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Die Vorgeschichte von "Des Minnesangs Frühling" als einem Gemeinschaftswerk von Karl Lachmann und Moritz Haupt reicht in den Herbst 1934 zurück. Im Oktober dieses Jahres trafen Haupt und Lachmann das erste Mal im Hause von Karl Hartwig Gregor von Meusebach [...] zusammen. [...] Ein Ergebnis der überlieferungshistorisch orientierten Debatte der letzten Jahre liegt, wenn ich richtig sehe, in der Einsicht, daß eine so gut wie ausschließlich auf formale und ästhetische Urteile gegründete Philologie zu sehr diachrone, entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkte favorisiert. [...]) Eine Ausgabe von "Des Minnesangs Frühling", die sich [...] stärker von der Tradition verabschieden, als dies schon durch die Neubearbeitung geschehen ist, müßte [...] wohl ohne die namenlosen Lieder auskommen.
Einführung zum 4. Tag
(2000)
Der 4. Tag war der Tag der Literaturwissenschaft und der Mystischen "Gebrauchsliteratur", die mit unterschiedlichen Methoden bearbeitet wurde – das Spektrum reichte von vorwiegend inhaltsbezogener, semiotisch fundierter Textauslegung über formalzentrierte Verfahren (Erzählanalyse), Text- und Überlieferungsgeschichte bis hin zu frömmigkeits- und sozialgeschichtlicher Einordnung und literaturwissenschaftlicher Heuristik. Die Frage nach dem "Sitz im Leben" im allgemeinsten und speziellen Sinn erweist sich als Leitmotiv; die Exposés verbinden oft die genannten Methoden in produktiver Weise, um die spezifische ‚Machart’ der Texte zu erschließen und sie zu verorten.
Die Übersetzung aus dem Mittelhochdeutschen als Hinführung zum Verständnis des Originals ist nicht nur das tägliche Brot in der mediävistischen Lehre, sie hat mittlerweile auch den Buchmarkt erobert. (…) Es scheint sich ein Konsens herausgebildet zu haben, wie dafür zu übersetzen ist: textdienlich, ohne Nachahmung der poetischen Form, v.a. der Reime, jedoch zeilengetreu, seltener sogar in reimlogischen Versen (…).
An einem Beispiel aus der Boppe-Überlieferung wird die Frage nach literarischer Kohärenz und Leistung meisterlicher Liebesdichtung behandelt. Die fünf Strophen des Liedes RSM Bop/1/500a sind sämtlich in andere, ebenfalls in der Kolmarer Liederhandschrift überlieferte Lieder integriert. Dieser Integrationsprozess zeigt ganz verschiedene Formen und einen je anderen Zuschnitt: Neben der fast unmotiviert erscheinenden Zusammenstellung unterschiedlicher Strophengruppen und der thematisch orientierten Verbindung älterer Einzelstrophen gibt es das aus einem übernommenen Motivkomplex entwickelte Meisterlied, dessen zeitliche Schichtung in der gelungenen produktiven Anverwandlung kaum mehr erkennbar ist.
“Funktionsverbgefüge” diye nitelendirilen bir ad ve eylemden oluşan Almanca işlevsel ad-eylem kümeleri, hem sözdizimsel hem de anlamsal bakımdan farklı özellikler gösterir. Bu nedenle, yabancı dil olarak Almanca öğretiminde öğrenme güçlüklerine yol açan bu sözcük kümelerinin öğretim biçimi daha da önem kazanmıştır. Bu çalışmada, öncelikle Almanca işlevsel ad-eylem kümelerinin (Funktionsverbgefüge) sözdizimsel ve anlamsal özellikleri ve buna bağlı olarak onların öğretim biçimi konulaştırılmaktadır. Bilişsel ve eklektik yöntem ilkeleri temel alınarak bu sözcük kümelerinin metin bağlamında sırasıyla tanıma, anlama, dizgeleştirme ve etkin kullanma biçiminde aktarılmasına ilişkin öneriler sunulmaktadır.
Wie Hartmanns Text [das Gnadenhafte und die Fülle der göttlichen Gnade glänzend darstellt] (...) soll [u.a.] im folgenden beobachtet werden (...) [Strohschneider] versuch[t] (...) eine Beschreibungssprache zu finden, welche die poetische Rede von Sünde und Schuld, Buße und Erlösung nicht reproduzieren muß, sondern von ihr Abstand nimmt, um sie vielleicht analytisch weiter aufschließen zu können. (...) [Strohschneider wählt] einen Ansatz, der des Gregorius Weg ins Heil zunächst nicht in seinem Bezug auf Gott, nicht also in der Perspektive religiöser Erfahrung in den Blick bringt, sondern in Bezug auf die Welt, als Anschluss aus und Unterscheidung von ihr (...)
Der 1969 im Gedichtband “Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt” veröffentlichte Text “Die drei Lesungen des Gesetzes” entstand zu einem geschichtlich bedeutungsvollen Zeitpunkt: 1968, in der Zeit der Studentenunruhen, am Höhepunkt der kulturrevolutionären Bewegung, die in Deutschland an den Grundfesten der Wohlstands- und Konsumgesellschaft der restaurativen Adenauer- und Postadenauerära rüttelte und den ersten entscheidenden Regierungswechsel seit 1949 herbeiführte. (...) Die “Drei Lesungen des Gesetzes” zeigen (...) modellhaft, wie die Propagierung von Ideologie und die Beschränkung individueller Freiheit in einem reaktionären Staat, der sich aber den Anschein der Demokratie und der Legalität bewahren will, vor sich geht. Die ideologische Botschaft, so macht Handkes Spiel mit dem Gesetzestext deutlich, wird im obrigkeitlichen Diskurs durch Sätze vermittelt, die denen des Gesetzes nachgebildet sind.
