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Alles nach Plan, alles im Griff : der diskursive Raum der DDR-Literatur in den Fünfziger Jahren
(2004)
Die DDR-Literatur gehört nicht mehr zu den bevorzugten Forschungsgebieten der Literaturwissenschaft. Die letzte umfassende Darstellung erschien 1996. Die Auslandsgermanistik allerdings ist von einem anhaltenden Interesse gekennzeichnet. Nahezu vergessen scheinen die fünfziger Jahre. Die folgenden Überlegungen möchten die These ins Spiel bringen, dass dies nicht zufällig so ist. Obwohl noch Ende der siebziger Jahre emphatisch von der Herausbildung einer sozialistischen Nationalliteratur gesprochen wurde, ist heute abzusehen, dass kein einziges Werk der DDR-Literatur aus den Fünfzigern in den Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur eingehen wird, sieht man von Uwe Johnsons Roman "Mutmaßungen über Jakob" ab, der zwar in der DDR geschrieben wird, jedoch 1959 in der Bundesrepublik erscheint. Man muss ohnehin fast immer die Fernleihe des Bibliothekenverbunds bemühen, um diese Werke überhaupt noch in die Hand zu bekommen.
In Rückblicken auf die Germanistik der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in denen das Fach expandierte und so viele Studierende anzog wie kein anderes geisteswissenschaftliches, ist dennoch meist von "Krise" die Rede. Von der Bildungsöffentlichkeit wurde die Germanistik und das von ihr verbreitete Wissen als antiquiert wahrgenommen und mit einem Verfallsstempel versehen. Nicht nur der von der Literaturwissenschaft favorisierte Kanon literarischer Werke geriet in die Kritik, sondern ebenso das als gesichert geltende Fachwissen. Der Germanistik gegenüber wurden die Vorwürfe erhoben, eine Disziplin ohne ein Objekt im Sinne moderner Wissenschaft zu sein, das Wissen anderer Fächer nicht zur Kenntnis zu nehmen und die zeitgenössische Literatur zu ignorieren. Das Fach wurde so weit destabilisiert, dass seine Einheit zu zerbrechen drohte.
Der bürgerliche Kalender des 19. Jahrhunderts schafft eine eigene Zeitordnung. Wer 25 Jahre sein Unternehmen durch den Zeitenwechsel bringt, darf diesen Zeitraum mit goldenem Lorbeer umrahmen, ebenso derjenige, der dem Staat als Beamter ein Vierteljahrhunderts gedient hat. Eine goldene Uhr wird ihn fortan daran erinnern. Für die Ehe gleicher Dauer muß man sich mit Silber begnügen, das Goldene Zeitalter beginnt in diesem Fall erst nach fünfzig Jahren. Nicht nur das Ereignis, auch der Zeitraum selbst wird, skaliert von 25 bis 1000, kulturell erinnerungswürdig und -fähig. Wer die Jahre zählt, läßt die Verbindung zum Vergangenen nicht abreißen. Vergangenheit erhält ihren Ort und ihren Tag im Alltag der Gegenwart. Die Erinnerung der Individuen wird an Jubel- und Gedenktagen durch ein kollektives Gedächtnis abgelöst. Der 1. Mai z.B will an etwas erinnern und läßt sich dennoch auf kein ursprüngliches Ereignis zurückführen. ‘Denkmal’ kann im 19. Jahrhundert fast alles werden, nicht nur Gebilde aus Stein und Bronze, auch Profanes wie Bierkrüge, Gläser, Teller, Zigarrenkisten, Hüte: das kollektive Gedächtnis muß an ihnen nur ausreichende Flächenhaftung finden oder sich eingravieren lassen.
Wie, so frage ich, soll man als Literaturhistoriker noch über Martin Walser schreiben, ohne unter Verdacht zu geraten, ihn für seine Friedenspreis-Rede mit einem Angriff auf sein literarisches Werk abzustrafen? Auf den Knien, wie Frank Schirrmacher oder auf dem Bauch, wie Franziska Augstein ? Muß man "zittern" wie der Geehrte, wenn nüchterne Analyse und nicht Huldigung das Ziel ist? Wird man zu den "Überführungsexperten (...) auf der Suche nach jenem letzten, allen Verdacht bestätigenden Beweis" gezählt, wenn man sich auf die philologische Suche nach den Quellen der Frankfurter Rede begibt?
In den neueren literaturtheoretischen Diskussionen wird die Arbeit des Interpretierens, zumal wenn es in kritischer oder ideologiekritischer Absicht erfolgt, radikal in Frage gestellt. Es scheint, als hätte die Literaturwissenschaft die von Susan Sontag vor nun fast dreißig Jahren in ihrem Essay Against Interpretation vorgeschlagene "Erotik der Kunst" zu guterletzt noch ernst genommen und zur Sündhaftigkeit gesteigert. Das wäre doch zu viel des Sinnlichen für Germanistik-Seminare. Zwar hat die Philologie seitdem bisweilen den Tugendpfad der Hermeneutik verlassen und sich auf textlinguistische, diskursanalytische oder systemtheoretische Pfade begeben, jedoch verbürgtermaßen niemals aus Lust am Text. Trotzdem wächst die Kritik an der unermüdlichen, manchmal schwerfälligen und oft mühseligen Arbeit der Interpretation, mehren sich die Stimmen, die das Objekt des sündhaften Begehrens, sie Literatur, vor den Interpreten schützen wollen. Und zunehmend sind es grundsätzliche, das theoretische Verständnis von Autor und Werk betreffende Einwände, die laut werden.
Schreiber schreiben, Leser lesen. Leser schreiben, Schreiber lesen. Schreiber schreiben, Leserinnen lesen. Dichter schreiben, Literaturwissenschaftler lesen. Dichterinnen schreiben, Literaturwissenschaftlerinnen lesen. Literaturwissenschaftler schreiben, Dichterinnen lesen... Es ist ein fast unendliches Spiel der Permutationen, das man über Hunderte und vielleicht Tausende von Jahren, als ein immer weiter sich differenzierendes, nachspielen kann.
Die vorliegende Ergänzung für den Berichtszeitraum 1980-1997 bezieht sich auf die Bibliographie zu Wernher der Gartenaere. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1981 (= Bibliographien zur deutschen Literatur des Mittelalters. Hrsg. von Ulrich Pretzel und Wolfgang Bachofer. Heft 8), die noch lieferbar ist (ISBN 3-503-01658-9). Korrekturen und Ergänzungen (z.B. Neuauflagen) zu den Titelaufnahmen der Publikation von 1981 sind mit der dort vergebenen laufenden Nummer der Bibliographie (Nr. 1-450) ausgewiesen. Für die Nachträge (auch für neugefundene Titel aus der Zeit vor 1981) wurde die Bezifferung mit der Nummer 1001 neu begonnen.
Im elften Buch seines Adelsspiegels (1591) kommt Cyriacus Spangenberg der Wigalois des Wirnt von Grafenberg in den Sinn, weil darin etlicher Ritter von der Tafelrunde gedacht werde, insbesondere des Herren Gwy von Galois, "sonst Ritter Wiglois vom Rade genandt", und eines "Grauen Hoiers von Manßfeldt des roten". Das alte Buch, das einst Herzog Albrecht von Braunschweig in Auftrag gegeben hatte, habe er von einer adeligen Witwe erhalten, später aber an die Grafen von Mansfeld weitergegeben, die sich sehr für die Rolle ihres Vorfahren in diesem Roman interessiert gezeigt hätten.
In Vorbereitung der zweisprachigen Ausgabe (Wirnt von Grafenberg: Wigalois. Text der Ausgabe von J.M.N. KAPTEYN. Übersetzt und kommentiert von SABINE u. ULRICH SEELBACH. Berlin: de Gruyter) und einer Monographie zum Wigalois und zu den "Gawaniden"-Romanen entstand das Verzeichnis der handschriftlichen Überlieferung und die Bibliographie der Forschungsliteratur zu einem noch immer nicht zureichend erschlossenen Autor aus der Zeit der höfischen Klassik. Aus Umfangsgründen kann in den beiden genannten Büchern nur eine Auswahl von bibliographischen Nachweisen geboten werden. Die Herausgeber der Zeitschrift Perspicuitas waren so freundlich, die vollständige Bibliographie gesondert zu publizieren. Im Anhang sind einige Editionen und weiterführende Literatur zu den verwandten Werken der europäischen Artusepik vom Typus des "Schönen Unbekannten" aufgeführt -- von uns werden diese Gestaltungen als "Gawaniden-Romane" bezeichnet, da fast stets ein Sohn, Bruder oder Neffe des Artusritters Gawan die jeweilige Heldenrolle übernimmt. Eine ausführliche Würdigung und eine Einordnung dieses weitverbreiteten, nicht-chretienschen Musters des Artusromans wird in der oben erwähnten Monographie zu finden sein.
Mit 457 Codices zählt Gießen zu den Standorten, die einen mittelgroßen Bestand an mittelalterlichen Handschriften vorweisen können. Es gibt allerdings zwei Besonderheiten, die die Handschriftenabteilung der Gießener Universitätsbibliothek gegenüber vergleichbaren Sammlungen auszeichnen: Das ist zum einen die so gut wie geschlossen überlieferte spätmittelalterliche Bibliothek der Fraterherren oder Brüder vom Gemeinsamen Leben zu Butzbach, die 1771 auf Befehl Landgraf Ludwigs IX. von Hessen-Darmstadt der Universitätsbibliothek Gießen übergeben wurde. Die intensivere Beschäftigung mit und die sorgfältige Arbeit an den Texten wird erst jetzt umfassend möglich. Die 221 Handschriften (von den ebenfalls an die Universitätsbibliothek gelangten Wiegendrucken soll hier nicht die Rede sein) sind durch moderne Kataloge (verfasst von Wolfgang Georg Bayerer und Joachim Ott) seit 2004 in Gänze erschlossen. Zum anderen ist es der hohe Anteil von fast einem Drittel (genauer 137) volkssprachiger Handschriften, die das weltweite Interesse der germanistischen Mediävistik, Rechtsgeschichte und Spätmittelalter-Geschichtsschreibung am Standort Gießen geweckt haben.
Die unten folgende Stellungnahme wurde dem Herausgeber der Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur angeboten, um eine Reihe von gravierenden Missverständnissen eines Rezensenten (Jürgen Schulz-Grobert) auszuräumen, die dieser in seiner Besprechung des zweiten Bandes der Sämtlichen Werke Johann Fischarts der Fachwelt gegenüber erkennen ließ. Der Herausgeber der Zeitschrift verweigerte sich einer Diskussion und lehnte den Abdruck unserer Entgegnung ab. Dies ist umso bedauerlicher, als uns der Rezensent den Vorwurf gemacht hat, unsere "Diskussionsbereitschaft [...] [sei] auch in anderen entscheidenden Fragen ausgesprochen begrenzt", was immer er damit meint.
Über Maximilians I. "Ambraser Heldenbuch" (AH) ist eine Fülle von Spezialliteratur erschienen, die, rechnet man die überlieferungsgeschichtliche und textkritische Literatur einzelner Texte hinzu, fast einen eigenen Forschungsbericht verlangte. [...] Völlig unbefriedigend sind die bisherigen Erklärungsversuche zur Vorlagenproblematik. Hat es tatsächlich ein dem AH bis in Einzelheiten vergleiehbares Sammelwerk - das "Heldenbuch an der Etsch" - gegeben oder sind verschiedene Sammel- bzw. Einzelvorlagen Ried zur Abschrift vorgelegt worden? Wie alt waren diese Vorlagen, woher stammen sie und warum wurden alle Vorlagen - bis auf ein Fragment des Nibelungenliedes - vernichtet?
