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Die Arbeit ist der Theorie der Dichtungsarten im genannten Zeitraum ge-widmet und geht den konkurrierenden Einteilungen (Zwei-, Drei-, Vier-, Fünfteilung) und den Gattungsexperimenten der Poetik nach. Die Spekulationen der Romantik und des Idealismus haben diesem Gebiet das Gewicht gegeben, das es bis heute behalten hat. Die Poetik des späteren 18. Jahrhunderts leitet diese Entwicklung ein, doch kennt sie die dialektische Struktur der idealistischen Systeme noch nicht. Sie hat sich mit formalen und inhaltlichen Gesichtspunkten begnügt und nicht selten auf eine Gattungssystematik ganz verzichtet.
Man kann eine literarische Konzeption oder ein literarisches Milieu auch durch seine Bereitschaft zu Theoriebildung und Programmatik kennzeichnen. In der Wiener Kultur um 1900 ist die Anzahl literaturästhetischer und kunstkritischer Arbeiten beträchtlich; die bereits genannten repräsentativen Autoren wie auch zahlreiche halb vergessene Kritiker haben daran teil. Allein auch hier fällt ein bezeichnender Umstand ins Auge. Mustert man die kritischen Schriften der wichtigsten, Bewegung und Milieu wirklich prägenden Schriftsteller, ist die Tatsache nicht zu übersehen, daß die größte Aufmerksamkeit Fragen der Drarnentheorie sowie der Poetik lyrischer Dichtung und kleiner Prosaformen gilt.
Für eine Theorie großer Erzählgattungen ist dagegen kein ausgeprägtes Interesse zu erkennen. Zwischen Kraus oder Hofmannsthal und der folgenden Generation liegt eine poetologische Zeitenscheide. Um den Dingen gerecht zu werden, ist es erforderlich, zwischen einem programmatischen bzw. poetologischen Diskurs und gelegentlichen kritischen Äußerungen über Lektüre zu unterscheiden.
Uwe Timms Erzählung ist die Novelle einer Novelle, analog zu den in der Neuzeit zahlreichen Ansätzen zu Romanen eines Romans. Die gattungspoetologische Selbstreflexivität wird in der Verschachtelung der Sujets von Rahmen- und Binnenhandlung ausdrücklich verbalisiert. Mittels intertextueller literarischer Referenzen wird sie direkt evident, indem in einem Kreuzworträtsel, das der "gefangene" Bremer zum Zeitvertreib löst, die Frage nach einer griechischen Zauberin mit fünf Buchstaben ("Kirke") und die nach einer literarischen Gattung mit märchenhaften sieben Buchstaben ("Novelle") gestellt wird. Die logogriphische Siebenzahl verweist auf Kirkes Komplementärfigur "Kalypso" bei Homer, innertextuell auf die "vermittelnde" Protagonistin Lena "Brücker" bei Timm; metatextuell figuriert sie die gattungspoetologisch gestellte und aufgelöste Rätselfigur als gleitende Übergänglichkeit von "Novelle" und "Märchen".
This paper is the report of a study conducted by five people – four at Stanford, and one at the University of Wisconsin – which tried to establish whether computer-generated algorithms could "recognize" literary genres. You take 'David Copperfield', run it through a program without any human input – "unsupervised", as the expression goes – and ... can the program figure out whether it's a gothic novel or a 'Bildungsroman'? The answer is, fundamentally, Yes: but a Yes with so many complications that it is necessary to look at the entire process of our study. These are new methods we are using, and with new methods the process is almost as important as the results.
Rezension zu Rüdiger Zymner (Hg.): Handbuch Gattungstheorie. Stuttgart, Weimar (Metzler) 2010. 368 S.
Es gibt Bücher, die man von vorne bis hinten lesen muss. Sammelbände zählen nicht dazu; Lexika noch weniger: sie folgen einer Ordnung, die der Sache ganz äußerlich ist. Und Handbücher? Im Unterschied zu Lexika, die ihren Gegenstand profilieren, indem sie die alphabetisch geordneten Begriffe durch eine Hyperlink-Struktur dicht vernetzen, sind diese nicht nur dazu gedacht, ihren Gegenstand begrifflich zu erschließen, sondern ihn auch systematisch zu präsentieren. Handbücher wollen nicht nur gelegentlich zur Hand genommen werden, sie zielen auch darauf ab, alles, was man wissen und bedacht haben sollte, in handlichem Format darzustellen. Die hier zu besprechende Publikation erfüllt diese Ansprüche auf mustergültige Weise.