Anna Seghers: Zwei Denkmäler
(2000)
Anna Seghers hat 1965 für Klaus Wagenbachs Anthologie „Atlas. Zusammengestellt von deutschen Autoren“ einen kurzen Text über ihre Heimatstadt Mainz geschrieben, dem sie den Titel „Zwei Denkmäler“ gab. Er fand später in Wagenbachs „Lesebuch. Literatur der sechziger Jahre“ weite Verbreitung und von dort aus auch den Weg in zahlreiche Textbücher für den schulischen Literaturunterricht und das Germanistikstudium im Ausland. (...)
Die didaktischen Überlegungen, die (...) [Jochen Vogt] nach (...) [der] Vorbemerkung an (...) [den] Text knüpf[t] (...)[, beginnt er] mit einer erzähltechnischen Analyse(...), [setzt] mit einem Hinweis zur methodischen Erschließung des Textes fort(...) und [schließt] mit Vorschlägen für unterschiedliche Unterrichtsreihen oder -projekte ab(...).
Kemenate : Geheimnisse höfischer Frauenräume bei Ulrich von dem Türlin und Konrad von Würzburg
(2000)
Der Titel (...) stellt [dem] (...) komplizierten Wort ‚Frauenzimmer’ ein zweites, kaum weniger bedenkenswertes zur Seite: ‚Kemenate’. So, wie er in der höfischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts überwiegend gebraucht wird, verbindet sich mit diesem Ausdruck ebenfalls mehrerlei, nämlich: 1. ein gebauter Raum, worin das etymologische Wissen steckt, daß ‚Kemenate’ von ‚camera caminata’ kommt; 2. sodann die ‚herrschaftliche[n] Wohnräume[]’ auf einer Burg; und 3. schließlich kann ‚Kemenate’ auch abgelöst von einem besonderen architektonischen Raum metonymisch für die soziale Gruppe der Frauen bei Hofe gebraucht werden.
Diese verschiedenen Semantiken von ‚Kemenate’ nun existieren, in komplizierteren Verschränkungen noch als bei ‚Frauenzimmer’, historisch gleichzeitig.
„Was bedeutet es, einen Anruf zu beantworten?“ Diese, von Avital Ronell zu Beginn ihres ‚Telephone Book’ aufgeworfene Frage nach dem Telefon muß im folgenden als Frage nach dem Anrufbeantworter radikalisiert werden. Während das „Annehmen eines Anrufs“ eine Situation heraufbeschwört, „deren gestische Syntax ‚ja’ bedeutet, selbst wenn der Affirmation ein Fragezeichen folgen sollte: Ja?“ (Ronell 1989, S. 5), führt das Anschalten des Anrufbeantworters geradewegs in ein Paradox, denn der Anrufbeantworter sagt weder „Ja?“ noch „Nein!“. Das Paradox des Anrufbeantworters gründet in seiner widersprüchlichen Aufgabenstellung: Er soll einerseits der Aufrechterhaltung der Telekommunikation dienen und wird zugleich als ein „Kommunikationshemmnis“ empfunden. Deshalb kann er, so Knirsch, seine „eigentliche Funktion nicht uneingeschränkt erfüllen“ (Knirsch I998, S. 1). Doch was ist die „eigentliche Funktion“ eines Anrufbeantworters? „In dem Maße, in dem du das wurdest, was du bist“, schreibt Ronell mit Blick auf das „transzendentale Dilemma“ des Angerufenwerdens, „nämlich, zum Teil, ein automatischer Anrufbeantworter, wird es notwendig, Fragen zu stellen“. (Ronell 1989, S. 5). Fragen wir. Was bedeutet es, im metaphorischen oder gar im wörtlichen Sinn, „answering machine“ einer transzendentalen Telekommunikationsgemeinschaft zu sein, die nur auf eines zu warten scheint: den wunderbaren Moment der Verbindung?
Die Wüste ist seit der Antike mit vielerlei Konnotationen besetzt. Bis in die Gegenwart hinein macht sich die Literatur dies zunutze, aktualisiert und transformiert konnotative und metaphorische Potentiale dieses zugleich beklemmenden und faszinierenden Geländes. […] [Es] läßt sich […] der Befund erheben, daß die Wüste ein grundsätzlich ambivalenter Ort ist – was förmlich zu der These herausfordert, daß ihre Bedeutung für die poetische Autoreflexion nicht zuletzt auf solcher Ambivalenz beruht. Die Ambivalenz betrifft erstens die Situation dessen, der sich als Reisender in die Wüste begibt, und der einerseits die Erfahrung des Ausgesetztseins, andererseits aber auch die einer nahezu unerschöpflichen Freiheit machen mag, dem einerseits der Tod droht, der andererseits für die Entbehrungen seiner Reise aber mit Visionen entschädigt wird, welche in der Alltagswelt nicht denkbar gewesen wären. Sie betrifft zweitens die Einschätzung dessen, der selbst zum dauerhaften Wüstenbewohner geworden ist und einerseits als Wahnsinniger, andererseits als Visionär erscheint. Drittens dann sind auch, die Wesen und Erscheinungen, denen der Mensch – sei er ein […] Reisender, sei er ein hier lebender Eremit – in der Einöde begegnet, von tiefer Zweideutigkeit: Die Wüste als der Ort, wo Gottes Wort vernehmlich werden mag, ist zugleich Tummelplatz der Dämonen. Schließlich kann die Wüste sowohl als Ort des Ursprungs wie auch als Endprodukt eines ruinösen Geschichtsverlaufs ausgelegt werden.