Der Impurismus ist eine literarische Strömung, die durch Jahrtausende geht, ein geistreiches, planvolles Spiel zur Produktion von hermetischer Literatur über ein tabuisiertes Thema (Sex). Zu dieser "littérature impure" gehört ein Geheimnis aus dem Urwissen der ältesten Kulturen, aus einer Zeit, in der Philosophie, Theologie und Kosmologie noch eins waren. Das alte Wissen wurde in den Bereichen konserviert, die bis heute von der konventionellen Wissenschaft als "esoterisch" ausgegrenzt werden (Astrologie, Kabbala, Tarot). Viele Autoren aber verschlüsseln ihre Texte mit der alten Lehre und verstecken sie hinter einer religiösen, spielerisch-humoristischen oder sozialkritisch engagierten Maske. Deshalb bleiben viele Texte trotz Interpretation hermetisch, besonders solche in der "Weltsprache der modernen Poesie" (Enzensberger). Eine neue Methode der literarischen Analyse (mit 57 Varianten der planvollen Verfremdung von Wörtern) kann die impuristische Literatur dekodieren. Dazu gehört als Raumordnung das alte "Weltbild der Windmühle". Dieses Literaturspiel wird als sublime Kulturtätigkeit aufgedeckt. Die Einzelseiten dieser Homepage können nur einige Einblicke in schwierige Zusammenhänge geben, die im langsamen Vortrag des Buches leichter zu verstehen sind. Auf beiden Wegen muß man sich Zeit nehmen und am besten einen philosophischen Wissenshunger mitbringen.
This paper investigates the class of Tree-Tuple MCTAG with Shared Nodes, TT-MCTAG for short, an extension of Tree Adjoining Grammars that has been proposed for natural language processing, in particular for dealing with discontinuities and word order variation in languages such as German. It has been shown that the universal recognition problem for this formalism is NP-hard, but so far it was not known whether the class of languages generated by TT-MCTAG is included in PTIME. We provide a positive answer to this question, using a new characterization of TT-MCTAG.
We present a CYK and an Earley-style algorithm for parsing Range Concatenation Grammar (RCG), using the deductive parsing framework. The characteristic property of the Earley parser is that we use a technique of range boundary constraint propagation to compute the yields of non-terminals as late as possible. Experiments show that, compared to previous approaches, the constraint propagation helps to considerably decrease the number of items in the chart.
Multicomponent Tree Adjoining Grammars (MCTAGs) are a formalism that has been shown to be useful for many natural language applications. The definition of non-local MCTAG however is problematic since it refers to the process of the derivation itself: a simultaneity constraint must be respected concerning the way the members of the elementary tree sets are added. Looking only at the result of a derivation (i.e., the derived tree and the derivation tree), this simultaneity is no longer visible and therefore cannot be checked. I.e., this way of characterizing MCTAG does not allow to abstract away from the concrete order of derivation. In this paper, we propose an alternative definition of MCTAG that characterizes the trees in the tree language of an MCTAG via the properties of the derivation trees (in the underlying TAG) the MCTAG licences. We provide similar characterizations for various types of MCTAG. These characterizations give a better understanding of the formalisms, they allow a more systematic comparison of different types of MCTAG, and, furthermore, they can be exploited for parsing.
Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die vor dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gelände des Flottenkastells Alteburg in Köln-Marienburg gefundenen gestempelten Sigillaten, die im Römisch-Germanischen Museum (vormals Museum Wallraf-Richartz) in Köln inventansiert wurden. Obwohl das Fundmaterial durch einen Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, sind von den 590 in den Inventarbüchern verzeichneten Töpferstempeln heute noch 245 erhalten. Weitere 165 Inventarbucheinträge sowie sieben durch Bleistiftzeichnungen erhaltene Stempelfaksimiles erlauben sichere Rückschlüsse auf Lesung sowie gegebenenfalls Herkunft und Datierung der heute verschollenen Stücke. Bedingt durch die Grabungsmethoden im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert und aufgrund der Kriegsschäden im Bereich der Grabungsdokumentation können die Stempel heute in der Regel weder einzelnen Befunden noch Phasen zugeordnet werden, sondern müssen als Gesamtheit betrachtet werden. Trotz der folglich sehr eingeschränkten Auswertungsmöglichkeiten in Bezug auf die Geschichte des Flottenkastells dürfen die Stempel der Altgrabungen allein schon auf grund ihrer Menge nicht vernachlässigt werden: Neben den 1906 von Hagen veröffentlichten 62 Stempeln sind weitere 379 Stücke aus neueren Grabungen bekannt, so daß die hier vorgelegten 417 verwertbaren Stempel bzw. Inventarbucheinträge der Altgrabungen fast die Hälfte des bekannten Materials stellen. Ein Hauptanliegen der Arbeit ist die Darstellung, Töpferzuordnung, Herkunftsbestimmung und vor allem die möglichst gen aue zeitliche Einordnung der Sigillatastempel, die in erster Linie auf dem Vergleich mit Parallelfunden an datierten Fundplätzen beruht. Darüber hinaus sollen bei einer Auswertung des Gesamtmaterials Aussagen zur zeitlichen Verteilung der gestempelten Sigillata, zu den Anteilen verschiedener Produktionszentren und zur Häufigkeit einzelner Töpfer getroffen werden. Ein Vergleich mit der gestempelten glatten Sigillata weiterer Militärstarionen in Niedergermanien (Asciburgium, Neuss, Vechten) sollldären, ob die Zusammensetzung des Stempelmaterials den Spektren anderer vergleichbarer Fundplätze entspricht.
The classifications of the Hystricomorpha in English text-books of Zoology are based upon the one proposed by Alston in 1876 (P.Z.S. 1876, pp. 90-97), which was itself an amplification and in some particulars a modification of the arrangement suggested by Waterhouse in 1848. Alston added to the group the family Dinomyidae, which, following Peters, he placed between the Dasyproctidae and Caviidae; and the Otenodactylinae, which he ranked as a subfamily of Octodontidae. He also transferred Petromys from the Echymyina (Echinomyinae), where it was placed by Waterhouse, to the Octodontinae. ...
Unter Syntaktikern besteht generell die Tendenz, im Deutschen die Freiheit bezüglich der Positionierung der Adverbiale sogar für noch größer zu halten als die Freiheit der Positionierung der Argumente. Wie die Stellungsfreiheit der Argumente im Mittelfeld eines deutschen Satzes theoretisch zu erfassen sei, wird seit langer Zeit kontrovers diskutiert. Die Hauptfrage dreht sich darum, ob alle Serialisierungen der Argumente basisgeneriert sind oder ob es eine ausgezeichnete Serialisierung der Argumente, eine sogenannte Grundabfolge, gibt, aus der sämtliche anderen Aktantenserialisierungen durch eine Ableitungsoperation bzw. Bewegung zu gewinnen sind. Diese grundsätzlichen Fragen stellen sich auch bezüglich der Positionierungsmöglichkeiten der Adverbiale, auch wenn sie hierfür bei weitem nicht so häufig gestellt und diskutiert wurden.
Buli is an Oti-Volta tone language spoken in Northern Ghana. This paper outlines the basic features of its tonal system and explores whether and in which way pitch respectively phonemic tone is approached as a means to indicate the pragmatic category of focus. Pursued are cases with focus-related surface tone changes as well as cases where pitch could help to disambiguate between broad and narrow foci. It is argued that focus is not consistently encoded by pitch or tone. Parallel findings for the closely related languages Kopen o (phonetic symbol)nni and Dagbani suggest that the apparent lack of significant prosodic focus signals in Buli might pertain to a larger group of tonal languages of the Gur family.
The present article illustrates that the specific articulatory and aerodynamic requirements for voiced but not voiceless alveolar or dental stops can cause tongue tip retraction and tongue mid lowering and thus retroflexion of front coronals. This retroflexion is shown to have occurred diachronically in the three typologically unrelated languages Dhao (Malayo-Polynesian), Thulung (Sino-Tibetan), and Afar (East-Cushitic). In addition to the diachronic cases, we provide synchronic data for retroflexion from an articulatory study with four speakers of German, a language usually described as having alveolar stops. With these combined data we supply evidence that voiced retroflex stops (as the only retroflex segments in a language) did not necessarily emerge from implosives, as argued by Haudricourt (1950), Greenberg (1970), Bhat (1973), and Ohala (1983). Instead, we propose that the voiced front coronal plosive /d/ is generally articulated in a way that favours retroflexion, that is, with a smaller and more retracted place of articulation and a lower tongue and jaw position than /t/.
Woher kommt das neuerwachte Interesse an Sprachrichtigkeit? Woher kommt die ausgeprägte sprachliche Unsicherheit, die auch bei vielen hochgebildeten Menschen den Wunsch entstehen lässt, von Sprachpflegern über ihr Ureigenstes, nämlich ihre Muttersprache, belehrt zu werden? Obwohl Antworten auf diese Fragen letztlich spekulativ bleiben, wage ich doch die These, dass eine Ursache hierfür die Rechtschreibreform ist, die von einem Großteil der Bevölkerung nach wie vor nicht angenommen wird, die insgesamt weder zur Vereinfachung noch zu einer höheren Einheitlichkeit geführt hat; die aber andererseits ein öffentliches Nachdenken und Diskutieren über Sprachrichtigkeit in Gang setzte. – Jedenfalls ist die Verunsicherung ein Faktum, das von Linguisten nicht ignoriert werden sollte.
Ausgangspunkt: Die Kritik am "Zwei-Welten-Modell": Die grundlegende linguistische Unterscheidung zwischen "Sprache" und "Sprechen" ist im Rahmen der neueren Debatten um Sprachmedialität wieder verstärkt thematisiert und kritisiert worden. Lässt sich dieses schulbildende, in der Linguistik geradezu eherne Begriffspaar überhaupt noch sinnvollerweise aufrechterhalten? Oder muss es mindestens umdefiniert, vielleicht sogar gänzlich verworfen werden? Hat sich insbesondere die auf Chomsky zurückgehende Unterscheidung von Sprachkompetenz und -performanz nicht von selbst ad absurdum geführt, nachdem der linguistische Kognitivismus chomskyscher Provenienz Sprache als lebendiges Phänomen, als Medium menschlicher Kommunikation, vollständig aus dem Blick verloren hat? Führt nicht schon die scheinbar harmlose linguistische Differenzierung zwischen einer Sprachregel und ihrer Anwendung zu einer irreführenden und unangemessenen Verdinglichung von Sprache? ...
The medium of (oral) language is mostly disregarded (or overlooked) in contemporary media theories. This "ignoring of language" in media studies is often accompanied by an inadequate transport model of communication, and it converges with an "ignoring of mediality" in mentalistic theories of language. In the present article it will be argued that this misleading opposition of language and media can only be overcome if one already regards oral language, not just written language, as a medium of the human mind. In my argumentation I fall back on Wittgenstein’s conception of language games to try to show how Wittgenstein’s ideas can help us to clear up the problem of the mediality of language and also to show to what extent the mentalistic conception of Chomskyan provenance cannot be adequate to the phenomenon of language.
