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Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil II: Materialien / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2013)
Der umfänglichen "dramatischen Historie" "Der junge Medardus" kommt innerhalb des OEuvres Arthur Schnitzlers ein Sonderstatus zu. Dieser gründet zum einen in der schieren Fülle des nachgelassenen Materials, das mit ungefähr 1.700 Blatt quantitativ bei weitem die Entwurffassungen und Skizzen der übrigen Dramen übertrifft. Zum anderen bietet das seinerzeit außerordentlich erfolgreiche Werk die seltene Gelegenheit, eine plurimediale "Mehrfachverwertung" par excellence beobachten zu können, da sich neben dem Lesedrama auch die Strichfassung der Uraufführung, ein Drehbuchentwurf Schnitzlers und eine unter der Regie von Mihály Kertész/Michael Curtiz (1888-1962) ausgeführte Verfilmung vollständig erhalten haben. Lediglich eine 1931 - ohne Schnitzlers Wissen erstellte - Rundfunkbearbeitung muss als verloren gelten. Mit Hilfe des Tagebuchs von Arthur Schnitzler lässt sich überdies die Entstehungsgeschichte beinahe lückenlos rekonstruktieren.
Während der erste Teil der "Medardus Affairen" die zu großen Teilen unbekannte Korrespondenz Schnitzlers mit dem Wiener Burgtheater, den Schauspielern, seinem Verleger Samuel Fischer sowie der Sascha-Filmgesellschaft präsentiert hat, dokumentiert der zweite Teil exemplarisch Entstehung und Wirkung des Dramas
Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil I: Korrespondenzen / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2011)
Der Erfolg, den Arthur Schnitzlers "dramatische Historie" "Der junge Medardus" bei und nach seiner Premiere am 24. November 1910 im Wiener Burgtheater feierte, steht in auffälligem Kontrast zu seiner weiteren Rezeptionsgeschichte. Zunächst bescherten die Vorstellungen dem Theater seiner Zeit einen "[n]och nicht erreichte[n] Record"; 1914 erhielt Schnitzler für sein Drama den Raimund-Preis, und Richard Specht mutmaßte, es könne diejenige "Historie sein […], die Arthur Schnitzlers Namen als den des österreichischen Dramatikers kraftvoller als seine anderen Schöpfungen zu den Späteren hintragen" würde. Doch zählt der Medardus heute sicherlich nicht mehr zu seinen bekannteren Stücken und ist im Fahrwasser der Zeitläufte von den Bühnen verschwunden: Seit einer Aufführung anläßlich des 100. Geburtstages von Schnitzler 1962 wurde es in den vergangenen 50 Jahren an keiner deutschsprachigen Bühne mehr inszeniert.
Aus historischen Analysen geht hervor, dass das Offizierskorps der österreichischen Armee nach der März-Revolution 1848 gesellschaftlich abgekapselt und isoliert war und dabei einen militärisch-aristokratischen Habitus entwickelte, der zu dem bürgerlichen in scharfem Gegensatz stand. Der Korpsgeist orientierte sich am Adel, obwohl gerade der Hochadel sich eher mit den Großbürgern zu arrangieren begann und Heiraten zwischen dem niedrigeren Militäradel und Angehörigen des Hochadels kaum vorkamen. Die Masse der Offiziere wurde bürgerlich und bitterarm, auch zu arm, um heiraten zu können; aber feudale Denkungsart gab den Ton an, ausgenommen in den technischen Waffengattungen der Artillerie und des Pionierwesens, in denen bürgerlicher Wissensdurst vorherrschte. Es entsteht ein in mancher Hinsicht recht paradoxes Bild vom österreichischen Offiziershabitus: das eines Mannes der "Praxis", der eher "grob" ist, für den Exerzieren und Reglement, somit "Disziplin" im engsten Sinne, am wichtigsten sind, der aber trotz aller Tapferkeit auf dem Schlachtfeld zu strategischer Entschlossenheit und schnellem Entscheiden nicht in der Lage ist. Warum das so ist, ist nicht ohne weiteres zu klären. Neben sogenannten "Ego-Dokumenten" ist es vor allem belletristische Literatur, von der man sich einigen Aufschluss erhofft. Insbesondere kann die Literatur helfen, jene Gefühle darstellbar zu machen, die zur Disposition männlicher Todesbereitschaft auch schon im Frieden beitragen, wobei dem Paradoxon des Nebeneinanders von tollkühner "Schneid" und Entscheidungsschwäche wie Passivität im habsburgischen Habitus nachgespürt werden soll.