Zur Einleitung
(2000)
Das »Labyrinth« […] ist von hochgradiger Aktualität für Prozesse der Selbstbeschreibung des Menschen als handelndes, produzierendes und denkendes Wesen. Es bedarf jedoch, wenn Unklarheiten vermieden werden sollen, bei der Rede von Labyrinthen der Verständigung darüber, welcher Strukturtypus damit gemeint ist. Es bedarf ferner einer zumindest groben Verständigung über die Perspektive, aus der das »Labyrinth« betrachtet, erlebt, erfahren wird (Dädalus, Theseus, Minotaurus), oder über die Kombination von Perspektiven. Einer nicht weiter begründbaren Vorentscheidung unterliegt die Beantwortung der Frage, ob man zu jedem Labyrinth einen Dädalus als Konstrukteur hinzudenken muß. Offen ist auch die Frage, ob man es zulassen oder gar fordern soll, ein »Außen« des Labyrinths zu denken. Der Denkansatz, demzufolge alle Labyrinthe zumindest prinzipiell durchschaubare und gedanklich rekonstruierbare Strukturen sind, ist grundlegend verschieden von einem Denken, das den Menschen ausschließlich innerhalb des Labyrinths verortet und ihm die Möglichkeit eines Heraustretens abspricht, weil es kein Außen gibt.
Auch wenn das Stichwort Globalisierung zunächst am ehesten die Assoziationsfelder Weltwirtschaft und Weltpolitik, Ökologie und Kommunikationstechnologie aufruft, so provozieren doch einige der fundamentalen Beschreibungskategorien dessen, was unter dem Begriff Globalisierung zusammengefaßt wird, zur Frage nach ihrer Anschlußfähigkeit an den literaturwissenschaftlichen Diskurs. Dies gilt vor allem für die Kategorien der Entgrenzung und Virtualisierung, ferner für die Interpretation von Globalisierungsprozessen als Prozesse der Dehierarchisierung, der umfassenden Vernetzung, der Entwicklung eines neuen und flexiblen, in unablässiger Transformation begriffenen Raumbewußtseins, […] sowie insbesondere für die Stichworte Internationalität und Interkulturalität.
In der gegenwärtigen Literatur- und Filmtheorie findet man wenig Übereinstimmung darüber, wie solide ideologischen Bedeutungen von Kunstwerken zu bestimmen wären. Im Gegenteil, bereits die Annahme, Kunstwerke träfen bestimmte, fixierbare Aussagen, wird vielerorts grundsätzlich abgestritten. […] Ich werde diese Ansicht hier nicht diskutieren, sondern schlicht voraussetzen, daß zumindest einige Kunstwerke tatsächlich einen ideologischen Geltungsanspruch erheben. […] Michail M. Bachtins Theorie der Dialogizität [bietet] mit ihrem Leitbegriff der Polyphonie einen Ansatz, der im Laufe der letzten dreißig Jahre zwar ausgesprochen populär geworden ist, aber auch häufig mißverstanden wird. Ich möchte einige wichtige Aspekte des Polyphoniebegriffs rekonstruieren und seine Erklärungskraft an einem Fallbeispiel überprüfen. […] „Beruf Neonazi“ wurde von seinen verschiedenen Interpreten als Film mit pro-, aber auch mit antifaschistischer Tendenz verstanden. Mit Hilfe des Polyphoniebegriffs kann dieser Interpretationsstreit geklärt werden. Bonengels Dokumentarfilm ist polyphon, weil er widerstreitende Stimmen scheinbar unkommentiert zu Wort kommen läßt, aber insgesamt doch durch indirekte Formen der Mitteilung seine neonazistischen Protagonisten kritisiert.
Über die Diskussionen zum Autor lässt sich ein Überblick gewinnen, wenn man das Problemfeld danach einteilt, wie Autor, Text und Leser zueinander in Beziehung gesetzt werden. Wir gehen im Folgenden zunächst auf solche Positionen ein, die den empirischen Autor in die Interpretation literarischer Texte einbeziehen. Dann stellen wir Positionen vor, die den empirischen Autor aus dem Umgang mit Literatur ausschließen und sich lediglich auf Aspekte des Textes stützen wollen. Von diesen sind noch einmal jene Positionen abzusetzen, die ebenfalls auf den empirischen Autor für Zwecke der Interpretation literarischer Texte verzichten, nun aber nicht den Text, sondern die Position des Lesers in den Vordergrund stellen. Der Akzent liegt also entweder auf dem Autor, auf dem Text oder auf dem Leser.
Was im modernen Gedicht alles nicht mehr geht, meinte Gottfried Benn in seinem Marburger Vortrag über Lyrik diagnostizieren oder gar festlegen zu müssen: die Andichtung eines Du, die malerische Farbe (mit Ausnahme des Blau), der Wie-Vergleich und der seraphische, sentimental säuselnde Liebeston. Der Vortrag, kurz vor Entstehung des hier abgedruckten Krolow-Gedichts gehalten, hat wohl weniger prononcierten Einfluß auf ihn gehabt, doch lassen sich, wie im folgenden deutlich werden soll, gewisse Parallelen ausfindig machen: Themen des schwierig gewordenen Idylls, der unsicheren Liebesbeziehung, der Anonymisierung und Selbstdistanz des Autors sollen hervorgehoben werden, aber auch das Konzept des Gedichts als Spielraum, in dem das Individuum ins Allgemeine aufgehoben ist.
1932 erscheint Clemens Lugowskis Arbeit über die Romane Jörg Wickrams, in der er die Spezifika des vormodernen Romans herausarbeitet: er ist nach Lugowski durch eine sogenannte "Motivation von hinten" charakterisiert, die über die sich in Kausalketten vollziehende "Motivation von vorne" dominiert. Was sich im Vordergrund der Handlung innerhalb der Zeit ereignet und auf ein vorherbestimmtes Resultat zuläuft, wird weniger aus den Ereignisketten selbst als aus der im Hintergrund wirkenden göttlichen Vorsehung entwickelt [...] Es liegt nahe zu fragen, inwiefern sich der Ansatz von Martinez von der Theorie phantastischer Literatur unterscheidet, die ja (etwa nach Tzvetan Todorov) mit dem Moment der Unschlüssigkeit des Lesers, ob er die Ereignisfolge der innerliterarischen Realität oder aber den Vorstellungen eines Protagonisten zurechnen soll, eine ganz ähnlich strukturierte "doppelte Welt" wie auch Martinez behauptet. Den knappen Erläuterungen zufolge ist der Begriff der "doppelten Welten" insofern enger als der der phantastischen Literatur, als er "mit der paradoxen Koexistenz von kausaler und finaler Motivation nur einen speziellen Fall übernatürlichen Geschehens darstellt"; er ist aber andererseits auch weiter, insofern "die finale Motivation der doppelten Welt nicht notwendig als übernatürlich markiert sein muß".
