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Through a contrastive comparison between the classic detective Sherlock Holmes and contemporary research agencies such as Forensic Architecture, this paper examines a recent shift in the "evidential paradigm" (Ginzburg). Based on the role that the "evidential paradigm" plays for critical literary and cultural studies, the state-supporting positivism of Sherlock Holmes is distinguished from the state-critical constructivism of Forensic Architecture: Whereas Holmes conceived of the trace as a positive datum, in Forensic Architecture's virtual investigations it becomes an emergent from data. However, this juxtaposition needs to be differentiated when critically examining the "aesthetics of objectivity" (Charlesworth) of the animated videos Forensic Architecture use to present their findings. The essay closes by asking what conclusions can be drawn from the new forms of knowledge generation for the methodology of literary and cultural studies.
Vor gut zehn Jahren rückte der NSU-Komplex ins Licht einer ahnungslosen Öffentlichkeit. Mit jedem neuen Detail der Mordserie, die bis zu diesem Punkt in den hinteren Mediensegmenten ein belangloses Dasein als 'Dönermorde' fristete, sandte eine Terrororganisation, die sich Nationalsozialistischer Untergrund nannte und die Morde nun öffentlich für sich reklamierte, nachträglich Schockwellen ins öffentliche Bewusstsein. Als Antwort auf den Terror, der sich direkt vor ihren Augen und doch jenseits ihrer Aufmerksamkeit abgespielt hatte, eröffnete die Gesellschaft, vertreten durch die Bundesanwaltschaft, dann am 6. Mai 2013 einen Prozess. Den Strafprozess als jenes öffentliche Verfahren, das die Ausübung legaler Gerechtigkeit verspricht - Gerechtigkeit durch Prozess und Gesetz -, nennt die amerikanische Literaturtheoretikerin Shoshana Felman "die angemessenste und wesentlichste, letztlich bedeutsamste Antwort der Zivilisation auf die Gewalt, die sie verwundet". Das Verfahren dieser Antwort verfolgt aber nun einen dezidiert eigenen Zweck, mit einem durchaus anderen Fokus als dem der gesellschaftlichen Aufarbeitung. Die Spannung zwischen dem innerrechtlichen Ziel einerseits - der Feststellung individueller Schuld - und dem gesellschaftlichen Bedarf an Aufarbeitung andererseits durchzieht den gesamten NSU-Prozess und prägt nicht zuletzt die Art, wie der gesamte NSU-Komplex dabei in Erscheinung und auf die Bühne der Welt tritt. Die Frage, wer wann, wo und wie in Erscheinung treten und teilhaben kann, betrifft den Kern des NSU-Terrors selbst. Der Prozess, der diesen Terror verhandelt, partizipiert gleichzeitig selbst performativ an der Frage des Erscheinens. Als eine eigene Miniaturbühne der Welt entscheidet das Gericht nicht nur über Schuld und Unschuld als Ergebnis des Prozesses, sondern eben auch darüber, wer wo und wie zu diesem Zweck erscheinen und durch seine Rede daran teilhaben kann. Während im Prozess einerseits alle Scheinwerfer auf die Hauptangeklagte gerichtet waren, um deren individuelle Schuld es in dem Verfahren primär ging - eine Hauptangeklagte, die sich dem Auftreten aber gerade verweigerte -, hat das Verfahren andererseits die Opfer und Hinterbliebenen an den Rand gedrängt, von dem her diese aber nun die gesellschaftlich entscheidenden Fragen aufwerfen. Diese doppelte Asymmetrie des Erscheinens im Prozess prägt bis heute das, was wir den NSU-Komplex nennen.
Ausgehend von Beatrice von Bismarks Begriff der "kuratorischen Situation" untersucht Anna Polze anhand des Projekts "Shipwreck at the Threshold of Europe" die Arbeit von Forensic Architecture, wobei sie zunächst die kustodische der kuratorischen Funktion gegenüberstellt. Die kustodische Funktion besteht darin, die angeschafften oder anvertrauten Daten zu verwalten und sie ausstellbar zu machen. Auch hier geht es also um einen Umgang mit dem potentiellen 'Zuviel' an Daten. Die kustodische Arbeit geht über in eine kuratorische Arbeit, die sich auch als 'Übersetzungskette' verstehen lässt, denn die Daten werden umgewandelt, zugeordnet, eingebettet. Das Zusammenwirken beider Tätigkeiten bezeichnet Polze als "kustodische Arbeit innerhalb digitaler Medienkultur" bzw. als "Kuratieren von content" (Polze).
Auch Sarah Sander befasst sich in ihrem Beitrag mit der politischen Dimension des Kuratierens, die sie durch die Untersuchung der künstlerischen Strategie des Arrangements in der Arbeit von Forensic Architecture und bei Guillermo Galindo herausstellt. Beide, Künstler wie Kollektiv, arbeiten mit vorgefundenen Materialen und Bildern, die neu arrangiert werden, um "den massenmedialen Bildern und Diskursen etwas entgegenzustellen" (Sander). Jedoch verfolgt das Arrangieren jeweils unterschiedliche politische Ziele: Während das Forensic Architecture Kollektiv mit seinen Arbeiten Sichtbarkeit und Nachvollziehbarkeit erzeugt, geht es Galindo vielmehr darum, Hörbarkeit herzustellen; in ihrem Widerstand gegen fortwirkende rassistische Strukturen schreibe sich beide in eine Praxis ein, die Sander mit Christina Sharpe als 'wake work' beschreibt.