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In diesem Beitrag geht es darum, Flexion primär über die Abgrenzung zu ihren beiden morphologischen Nachbardomänen, die Derivation und die Klise, zu bestimmen. Aus diesen beiden morphologischen Typen entwickelt sich auch neue Flexion. Mit dem Vergleich von Flexion, Derivation und Klise und mit der Frage nach der Entstehung von Flexion sollen die Ziele und Prinzipien von Flexion sichtbar gemacht werden. Der zweite Schwerpunkt dieses Artikels besteht in einer detaillierten Analyse einer sich anbahnenden Flexivierung via Klitisierung im Deutschen: Mit den Präposition-Artikel-Verschmelzungen (im, ins, zur, au/m, in'n) liegt ein Paradebeispiel derzeit beobachtbarer und sukzessive sich herausbildender Flexion vor. Diese Verbindungen sind zwar noch als Vorstufen der Flexion zu bewerten, doch läßt sich über die Untersuchung dieses komplexen Grammatisierungsprozesses diskutieren, was noch geschehen muß, damit im Deutschen Präpositionalflexion entsteht. Kapitel 1 befaßt sich kurz mit dem Begriff der Flexion, Kapitel 2 mit der Entstehung von Flexion aus Derivation und Klise. Kapitel 3 widmet sich dem Beispiel der deutschen Präposition-Artikel-Verschmelzungen.
Wenn ich über Franz Liszt spreche, dann über jemanden, der einen zweischneidigen Ruf genießt: Einerseits ist Liszt der berühmteste Klaviervirtuose seiner Zeit (und vielleicht aller Zeiten), als Komponist jedoch rangiert Liszt für viele, als Verfasser von Ungarischen Rhapsodien und Liebesträumen, in einem Register, das man Gehobene Unterhaltungsmusik nennen könnte. Ich möchte Ihnen hier eine andere Komposition von Liszt vorstellen, keine Rhapsodie, keinen Liebestraum - oder vielleicht doch? -, ein Stück jedenfalls, zu dem sich viele Geschichten erzählen lassen. Eine davon ist tatsächlich eine Liebesgeschichte und zugleich die Geschichte eines Skandals.
Die Frage, ob sich ästhetische Postulate ins Konzept des „ganzen Menschen“ integrieren lassen, rückt in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts immer mehr ins Zentrum des anthropologischen Diskurses. An ihr verlaufen Fronten, die den Anspruch auf Ganzheitlichkeit selbst zu fragmentarisieren scheinen. Zum Problem wird nämlich, ob das, was ein Ganzes ist - der Mensch in seinem unverschönerten physischen und psychischen Funktionszusammenhang -, überhaupt noch als ein Gegenstand betrachtet werden kann, der dem emphatischen Menschenbild des Jahrhunderts entspricht. [...] Während die Wissenschaften vom Menschen den Weg zu ihrer bevorstehenden Ausdifferenzierung im 19. Jahrhundert einschlagen und beginnen, die Idee der Ganzheit aufzugeben, rettet sich der Mensch vor den Folgen des ihm im 18. Jahrhundert gewidmeten Interesses erst einmal in die Ästhetisierung seiner Wertungssysteme. [...] Trotzdem ist nicht alles ein Ganzes, was schön ist, und schön, was ein Ganzes ist. Im anthropologischen Stimmengewirr sind auch Programme vernehmbar, die der anthropologischen Gefahr gegenüber unbekümmert den Anspruch auf eine philosophische Begründung des Menschen aufrechterhalten, ohne dessen Aisthetisierung in Ästhetisierung aufgehen zu lassen. Besonders interessant gestaltet sich dies im Fall Johann Karl Wezels, dessen Werk - neben zahlreichen anderen philosophischen und historischen Aktualitäten - auch mit dem zeitgleich entstehenden ästhetisch-anthropologischen Diskurs in unterschwelliger Diskussion steht.
Walthers Strophen im sog. „Leopoldston“ (‚Erster Thüringerton’, ‚Zweiter Atzeton’), die sich auf den Minnesänger Reinmar namentlich beziehen (L, 82,24 und 83,1, Ausgabe Cormeau Nr. 55, II, III), bereiten der Forschung nicht geringe Verlegenheit. Entweder man charakterisiert sie (...) als perfide, gehässig, scheinheilig, spricht von Rache und Haß, oder man entschuldigt den vermeintlich aggressiven Ton mit dem Temperament Walthers, hält das Ganze auch für einen Nachruf zu Lebzeiten, der allein den Untergang von Reinmars Kunst beklage. (...) [Volker Mertens] Beitrag unternimmt eine umfassende Kontextualisierung der Strophen in der handschriftlichen Überlieferung, im Zusammenhang des Tons und im Oeuvre beider Sänger als Vorbereitung einer detaillierten Textanalyse. Abschließend wird die Rezeption betrachtet um die zeitgenössischen Verständnismöglichkeiten abzusichern. Dabei (...) [kommt] eine relativ genaue Datierung der Strophen gewissermaßen als Nebenprodukt heraus (...).