Wolfgang Koeppen: Wahn
(2000)
Dieser Text von Wolfgang Koeppen (1906-1996) wurde zuerst 1960 in der Anthologie "Ich lebe in der Bundesrepublik", herausgegeben von Wolfgang Weyrauch, publiziert. In den "Gesammelten Werken" erscheint er im Kapitel "In eigener Sache". Diese bibliographischen Hinweise dienen dazu, den Text zunächst kurz zu klassifizieren: Es handelt sich um einen autobiographischen Text, das Text-Ich bezieht sich auf den Autor Wolfgang Koeppen. Koeppen schrieb diesen Text im Rahmen der Produktion von Reiseberichten, empfindsamen Berichten, wie er selbst in einem der Bände als Untertitel schreibt.
Der Text „Der andorranische Jude“ (1966) stammt aus dem "Tagebuch 1946-1949". Max Frisch benutzte diese Skizze als Vorlage zu seinem späteren Stück "Andorra" (1961). Es soll der Versuch unternommen werden, herauszufinden, was für Leseinstruktionen dieser Text dem heutigen Leser gibt. Es darf nicht vergessen werden, daß er 1946 geschrieben worden ist, als Deutschland und Europa in Trümmern lagen. Frisch erscheint als Schweizer unbeteiligt, (er hat nicht am Krieg teilgenommen), zugleich aber als tief beteiligt. Dieser Dualismus prägt seinen Blick auch in diesem Text.
Diese 1952 entstandene Kurzgeschichte der österreichischen Autorin erweist sich als besonders charakteristisch für die Eigenart ihres Werks, sowohl was den Themenkreis – Entfremdung, Bedrohtsein, Angst und Tod – betrifft, als auch in Bezug auf die Vorliebe für die monologische Ausdrucksform, für Überraschungseffekte und Paradoxa. [...] Im Gesamtschaffen der Dichterin gehört "Wo ich wohne" zu einer Übergangsphase. Nach der wehmütig-poetischen Sprache des Romans "Die größere Hoffnung" und der 1948 entstandenen Spiegelgeschichte ist dieser Text durch eine größere Zurückhaltung und Sachlichkeit geprägt. Die Tendenz zur Untertreibung und Aussparung, zur Raffung und Verknappung wird sich in den späteren Werken bis ins Hermetische steigern.
Der Präteritumschwund dürfte eine der markantesten morphologischen Entwicklungen des Alemannischen (bzw. Oberdeutschen) bilden. Sein Verlauf in schweizerdeutschen Dialekten ist mit der Arbeit von JÖRG (1976) dokumentiert und ungefiibr ins 16. Jahrhundert zu datieren. Konsequenz der Aufgabe dieses synthetischen Verfahrens war die Verlegung der Vergangenheitskategorie in die Syntax. Dies hat zu einer starken typologischen Drift des Alemannischen in Richtung eines analytischen und zusätzlich klammernden Sprachtyps geführt: Das Perfekt ist zweigliedrig (finites Auxiliar + infinites Vollverb), das Plusquamperfekt sogar dreigliedrig (sogenanntes doppeltes Perfekt). Finites und infinites Verb können durch ganze Satzglieder, Adverbien etc. voneinander getrennt sein, sind also unter Umständen weit voneinander entfernt, was das Ausdrucksverfahren nicht gerade vereinfacht. Der Präteritumschwuud kontrastiert in eigentümlicher Weise mit dem Erhalt, ja sogar dem sekundären Ausbau synthetischer Konjunktivformen (sowohl Konjunktiv I als auch II), die weiteres morphologisches Charakteristikum des Alemannischen sind, doch nicht Thema dieses Beitrags (hierzu s. NÜBLING 1997).
In schwedischen Krankenhäusern ist es selbstverständlich, einen Krankenpfleger mit Syster 'Schwester' anzusprechen (also z.B. Syster Nils 'Schwester Nils'). Auch die Berufsbezeichnung von Schwester Nils ist weiblich: Er ist sjuksköterska, wörtlich 'Krankenpflegerin' (-ska ist schwedisches Movierungssuffix), also 'Krankenschwester'. Der im Schwedischen ganz geläufige Satz han är sjuksköterska 'er ist Krankenschwester' klingt für deutsche Ohren ungrammatisch. Vor etwa 30 Jahren war dies in Schweden nicht anders, doch hat man dieses Problem auf andere Weise gelöst als in Deutschland: Im Schwedischen ist die Sexusneutralisierung weiblicher Personen bezeichnungen möglich, genauer: möglich gemacht worden, während dies in Deutschland als unzulässiger Eingriff ins Sprachsystem betrachtet wird.