Das Spiel ist aus
(2007)
Dieser bekannte Titel (ein Drama von Sartre / ein Gedicht von Bachmann) soll hier mit neuem Inhalt gefüllt werden, zunächst mit "Impurismus" als einer spielerischen Verschlüsselung von Literatur, dann mit Hinweisen auf das planmäßige Verdummungsspiel, das die Eingeweihten mit ihren an Kunst interessierten Mitbürgern treiben.
Bisherige Untersuchungen über die Religiosität des Dichters Rainer Maria Rilke zeigen zwei stark divergierende Ergebnisse: Während der Religionspädagoge Anton Bucher auf der Basis einer strukturgenetischen Analyse Rilkescher Schriften zu dem Schluss kommt, Rilke sei eine sehr reife religiöse Persönlichkeit gewesen, sieht der Literaturwissenschaftler Eudo C. Mason, der mit psychodynamischen Kriterien arbeitet, in Rilke einen reinen Narzissten und Atheisten. Die folgende Untersuchung vergleicht diese beiden Zugänge und versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen dem "religiös reifen Rilke" und dem "atheistisch-narzisstischen Rilke".
Notes upon the emotionality of a schizophrenic patient and its relation to problems of technique
(1953)
It seems justifiable to inquire into the specific factors which make the emotionality of a schizophrenic patient different from that of other patients and to investigate to what extent this specificity of schizophrenic emotionality might require specific changes in the psychoanalytic technique. Although I do not think that this paper can really live up to the full requirements of such an ambitious undertaking, it nevertheless may contribute modestly to it. My speculations began during a phase of the treatment of a schizophrenic patient; long after her acute condition had subsided I thought I observed-within clinically pertinent areas-a specific relationship between the patient's ego structure and her emotions. It seems to me that this relationship might allow generalization in terms of a basic defect with which a schizophrenic patient has to struggle, although in various phases of the disease and of the treatment the phenomenology of schizophrenic emotionality differs unquestionably in significant aspects. However, before delving into the subject matter, a few general points must be raised in reference to the psychoanalytic theory of emotions.
Spruchweisheit der Haya
(1968)
Frau Anna Rascher war vor dem ersten Weltkrieg im Dienste der Bethel-Mission in Ruanda (Ostafrika) tätig und kehrte später wieder nach Afrika zurück, wo sie unter den Haya am Victoriasee arbeitete. Sie hat sich besonders mit der Sprache dieses Volkes befaßt und eine Reihe bisher nicht veröffentlichter Studien über das Haya geschrieben. Ihr "Leitfaden zum Erlernen des Ruhaya" (140 S., vervielfältigt durch Missionar Theophil Hopf) ist 1955 in Bethel erschienen. Die vorliegenden von ihr zusammengestellten Sprichwörter wurden seinerzeit am Seminar für Afrikanische Sprachen der Universität Hamburg druckfertig gemacht. Erklärungen sind von der Übersetzung durch einen Gedankenstrich getrennt. Die Übersetzung ist bisweilen sehr frei und will mehr den Sinn des Sprichworts erfassen als eine wortgetreue Wiedergabe sein. Ernst Dammann
Die vorliegende Veröffentlichung umfasst zwei Grundbausteine. Zum einen die offizielle Rote Liste mit Nennung der Gefährdungskategorien, zum anderen ein revidiertes systematisches Gesamtartenverzeichnis der Mollusken Baden-Württembergs. Die Rote Liste dient zum schnellen Feststellen der jeweiligen Gefährdungskategorien der einzelnen Arten in Baden-Württemberg und ist wie üblich alphabetisch nach Gattungen geordnet. Sehr großer Wert wurde auf die sorgfältige Analyse der Ergebnisse gelegt (Kapitel 7). Das Gesamtartenverzeichnis dient der aktuellen systematischen Einordnung aller Arten, weshalb hier die Taxa im Kontext des wissenschaftlichen Systems der Mollusken aufgeführt werden. Im systematischen Artenverzeichnis soll der momentane Kenntnisstand über die Mollusken Baden-Württembergs in knapper Darstellung zum Ausdruck kommen. Hier sind auch die bekannten Unterarten aufgeführt und es werden zusätzliche Informationen zum Verbreitungstyp, zur Verbreitung (Vorkommen in den Naturräumen 3. Ordnung) sowie zur Ökologie (Zuordnung einzelner Arten zu bestimmten Biotoptypen) gegeben. Mit diesen Zusatzinformationen werden Rote Listen und Artenverzeichnisse zu Gradmessern der Biodiversitätsforschung. In über 130 ‚Anmerkungen‘ werden die entsprechenden Angaben zur Systematik, Verbreitung und Ökologie präzisiert und es wird auf die hierfür zu Grunde liegende Literatur verwiesen. Alle Angaben der Roten Liste sind auch im ausführlichen systematischen Artenverzeichnis enthalten. In beiden Listen sind die Arten mit ihrer laufenden Nummer aufgeführt. Damit ist ein problemloser Wechsel von der Roten Liste zu den Angaben im systematischen Artenverzeichnis gewährleistet. Der Forschungsstand findet sich vielfach in der historischen Literatur, die deshalb eine sorgfältige und kritische Berücksichtigung erfuhr (siehe Anmerkungen und Literaturverzeichnis). Einen unschätzbaren Wert haben in diesem Zusammenhang die zahlreichen Veröffentlichungen David Geyer‘s, die den Beginn der modernen Regionalfaunisik in Baden-Württemberg kennzeichnen. Ein eigenes Kapitel zur Forschungsgeschichte hätte jedoch den vorgegebenen Rahmen dieser Arbeit gesprengt.
The taxonomy, diversity, and distribution of the aquatic insect order Trichoptera, caddisflies, are reviewed. The order is among the most important and diverse of all aquatic taxa. Larvae are vital participants in aquatic food webs and their presence and relative abundance are used in the biological assessment and monitoring of water quality. The species described by Linnaeus are listed. The morphology of all life history stages (adults, larvae, and pupae) is diagnosed and major features of the anatomy are illustrated. Major components of life history and biology are summarized. A discussion of phylogenetic studies within the order is presented, including higher classification of the suborders and superfamilies, based on recent literature. Synopses of each of 45 families are presented, including the taxonomic history of the family, a list of all known genera in each family, their general distribution and relative species diversity, and a short overview of family-level biological features. The order contains 600 genera, and approximately 13,000 species.
Propagandafilme der NSDAP
(2005)
Dass dokumentarische Filme auch Propagandazwecken dienen können, war in den 20er und 30er Jahren international akzeptierter Konsens. Der nationalsozialistische Propagandafilm war, so gesehen, keine ausgesprochene dokumentarische Entgleisung. Wie die nationalsozialistische Partei und später der NS-Staat den Dokumentarfilm nutzten, um ihre Ideologie und Ziele zu verbreiten, untersucht Peter Zimmermann in diesem Beitrag. Er behandelt den nationalsozialistischen Propagandafilm von den Anfängen der Wahlwerbung über die Parteitagsfilme bis zur Verbreitung der arischen Rassenideologie. Besonderes Augenmerk legt er auf die Ästhetik der Riefenstahl-Filme mit ihrer idealisierenden Verklärung Hitlers und der NSDAP und auf die filmische Konstruktion von Feindbildern wie in Hipplers Propagandafilm "Der ewige Jude". Die einzelnen Kapitel sind Auszüge aus Band 3 des Sammelwerks "Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland".
Der Aufsatz "Zwischen Sachlichkeit, Idylle und Propaganda. Der Kulturfilm im Dritten Reich" von Peter Zimmermann beschäftigt sich mit der Nazi-Propaganda in den Filmen des Dritten Reiches. Dabei analysiert er typische Kulturfilme dieser Zeit und stellt die These auf, dass der Kulturfilm des Dritten Reichs vielfältiger, widersprüchlicher und in weiten Teilen weniger propagandistisch gewesen zu sein scheint, als es das kritische Stereotyp wahrhaben möchte.
In this paper, we argue that difficulties in the definition of coreference itself contribute to lower inter-annotator agreement in certain cases. Data from a large referentially annotated corpus serves to corroborate this point, using a quantitative investigation to assess which effects or problems are likely to be the most prominent. Several examples where such problems occur are discussed in more detail, and we then propose a generalisation of Poesio, Reyle and Stevenson’s Justified Sloppiness Hypothesis to provide a unified model for these cases of disagreement and argue that a deeper understanding of the phenomena involved allows to tackle problematic cases in a more principled fashion than would be possible using only pre-theoretic intuitions.
Traditionally, parsers are evaluated against gold standard test data. This can cause problems if there is a mismatch between the data structures and representations used by the parser and the gold standard. A particular case in point is German, for which two treebanks (TiGer and TüBa-D/Z) are available with highly different annotation schemes for the acquisition of (e.g.) PCFG parsers. The differences between the TiGer and TüBa-D/Z annotation schemes make fair and unbiased parser evaluation difficult [7, 9, 12]. The resource (TEPACOC) presented in this paper takes a different approach to parser evaluation: instead of providing evaluation data in a single annotation scheme, TEPACOC uses comparable sentences and their annotations for 5 selected key grammatical phenomena (with 20 sentences each per phenomena) from both TiGer and TüBa-D/Z resources. This provides a 2 times 100 sentence comparable testsuite which allows us to evaluate TiGer-trained parsers against the TiGer part of TEPACOC, and TüBa-D/Z-trained parsers against the TüBa-D/Z part of TEPACOC for key phenomena, instead of comparing them against a single (and potentially biased) gold standard. To overcome the problem of inconsistency in human evaluation and to bridge the gap between the two different annotation schemes, we provide an extensive error classification, which enables us to compare parser output across the two different treebanks. In the remaining part of the paper we present the testsuite and describe the grammatical phenomena covered in the data. We discuss the different annotation strategies used in the two treebanks to encode these phenomena and present our error classification of potential parser errors.
Nous présentons ici différents algorithmes d’analyse pour grammaires à concaténation d’intervalles (Range Concatenation Grammar, RCG), dont un nouvel algorithme de type Earley, dans le paradigme de l’analyse déductive. Notre travail est motivé par l’intérêt porté récemment à ce type de grammaire, et comble un manque dans la littérature existante.
Die Ressource "Wissen" rückte in den letzten Jahrzehnten als Quelle wissenschaftlicher Innovation immer stärker ins Zentrum des Interesses. Diese Fokussierung mündete in eine Selbstreflexion der Wissenschaft und der wissenschaftlichen Disziplinen: Thematisiert werden vor allem die Art und Weise, wie Wissen gewonnen wird, sowie die damit zusammenhängende Frage nach der Konstruktion von Wissenschaftlichkeit, womit das Bewusstsein gleichzeitig auf die mehr und mehr sich auflösende Abgrenzung zwischen den Disziplinen beziehungsweise zwischen den drei hauptsächlichen Wissenschaftskulturen, von Natur-, Geistes- und Kultur- sowie Sozialwissenschaften gelenkt wird. Innerhalb und außerhalb der Universitäten bildeten und bilden sich nicht immer klar verortbare "trading zones" (Gallison 1997), in denen neue Formen und Techniken der Wissensproduktion und Wissensvermittlung geprüft, geübt und teilweise auch institutionalisiert werden. ...
