatik, die - in ihrer Radikalität auf die ästhetische Moderne verweisend - ein neues, anderes Theater erfordert hätte. Die Antizipation eines solchen Theaters bei gleichzeitiger Ablehnung des real praktizierten Theaters gehört zu den Widersprüchen, die den Vormärz charakterisieren. Bezogen auf unseren Gegenstand bedeutet dies: Die kritische Auseinandersetzung mit dem Theater gilt im Vormärz oft nur einzelnen Aspekten - das Theater als Institution, dramaturgische Forderungen bezüglich der Spielplangestaltung etc. Aber das Theater als ästhetische Realität und als eigenständiges Medium gerät noch nicht in den Blick. Die Reformvorschläge gelten nicht einem - anderen - Theater, sondern nur einem zu verändernden. Aber auch hier gehen die Forderungen selten genug von den ökonomischen, politischen oder strukturellen Bedingungen aus, die vorwiegend die ästhetische Praxis des Theaters jener Zeit produzieren und provozieren.
Jahrbuch / FVF, Forum Vormärz Forschung - 8.2002 : Deutsch-französischer Ideentransfer im Vormärz
(2003)
Nie zuvor und nie danach haben sich französische und deutsche Kultur so tiefgreifend beeinflusst und durchdrungen wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wer heute von einer deutsch-französischen Synthese spricht, sollte auf die Zeit von Julimonarchie und Vormärz zurückgehen: Dort konnte sich diese Synthese in bedeutenden Ansätzen verwirklichen.
In den Jahren 1830-1848 wurde das traditionell sensualistische Denken Frankreichs durch die Aufnahme deutscher Literatur, Philosophie und Wissenschaft grundlegend reformiert. Gleichzeitig erkoren fortschrittliche deutsche Schriftsteller und Intellektuelle die Gründerjahre der Julimonarchie mit ihrer Metropole Paris zum Paradigma der Moderne. Auf beiden Seiten des Rheins wurde nachdrücklich über den Gedanken einer engeren Zusammenarbeit in assoziativer Form nachgedacht. - Man kann
also den Vormärz als "Sternstunde des deutsch-franzˆsischen Ideentransfers" bezeichnen.
Am 22. März 1832 stirbt Goethe. Nicht nur sein Leben, auch seine literarische Produktion reicht bis in den Vormärz hinein (wenn man ihn denn mit der Juli-Revolution von 1830 beginnen sieht) und lässt die klassizistische Ästhetik der 1790er Jahre am Ende weit hinter sich: 'Faust II' wird im Juli 1831 abgeschlossen und 1832 veröffentlicht, die letzte Fassung von 'Wilhelm Meisters Wanderjahre' war 1829 erschienen. Doch Goethes Tod (und damit auch das definitive Ende seines literarischen Werks) ruft nicht nur Trauer über den Verlust des unerreichbaren "Titanen" und den nun für unabwendbar gehaltenen Niedergang der deutschsprachigen Literatur hervor, er setzt auch Hoffnungen auf einen jetzt endlich möglichen Neubeginn bei den jungen Autoren frei, die sich von Goethes olympischer Überlebensgröße allzusehr in den Schatten gestellt gefühlt hatten.
Das Moment der Opposition gehört zu den Grundmerkmalen des
Exils, beschreibt aber nur einen Aspekt seiner – erzwungenen oder eben freiwilligen – Notwendigkeit, in der sich Schriftsteller und Künstler, Juristen und Handwerker, Juden und Christen zu allen Zeiten gleichermaßen begegneten. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ebenso wenig wie
von einer einheitlichen liberalen Gegenbewegung zum Metternich'schen System in ganz Deutschland die Rede von einer nur annähernd geschlossen auftretenden Opposition im Vormärz sein kann; eine solche konnte sich unter den politischen Bedingungen der Nachkriegsära nicht herausbilden. Opposition im Vormärz erstreckte sich bis in die zwischen konservativer Orthodoxie und innerkirchlichem Liberalismus zerrissenen
Kirchen hinein, in denen liberale Gegenströmungen wie die "Lichtfreunde" und die "Deutschkatholiken" das Staatskirchentum der Amtskirchen in Frage stellten und so von hier aus die Revolution vorbereiteten. Ebenfalls nur eine der vielen Facetten des Exils erfasst die Koppelung des Begriffs an die Literatur, auch wenn die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung die Geschichte des geschriebenen Wortes seit der Antike begleitet.