Hans-Georg Soldat rezensiert die 2000 im Ullstein Verlag erschienene Erzählsammlung "Wir Brüder und Schwestern. Geschichten zur Einheit" von Freya Klier. Tatsächlich ist es vor allem die Vielgestaltigkeit, die an diesen Erzählungen Freya Kliers besticht, die Bandbreite ihrer Impressionen, die ihr neues Buch "Wir Brüder und Schwestern" zu einem Unikat in der deutschen literarischen Landschaft macht.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Klaus Schlesingers im Jahr 2000 erschienen Roman "trug". Die kleine Erzählung, deren Wurzeln bis in die Siezigerjahre zurückreichen, gehorcht den surrealen Gesetzen der Phantastik - sie ist nur von innen heraus logisch und zwingend. Legt man äußere, realistische Maßstäbe an, wird sie unwahrscheinlich und lächerlich.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Reinhard Jirgls im Jahr 2000 erschienen Roman "Die atlantische Mauer". Reinhard Jirgl, aus der DDR kommend, ist möglicherweise das, was man einen literarischen Nihilisten nennen könnte. Die atemlosen Monologe seines Buches "Die atlantische Mauer" lassen kaum einen Ausweg, sie sind bis in die letzten Verästelungen konsequent. Ahnung von Besserem gibt es nicht. Das Denken und Fühlen der handelnden, ach was, vor sich hin redenden Personen ist - ohne, dass sie es merken - von tiefstem Schwarz. Vier Figuren monologisieren geschlossen und nacheinander: Formales Bindeglied ist die Sprache und deren Darstellung - sie orientiert sich an Arno Schmidt und arbeitet mit den Zeichen »=« oder »&« und schreibt »1malig«. Sonderbarerweise wirkt es dennoch kaum einmal prätentiös, sondern trägt zum Eindruck der Atemlosigkeit bei. Tatsächlich gelingt wohl nur so die adäquate Wiedergabe eines Bewussteinsstroms.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den im Jahr 2000 erschienen Erstlingsroman "Tintenpalast" des Leipziger Schriftstellers Olaf Müller. In langen Retrospektiven entrollt sich in der namibischen Wüste ein Bild der gewesenen DDR und der Verwüstung, die sie im Leben ihrer Bewohner angerichtet hat.
Modern Primitivism hat sich neben New Barbarians und Tribalism als Modewort etabliert. In allen drei Fällen spiegeln sich Facetten eines subkulturellen Phänomens, das zusehends in verschiedene Bereiche der populären Kultur eindringt: Mode, Film und Musik. Auf den folgenden Seiten möchte ich einen Versuch wagen, diese Phänomenologie zu definieren und ihre Popularisierung anhand filmischer Beispiele nachzuweisen. Die spezifische Verbindung von Sexualität, physischem Schmerz und Gewalt, in der der Modern Primitive eine neue, ungekannte Form der sinnlichen Reinheit sucht, ist schwer zu fassen und noch problematischer zu definieren.
Kulturwissenschaften. Ihre Forschungsperspektiven und methodischen Ansätze sind vielfältig: Ein Bereich widmet sich ästhetischen Fragestellungen nach den Verfahren der Realitätsdarstellung in den Medien. Hier wäre zum Beispiel die Dokumentarfilm- Theorie zu nennen. Sozial- und mentalitätsgeschichtlich werden auf einem anderen Gebiet die Widerspiegelung gesellschaftlicher Zustände in den Medien untersucht, das Medium und seine Botschaft mithin als historische Quelle gesehen. Diesen Ansatz verfolgt die soziologische Filmwissenschaft seit Siegfried Kracauer. Ein dritter Bereich untersucht die Einfluss-Mechanismen und Auswirkungen von Medieninhalten auf den Mediennutzer. Diese Forschungsfelder werden unter dem Sammelbegriff der Medienwirkungsforschung subsummiert und rekrutieren sich aus der Medien-Soziologie, -Psychologie und -Pädagogik. Und schließlich widmet sich eine Disziplin dem Einfluss der Medieninhalte auf unsere Realitätswahrnehmung. Hier setzt insbesondere die Medientheorie und -philosophie an.
Welche Beiträge schlussendlich als ”Sieger” aus dem 1. Jenaer Kurzfilmfestival hervorgehen sollten, entschied eine sechsköpfige Jury. Damit die Entscheidung transparenter wird, will ich im Folgenden die Jurymitglieder kurz vorstellen, dann die Kriterien der Bewertung erläutern und zum Schluss die Begründungen für die Gewinnbeiträge aufführen. Die Jury wurde vom Filmfest Jena e.V. zusammengestellt. Dabei wurde Wert darauf gelegt, dass der Jury Personen angehören, die am Kulturbetrieb in Jena maßgeblichen Anteil haben. Natürlich sind das eine Menge Menschen. Und so mussten wir uns notgedrungen entscheiden, wen wir berufen. Da sich nach Anfrage viele erst gar nicht bei uns zurückgemeldet haben, war es dann doch nicht mehr so schwer, die richtigen Leute zu finden.
"Die meiste Zeit ist Plainfield/Wisconsin eine ruhige Stadt, ein Einkaufszentrum für die umliegenden Farmgebiete. In der Jagdsaison kommen Jäger, um in den nahen Wäldern auf die Pirsch zu gehen. Im Frühjahr kommen Vogelliebhaber, um den Paarungstanz des Präriehuhns zu beobachten, einer aussterbenden Spezies, deren Brutplätze nicht weit entfernt sind. Bis vor kurzem galt die größte Aufregung dem Verschwinden von Mary Hogan, die am Ort eine Schenke betrieb. Das war 1954, und seither hatte die Aufregung längst wieder nachgelassen. Aber an einem lähmenden Tag der vergangenen Woche entdeckte das friedliche Plainfield, daß es einen abscheulichen Verbrecher beherbergt hatte und daß sein Haus der Schauplatz von Mord und Schrecken war. Ed Gein, ein 51 Jahre alter Junggeselle, war für die meisten immer nur ein x-beliebiger Bürger von Plainfield gewesen. Einige hielten ihn für faul, sogar für ein bißchen zurückgeblieben. Er schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, manchmal war er auch Babysitter. ..."