Die Überlieferung mittelhochdeutscher Lyrik hält für unterschiedliche Fragen unterschiedliche Antworten parat. (...) Ganz konkret gesprochen: Uns fehlt ein Kommentar der Walther-Überlieferung, in dem die Walther-Corpora der Handschriften analysiert, der Bau der Töne kommentiert, die Lieder in ihrer unterschiedlichen Strophenfolge interpretiert und der Wortbestand sowie die Syntax in ihren Differenzen und Wandlungen dargestellt sind. Wenn die Frage nach dem autornahen Text die divergente Überlieferung gewissermaßen auf einen Text fokussiert, dann hält die Frage nach der Überlieferung den Blick auf die Differenzen als historisch belegte Möglichkeiten der Entfaltung eines Textes offen. Beide Fragen müssen im Blick des Faches bleiben, auch wenn sich die Paradigmen verschieben, denn beide Fragen sind, wie gesagt, nicht miteinander zu verrechnen. Das schließt freilich nicht aus, daß in einer zukünftigen Walther-Ausgabe Antworten auf beide Fragen gegeben werden.
Der Literatur- und Kulturwissenschaftler Kyung-Ho Cha widmet sich in seinem Beitrag Benjamins Reaktion auf die Entdeckung der Kernspaltung im Jahre 1938. Den Ausgangspunkt des Aufsatzes bildet der Vergleich zwischen der Methode, die seiner Arbeit am Passagen-Werk zugrunde liegt, und der "Methode der Atomzertrümmerung", womit er sich auf die Kernspaltung bezieht. Im Aufsatz wird gezeigt, wie Benjamin mit dem Begriff aus der Kernphysik die in der Geschichte verborgenen und unsichtbaren Energien zu erfassen versucht.
Benjamins Theorie ist als Bilddenken bekannt; vermutlich ist das der Grund, warum seine musiktheoretischen Ausführungen bislang wenig Beachtung gefunden haben: die Überlegungen des jungen Benjamin zur Musik, die ein Seitenstück zur sprachtheoretischen Grundlegung seines Denkens überhaupt darstellen, ebenso wenig wie die Auseinandersetzung mit der Oper. Das Thema der Oper klingt bei ihm an verschiedenen Stellen an, so etwa in "Goethes Wahlverwandtschaften", am explizitesten aber im Trauerspielbuch, in jenem Abschnitt des zweiten Teils des Kapitels "Allegorie und Trauerspiel", der der vielzitierten Diskussion zum Zusammenhang von Klangfigur und Schrift anhand von Johann Wilhelm Ritters Buch Fragmente aus dem Nachlass eines jungen Physikers (1810) vorausgeht. Da es sich hierbei um Überlegungen zum Thema der Musik handelt, insbesondere über die Oper, sollen diese am Anfang stehen.
Waldweib, Wirnt und Wigalois : Die Inklusion von Didaxe und Fiktion im parataktischen Erzählen
(2009)
Die ‘Tugend’ des Erzählers besteht in seiner spezifischen Kunst des Erzählens. Was jedoch die Kunst des Erzählens als ‘Kunst’ ausmacht, ist in mittelalterlicher volkssprachiger Literatur schwer zu fassen. So könnte bereits der Begriff der ‘Kunst’ in die Irre führen, insofern er die pragmatischen Interessen der Unterhaltung oder der Belehrung von anachronistischen Literarizitätskriterien her zurückdrängt. Im Spannungsfeld dieser Überlegungen gehört es zur lange bekannten Crux mittelalterlicher volkssprachiger Literatur, dass eine Dichtungslehre, eine Poetik nicht existiert. Versuche, diese implizit zu erstellen, gibt es gleichwohl. […] Wie schwierig es jedoch nach wie vor ist, poetologische Richtlinien verbindlich vorzustellen, die nicht mit der argumentativen ‘Schwundstufe’ Didaxe o d e r Fiktion – Fiktion verstanden als Sinnvermittlung über ein frei durchkomponiertes Material – argumentieren, zeigt sich letztlich auch daran, dass im Bereich der Lyrik erst jetzt dezidierte Versuche auf breiterer Basis unternommen werden, über die Frage nach Gattungsinterferenzen die Möglichkeit einer impliziten Poetik abzutasten, die Sangspruch und Minnelyrik erfasst, dass die Versuche im Bereich der narrativen Kleinformen zu einer in hohem Maß disparaten Diskussion geführt haben und dass auch im Geltungsbereich des volkssprachigen Romans nicht nur das Ausmaß der Anleihen bei der antiken und mittellateinischen Poetiktradition nach wie vor umstritten ist, sondern auch die implizit entwickelten Ansätze, wie sie Haug vorgestellt hat, historisch stärker zu differenzieren wären. Unter dem Stichwort der ‘Historischen Narratologie’ sind hier weiterführende Arbeiten zu erwarten. Die folgenden Ausführungen verstehen sich als Beitrag in dieser Richtung.
