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Die Position, die Mallarmé in "Crise de vers" entwickelt, will ich im Folgenden
in ihren Umrissen nachzeichnen, indem ich eine Lektüre dieses Textes vornehme, dabei aber auch auf andere poetologische und poetische Schriften Mallarmés zurückgreife. Ich versuche zunächst, Antworten auf drei Fragen zu geben: 1) Worin besteht die von Mallarmé konstatierte "Krise des Verses" und was ist ihr Grund? 2) Welche Folgen hat diese Krise für das dichtende Subjekt? 3) Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Dichtung überhaupt? Daran schließe ich dann weitergehende Überlegungen zu Mallarmés Poetik und Poesie an.
Im November 1892 erscheint die erste größere Auswahl von Mallarmés Schriften: Vers et Prose. Morceaux choisis (Paris: Perrin 1893, 224 S.). Der Band enthält Gedichte, Übersetzungen (Poe) und unter dem unscheinbaren Titel "Plusieurs pages" Prosagedichte sowie literaturkritische Texte, darunter, die Auswahl abschließend, zwei mit ausgesprochen programmatischem Charakter.
In der Einleitung seiner sich auf diese Ausgabe beziehenden Studie mustert Lanson die bisherige Wirkung von Person und Werk Mallarmés bis zu diesem aktuellen Zeitpunkt mit Ironie und bissigen Bemerkungen. Sie stellt sich ihm als Ergebnis einer Werkpolitik dar, mit der ein dem Anschein nach öffentlichkeitsscheuer, aber klug agierender Autor Schüler gewinnt, ein zunehmend irritiertes bürgerliches Publikum zudem neugierig macht und schließlich einen Band vorlegt, an dem die Analyse eines singulären Kunstanspruchs nun anzusetzen vermag. Mit dieser Einschätzung steht Lanson nicht alleine da. Zehn zwischen Dezember 1892 und Februar 1893 erschienene Rezensionen markieren den mit "Vers et Prose" markierten Einschnitt in der Wirkungsgeschichte Mallarmés, und alle begreifen ihn als Aufforderung zu Urteil und Resümee.
Lanson, der spätere Begründer der französischen Literaturwissenschaft, ist zu diesem Zeitpunkt Professor für Rhetorik am renommierten Pariser Gymnasium Charlemagne. Er hat von Mallarmé ein Exemplar mit Widmung erhalten, ist aber nicht Literaturkritiker wie all die anderen Rezensenten, und auch der Publikationsort seiner Studie zeigt Distanz an.
[...] Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler verkörpert die Leidenschaftskomponente des französischen Wagnerismus mit ihrer Verquickung von Ablehnung und Bewunderung, von partieller Unwissenheit und tiefer geistiger Verbundenheit besser als Stéphane Mallarmé. […] [S]ein Wagner-Tableau scheint symptomatisch einerseits für die Übertragungsmechanismen jener elektrisierenden künstlerischen Substanz aus Deutschland und andererseits für die Modalitäten ihrer Integration in eine ihr fremde intellektuelle Landschaft. Aus diesem Grunde ist es auch nur schwer nachvollziehbar, dass bis heute die Beziehung des französischen Dichters zum Parsifal-Komponisten den weniger bekannten Seiten der Geschichte des Wagnerismus in Frankreich zuzurechnen ist. Die „Rêverie d’un poète français“ und die „Hommage à Wagner“ haben sich in der Wagner-Forschung nie jener Beliebtheit erfreut, die ein Thomas Mann oder […] Baudelaire, in den letzten Jahrzehnten genossen haben. Die hermetische Dignität der Texte Mallarmés mag hierfür sicherlich eine Erklärung sein. Dennoch wäre es bedauerlich, Mallarmé nur einigen wenigen Lyrik-Spezialisten zu überlassen, die sich oft damit begnügen müssen, die Missverständnisse des Dichters zu perpetuieren, ohne dabei nach tieferen Zusammenhängen suchen zu können, deren Bedeutung jedoch, gerade im Hinblick auf die unterschiedlich gearteten intellektuellen und kulturellen Kontexte beider Künstler, besonders aufschlussreich sein könnten. Dementsprechend soll im weiteren Verlauf versucht werden, den »gravierenden Konflikt« (Philippe Lacoue-Labarthe) zwischen Wagner und Mallarmé neu zu deuten und besonders den ästhetischen Standpunkt des Komponisten zur Geltung kommen zu lassen. Hierdurch kann schließlich vermieden werden, dass, wie so oft, die Auseinandersetzung des französischen Dichters mit der Kunst Richard Wagners zur Philippika gegen die Anmaßungen des deutschen Gesamtkünstlers umfunktioniert wird.
Rezension zu Mallarmé in the Twentieth Century. Edited by Robert Greer Cohn. Associate Editor Gerald Gillespie. Madison (Fairleigh Dickinson University Press); London (Associated University Presses) 1998.298 Seiten.
Der pünktlich zum hundertsten Todestag Mallarmés erschienene Sammelband geht zurück auf ein "Mallarmé Festival", das auf Anregung des Komparatisten Ricardo Quinones im Oktober 1996 an der Stanford Universität stattgefunden hat und von Robert Greer Cohn, einem der international führenden Mallarmé-Forscher, organisiert worden ist. Er versammelt Beiträge zu grundlegenden Aspekten des Mallarméschen Gesamtwerks, zu einzelnen seiner Texte, zu Problemen der Mallarmé-Übersetzung, zur weltweiten Wirkung des Dichters sowie zu Beziehungen Mallarmés zu anderen Autoren.