Der Hollywood-Kurzfilm, so könnte man vergleichen, ist für das Kino (das Fernsehen) das, was das Märchen für die Literatur ist. Stellt letztere (nach Wilpert) eine "kürzere, volksläufig-unterhaltende Prosaerzählung von phantastisch-wunderbaren Begebenheiten und Zuständen aus freier Erfindung" dar, so ergibt sich für den Kurzfilm oft ein eben solcher Charakter. Zur Darstellung der phantastisch-wunderbaren Begebenheit kann der Kurzfilm sowohl die Erzählung als auch seine technischen Möglichkeiten (vor allem Spezialeffekte usw.) nutzen. Wie die vieler Regisseure, begann auch Steven Spielbergs Karriere mit dem Herstellen von Kurzfilmen und Serienbeiträgen (letztere finden in dieser Betrachtung allerdings keinen Eingang). Bis zu seinem filmischen "Durchbruch" 1975 mit Jaws zählte seine Filmografie nicht weniger als zwölf Kurzfilme und Serienfolgen.
Müde und abgekämpft von den Strapazen der Ermittlung kehrt Special Agent Dale Cooper spät Nachts zurück in sein beschauliches Hotelzimmer. Er bereitet sich auf eine kurze Nacht vor, denn bereits um acht Uhr früh hat er wieder im Büro von Sheriff Harry S. Truman zu sein, um seine Untersuchungen im Mordfall Laura Palmer fortzusetzen. Das Telefon klingelt; als er abhebt, klopft es plötzlich an die Tür. Wer kann das sein? Es muss schon etwas Dringendes vorliegen, wenn man ihn so spät noch stört. Cooper geht zur Tür, öffnet und im selben Augenblick gibt die Kamera die Großaufnahme eines Revolvers frei. Drei Schüsse. Cooper strauchelt rückwärts, fällt zu Boden. Sofort sieht man die stark blutende Bauchwunde. Cooper versucht sich zu bewegen, vielleicht zu schreien, aber der Schmerz lähmt ihn. Der Täter ist längst unerkannt geflüchtet. Das einzige, was sich in der Nähe Coopers befindet, ist sein Diktiergerät, das er so eingestellt hat, dass die Aufnahme beginnt, wenn er spricht. Die Kamera fährt auf seinen Körper zu und zeigt abermals die schwere Verwundung. Die bedrohliche Musik schwillt in dunklen Akkorden an … "Executive Producers David Lynch, Mark Frost" ist das nächste und gleichzeitig letzte, was wir zu sehen bekommen. Diese Folge von Twin Peaks und damit die erste Staffel, ist zu Ende.
Der Untergang der Kinokultur
(2000)
Das Kino Schon In der Frühzeit des Kinos gab es die Debatte, ob Kino als Kunst oder Jahrmarktsattraktion gelten soll. Dass die Frage damals nicht eindeutig beantwortet wurde, zeigt sich an der heutigen Kinosituation. Entsprang das Kino damals aus der Theaterkultur, so lässt sich heute eher in der Diskokultur ansiedeln: Wo damals Vorhänge die Leinwand verbargen, Orgelspieler und Orchester die Zuschauer einstimmten und nicht selten der Film persönlich angekündigt wurde, steht heute ein Laserstrahlenteppich im Raum, begleitet von harten Technobeats und eingeführt durch 45 Minuten lange Werbeclips und Trailer. Traurig ist auch die Tatsache, dass die Kinobetreiber meist der Wirtschaftsbranche entstammen und kein cineastisches Feingefühl besitzen.
Um David Lynchs rätselhafte Filme verstehen, einem Werksbegriff subsummieren, ja gar einem "Genre" zurechnen zu können, kam schnell der Begriff "postmodern" ins Gespräch. Gerade der in den 80er Jahren für Furore sorgende Blue Velvet (USA 1984) schien dieser Kategorisierung bestens zu Gesicht zu stehen. Hatte Lynch nun doch nicht mehr "modern" versucht, einen ganz "neuen" Film zu machen, sondern sich intertextueller Werkzeuge bedient, ein Patchwork filmischer Geschichte(n) zu erstellen. Jener progressive Akt, so scheint es, ist bei seinem jüngsten Film, The Straight Story (USA 1999) abhanden gekommen, ist er doch ganz und gar nicht mehr postmodern, oder?
Die Geschichte des Films wird - wie jede Kunstgeschichte - seit ihren Anfängen begleitet von der Repression. Filmzensur ist schon immer ärgerlicher Kommentar filmästhetischen Ausdrucks. Im Namen des Gesundheitsschutzes, des Jugendschutzes und der öffentlichen Sicherheit werden in Deutschland von jeher Filme verboten, indiziert und geschnitten. Jenseits jeder "Freiheit der Kunst" maßt sich die deutsche Filmzensur kontinuiertlich seit einhundert Jahren an, zu bestimmen, was gesehen werden darf und was nicht. Betroffen von ihren Maßnahmen sind alle Genres - vor allem abgesehen haben es die Zensoren jedoch auf Pornografie, Horror- und Actionfilme. Diese stellten von der Weimarer Republik über die Hitlerdiktatur, dem Realsozialismus bis hin zur Demokratie bundesdeutscher Prägung nachgerade subversive Taten dar, vor denen der mehr oder weniger mündige Bürger geschützt werden müsse. Dabei ging und geht die Zensur immer politisch vor.
Pornografische Filme haben in den 90er Jahre ihr Gesicht gewandelt, wie kaum zuvor, seit es das Genre gibt. So sind mittlerweile die allermeisten Pornokinos geschlossen, weil der Boom der "Kunstpornografie", der in den 70er (etwa Damianos Deep Throat von 1976) und 80er Jahren (Sarah Young) nun vollständig abebbte. Pornografie eroberte die Videotheken: Mit nahezu 5000 Produktionen pro Monat lässt sich von diesem Genre wie von keinem anderen behaupten, dass es blüht! Unter einem solch pornografischen Bildersturm litt und leidet natürlich die Qualität der Filme: Weg von aufwendigen Produktionen auf 35 mm hin zu "Amateurvideos". Die Authentizität der neuen Wohnzimmerpornografie wurde um den Preis der zumindest manchmal existierenden Aufwendigkeit des Plots und der Settings erkauft. Das Ergebnis lässt wundern: Nie verliehen sich Pornos so gut wie heutzutage - wohl weil sie so "echt" wirken.