Jahrbuch / FVF, Forum Vormärz Forschung - 11.2005 : Europäische Karikaturen im Vor- und Nachmärz
(2006)
Seit Eduard Fuchs' Jubliäumsbuch "1848 in der Caricatur" reißt die Flut der Publikationen über die Revolutionskarikatur nicht mehr ab. In diesem Band tritt sie zurück, um anderem Platz zu machen: dem Vor- und Nachmärz sowie dem europäischen Kontext der Karikatur. Sowenig die Revolution von 1848 die Bildsprache der Karikatur mit einem Schlag ändert, sowenig werden ihre Mittel und Motive von Land zu Land neu erfunden. Der Zeitrahmen dieses Bandes ist also weiter gesteckt, von 1814/15, dem Jahr der Neuordnung Europas und der Gründung des Deutschen Bundes, bis 1858/59, dem Beginn der "Neuen Ära". Ebenso breit wird der europäische Raum ausgemessen, denn in dieser Zeit geben Frankreich und England den Ton in der Karikatur an, und man errichtete eine künstliche Scheidewand, wollte man die deutsche Karikatur gegen ihre Nachbarn isolieren. Dasselbe gilt übrigens für das mehr oder weniger enge Zusammenspiel von Bild und Text, wie es sich nach Vorläufern in England ("The Scourge") und Frankreich ("Le Nain Jaune", "Le Figaro") zwischen 1830 und der Jahrhundertmitte herausbildet.
Das vorliegende Jahrbuch 2006 geht in seinem Schwerpunkt der Genese und markanten Ausprägungen des modernen Jugend-Konzepts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Bereits die Rede vom "Jungen Deutschland", nicht selten als Epochenbegriff für die Jahre zwischen 1830 und 1848 verwendet, enthält jene Ambivalenz, die dem Thema und seinen bisweilen diffusen Konnotationen Aufmerksamkeit sichert: Der Aufbruch zu neuen (politischen, sozialen, künstlerischen) Ufern ist angesprochen, aber nicht wenige Zeitgenossen meinen auch Infragestellung bewährter Werte und Deutungsmuster. [...] Den folgenden Beiträgen kommt es weniger darauf an, Kontinuitäten und Traditionen in der literarischen Darstellung von Jugend zu verfolgen oder den jeweiligen jugendlichen Protest gegen die von den 'Alten' dominierten "fatalen bürgerlichen Verhältnisse" immer aufs Neue zu entdecken, als darauf, die Verfahren kultureller Konstruktion von Lebensaltern zu untersuchen, wie sie sich auch in literarischen Texten vollzieht. Denn diese Texte werden nicht selten - auch von ihren literaturwissenschaftlichen Kommentierungen - pauschal als Belege für einen seit zweihundert Jahren währenden Konflikt der Generationen gelesen.