Distributional approximations to lexical semantics are very useful not only in helping the creation of lexical semantic resources (Kilgariff et al., 2004; Snow et al., 2006), but also when directly applied in tasks that can benefit from large-coverage semantic knowledge such as coreference resolution (Poesio et al., 1998; Gasperin and Vieira, 2004; Versley, 2007), word sense disambiguation (Mc- Carthy et al., 2004) or semantical role labeling (Gordon and Swanson, 2007). We present a model that is built from Webbased corpora using both shallow patterns for grammatical and semantic relations and a window-based approach, using singular value decomposition to decorrelate the feature space which is otherwise too heavily influenced by the skewed topic distribution of Web corpora.
Parsing coordinations
(2009)
The present paper is concerned with statistical parsing of constituent structures in German. The paper presents four experiments that aim at improving parsing performance of coordinate structure: 1) reranking the n-best parses of a PCFG parser, 2) enriching the input to a PCFG parser by gold scopes for any conjunct, 3) reranking the parser output for all possible scopes for conjuncts that are permissible with regard to clause structure. Experiment 4 reranks a combination of parses from experiments 1 and 3. The experiments presented show that n- best parsing combined with reranking improves results by a large margin. Providing the parser with different scope possibilities and reranking the resulting parses results in an increase in F-score from 69.76 for the baseline to 74.69. While the F-score is similar to the one of the first experiment (n-best parsing and reranking), the first experiment results in higher recall (75.48% vs. 73.69%) and the third one in higher precision (75.43% vs. 73.26%). Combining the two methods results in the best result with an F-score of 76.69.
Trubetzkoy's recognition of a delimitative function of phonology, serving to signal boundaries between morphological units, is expressed in terms of alignment constraints in Optimality Theory, where the relevant constraints require specific morphological boundaries to coincide with phonological structure (Trubetzkoy 1936, 1939, McCarthy & Prince 1993). The approach pursued in the present article is to investigate the distribution of phonological boundary signals to gain insight into the criteria underlying morphological analysis. The evidence from English and Swedish suggests that necessary and sufficient conditions for word-internal morphological analysis concern the recognizability of head constituents, which include the rightmost members of compounds and head affixes. The claim is that the stability of word-internal boundary effects in historical perspective cannot in general be sufficiently explained in terms of memorization and imitation of phonological word form. Rather, these effects indicate a morphological parsing mechanism based on the recognition of word-internal head constituents. Head affixes can be shown to contrast systematically with modifying affixes with respect to syntactic function, semantic content, and prosodic properties. That is, head affixes, which cannot be omitted, often lack inherent meaning and have relatively unmarked boundaries, which can be obscured entirely under specific phonological conditions. By contrast, modifying affixes, which can be omitted, consistently have inherent meaning and have stronger boundaries, which resist prosodic fusion in all phonological contexts. While these correlations are hardly specific to English and Swedish it remains to be investigated to which extent they hold cross-linguistically. The observation that some of the constituents identified on the basis of prosodic evidence lack inherent meaning raises the issue of compositionality. I will argue that certain systematic aspects of word meaning cannot be captured with reference to the syntagmatic level, but require reference to the paradigmatic level instead. The assumption is then that there are two dimensions of morphological analysis: syntagmatic analysis, which centers on the criteria for decomposing words in terms of labelled constituents, and paradigmatic analysis, which centers on the criteria for establishing relations among (whole) words in the mental lexicon. While meaning is intrinsically connected with paradigmatic analysis (e.g. base relations, oppositeness) it is not essential to syntagmatic analysis.
Machen wir uns nichts vor. Auch wenn "Event" zum "PR-Wort der letzten Jahre" gekürt worden ist, wenn "Events auf die Besucher wie eine moderne Konsumdroge" wirken, wenn gar vom "Trend zum Event" gesprochen wird, von dem alle Bereiche der Gesellschaft längst so stark erfaßt sind, daß sich ihm nichts und niemand mehr entziehen kann – es bleibt dabei: Wann auch immer davon in Verbindung mit Kultur die Rede ist, da hat man es mit einem bösen Kampfbegriff zu tun. Mit "Eventisierung der Kultur" ist ihr steter Verfall gemeint. Und das Label "Eventkultur" gibt den Zustandsbegriff für eine Gesellschaft, die antrat, mit Kunst und Literatur die höchsten Höhen des Menschenmöglichen zu erreichen, und die nun ihr Bestes, Schönstes und Wahrstes bei einem Schaustellerwettbewerb auf dem Jahrmarkt verhökert. Event, das ist das "zur Sensation hoch inszenierte Nichtereignis, und die größte Kunst im Medienspiel ist das lauteste Krähen". Hier wird, so scheint es, "die Kunst zum bloßen Anlaß für den Konsum (...), zum Alibi", weil sie "in sonderbarer Perversion der alten Horazischen Ästhetik des 'utile cum dulci' und des 'prodesse et delectare', Zucker auf eine Sache streut, die sonst keinem mehr schmeckt." Und das passiert en masse: "Anschwellende Programmhefte, ausufernde Veranstaltungskalender, zunehmender Festivaltourismus, Boom der Multiplex-Kinos, Expo, Millenium Dome – was ist", so fragt sich da der kritische Betrachter mit Blick aufs Literarische, "was ist aus dem Erzählen geworden?" ...
Franz Grillparzer
(1992)
Bei Depressiven ist es, wie oben gezeigt, das private Selbst, das narzißtisch besetzt ist. Dies bedeutet aber nicht, daß sie sich darin geborgen fühlen. Vielmehr ist ihr Rückzug von der Welt mit Schuldgefühlen verbunden, die durch eine extreme Außenanpassung kompensiert werden. Grillparzer ist hierfür ein prägnantes Beispiel, wobei wir uns insbesondere auf das biographische Material von Scheit (1989) stützen, sowie auf Kürnberger (1872), Nadler (1948), Kleinschmidt (1967) und Frederiksen (1977). ...
Der Begründer der Neuen Phänomenologie, Hermann Schmitz, rückt anläßlich einer Erläuterung des für ihn zentralen Begriffs der "implantierenden Situation" Goethes Gedicht Über allen Gipfeln ist Ruh ... in die Nähe der Haiku-Lyrik. Das von Schmitz nur beiläufig Konstellierte erweist sich bei näherem Hinsehen als aufschlußreich für das Verständnis der Naturlyrik aus Goethes erstem Weimarer Jahrzehnt. Denn es ist in der Tat die Haiku-Tradition, an der wir unseren Blick für manche Eigenheiten der lyrischen Sprache Goethes in jener Werkphase schulen können – einer Werkphase, die ich als "vorkritisch" bezeichne, da sie noch nicht unter dem Einfluß der kritischen Philosophie Kants steht und daher noch frei ist vom didaktisierenden Zug transzendentaler Subjektivität. Der japanische Blick auf den "vorkritischen" Goethe ist nicht nur von philologischem Interesse. Er zeigt uns, sehr viel weiter reichend, die Möglichkeit eines Sprechens über Phänomene, bei dem es kein die Erfahrung begleitendes und in seine Gewalt bringendes "Ich denke" zu geben scheint. ...
Teekesselchen
(1988)
Wo hat der Bengel nur das Wort wieder aufgeschnappt? Wenn er schon seine Programmierübungen für den Deutschunterricht nicht machen will, dann soll er doch 'Beyond Dark Castle' spielen oder sich durch Datennetze hacken, wie jeder anständige Junge in seinem Alter. Aber Sohnemann muß natürlich wieder aus der Reihe tanzen! Gedichte lesen! Jetzt haben wir die Bescherung: "Papa, was sind denn eigentlich 'Wipfel'?" ...
Die Zahl der computerisierten Schriftsteller wächst rapide. Von den Vorzügen des Mac wissen besonders die zu berichten, die zuvor Erfahrungen an anderen Systemen gesammelt haben. Wie zum Beispiel Fernsehautor Wolfgang Menge. Wir besuchten den Konvertiten in dessen Sylter Sommerdomizil und fragten ihn nach seinem Verhältnis zu den neuen Techniken des Schreibens. Das Gespräch führte Peter Matussek, die Fotos machte Frank Stöckel.
Der Beitrag gibt ein Beispiel dafür, wie philologische Kompetenz für die Analyse von medienkulturellen Phänomenen fruchtbar gemacht werden kann. Ausgehend von Wolfgang Isers Leerstellentheorem wird nach der Funktionsweise ästhetischer Erinnerungsanlässe gefragt – zum einen in systematischer Hinsicht durch einen Vergleich von Schrift, Bild und Klang, zum anderen in historischer Hinsicht durch einen Vergleich analoger und digitaler Medien. Es ergibt sich, daß die ästhetischen Strategien, mit denen traditionellerweise Literatur, bildende Kunst und Musik Leerstellen eröffnen, auf Animationen beruhen, die durch ihre computertechnische Realisierung grundsätzlich nivelliert werden. Folglich bedarf es neuer Verfahren der Leerstellengenerierung, um unter den Bedingungen digitaler Medien die Erinnerung zu aktivieren.
Ein Plädoyer für das Stolpern, wie es der Titel dieses Beitrags ankündigt, ist prekär, da es die Gefahr des Stürzens in Kauf nimmt. Die schlimmeren Unfälle allerdings gehen oft auf das Fehlen von Grenzhindernissen zurück. Erinnert sei nur an den hinterlistigen Schwellenabbau, den der amerikanische Physiker Alan Sokal an der Demarkationslinie der two cultures betrieb – und damit die Herausgeber der bis dato hochangesehenen Zeitschrift Social Text tüchtig blamierte, die nicht bemerkten, daß der Artikel Transgressing the Boundaries voller Absurditäten steckte. Sokals offensive Beseitigung der Barrikaden zwischen Geistes- und Naturwissenschaften paßte so gut ins postmoderne editorische Konzept, daß man gar nicht mehr darauf reflektierte, ob die Transgressionen im Einzelnen Sinn machten – etwa die dekonstruktivistische Überwindung der Schwerkraft oder die feministische Liberalisierung der mathematischen Axiomatik. Die transliminalen Verheißungen klangen zu verführerisch, als daß man über sie gestolpert – und damit der kompromittierenden Falle entgangen – wäre. ...
Daß es nicht unbedingt die bewegten Bilder sind, die uns bewegen, sondern daß uns oft gerade das bewegt, was sich nicht bewegt, ist eigentlich eine triviale Alltagsbeobachtung. Sie bedürfte keiner weiteren Erörterung, wenn sie nicht in ein medienhistorisches Umfeld fiele, das alles daransetzt, sie zu falsifizieren. So stoßen wir heute häufig auf Bewegungsbilder, die unsere unwillkürliche Aufmerksamkeit affizieren und deshalb als Ursache für innere Bewegungen genommen werden, obwohl es nur Reaktionsmechanismen sind, die sich in der Habituation rasch abschleifen (D 00). ...
"Herakleitos sagt, dass die Wachenden ein und dieselbe gemeinsame Welt (éna kai koinòn kosmon) haben, während von den Schlafenden ein jeder sich zu seiner eigenen (Welt; eis ídion apostréphesthai) abwende." (DK 22 B 89) Diese "eigene" Welt des Schlafenden heißt ídios kósmos, die Welt der Träume. "In der Nacht entzündet der Mensch ein Licht für sich selbst, sterbend, seine Sehkraft ist erloschen." (DK 22 B 26). – Heraklit (535 - ca. 475 v. u.Z.) trifft die Überzeugung der gesamten antiken Kultur, dass der Wachzustand eine Welt des Zugänglichen, des Lichterfüllten, die Welt also des Öffentlichen, des Gemeinsamen und des Logos darstelle: koinos kósmos. ...