Science-Fiction
(2016)
Science-Fiction (SF) gilt seit dem frühen 20. Jahrhundert als dasjenige literarische, filmische und seit den 1960er Jahren zunehmend auch pop-kulturelle Genre, welches wie kaum ein anderes für die fiktionale Ausgestaltung der Zukunft zuständig ist. Und dennoch stand SF lange Zeit in dem Verdacht, eine ästhetisch anspruchslose und tendenziell machistische, wenn nicht offen sexistische, nationalistische und gewaltverherrlichende Unterhaltung für technikbegeisterte weiße Männer mittlerer Bildung und jüngeren Alters zu liefern. Die Literaturwissenschaft hat diese Einschätzung allerdings bereits seit längerem revidiert. So erschienen in den letzten Jahren mehrere Publikationen, die die Bedeutung von SF als "wide-ranging, multivalent and endlessly cross-fertilising cultural idiom" hervorhoben. Vor allem das zunehmende Interesse an den Übergangsregionen von Kunst und Wissen(schaft) hat dem Genre zu neuer kultur-, literatur-, film- und medienwissenschaftlicher Attraktivität verholfen. Dennoch bleibt SF nach wie vor eine genrepoetische und ästhetische Herausforderung, da das Verhältnis zu benachbarten Erzählformen wie Utopie/Dystopie, Horror und Fantasy umstritten ist, die historische Datierung der Gattungsgeschichte ungeklärt bleibt und die grundsätzliche Frage nach der Eigenständigkeit von SF als Genre bis heute Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen ist. Aus pragmatischen Gründen werden diese Themen im Folgenden ausschließlich anhand der 'literarischen' SF diskutiert.
Manifest
(2016)
In der Frühphase der Französischen Revolution zeigt sich [...] eine Zäsur in der historischen Betrachtung von politischen Texten, die sich als Manifeste ausweisen: Die Vergangenheitsorientierung wird zum Anachronismus; erst durch die Ausrichtung auf Zukunft wird das Manifest zu einem zentralen Instrument politischer Kommunikation. Seit der Französischen Revolution wird in Manifesten Zukunft angekündigt und rhetorisch hergestellt. Das Manifest soll eine Mobilisierung hervorrufen, die das formulierte Programm realisiert. Dabei muss diese Zukunftsvorstellung nicht ausführlich entwickelt werden, häufig reicht es aus, sie anzudeuten und anzukündigen. Damit unterscheiden sich Manifeste von Utopien: Während die Utopie eine möglichst umfassende Fiktion einer zukünftigen Gesellschaftsform als Regulativ gegenwärtigen Handelns entwirft, begnügt sich das Manifest mit einer andeutenden Rhetorik des Futurischen und mit indexikalischen Zeichen, die das Neuartige, wenn auch nicht unbedingt Spezifizierte der Zukunft in der Gegenwart verankern. Diese Kopplung zwischen verheißener Zukunft und gegenwärtigem Handeln zeigt sich auch in der Etymologie: Der Ausdruck Manifest stammt vom lateinischen Verb 'manifestare' 'offenlegen', der Wortstamm verweist aber auch auf das Wort 'manus', ‚die Hand‘, so dass die Bedeutung 'handgreiflich machen' mitschwingt. Im Folgenden soll nicht versucht werden, die Gattungsform zu definieren oder eine Typologie der Manifeste zu entwerfen. Stattdessen geht der erste Teil des Beitrags auf einige historische Stationen der Geschichte des Manifests ein, worauf die folgenden beiden Abschnitte sich zwei konkreten Manifesten widmen: Karl Marx' und Friedrich Engels' 'Manifest der Kommunistischen Partei' (1848) und Bruno Latours 'An Attempt at a Compositionist Manifesto' (2010).
Der vorliegende Band widmet sich einer lange Zeit vernachlässigten und noch weitgehend unerforschten Subgattung der Lyrik, dem Dialoggedicht, um es stärker ins Zentrum interdisziplinärer literaturwissenschaftlicher Fragestellungen zu rücken. In der Tat bezeugen die Einleitung und die 24 Beitrage des Bandes die nachhaltige Präsenz dialogischer Lyrik in der internationalen Literaturgeschichte seit dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, die sich über die Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Literaturen mit erstaunlicher Kontinuität beobachten lässt.
Warum versucht sich ein zu diesem Zeitpunkt berühmter Gelehrter wie Georg Simmel, der ja 1900 "Philosophie des Geldes" publiziert, in der Dichtung? Ganz unabhängig von seinem Scheitern in diesem Fach möchte ich im Folgenden diese Frage ausweiten und in den Kontext einer umfassenderen Beobachtung stellen. Nämlich der, dass sich im Laufe der langen Jahrhundertwende Texte herausbilden, die in ihrer Form einmalig oder zumindest besonders sind und zu denen auch viele Arbeiten von Georg Simmel gehören – nicht nur die, die er als Momentbilder publiziert. In einem ersten Schritt werde ich diese neuen Texte der langen Jahrhundertwende beschreiben, um im Anschluss Überlegungen dazu anzustellen, welche Bedingungen diese Formen begünstigt haben. Abschließend wende ich mich kurz einem Vergleich von Simmel und Benjamin zu, um auf diese Weise aufzuzeigen, dass für diese Texte die Formation mehr ist als nur Grundlage für die Vermittlung von Konzepten und selbst eine konzeptuelle Funktion übernehmen soll. Daher ist es hilfreich, die jeweils formalen Strukturen und Modi genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich werde mich Simmel also nicht aus der Perspektive der Soziologie oder Kunstphilosophie nähern, sondern aus der einer kulturwissenschaftlichen Literaturwissenschaft.