Abschied von Gestern : über den Jungen und den Neuen Deutschen Film von 1962 bis in die Gegenwart?
(2000)
Verdächtig war schon immer der Künstler, der etwas mitzuteilen hatte, das sich im Jenseitigen der ökonomischen Einheitsaussagen ansiedelte. Parteigängertum warf man ihm schlimmstenfalls vor; und wenn diese Aussage dann auch noch ganz unverhohlen soziale oder politische Implikationen trug, so konnte sich der Künstler einer regen und zum Ärger erregten Öffentlichkeit bereits sicher sein. Dies gilt heute genauso wie 1945 in der Bundesrepublik. Sicherlich: Damals kam die Kritik an den Umständen und das beständige Herbeizitieren der jüngsten Vergangenheit nicht gut an, weil man doch "neu anfangen" wollte, das Schlimme hinter sich und das Gute vor sich sehen wollte. Heutzutage nerven soziale oder politische Aussagen der Kunst nur noch, weil sie uns dazu bewegen wollen, doch endlich etwas zu unternehmen gegen die angeprangerten Missstände. Aus dieser Sicht muss der damals Junge bzw. Neue Deutsche Film heute antiquierter wirken, als die Filmbeiträge, die dieses Projekt damals hinter sich lassen wollte.
Lara Crofts Heilversprechen
(2000)
Lara Croft, die Heldin des weltweit meistverkauften Computerspiels Tomb Raider, bietet eine positive weibliche Identifikationsfigur. Mädchen und Frauen können gar, so Randi Gunzenhäuser im Magazin LaraCroftism, "Lara als Ermächtigungsfantasie persönlicher nehmen als Männer". Eine Redakteurin von Emma behauptet, dass das Geschenk einer weiblichen Heldin in unserer visuellen Wachstumswelt so groß sei, dass man Laras überdimensionierte weibliche Attribute "als Tribut an die Männerwelt eben in Kauf nehmen" müsse. Nur: Der Tribut ist sehr viel größer als beispielsweise der überdimensionierte Busen der Spielfigur. Denn mit dem Geschenk einer weiblichen Heldin a la Lara Croft geht der Rückgriff auf die alte heterosexuelle Geschlechtermetaphysik einher. Diese etabliert sich auf einer höheren Ebene und sekundiert als stützender Gegenpart einen fortlaufenden Prozess, der als "Entgeschlechtlichung" beziehungsweise "Medialisierung" der Körper beschrieben werden kann. Hier stellt sich die Frage nach der Bedeutungsverschiebung des Begriffs des Geschlechtlichen selbst.
Kann gutes Latein in einem Bewerbungsgespräch von Vorteil sein? Folgt man der Argumentation eines im Herbst 1501 vor der Tübinger Universitätsöffentlichkeit aufgeführten Dialogs, so wird man diese Frage ohne weiteres bejahen müssen. Im vierten Akt tritt ein Hofbeamter des Königs - gemeint ist Maximilian I. - auf, der als Antwort eine kleine Geschichte erzählt. In Innsbruck wandte sich ein ansonsten durchaus gebildeter Mann an Kardinal Peraudi, Botschafter des Papstes im Reich, um sich um eine geistliche Stelle, eine Pfründe, zu bewerben. Er hatte kaum die Anrede in holprigem Latein gestottert, als ihm der Angesprochene auch schon bedeutete, er solle wegtreten. Der Bittsteller lief rot an und wurde fortan am Hof nicht mehr gesehen.
Wie, so frage ich, soll man als Literaturhistoriker noch über Martin Walser schreiben, ohne unter Verdacht zu geraten, ihn für seine Friedenspreis-Rede mit einem Angriff auf sein literarisches Werk abzustrafen? Auf den Knien, wie Frank Schirrmacher oder auf dem Bauch, wie Franziska Augstein ? Muß man "zittern" wie der Geehrte, wenn nüchterne Analyse und nicht Huldigung das Ziel ist? Wird man zu den "Überführungsexperten (...) auf der Suche nach jenem letzten, allen Verdacht bestätigenden Beweis" gezählt, wenn man sich auf die philologische Suche nach den Quellen der Frankfurter Rede begibt?
Im elften Buch seines Adelsspiegels (1591) kommt Cyriacus Spangenberg der Wigalois des Wirnt von Grafenberg in den Sinn, weil darin etlicher Ritter von der Tafelrunde gedacht werde, insbesondere des Herren Gwy von Galois, "sonst Ritter Wiglois vom Rade genandt", und eines "Grauen Hoiers von Manßfeldt des roten". Das alte Buch, das einst Herzog Albrecht von Braunschweig in Auftrag gegeben hatte, habe er von einer adeligen Witwe erhalten, später aber an die Grafen von Mansfeld weitergegeben, die sich sehr für die Rolle ihres Vorfahren in diesem Roman interessiert gezeigt hätten.
Intimität und Geschlecht : zur Syntax und Pragmatik der Anrede im Liebesbrief des 20. Jahrhunderts
(2000)
Die Trennung der Lebenswelt in Privatsphäre und Öffentlichkeit käme der Verortung von Intimität entgegen. Es scheint aber, als ob Intimität nicht einem klar abgegrenzten Bereich zugeordnet werden kann, sondern nunmehr als relationale Kategorie zu fassen ist. Gerade der historische Vergleich (Vgl. CORBIN 1992) erlaubt weder einheitlich räumliche oder körperliche noch ästhetische Kriterien zur Abgrenzung von Intimität. ...