Die im Jahr 1925 erschienene "Traumnovelle" erfreut sich - nicht erst seit Stanley Kubricks Verfilmung "Eyes Wide Shut" (1999) - eines besonderen literaturwissenschaftlichen Interesses. Der Geschichte einer Beziehungskrise, die ein dem gehobenen Wiener Bürgertum angehörender junger Arzt und seine Ehefrau durchleben, wurde oft eine Sonderstellung in Schnitzlers OEuvre zugewiesen. In der Erzählung sah man das einzige Werk des Autors, in dem die Liebesbeziehung der Protagonisten - allen außerehelichen erotischen Versuchungen zum Trotz - am Ende doch aufrechterhalten, wenn nicht sogar auf eine höhere Ebene der Verständigung gehoben würde. Der für Schnitzler so untypische positive Ausgang der Erzählung erscheint in den Augen der Interpreten bereits mit einem wesentlichen Merkmal des formalen Aufbaus gegeben: mit dem Kompositionsprinzip der Symmetrie. Für William Rey etwa formieren sich die erotischen Erfahrungen von Mann und Frau in einer bipolaren Entsprechung, so dass es aus den Schuldgefühlen beider zu gegenseitiger Vergebung und Versöhnung komme.
Die erste deutschsprachige Monolognovelle war zunächst vor allem ein Medienereignis im Zeitalter beginnender Massenkommunikation. Während, so Arthur Schnitzler rückblickend, die Lesung von "Lieutenant Gustl" Ende November 1900 in der Literarischen Vereinigung in Breslau unaufgeregt zur Kenntnis genommen worden war, wirkte ihr Druck am 25. Dezember in der Weihnachtsbeilage der "Neuen Freien Presse" explosiv. Ein Grund liegt in der besonderen Rolle, die die "Neue Freie Presse" in der Öffentlichkeit spielte. Ihr Feuilleton wie auch die Beilagen zu den hohen Festtagen waren ein Schauplatz öffentlicher Aufmerksamkeit. "In Wien gab es eigentlich nur ein einziges publizistisches Organ hohen Ranges, die 'Neue Freie Presse'", schreibt Stefan Zweig, "die Feiertagsnummern zu Weihnachten und Neujahr stellten mit ihren literarischen Beilagen ganze Bände mit den größten Namen der Zeit dar: Anatole France, Gerhart Hauptmann, Ibsen, Zola, Strindberg und Shaw fanden sich bei dieser Gelegenheit zusammen in diesem Blatte, das für die literarische Orientierung der ganzen Stadt, des ganzen Landes unermeßlich viel getan hat." Es waren also maßgeblich das besondere Datum und der exponierte Ort der bedeutendsten Zeitung der Monarchie, die dem "Lieutenant Gustl" zu einer Prominenz verhalfen, von der aus alles Weitere seinen Ausgang nahm.
Im Nachlaß Arthur Schnitzlers befinden sich zahlreiche Briefe von verschiedensten Absendern, die mit Schnitzlers handschriftlichem Vermerk "n. b." versehen sind. Die Chiffre steht für: nicht beantworten (oder: nicht beantwortet) und signalisiert in den allermeisten Fällen die Weigerung des Autors, für Fragen zu seinem Werk oder Auskünfte über seine Biographie zur Verfügung zu stehen. Solche Zurückhaltung, solche Diskretion, solche Abschottung muten tatsächlich seltsam an, vergleicht man sie mit den heutigen Usancen des Marketings, der Interviews, Talkshows, home stories, die längst nicht mehr haltmachen vor schreibenden Künstlern.
Umso außergewöhnlicher ist Schnitzlers freundlich-höfliches Antwortschreiben, das hier mitgeteilt wird. Helmut Wiedenbrüg (1908-1988) hatte sich an den Autor gewandt, um von ihm Einzelheiten für seine geplante Doktorarbeit zu erfahren.
"Hock war ganz nett; auch klug; relativ ehrlich; im ganzen steht er mir mit Hochschätzung gegenüber, die durch Germanistik und Renegatentum erheblich beeinträchtigt wird" - Arthur Schnitzler, Tagebuch 15/12/1920
Schnitzler hatte mit Germanisten nicht immer Glück, vielleicht gründet von da her seine Skepsis gegenüber der Zunft. Und wenn man sich genauer ansieht, was nachgeborene Germanisten und Editoren manchmal mit dem angestellt haben, was er geschrieben hat, ist man geneigt, diesem absprechenden Urteil beizustimmen.
