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Was Novalis seinen Lesern in dieser wie ein Fanal der Sehnsucht und der Rückkehr klingenden Exposition vor Augen führt, ist das Bild eines Kontinents, dessen Homogenität durch die gemeinsame Religion und die Weisheit der geistlichen Führer gestiftet wird. Eine wahre Steilvorlage für heutige Verfechter eines Vereinigten Europa auf der gemeinsamen Basis genuin christlicher Werte. Doch hält dieser geschichtsphilosophische Essay wirklich, wofür er im aktuellen Europadiskurs vereinnahmt wird? Lassen sich diesem frühromantischen Zeugnis aus der Zeit an der Schwelle zum 19. Jahrhundert Impulse abgewinnen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Präzisierung der strittigen Unbestimmtheit einer europäischen Identität beitragen können? Gibt es triftige Gründe dafür, weshalb Europapolitiker noch heute Novalis lesen sollten? Oder müssen wir nach eingehender Prüfung doch von einem „unnützen“ Aufsatz sprechen, wie dies der ungekrönte König der Romantik, Ludwig Tieck, bereits 1837 unverblümt getan hat? Solche Fragen zu erwidern, soll in einem ersten Schritt zunächst die Struktur des Textes nachgezeichnet werden, um zu verdeutlichen, wie Novalis darin die abend-ländische Geschichte triadisch als Heilsgeschichte entwickelt. Dem τέλος dieser Heilsgeschichte widmet sich dann der darauffolgende Abschnitt, ehe abschließend der von Novalis genannte „Zauberstab der Analogie“ auch mit Blick auf unsere Gegenwart angewandt werden soll, um nach der Relevanz dieses romantischen Refe-renztextes für den aktuellen Europadiskurs zu fragen.
Die performative Ästhetik der Stimmung entsteht mit der romantischen Verlagerung der Deutungshoheit von der Vernunft zur poiesis zu Kunst, Gefühl, Einbildungskraft, und entwickelt sich im transgressiven Zusammenspiel von Wissen und Poetik. Hauptmerkmale textueller "Stimmungs kunst" sind fingierte Oralität und Polyfokalität, die sowohl das enzyklopädische Schreiben als auch der Roman aufweisen. Das zeigen die polyphonen und selbstreflexiven Strukturen der Naturbeobachtung bei Novalis und der Betrachtung von Landschaftsmalerei bei Brentano, wo man im entreferenzialisierten Kunstwerk nach Appellstrukturen sucht. Im Kontext der Schriftzentriertheit entwerfen Die Lehrlinge zu Sais in Abgrenzung von Mimesis und Rhetorik Stimmungs szenarien, die orale (rhythmisch-klangliche), szenisch-dialogische und performative Komponenten der Dichtung privilegieren, welche auf die Darstellung eines befreienden Entgrenzungserlebens zielen. Die unbegriffliche Entgrenzungsdimension der Stimmung erweist sich als programmatischer Bestandteil des absoluten Ganzheitsanspruchs, dessen Erfüllung der kosmographische Roman als Kreuzung von mathesis und poiesis und "Mischung aller Dichtarten" (p. Schlegel) im Projekt der neuen Mythologie für sich beansprucht. Enzyklopädie und Roman konvergieren in der Darstellung des Universums, die bei Novalis in der erklärten Zwecklosigkeit der Fiktion ihr symbolisch strukturiertes Aufschreibesystem findet. Insbesondere die narrative Anarchie der Märchenerzählungen sublimiert die spekulative Poetisierung der Wissenschaften zur Affektspur, die das vielstimmige "ConfusionsSystem" des Novalis zur universalen Harmonie imaginärer Ideenparadiese hetaufstimmt. Da dies ohne mannigfache "Verabgründungen" wie Märchen, Höhlenerlebnisse, Träume, Visionen, Initiationen oder absolute Bücher nicht mehr möglich ist, wird der welterklärende Roman zum Theater des kosmischen Dramas.
[Es ist überraschend], dass mit Novalis und Hölderlin zwei der bedeutendsten modernen Hymnendichter die Figur der Maria in der geschichtlichen Sattelzeit um 1800 erneut in ihren Werken zur Geltung bringen. Neben den relativ konventionellen Mariengedichten von A. W. und Friedrich Schlegel sowie dem breiten Eingang der Marientradition in das Kirchenlied stellen Novalis "Hymnen an die Nacht" aus dem Jahre 1800 und Hölderlins Hymnenentwurf "An die Madonna" von 1802 Höhepunkte moderner Marienlyrik dar. In ihrer Adaption des Marienstoffes können sie sich auf Herder berufen. [...] Herder erkennt die Idee der Jungfrau Maria als Ausdruck einer von den Mustern der griechischen Antike unterschiedenen Dichtungsform und damit als eine der möglichen Grundlagen moderner Dichtung an. Vor dem Hintergrund des erneuten Interesses an der Gestalt der Jungfrau Maria lassen sich zugleich drei Fragen stellen, die der Untersuchung im Folgenden als Leitfaden dienen. Ein erster Komplex betrifft die Frage, inwiefern Novalis und Hölderlin in ihren Hymnen an die reiche mittelalterliche Tradition der Marienlyrik anknüpfen. Im Kontext trinitarischer Konzepte, die in der Tradition der Marienlyrik eine bedeutende Rolle spielen, stellt sich darüber hinaus das Problem, welche Position der Jungfrau und Mutter Maria in der Grundkonstellation der bürgerlichen Kernfamilie von Vater, Mutter und Sohn zugewiesen wird. Den Abschluss der Untersuchung bildet die Diskussion der geschichtsphilosophischen Konstruktionen, auf die Novalis und Hölderlin wie auch Friedrich Schlegel in ihren Gestaltungen des Marienbildes zurückgreifen.