Mediale Praktiken
(2000)
Der Begriff "Medium" wird heute meist nachrichtentechnisch aufgefaßt. Eine typische Definition im Konversationslexikon etwa lautet: "Mittel und Verfahren zur Verbreitung von Informationen" (Meyer 1987). Historisch gesehen ist dies ein reduzierter Sprachgebrauch, der ein urspünglich magisches und kultisches Erbe verdrängt hat: "Medien" sind im herkömmlichen Sinn nicht einfach Übermittler von Botschaften, sondern Vermittler von spirituellen Kräften. Sie dienten nicht nur der Distribution von kulturellem Wissen zwischen Sendern und Empfängern, sondern führten zum Erlebnis einer Transformation der Beteiligten im Vollzug kultureller Praktiken – mit allen Vorzügen und Risiken der Selbstpreisgabe.
Paradoxes Gedächtnistheater: Dreitausend Jahre Kulturgeschichte – vom trojanischen Krieg bis zur industriellen Revolution – läßt Goethe in seinem Faust II Revue passieren, doch der Protagonist durchläuft dieses Panorama der Denkwürdigkeiten nicht als Erinnernder, sondern als Vergessender. Fausts "Cursum" durch die "große Welt" (V. 2052ff), der ihn aus der kleinen Welt des ersten Teils herausführt, beginnt mit einem Lethebad, und endet in einem Läuterungsprozeß, der "Alles Vergängliche", mithin die gesamte Memorialkultur des Abendlands, zum bloßen "Gleichnis" (V. 12104f) verflüchtigt. Auch, ja gerade dort, wo Faust sich im kulturellen Gedächtnis zu verewigen sucht – etwa in einer theatralischen Reanimation des antiken Schönheitsideals oder einem grandiosen Landgewinnungsprojekt – erweist er sich um so mehr als selbstvergessen: Kaum hat er die Bühnenexistenz Helenas herbeigezaubert, verpufft sie ihm in einer Explosion, die ihn bewußtlos zurückläßt; und der vermeintliche Entwässerungsgraben, an dem der blinde Kolonisator seine Arbeiter zu schaufeln wähnt, ist in Wirklichkeit nur sein eigenes Grab. Alles Bemühen um Fixierung des eigenen Tuns im Monument befördert es nur um so gründlicher in den Abgrund der Vergessenheit. ...
"Die Kritik der Politik", schreibt Johannes Agnoli, "stellt [...] die Frage nach dem herrschaftssichernden Charakter aller Reformen und vergißt also die Frage nach dem cui bono nicht und nach der Zweckrationalität irrationalen Verhaltens der politischen Macht. Im Mittelpunkt steht nicht die Klage und das Klagen über die Unrichtigkeit der Protagonisten und die Lügenhaftigkeit des legitimatorischen Verfahrens [...]; sondern die Anklage gegen das Prinzip, daß Herrschaft naturnotwendig und höchstens zu bändigen sei; und als Schlußerkenntnis [...], daß Herrschen, daß das autokratische oder oligarchische oder parlamentarische Bestimmen über Gesellschaft allemal zu negieren sei - möge "die Form des Staates sein wie sie wolle" (Hölderlin)." Doch dies, so fügt Agnoli hinzu, "wäre immer noch Gesinnung, kein Bewußtsein." Es genüge nicht festzustellen, "daß sich die Form Staat inzwischen als falsches Projekt erwiesen, als gescheiterter Versuch in die Geschichte eingegangen ist [...] Alle Kritik - will sie mehr sein als Gesinnung - hat ein Kriterium auszuweisen, an dessen Kategorie die Übersetzung des richtigen Denkens in die Anleitung zum Handeln möglich wird." Es gehe "weder um die Wiederherstellung der Identität von Norm und Wirklichkeit noch um die Lobpreisung des Gemeinwohls als Ziels allen politischen Handelns. Will man [...] andere Verhältnisse schaffen und nicht bloß verbesserte Herrschaft, so wird die Kategorie von vornherein selbst keine formale (bonum commune) noch eine normativ-moralische (gute Verfassung gegen schlechte Politik) sein können, sondern eine materielle." Aus der Frühzeit der Form Staat stammen die ersten großen Klagen über die Unrichtigkeit der Protagonisten der Politik und die Lügenhaftigkeit des legitimatorischen Verfahrens der Demokratie. Im Unterschied jedoch zum späteren demokratischen Gejammer verschleiern sie die Frage nach dem cui bono und nach der Zweckrationalität des Verhaltens der politischen Macht noch kaum. So wenig sie auch das Prinzip, daß Herrschaft naturnotwendig und höchstens zu bändigen sei, in Frage stellen und sosehr sie im Grunde nur die Wiederherstellung der Identität von Norm und Wirklichkeit einklagen, sie beschränken sich keineswegs auf formale oder normativ-moralische Kategorien - und was damit unmittelbar zusammenhängt: sie gewähren ästhetischen Genuß. In der Frühzeit des Staats konnte dessen Kritik eben noch tragische oder komische Form annehmen.
Das Chunkparsing bietet einen besonders vielversprechenden Ansatz zum robusten, partiellen Parsing mit dem Ziel einer breiten Datenabdeckung. Ziel beim Chunkparsing ist eine partielle, nicht-rekursive syntaktische Struktur. Dieser extrem effiziente Parsing-Ansatz läßt sich als Kaskade endlicher Transducer realisieren. In diesem Beitrag wird TüSBL vorgestellt, ein System, bei dem die Eingabe aus spontaner, gesprochener Spache besteht, die dem Parser in Form eines Worthypothesengraphen aus einem Spracherkenner zur Verfügung gestellt wird. Chunkparsing ist für eine solche Anwendung besonders geeignet, da es fragmentarische oder nicht wohlgeformte Äußerungen robust behandeln kann. Des weiteren wird eine Baumkonstruktionskomponente vorgestellt, die die partiellen Chunkstrukturen zu vollständigen Bäumen mit grammatischen Funktionen erweitert. Das System wird anhand manuell überprüfter Systemeingaben evaluiert, da sich die üblichen Evaluationsparameter hierfür nicht eignen.