Im Jahr 1837 schreibt Gustave Flaubert – er ist sechzehn Jahre alt – die Erzählung Quidquid volueris, eine nahezu perfekte Schauergeschichte im Stil der gothic novel, ein goyaesker Alp "schlafloser Nächte", worin der Erzähler eingangs die Teufel seiner Einbildungskraft, die "Kinder meines Hirns" anruft wie Musen der Inspiration. Virtuos setzt der adoleszente Autor alle Stilmittel des langsam sich aufbauenden Grauens ein, das sich am Ende in einer entsetzlichen Tat entlädt. ...
Im folgenden wird nicht ein Versuch zur Geschichte männlicher Masken unternommen, ebenso wenig wie eine religionswissenschaftliche oder ethnologische Analyse des Maskengebrauchs und seiner gender-Ordnung. Im Kern geht es vielmehr um den denkwürdigen Punkt, dass an der Nahtstelle zwischen Mythos und Aufklärung in der griechischen Antike eine Neukartierung des Männlichen und Weiblichen im Feld des Generativen vorgenommen wird. Die späten Nachfahren dieser männlichen Machtergreifung, um die es im zweiten Teil geht, entwickeln Figuren des Sexuellen, worin das Generative radikal ausgeschlossen und das Begehren zum Schauplatz eines nur noch in sich selbst kreisenden Maskenspiels wird – jenseits jeder Reproduktionslogik. Man könnte die These wagen: die 'Männer' besetzen die mythische Generativität, doch generieren sie nichts mehr außer sich selbst. Vielleicht ist die ungeheure Kreativität, die in der europäischen Moderne (heute besonders auf dem Feld der 'Reproduktion des Lebens') entfesselt wird, nichts als eine Maske, die diese innere Unfruchtbarkeit überdeckt. Nach einer Abklärung des Maskerade-Konzepts, wie es hier verwendet wird, werden in einem ersten Kapitel mythische Beispiele gezeigt, in welchen die mythische Produktivität des Weiblichen (die Magna Mater) dem symbolischen Regime von Herren-Göttern unterstellt wird. Diese Umcodierung wird die abendländische, nämlich männliche Auffassung von Sexualität und Reproduktion nachhaltig prägen. Sie hat ihren Preis. Er wird, im zweiten Teil, errechenbar an den legendären Figuren des männlichen Sex – Casanova, Don Juan, Sade, 'Walter' und Sacher-Masoch –, welche die "Masken des Begehrens" (Ariès / Béjin) in der Moderne bestimmt haben. Im Mittelpunkt steht dabei Sacher-Masoch, der das masochistische Begehren, das den scheinbaren Kontrapunkt zur männlichen Selbstermächtigung darstellt, aus einer Vielzahl mythischer, literarischer und bildkünstlerischer Figurationen des übermachtig Weiblichen und des demütigen, gar geopferten Männlichen synthetisiert.
Sie werden, meine Damen und Herren, diese Bilder "2001 – A Space Odyssey" von Stanley Kubrick erinnern. Dieser Film, 1968 gedreht, also noch vor der ersten bemannten Mondlandung und noch vor dem takeoff des Computerzeitalters – dieser Film ist nicht nur eine Inkunabel eines ganzen Filmgenres, sondern er hat unsere Bilder von Weltraum und Computer maßgeblich geprägt. Er vermochte dies auch deswegen, weil Kubrick hier technische Phantasien und religiöse Motive, psychodelische Zeitreisen und metaphysische Sinnsuche, Urgeschichte und Endgeschichte, Angst vor der Technik und Sehnsüchte nach einer Entgrenzung jenseits von Zeit und Raum in maßstabsetzende Bilder brachte, verbunden mit einem niemals zuvor derart ungeheuren Einsatz von Musik und einer so noch niemals zuvor gesehenen Herabsetzung des Mediums, das seit alters her als die Sphäre des Menschlichen überhaupt angesehen wurde, nämlich die Sprache. Von 141 Minuten Film sind nur 40 Minuten von Dialogen begleitet. Kubrick erweist den Film als dasjenige Medium, in welchem die visuellen Mythen unserer Zeit kreiert werden. ...
Aus den Elementen schuf die Göttin der Liebe, Aphrodite, unsere "unermüdlichen Augen", lehrt Empedokles. Und "das das Herz umströmende Blut ist dem Menschen die Denkkraft". Wie der Körper beschaffen ist, so wächst dem Menschen das Denken. Aristoteles berichtet, daß die alten Philosophen, ausdrücklich Empedokles, Denken und Wahrnehmen für dasselbe gehalten hätten. Aus Elementen sind wir gemischt wie die Dinge, und so nehmen wir die Dinge wahr im Maß, wie sie auf Verwandtes in uns treffen. Im Inneren des Auges ist Feuer, umgeben von Wasser, Erde, Luft. Aus dem Auge wird das Feuer als Sehstrahl auf die Dinge entsandt, und so entsteht das Sehen. Umgekehrt fließen von den Dingen feine Abdrücke ab: wenn sie auf die Poren der Sinnesorgane passen, so werden sie wahrgenommen; passen sie nicht, wird nichts wahrgenommen. So fließt zwischen Leib und Dingen nach der Passung der Poren ein ständiger Strom des Gleichen zum Gleichen. "Denn mit der Erde (in uns) sehen wir die Erde, mit dem Wasser das Wasser, mit der Luft die göttliche Luft, aber mit dem Feuer das vernichtende Feuer, mit der Liebe die Liebe, den Streit mit dem traurigen Streite." (Capelle, 236) Einem solchen Denken ist Personalität, Identität des Subjekts fremd. Zwischen Natur und Mensch besteht kein Bruch, sondern ein Strömen des Gleichen und Verwandten. Kein qualitativer Sprung zwischen Leib und Geist. "Denn wisse nur: alles hat Vernunft und Anteil am Denken" (Capelle, 239) - denn zwischen Göttern, Menschen und den "vernunftlosen" Tieren besteht eine "Gemeinschaft des Lebens und der gleichen Elemente", Verwandtschaft folglich durch jenen umfassend einzigen "Lebenshauch, der die ganze Welt durchdringe". ...
Wir alle kennen den Bestand der Szene: "ein schöner Augusttag des Jahres 1913", meteorologisch bestimmt; eine Stadt in der Physiognomie futuristischer und kubistischer Bilder; ein dynamisches Feld aus Geräuschen, Bewegungen, optischen Zeichen, Rhythmen, Verdichtungen, Bündelungen, Auflösungen, Serien und Sprüngen, Leerstellen und Häufungspunkten, Energieflüssen und Statiken; und darin plötzlich "eine quer schlagende Bewegung", der berühmte Unfall, eine Synkope in der diffusen Ordnung der Dinge, ein "Loch" ins Bodenlose oder ein aufflackernder Irrsinn; dann die Entsorgung des "verunfallten" Verkehrsteilnehmers durch die "Rettungsgesellschaft", die Schließung der Lücke, das Weiterfließen der augenblickslang unterbrochenen Energieströme. Und die Menschen? "Fußgängerdunkelheit bildete wolkige Schnüre", ein Kraftfahrer "grau wie Packpapier", ein "Mann, der wie tot dalag", ein flanierendes Paar, dessen Identifizierung als Personen versucht und sogleich storniert wird, ein Paar, gesichtslos wie Figuren auf Bildern August Mackes, Skizzen aus sozialen und sprachlichen Stereotypen; selbst die "feinen Unterschiede" (Bourdieu) sind differentielle Effekte des Feldes, nicht der Inkommensurabilität von Personen. Es scheint, "daß sich ein gesetzliches und ordnungsmäßiges Ereignis vollzogen habe". Es scheint so. ...
Es gehört zur Dialektik der Aufklärung bereits im 18. Jahrhundert, daß [die] Rationalisierungen des Leibes eine Fülle von sowohl ästhetischen wie medizinischen Kritiken und Alternativen hervortrieb, von denen hier ein Strang näher charakterisiert werden soll, nämlich die Leibkonzepte, die auf vormoderne Semiotiken des Körpers zurückgehen, auf hermetische medizinische Traditionen zumal. Kann man die mechanistische Medizin und moralische Disziplin als Strategien der "Entsemiotisierung" verstehen, so zeigen sich am Ende des Jahrhunderts und dann in der Romantik Spuren einer "Resemiotisierung" des Leibes. In heutiger Perspektive interessiert sie darum, weil, wie Thure von Uexküll vermutet, wir an die Grenze des naturwissenschaftlichen Paradigmas der Medizin gestoßen sind und uns in der Phase der Vorbereitung eines neuen, nämlich semiotischen Paradigmas befinden.
Man wird die Bilder aus "2001 – A Space Odyssey" von Stanley Kubrick erinnern. Dieser Film, 1968 gedreht, also vor der ersten bemannten Mondlandung und vor dem takeoff des Computerzeitalters – dieser Film ist nicht nur eine Inkunabel eines ganzen Filmgenres, sondern er hat unsere Bilder von Weltraum und Computer maßgeblich geprägt. Er vermochte dies auch deswegen, weil Kubrick hier technische Phantasien und religiöse Motive, psychodelische Zeitreisen und metaphysische Sinnsuche, Urgeschichte und Endgeschichte, Angst vor der Technik und Sehnsüchte nach metaphysischer Entgrenzung jenseits von Zeit und Raum in maßstabsetzende Bilder brachte, verbunden mit einem niemals zuvor derart ungeheuren Einsatz von Musik und einer so noch niemals zuvor gesehenen Herabsetzung des Mediums, das seit alters her als die Sphäre des Menschlichen überhaupt angesehen wurde, nämlich die Sprache. Von 141 Minuten Film sind nur 40 Minuten von Dialogen begleitet. Kubrick erweist den Film als dasjenige Medium, in welchem die visuellen Mythen unserer Zeit kreiert werden. ...
In der sehr alten Deutungsgeschichte der Melancholie gibt es um 1475 eine dramatische Szene, von der Panofsky/Saxl in ihren bahnbrechenden Forschungen zur "Melencolia" von Albrecht Dürer berichten: der hermetische Neuplatoniker Marsilio Ficino klagt in einem Brief seinem Freund Giovanni Calvacanti, daß er nicht ein noch aus wisse und verzweifelt sei; dies ginge auf die mächtigen und düsteren Einflüsse des Saturns auf seinen Geist und sein Gefühl zurück. Saturn - das ist hier der maligne Stern, der fernste des Planetensystems, der Gott des Dunklen, Kalten und Schweren; rätselhafte, schwer entzifferbare Gottheit der Zeit; uralter Flurgott oder auch der gestürzte und kastrierte Uranide. Viele, auch widersprüchliche Traditionen fließen in der Semantik des Saturns zusammen. Innerhalb der Astralmedizin ist der Saturn der Regent der schwarzen Galle, der Milz, der kalten, trockenen Erde. Diese Komplexion aus Astrologie, Elementenlehre, Anatomie und Humoralpathologie bildet den Typus des melancholischen Temperaments. ...