Die historische Übersetzungsforschung ist eine Disziplin, die sich noch ziemlich in den Anfängen befindet. Es fehlen wichtige Dinge sowohl hinsichtlich der bibliographischen Aufarbeitung (wenngleich die Bibliographie von Hans Fromm aus den 1950er Jahren hier immer noch gute Dienste leistet), besonders aber hinsichtlich der Personen der Übersetzer, über die häufig gar nichts bekannt ist. Zu vielen sehr unbedeutenden und gar nicht gelesenen Schriftstellern der Zeit liegen mehr Informationen vor als zu Übersetzern, die eine ganze Fülle von Werken vor ein deutsches Massenpublikum gebracht haben. Dabei kann man aus der Untersuchung von historischen Übersetzungen eine Menge lernen. Nicht nur, was die praktische Übersetzungsarbeit angeht, sondern vor allem in Blick auf unsere eigene Kultur- und Literaturgeschichte. "Wir leben in einer Übersetzungskultur - und sind uns dessen kaum bewusst" - heißt der (apodiktische) erste Satz, mit dem im jüngsten Heft der Zeitschrift "Sprache im Technischen Zeitalter" ein Themenspektrum eröffnet wurde, das "Bausteine einer Übersetzungskultur" versammelt. Wenn es also darum geht, die "Kulturtechnik des Übersetzens […] zu beschreiben, die Fundamente einer Übersetzungskultur freizulegen", dann ist sogleich auch festzuhalten: "Eine Übersetzungskultur kommt nicht aus ohne die Beschreibung ihrer historischen Prägungen." Einem solchen Baustein zu einer Geschichte der Übersetzungen in die deutsche Sprache und der Auswirkungen auf die deutsche Literatur widmet sich der vorliegende Band, der aus einer kleinen Düsseldorfer Tagung im November 2007 hervorgegangen ist und nach einer einleitenden Erkundung zum Übersetzen im Vormärz dann einerseits Übersetzer, andererseits übersetzte Autoren als Fallbeispiele vorstellt.
Wenn man die Fülle der Reiseliteratur, die das 18. und 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, als Indiz für das Fernweh nimmt, muss dies damals immens gewesen sein. Lange mochte die Germanistik aber wenig von dieser Art von Literatur wissen, zumindest wenn sie nicht in dem eindeutig als pädagogisch wertvoll betrachteten Goethe-Winckelmann-Kontext des 18. Jahrhunderts stand. Heute hat sich dies im Zeichen gesteigerter akademischer Weltläufigkeit geändert, es geraten auch andere Epochen und neue Autorinnen und Autoren ins Blickfeld der Forschung, darunter auch die Reiseliteratur des Vormärz wie die des gesamten 19. Jahrhunderts. Allerdings steht die Forschung hier noch sehr am Anfang. Was das Reisen und den deutschsprachigen Reisebericht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts charakterisiert, ist unklar. [...] Eine Typologie aufzustellen und die Gattung endgültig zu definieren würde auch daran scheitern, dass die Reiseberichte vieler Autorinnen und Autoren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weiterhin der Aufarbeitung harren. Der vorliegende Sammelband versteht sich allerdings als Beitrag auf dem Weg zu solch einer Charakterisierung. Ein Ergebnis ist jedoch bereits klar, die Landschaft des Reiseberichts im Vormärz ist viel bunter als die vorangegangener Epochen, was auch daran liegt, dass das Privileg des Reisens und des Reise-Beschreibens von einer bunteren Autorinnen- und Autorenschar wahrgenommen wurde. Die Vielfältigkeit der Reiseschriftstellerei im Vormärz ist in der Forschung weitgehend unbeachtet geblieben, dabei erscheinen gerade die Reisebeschreibungen so pluralistisch wie keine andere Gattung.
Schwerpunktthema des vorliegenden Jahrbuches des FVF ist das Verhältnis von Literatur und Recht im Vormärz, ein seit den Anfängen der Vormärzforschung zentraler und kontinuierlich bearbeiteter Problemaufriss mit hoher Relevanz für das Verständnis der Literatur nach den Karlsbader Beschlüssen vom 20. September 1819. Die hier versammelten Beiträge stehen daher einerseits in der Kontinuität bisheriger Beschreibungsmodelle vormärzlicher Literatur. Sie beschreiten andererseits neue Wege, insofern sie das traditionell auf die Zensur fokussierte Interesse am Verhältnis von Literatur und Recht erweitern. Sie knüpfen zudem an die vielfältigen Studien zu den Wechselbeziehungen zwischen Recht und Literatur im Allgemeinen an, die in den letzten Jahren unter dem anregenden Impuls der "Law-and-Literature"-Bewegung in den Literatur- und Geisteswissenschaften ein besonderes Interesse hervorgerufen haben. Es ist folgerichtig, dass das FVF auch diese Ansätze aufgreift, abwägt und für seinen Gegenstand fruchtbar macht.