Das dramatische OEuvre Arthur Schnitzlers ist von der Forschung immer wieder in ein Früh- und ein Spätwerk unterteilt worden. In diesem Sinne wurde für den 'frühen' Schnitzler konstatiert, daß ein "[…] extremer Subjektivismus […] bis kurz nach der Jahrhundertwende insofern charakteristisch [sei], als er vornehmlich Diagnosen eines Menschentypus vermittelt, der, bei zerfallender Ich-Identität ohne zeitliche und räumliche Kontinuität, d.h. im isolierten Augenblick und asozial, lebt". Das 'Spätwerk' hingegen öffne sich für allgemeine, sozial bedingte Fragestellungen und gewinne damit eine 'historische' Dimension. "Die Überwindung der dekadent-impressionistischen Phase führt Schnitzler […] unter den Leitbegriffen 'Kontinuität' und 'Verantwortung' zum einen zur kritischen, in der Gegenwart angesiedelten Gesellschaftskomödie, zum anderen aber auf den Weg des historischen Dramas."
Die folgenden Überlegungen zum Konnex von Subjektproblematik und Liebesauffassung gehen davon aus, daß diese Zäsur eher ein Oberflächenphänomen darstellt, in dem sich unterschiedliche Lösungsstrategien eines philosophischen Problems manifestieren.
Über den heute vielleicht bekanntesten seiner Texte schrieb Arthur Schnitzler 1897, es handele sich um "nichts als eine Scenenreihe, die vollkommen undruckbar ist, literarisch auch nicht viel heißt, aber, nach ein paar hundert Jahren ausgegraben einen Theil unserer Cultur eigentümlich beleuchten würde." Lediglich in Bezug auf den Zeitraum hat Schnitzler sich geirrt. Ein Schlaglicht auf die Kultur des ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhunderts hat "Reigen" bereits zu Lebzeiten seines Verfassers geworfen, und lange Zeit stand Schnitzlers "Scenenreihe" nicht nur im Licht, sondern auch im Schatten der Auseinandersetzungen, die bereits unmittelbar nach der ersten Drucklegung des Textes im Jahr 1900 entbrannten und in den zwanziger Jahren in einer Reihe von Prozessen ihren Höhepunkt fanden. Die Kontroversen, die sich um Zensurmaßnahmen und Aufführungsverbote entspannen, haben den Gegenstand des Anstoßes keineswegs vergessen gemacht, vielmehr haben sie die Aufmerksamkeit umso stärker auf jenen Bereich der Kultur der frühen Moderne gelenkt, der nach Schnitzlers eigener Einschätzung in "Reigen" so "eigentümlich" zur Darstellung kommt: auf die Bestimmung des Menschen ausgehend von seiner Physis und seinen Trieben. Gegenstand des Textes, darin waren Kritiker und Befürworter von "Reigen" sich stets einig, ist der "homo sexualis", der Mensch im Spiegel seiner Triebe.
Seit der Publikation seiner Tagebücher besteht die Möglichkeit, die zeitgenössische Rezeption der Werke Arthur Schnitzler genauer zu erforschen. Manche wichtige Rezension zu seinen Buchveröffentlichungen wird - besonders wenn sie aus dem engeren Bekannten- und Freundeskreis stammt - im Tagebuch erwähnt und lässt sich aus den gelegentlich nur sporadischen Angaben Schnitzlers ermitteln. "Fräulein Else" – zunächst in Heft 35 der "Neuen Rundschau" vom Oktober 1924 erschienen - kommt schon am 25. November als Buch bei Zsolnay heraus. Am 23. November notiert Schnitzler ins Tagebuch: "Auf dem Heimweg zu Salten; ihm sagen, wie ich mich über das Else Feuilleton freute", und am Tag darauf heißt es über Salten, dass er am "Sonntag in der N. F. P. eine große Fanfare für Frl. Else blies". Die Fanfare, pünktlich zur Begrüßung der Buchfassung, findet sich als mehrspaltige begeisterte Rezension in der "Neuen Freien Presse" vom 23. November 1924 und ist eine der zahlreichen "Elogen über Frl. Else", die Schnitzler mit Stolz am 6. Dezember 1924 vermerken kann. "Therese. Chronik eines Frauenlebens" erscheint 1928 bei S. Fischer, vor dem 7. Mai 1928, denn unter diesem Datum lesen wir bereits: "Mit Vicki […] genachtm[ahlt]. Seine Kritik über 'Therese' in der Vossischen (herzlich und gescheidt)". Die Recherche führt hier zur "Literarischen Umschau", der Beilage der "Vossischen Zeitung" vom Sonntag, den 29. April 1928. Es sind selbstverständlich die Erstrezensionen, die Schnitzlers Interesse erregen, eine weitere Besprechung Victor Zuckerkandls Ende des Jahres in der "Neuen Rundschau" findet im Tagebuch keine Erwähnung mehr. In dieser zweiten Rezension gibt es im Übrigen keine redundanten Wiederholungen aus der ersten, beide entwickeln eine eigene Perspektive auf den Roman "Therese".