Ein Blick auf die gegenwärtige Lage der literaturwissenschaftlichen Germanistik weckt den Eindruck, daß ihre Dauerkrise, deren sie sich seit 1966 erfreut, durch zwei völlig entgegengesetzte Therapien gelöst werden soll. Die eine Lösung besteht in einer radikalen Engführung der Literaturwissenschaft, die andere in deren rückhaltloser Erweiterung. Die Frage ist, ob man zugleich ein- und ausatmen kann. Die weitere Frage ist, ob es überhaupt wünschbar ist, die sog. Dauerkrise zu beenden. Wollen wir überhaupt eine Germanistik, die von einem homogenen Theorie-Paradigma zusammengehalten und damit in der Lage wäre, zwischen den zerstrittenen Positionen Konsens zu stiften? Ich denke, wir sollten es nicht wollen. Wenn es eine Lehre von 1945 und 1989 gibt, dann die, daß man schiasmatische Wissenschaftsentwicklungen nicht bedauern, sondern begrüßen sollte. Nicht Einheit, sondern Vielheit, nicht Identität, sondern Differenz, nicht Homogenität, sondern Heterogenität schaffen das Klima für eine kreative Wissenschaft. ...
Wasser, Wolken und Steine formieren das Landschaftserleben nicht nur der europäischen Kulturen. Zwar bestimmen einzelne Steine, Findlinge oder Basaltsäulen, nur gelegentlich das Bild der Landschaft. Doch immer sind es steinerne Formationen, welche der Landschaft Halt und Gestalt verleihen – als ragende Gebirgszüge, wellige Hügel, in die Ferne ziehende Täler, dunkle Schluchten und Gründe, strebende Gipfel oder auch als schroffe Felsküsten, die sich dem Meer entgegenstemmen, das aufschäumend sich an ihnen bricht. Das Steinerne ist, vom Typus der Hochgebirgs-Malerei abgesehen, zumeist verhüllt vom Mantel der Pflanzen, der Felder und Wiesen, der Wälder und Büsche. Leonardo nannte, noch ganz im Bann der leibmetaphorischen Deutung der Terra, die Felsen das Skelett der Erde, das vom Gewebe des Erd- und Pflanzenreichs bedeckt wird, doch diesem erst die morphologische Stabilität verleiht. Die Flüsse und Bäche, ober- wie unterirdisch dahinströmend, sind die Adern des Erdleibs, ein ewiger Kreislauf des Wassers. Und mächtig atmet in Ebbe und Flut die Lunge der Erde, die auch die Zirkulation der Ströme und Rinnsale antreibt. So werden für Leonardo Landschaften zu beredten Zeugnisse des lebendigen Organismus der Erde – und seiner Geschichte. Auf dieser Linie ist Landschaftsmalerei ist immer auch Bio-Graphie des Erdkörpers. Und vielleicht gilt von aller Landschaftskunst, daß sie sich mit der Geschichte der objektiven Natur verwebt – auch wenn sich gerade in ihr die subjektiven Stimmungen des Betrachters oder Malers verkörpern. ...
Raymond Radiguet starb 1923 an Typhus, gerade zwanzigjährig. Er hinterließ zwei furiose Romane, "Le Diable au corps" und "Le bal du Comte d'Orgel", und ein paar Dutzend Gedichte. Jean Cocteau, selbst jugendverliebt und älter werdend, schreibt später im Nachwort zum ersten Roman: "Radiguet verabscheute die Oscar Wildesche Vorstellung von der Jugend. Er wäre so gern alt geworden. Heute wäre er fünfzig. Doch mit seinen unerbittlichen Händen hat der Tod ihn in der Gestalt eines Zwanzigjährigen festgebannt, ein für allemal." ...
Humboldt hat von früh an in unmißverständlicher Klarheit gesagt, was er wollte. Nämlich die Mannigfaltigkeit, die unabsehbaren Ketten, die ungeheure Verstreutheit, die überwältigende Heterogenität der Naturerscheinungen zu einer qualitativen Totalität, zu einer Idee und zu einem Ganzen zusammenzufassen, das auch noch anschaulich sein soll. Dieses Konzept liegt schon den "Ansichten der Natur" von 1808 zugrunde, ist aber viel älter und geht auf die 90er Jahre zurück. Es hat sich auch im letzten Werk, dem "Kosmos", nicht geändert. Im Konzeptuellen herrscht bei Humboldt eine eigentümliche Entwicklungslosigkeit. Dieser 'Wille zum Ganzen' ist das nunc stans in dem sonst so überaus bewegten Leben Humboldts, in dessen Verlauf er häufig genug die realen Ziele zu ändern gezwungen war, ohne doch seine Grund-Idee aus dem Auge zu verlieren. ...
Hegel hat endlos vielen Interpretationen von Tragödien, und so auch solchen der "Antigone" das Schema vorgegeben, wenn er den tragischen Konflikt als die Kollision zweier sittlicher Ansprüche bezeichnete, die beide in sich selbst gerechtfertigt sind. Für die "Antigone" hieß dies, daß die Sittlichkeit der Familie, durch Antigone repräsentiert wie erlitten, auf die Sittlichkeit des Staates stoße, die in Kreon resümiert ist. Und da beide Sittlichkeiten in sich notwendig seien, müsse die Kollision einen tragischen Terminus finden. Dies umso mehr, als zur tragischen Kollision gehöre, daß beide Positionen jeweils Momente der Gegenposition enthielten, die aber jeweils implizit und unausgedrückt blieben, so daß weder Antigone noch Kreon die Berechtigung der jeweils anderen Auffassung auch nur ansatzweise teilen könne. Unversöhnlich prallen beide Positionen aufeinander, weil die Protagonisten innere Ambivalenzen nicht zuließen. ...
Der Politologe Rudoph J. Rummel hat 1994 und 1997 in zwei Bänden eine breit angelegte Untersuchung von staatlich verantworteten Massenmorden im 20. Jahrhundert vorgelegt: Death by Government und Statistics of Democide. Danach werden an jedem der 36 500 Tage dieses Jahrhunderts, nach vorsichtigen Berechnungen, eta 4650 Menschen pro Tag gewaltsam zu Tode gebracht. Bis zum erfaßten Jahr 1987 sind dies 161.782.000 Terrortote, nach anderen Berechnungen 341.076.000 Tote, also etwa 9.400 am Tag. Nicht eingerechnet sind ungezählte Opfer, die Gewalthandlungen überlebt haben, doch verletzt, verstümmelt, vergewaltigt, ausgeraubt, dauerhaft traumatisiert, verfolgt, demarkiert, verelendet oder vertrieben wurden. In der Untersuchung Rummels geht es ausdrücklich nicht um quasi-legale Kriegstote, nicht um außerstaatliche Gewalt, nicht um Einzelfälle des staatlichen Terrors, sondern allein um die massenhafte Ermordung von wehrlosen Menschen in staatlicher Verantwortung. ...
Deutschland 1932: die Erfahrungen des Amerikanismus und des Fordismus waren gerade verarbeitet; man hatte die neuen Geschwindigkeiten und die Vermassung der Millionenstädte ebenso studiert wie das Industrieproletariat und die frischen Angestelltenschichten; der Funktionalismus hatte in allen Bereichen der Moderne, auch im Design und in der Architektur, seinen Siegesszug angetreten; man hatte an der Metropole Berlin erstmals auch die Wahrnehmungs-Modalitäten von Big Cities ästhetisch durchbuchstabiert; man hatte indes auch mit dem schwarzen Freitag die Konsequenzen globalisierter Wirtschafts- und Börsenverflechtungen erlitten – in diesem Jahr 1932 also bildet der österreichische Schriftsteller und Naturwissenschaftler Robert Musil in seinem "Mann ohne Eigenschaften" die "soziale Zwangsvorstellung" einer "überamerikanischen Stadt", "wo alles mit der Stopuhr in der Hand eilt oder stillsteht. Luft und Erde bilden einen Ameisenbau, von den Stockwerken der Verkehrsstraßen durchzogen. Luftzüge, Erdzüge, Untererdzüge, Rohrpostmenschensendungen, Kraftwerkketten rasen horizontal, Schnellaufzüge pumpen vertikal Menschenmassen von einer Verkehrsebene in die andre; man springt an den Knotenpunkten von einem Bewegungsapparat in den andern, wird von deren Rhythmus, der zwischen zwei losdonnernden Geschwindigkeiten eine Synkope, eine Pause, eine kleine Kluft von zwanzig Sekunden macht, ohne Überlegung angesaugt und hineingerissen, spricht hastig in den Intervallen dieses allegemeinen Rhythmus mit einander ein paar Worte. ...
Erotische Anatomie : Fragmentierung des Körpers als ästhetisches Verfahren in Renaissance und Barock
(2001)
1536 erscheinen die danach vielfach neuaufgelegten und erweiterten "Blasons anatomiques du corps féminin", eine Sammlung von Preisgedichten jeweils auf einzelne "Körperteile". Die Blasons sind zunächst im Anhang zur "Hécatomphile" des LéonBattista Alberti versteckt, bevor sie 1543 auch seperat gedruckt werden. Der Dichterfürst Clément Marot (1496-1541) hatte mit dem Gedicht "Le beau tétin" (Das schöne Brüstchen) das Modell vorgegeben und seine Poetenkollegen brieflich eingeladen, über schöne, sprich: reizende Teile zu schreiben – weibliche, versteht sich. Wir sind mitten im Thema. ...
Unter den Formeln, die das Wesen des Menschen pointieren sollen – zoon legon echon, animal rationale usw. – gibt es die etwas humoreske Gleichung: homo est animal quaerens cur, der Mensch ist das Tier, das nach dem Warum? fragt. Wir werden noch sehen: wenn der Mensch sich vom Tier abzuheben sucht, wird er gefährlich. Die Gefährlichkeit des Fragens wird in den Wissenschaften weitgehend geleugnet. ...
Wer nach Paris kommt, sollte nicht versäumen, die Stiegen auf das Dach der Kathedrale Notre-Dame zu klettern und dort die steinernen Monstren, Fabeltiere und Dämonen zu besichtigen, durchaus Meisterwerke gotischer Steinmetz-Kunst. Noch immer kann man die Blicke imitieren, die Mitte des 19. Jahrhunderts den Künstler Charles Meryon (1821-1868) zu seinen Radierungen inspirierte: mit ihnen versetzte er die "Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts" (Walter Benjamin) unter die Zeichen eines fremdartigen und unheimlichen Tierkreises, der nicht die Ordnung des Himmels, sondern das nächtliche Gewimmel einer dämonischen Gegenwelt wiedergab. Seltsam genug ragten seit Jahrhunderten die Lamien und Empusen, die Keren und Chimären, die Teufelsfratzen und Basilisken, Drachenköpfe und Kynokephalen über das Häusermeer der Metropole, die sich gerade anschickte, zum Labor der urbanindustriellen Moderne zu werden. Die steinernen Monstren, die oft auch die Westportale besetzt hielten, weil von dort der Angriff der Dämonen zu erwarten war, dienten im Mittelalter als Wächterfiguren, welche den heiligen Raum des Kirchenbaus vor dem Eindringen der satanischen Rotten zu behüten hatten. ...
Die vier Elemente im Zusammenhang der Anthropologie zu behandeln, ist heute keineswegs selbstverständlich. Die naturphilosophische Lehre von den Elementen fand ihre erste Ausprägung bei Empedokles. Ihre Ausarbeitung bei Platon und Aristoteles war für die Philosophie der Natur bis etwa 1800 paradigmatisch. Mit Antoine Laurent Lavoisier, Joseph Priestley und Sadi Carnot, denen der Nachweis der chemischen Zusammengesetztheit von Wasser, Luft und Feuer experimentell gelang und die damit den Grund für das periodische System der chemischen Elemente lieferten (schon zu Lavoisiers Lebzeiten zählte man über dreißig), war die Elementenlehre als Theorie der Natur wenigstens wissenschaftlich an ihr Ende gekommen. In diesen 2300 Jahren, in denen die vier Elemente die Pfeiler einer jeden Naturphilosophie bildete, hat es eine Reihe wesentlicher Korrespondenzen zwischen Elementenlehre und Anthropologie gegeben. Am wichtigsten ist die überragende Bedeutung, welche die Elemente in der hippokratisch-galenischen Medizin einnahmen, die ihrerseits bis ins 16., wenn nicht bis ins 18. Jahrhundert den Rahmen aller Krankheitslehren abgab. Allerdings kommt die Anthropologie selbst, von einigen Vorläufern abgesehen, erst im 18. Jahrhundert auf den Weg, in einer Zeit also, wo die Elementenlehre durch die moderne Chemie und die antike Humoralpathologie durch die anatomische und neurophysiologische Medizin abgelöst wurde. Auf die junge Anthropologie hat die Elementenlehre also keinen Einfluß mehr ausgeübt. ...
Wie Schrift und Bild im Verhältnis zur Imaginatio stehen, will ich untersuchen. Dabei kommt ein weiteres Verhältnis ins Spiel, nämlich das zum Körper. "Bilder denken" im Sinne von imagines agentes heißt nicht, bloße Vorstellungen von etwas ohne Gegenwart eines Gegenstandes im Kopf haben, wie Kant die Einbildungskraft im Unterschied zur Anschauung definiert. Agent, also aktiv, ergreifend, handlungsauslösend zu sein –: dies heißt mehr, nämlich daß Bilder inkorporiert werden und körperliche Erregungen, Veränderungen oder Handlungen auslösen. Das ist die Performanz der Bilder. Diese körperliche Spur der Bilder, ja, das Einspuren des Körpers durch Bilder ist die energischste Form, in der Erinnerungen inskribiert werden, und die energischste Form, in der Bilder zur Resonanz von Körpern und Körper zur Resonanz von Bildern werden können.
"Machet euch die Erde untertan! " (Gen I, 28) - damit wird keineswegs die heutige Form naturbeherrschender Technik durch Gott selbst schon vorab legitimiert. Die Agrarkultur, die dem Jahwisten bei diesem Satz vorschwebte, zielt nicht auf ein dominium terrae, gar auf despotische Herrschaft des Menschen über Natur. Auch bei den frühen christlichen Exegeten findet sich keine Stütze für einen christlichen Auftrag zur Naturbeherrschung im technischen Sinn. Die privilegierte Stellung des Menschen ruht weniger auf einem NaturAuftrag als auf seiner Einzeichnung in den heilsgeschichtlichen Plan Gottes. Auch der stoische Gedanke einer teleologisch auf das Wohl des Menschen hin eingerichteten Welt enthält keinen Schub zu einer technischen Entwicklung. Im Gegenteil: die Natur, wie sie ist, ist vollständig und bedarf nicht der technischen Umarbeitung zu ihrer Vervollkommnung. Bei Aristoteles wird die Mechanik gegenüber der Physik, die durchaus ein kontemplatives Verhältnis zur Natur beschreibt, deutlich abgewertet. Natürlich: man hatte Sklaven oder niedrige Handwerker, die die gesellschaftlich notwendige Arbeit auf einem gleichbleibenden Niveau der instrumentellen Technik erledigten. Für die antike Welt, deren theoretische und praktische Kenntnisse eine erste technische Revolution durchaus ermöglicht hätten, bleibt deshalb charakteristisch, was Hanns Sachs die "Verspätung des Maschinenzeitalters" genannt hat. ...
Mit Erstaunen stellen LinguistInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder fest, dass sich in der "kleinen" Schweiz der geschlechtergerechte Sprachgebrauch in Öffentlichkeit und Alltag weit stärker durchgesetzt hat als in den anderen deutschsprachigen Ländern. Diese Einschätzung gilt es hier zu überprüfen und, falls sie zutrifft, zu belegen. Ausserdem werden - als erster Schritt fur weitere Untersuchungen - Thesen formuliert, die Erklärungen liefern, worauf diese Entwicklung zurückgeführt werden kann. Mit diesem Artikel geben wir anband von ausgewählten, konkreten Beispielen einen Einblick in die Situation, wie sie sich zur Zeit in der Schweiz präsentiert. Wir konzentrieren uns - unter sprachsoziologischer Perspektive - auf eine erste Bestandesaufnahme mit dem Blick auf die Diskussion in den Medien, die Institutionalisierung und die Einstellungen, die die spezifische sprachliche Situation in der Deutschschweiz prägen. Einen Rahmen fur unsere Untersuchung bilden die Überlegungen von Schräpel (SCHRÄPEL 1986), die die Auseinandersetzung um nichtsexistische Sprache als ein besonderes Sprachwandelphänomen untersucht. Sprachwandel im Vollzug ist einerseits einfacher zu erfassen als einer, der weiter zurückliegt, andererseits erschwert die Fülle des greifbaren Materials auch den Durchblick und das klare Erkennen von Tendenzen. Aus diesem Grund werten wir unser Datenmaterial nicht quantitativ aus, sondern konzentrieren uns darauf, für verschiedene Aspekte typische Beispiele zu geben und so den Stand der öffentlichen Diskussion und die Breite der vertretenen Meinungen darzustellen. Es wäre verlockend, das hier vorliegende Material auch allgemeinerer Form unter der Thematik "Sprachkritik" oder "Einstellungen" zu analysieren. Dies ist jedoch nicht im Zentrum unserer Fragestellung, weshalb wir bei einigen Beispielen auf entsprechende Untersuchungen (z.B. BLAUBERGS 1980, SCHOENTHAL 1989) verweisen.
Popular culture is always in process; its meanings can never be identified in a text, for texts are activated, or made meaningful, only in social relations and in intertextual relations. This activation of the meaning potential of a text can occur only in the social and cultural relationship into which it enters. (Fiske, 1991a: 3)
Während der Brief in Zeiten von persönlichen Krisen und Konflikten mancherlei Unannehmlichkeiten aus dem Kommunikationsweg räumt, stellt der Kontext Krieg für das Briefeschreiben in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung dar. Der Privatbrief (Epistula familiaris) ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Westeuropa – das heisst auch zur Zeit des 2. Weltkriegs – das wichtigste Medium informeller Distanzkommunikation, welche im Allgemeinen durch Inoffizialität und Spontaneität, durch Individualität und Vertraulichkeit gekennzeichnet ist. In der Regel ist der Privatbrief im juristischen Sinne nicht verfügbar. Ein Kennzeichen ist somit auch seine Nichtreproduzierbarkeit. Neben der thematischen Offenheit macht sich meist eine stärkere stilistische Freiheit bemerkbar. Zeichen von Flüchtigkeit oder Sorgfalt sind ausser den Formalia des Datums, der Anrede, des Textkörpers und der Unterschrift, über das geschriebene Wort hinaus nonverbale Informationen wie die Lesbarkeit der Schrift, die Wahl des Papiers, Schreibwerkzeug sowie die Länge eines Briefes (vgl. Ermert 1979, Nickisch 1991, Beyer/ Täubrich 1996, Zott 2003). Der Privatbrief wird zwar im graphischen Medium der Schrift realisiert, steht aber stilistisch der konzeptionellen "Mündlichkeit" näher. (Koch/ Oesterreicher 1994, 587) Der private Briefwechsel wird spontan aufgenommen und kann in der Regel ohne Zwang abgebrochen werden (vgl. Zott 2003). ...
In aller Welt treffen Menschen mit den verschiedensten und fremdesten Namen aufeinander – fremde Namen aber migrieren mitunter auch ohne Menschen: denn man trägt in Zeiten der postkolonialen und globalisierten LifeStyle-Weltgemeinschaft nicht nur Issey Miyake, sondern auch japanische Vornamen. In Diskussionsforen des Internets schwärmen Männer und Frauen von der Schönheit nordamerikanisch-indianischer, hawaiianischer, keltischer und orientalischer Namen. ...
Liebesbriefe sind im 20. Jahrhundert vieles: Brautbriefe oder Zettelchen, Berichte aus dem Alltag von Schülern, aber auch Soldatenbriefe, E-Mail-Korrespondenzen im Internet, Flirtbotschaften als Mail oder SMS. Sprachgeschichte als eine Geschichte des Kommunizierens, eine Geschichte der Texte beschreibt Veränderung oder Erneuerung. Sogar das vermeintlich vertraute 20. Jahrhundert, meist wahrgenommen als das Jahrhundert der Gegenwartssprache, zeigt sich in der historischen Perspektive und mit Blick auf die Texte in einem neuen Licht und in einer Vielfalt, die über das Bekannte und Vertraute hinausgeht. ...
Pfeilzeichen sind im Alltag des postmodernen Menschen mindestens ebenso präsent, wie es die Pfeile im Leben unserer jagenden Vorfahren gewesen sein dürften. Sie übernehmen wichtige Funktionen bei der Orientierung im Raum, bei der Bedienung von Geräten und bei der Tradierung von Wissen. Pfeilzeichen finden sich draußen wie drinnen, in gedruckten wie in digitalen Medien, sie sind Bestandteile von Bildern, Texten und mathematischen Formeln und vermitteln in vielfältiger Weise zwischen Text, Bild und Zahl. Im Laufe der Zeit hat sich das Pfeilzeichen zu einer hochflexiblen Zeichenfamilie mit einem breiten Spektrum an Formen, Bedeutungen und Funktionen entwickelt. Diese "semiotische Karriere" des Pfeilzeichens möchten wir im folgenden Abschnitt an ausgewählten Beispielen aus Kunst, Literatur und Alltag nachzeichnen, um uns anschließend der erneuten Ausdifferenzierung des semiotischen Potenzials in den neuen Medien zuzuwenden. Die Pfeilzeichen dienen uns dabei als Beispiel, um drei Thesen über Prozesse semiotischen Wandels zu belegen: 1. Neue Zeichenfunktionen und -bedeutungen bilden sich stets auf der Basis bereits vorhandener Funktionen und Bedeutungen heraus. Dabei werden alte Bedeutungen in den seltensten Fällen ersetzt; vielmehr handelt es sich um Prozesse semiotischer Ausdifferenzierung, bei der "ältere" Funktionen und Bedeutungen mit verändertem Stellenwert erhalten bleiben. 2. Die Ausdifferenzierung erhöht die potenzielle Ambiguität von Zeichen und Zeichenkomplexen, sodass deren Interpretation den Zeichenbenutzern immer mehr abverlangt. Gerade am Beispiel der Pfeilzeichen lässt sich sehr gut zeigen, dass deren Funktion und Bedeutung in hohem Maße kontext- und mediengebunden ist und in neuen Medien oft neu erlernt werden muss. 3. Grundlegend für die semiotische Ausdifferenzierung des Pfeilzeichens ist der Stellenwert des Pfeils in einem komplexen Handlungsrahmen, auf den wir mit dem Ausdruck "Pfeil-Szenario" Bezug nehmen. Darin dient der Pfeil als Geschoss einer Waffe, z. B. eines Pfeil-Bogens, seltener auch einer Armbrust oder eines Blasrohrs. Der Pfeil ist ein Element der gesamten Waffe, die sich aus Pfeilspitze, Schaft, Federn (und Ritze) zusammensetzt.
Steht ein neues Medium zur Verfügung, kommt es bei denjenigen, die einen Zugang zu diesem Medium haben oder finden, zu einer Umverteilung ihrer eigenen privaten und geschäftlichen Kommunikationen; das neue Medium wird im Rahmen der sich damit bietenden Möglichkeiten – wenn die soziokulturellen Kontexte dies unterstützen – auch genutzt, so dass es zu einer Ausdifferenzierung von Kommunikationsformen und bei längerem Gebrauch zu einer Änderung der Kommunikationsgewohnheiten führen kann. Ein neues Medium verändert in diesem Fall die alten Wertigkeiten der Medien, es entsteht eine Umverteilung der Funktionen und der Mediennutzung. (Vgl. Krotz 1998 und Krotz in diesem Band) Damit ist in der Regel ein gewisser Sprachwandel, sicher aber ein Sprachgebrauchswandel und nicht zuletzt ein Wandel der Spracheinstellungen zu erwarten, wie dies für die E-Mail-Kommunikation der Fall war und ist. Gerade für den Medienwechsel der Textsorte Liebesbrief und die damit etablierte Intermedialität mag gelten, was generell bei einem Medienwechsel beobachtet wird: der Medienwechsel wird von zwei fundamentalen leitenden Prinzipien geprägt, das konservative stilistische Trägheitsprinzip (Bausinger 1972, 81) auf der einen Seite, die medienspezifische Innovation auf der anderen Seite. So lautet die Frage: welche Aspekte des Alten lassen sich in das neue Mediumintegrieren und welche neuen Formen, Funktionen und Textkonstellationen sind zu beobachten? Welche Aspekte des Liebesbriefs werden im Medienwechsel verändert? Ob sich dabei eine weitere bereits für das 20. Jahrhundert konstatierte Tendenz hin zu einer Verstärkung der Mündlichkeit in schriftlichen Texten und ob sich dabei eine weitere Ausdifferenzierung von Textsorten in diesem Spannungsfeld zeigt, soll hier für den Liebesbrief als ein Beispiel einer zwar stark verbreiteten, jedoch noch wenig untersuchten Textsorte geklärt werden. (Vgl. von Polenz 1999, 37ff.) Dazu wird in einem ersten Schritt (Abschnitt 2) der Frage nach der Bestimmung des Liebesbriefs nachgegangen; in Abschnitt 3 wird zu diesem Zweck die dem Liebesbrief eigene Schriftlichkeit beschrieben und in Abschnitt 4 der Schriftlichkeit der E-Mail gegenübergestellt. In Abschnitt 5 und 6 werden zwei neue schriftliche Kommunikationsformen vorgestellt, die als Metamorphosen des Liebesbriefs im Internet entstanden sind.
Liebesbriefe von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen : eine Textsorte im lebenszeitlichen Wandel
(2003)
Das Alter als soziolinguistische und – mit Bezug auf die Historizität des sozialen Alltags – als sozialhistorische Grösse ist in seiner Wirkung auf die Gestaltung des Liebesbriefs wenig offensichtlich. Unbestritten dürfte aber wohl sein, dass nicht alterslose Menschen einander Liebesbriefe schreiben. Und – Alter prägt, wie dies die hier vorliegende empirische Analyse zeigen wird, die Textsorte Liebesbrief vielleicht stärker als gemeinhin angenommen. Bereits die Briefstellerliteratur der Jahrhundertwende zeigt deutlich eine Altersspezifik der Sprache des Liebesbriefs. ...
Während das Begehren des Mannes eine Sprache findet, gibt es lange Zeit wenig Raum für den Ausdruck des Begehrens der Frau. Der Körper des Mannes spielt in diesem Fragment des Liebesdiskurses, dem Liebesbrief, anscheinend eine andere Rolle als der Körper der Frau. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts lösen sich die Grenzen auf.
Sprache nimmt eine zentrale Funktion ein bei der Bildung von Identität. Sprachtheoretisch fundierte Handlungstheorien sind ein Hinweis darauf. Eine Auswahl linguistisch relevanter Sprachtheorien des 20. Jahrhunderts wird auf die Frage nach der sprachlichen Identitätsbildung hin untersucht. Dabei etablieren sich neben Sprechhandlungen, Perspektiven und Empathie auch Name, Stimme, Schrift und Körper als zentrale Momente der Identitätsbildung. Gleichzeitig etabliert sich als Kategorie der Identität auch Gender, im sprachlichen Kontext als Genderkategorien und Genderpraxis. Sprachlich und hier im Speziellen schriftsprachliche Genderpraxis wird anhand einzelner herausragender Phänomene für den Liebesbrief im 20. Jahrhundert beobachtet und dargestellt: die Genderpraxis des Verfassertums und seine stilistischen Ausprägungen, die Differenz in Bezug auf Sprachhandlungen in einzelnen Texten, das ausgewählte Auftreten-Lassen des Körpers und die Verwendung von Kosenamen.
Der Liebesbrief des 20. Jahrhunderts ist Ausdruck einer konkreten lebensweltlichen und historisch zu verortenden Praxis der Liebeskommunikation. Liebesbriefe sind Brautbriefe, Liebesbekenntnisse, Berichte aus dem Alltag, Soldatenbriefe, Vereinbarungen von Treffen, E-Mail-Korrespondenzen, Flirtbriefe und Zettelchen – es gibt eine reiche Palette an Funktionen und Typen. Im Hinblick auf eine Geschichte des Liebesbriefs im 20. Jahrhunderts zeigte sich, dass im Liebesbrief neben der Liebeserklärung auch „Beziehungsarbeit“ und besonders aber die Konstruktion von Intimität eine zentrale Rolle spielt. Die Kritik an der Sprache der Liebe und des Liebesbriefs (des 19. Jahrhunderts) kann bereits in den 1920er Jahren beobachtet werden. Zu einem Codewechsel kommt es in Briefen der 1960er Jahre. Die Schriftlichkeit des Liebesbriefs entfernt sich allmählich von einer ausschließlichen Schreibschriftlichkeit. Der Liebesbrief wird mehr und mehr zu einem Sprache-Bild-Text. Die neuen Medien der Liebesschriftlichkeit zeigen eine Mediatisierung auch im Bereich des Liebesdiskurses: neben neuen Liebesbrieftypen, wie dem Flirtbrief, bilden sich neue Liebesbeziehungstypen heraus. Darüber hinaus fungieren die neuen Medien immer schon selbstreflexiv als Metakommunikatoren der Modernität.
Intimität und Geschlecht : zur Syntax und Pragmatik der Anrede im Liebesbrief des 20. Jahrhunderts
(2000)
Die Trennung der Lebenswelt in Privatsphäre und Öffentlichkeit käme der Verortung von Intimität entgegen. Es scheint aber, als ob Intimität nicht einem klar abgegrenzten Bereich zugeordnet werden kann, sondern nunmehr als relationale Kategorie zu fassen ist. Gerade der historische Vergleich (Vgl. CORBIN 1992) erlaubt weder einheitlich räumliche oder körperliche noch ästhetische Kriterien zur Abgrenzung von Intimität. ...
Was allzu bereitwillig schöntut, kann – ehe man sich versieht – den Kopf verdrehen und am Ende den Geist rauben. Die Qualität einer Textverarbeitung bemißt sich nicht nur am Outfit des Outputs, sondern vor allem daran, ob sie der Inspiration beim Input dient. Peter Matussek befaßt sich seit längerem mit den theoretischen und praktischen Konsequenzen des Schreibens am Computer. Für PAGE hat er eine skeptische Trendeinschätzung formuliert.
Mediale Praktiken
(2000)
Der Begriff "Medium" wird heute meist nachrichtentechnisch aufgefaßt. Eine typische Definition im Konversationslexikon etwa lautet: "Mittel und Verfahren zur Verbreitung von Informationen" (Meyer 1987). Historisch gesehen ist dies ein reduzierter Sprachgebrauch, der ein urspünglich magisches und kultisches Erbe verdrängt hat: "Medien" sind im herkömmlichen Sinn nicht einfach Übermittler von Botschaften, sondern Vermittler von spirituellen Kräften. Sie dienten nicht nur der Distribution von kulturellem Wissen zwischen Sendern und Empfängern, sondern führten zum Erlebnis einer Transformation der Beteiligten im Vollzug kultureller Praktiken – mit allen Vorzügen und Risiken der Selbstpreisgabe.
Anfangs mochte es ja noch als ein Zeichen für standesbewußtes Literatentum gelten, die gute alte Adler einem dieser Ataris vorzuziehen. Inzwischen signalisiert es nur mehr larmoyante Gestrigkeit. Die Elektrifizierung des Schreibens ist salonfähig geworden und damit auch ZEIT-gemäß. Dieter E. Zimmer - viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt - verkündet am 8. Juli 1988 vom heiligen Berg des deutschen Feuilletons sein Kleines Vorwort zur Ära des Schreibcomputers. Es bringt auf den Punkt, was wie ein Ruck durch die Zunft geht: Der Siegeszug des Textcomputers wäre nur noch aufzuhalten, wenn der ganzen zivilisierten Menscheit ein für allemal der Strom abgestellt wird.
The content of this book will explain A For various reasons Europeans and Germans left their Homeland. B How they travelled in groups and individually. C How they landed in South Australia. D The Newcomers reception in a British colony. E The treatment they received in Australia. F What the Germans and Europeans achieved in Australia.
Klugheit wird gemeinhin als das Gegenteil von Torheit aufgefasst. Auf diese Weise erfährt sie eine sprachlich vorstrukturierte positive Bewertung und erhält einen ausgezeichneten gesellschaftlichen Status. "Positiv" bedeutet eine Verknüpfung mit spezifischen je gesellschaftlich richtigen Wertmassstäben, die aber in unterschiedlichen Milieus und Regionen durchaus verschieden ausfallen. Diese bilden den impliziten Subtext für die alltägliche Zuschreibung von "Klugheit". Klugheit fokussiert das Verhalten der Menschen, die Handlungen, die Performanz. Klugheit wird denjenigen Personen zugeschrieben, die "das Richtige" tun, und nachdem sie das Richtige getan haben, etabliert sich erst das Kriterium für die Richtigkeit dieser Beurteilung: der Ausgang der Geschichte. Klugheit wird zwar im vornhinein behauptet, stellt sich aber erst im Nachhinein heraus: denn sie misst sich nicht an der vorgeführten Handlung selbst, sondern am Ausgang der "Geschichte". Eine Bauerntochter handelt dann klug, wenn ihre Handlungen zu einem – im Sinne des Erzählers – guten Ende führen, zu einem Happy-End sozusagen. ...
Der Autor beschäftigt sich u. a. mit den Fragen: Welchen Stellenwert haben unsere literarischen Bildungsgüter in der Mediengesellschaft? Stehen Goethe und Schiller, das Dioskurenpaar der deutschen Klassik, noch fest auf dem Weimarer Sockel, oder zerbröselt dieser zum Sanierungsfall, en passant besucht auf Klassenfahrten, von denen nur das ins heimische Bücherregal wandert, was leicht faßlich ist?
Dornröschen
(1902)