Wahrscheinlichkeit
(2003)
Wahrscheinlichkeit: Anschein der Übereinstimmung eines dargestellten Geschehens mit der gewöhnlichen Erfahrung. Expl: Der Begriff läßt sich auf Geschehensdarstellungen aller Art beziehen, also auf literarische (aller Gattungen) ebenso wie auf solche in Bild und Film. Hauptsächlich gebraucht wird er aber für ->Fiktion und hier für die erzählende Literatur und steht dabei zwischen dem ->Phantastischen oder ->Absurden einerseits und dem Verbürgten oder Tatsächlichen andererseits (->Dokumentarliteratur). Eindeutig und ein für alle Mal abgrenzbar ist er jedoch nicht; was für wahrscheinlich gehalten wird, kann je nach historisch-kulturell bedingten Kenntnissen und Ansichten schwanken. Unterscheidbar sind aber zwei Ausrichtungen des Begriffes: Textintern meint er die Widerspruchsfreiheit der Darstellung, textextern ihre Verträglichkeit mit dem verfügbaren Wissen.
Wahrnehmen wahrnehmen, das Sehen sehen - solche Wendungen gehören mittlerweile zum Jargon des (radikalen) Konstruktivismus und der Systemtheorie ebenso wie zum universitätsgeschulten Kunstjournalismus und klingen so vertraut, als ob sie immer schon dagewesen wären. Dabei haben diese Konzepte ihre Geschichte, die um 1900 beginnt. Mit dem Dreieck, das der Biologe Jakob von Uexküll, der Mathematiker und Phänomenologe Edmund Husserl und Rainer Maria Rilke bilden, ist zu zeigen, daß es mehrere Disziplinen waren, die sich um das Problem der Wahrnehmung gekümmert haben - alle drei sind noch obendrein geschult am erkenntniskritischen Werk Kants, das sie mehr oder weniger gründlich kennen und das immer wieder anklingt. Im Zentrum steht dabei die Frage der Wahrnehmung von Welt und der Ausbildung eines symbolischen Zwischenraums, der Kunst sein kann - und den man im Projekt des "neuen Sehens" von unterschiedlicher Seite aus konstituieren möchte. Die 'Neuen Gedichte' erscheinen dann in einem Commercium vielfältiger Wissensgebiete, die Rilke auch sucht, um der Skepsis gegenüber dem eigenen Ausdruckmedium zu begegnen. Aus diesen Kontexten heraus sollen nicht nur Begriffe des "sachlichen Sagens" und "neuen Sehens", sondern einige Charakteristika dieser selbstbezüglichen, antimimetischen Wortgebilde kommentiert werden, die trotz aller Selbstreferenz der Eigenwelt durchaus auf eine Umwelt gerichtet sind und an einer Zwischenwelt zur Wirklichkeit arbeiten.
In ihrer einführenden Studie versucht Ingrid Kasten (durch die Vorstellung neuerer methodologischer und literaturtheoretischer Konzepte), den Begriff der Wahrnehmung als epistemische Kategorie der Literaturwissenschaft weiter zu fundieren indem sie Anknüpfungsmöglichkeiten in anderen, benachbarten Forschungsgebieten sucht (u.a. in der Sprechakttheorie, in der philosophischen Phänomenologie und im Forschungs-paradigma ‚Theatralität’ / ‚Szenographie’); Kasten betrachtet die Kategorie der Wahrnehmung als eine „kulturtheoretisch argumentierende Literaturwissenschaft“.
In den ersten Tagen des Krieges 1992 pflegte man in Sarajevo in besorgten Gesprächen über die Situation der belagerten Stadt zu sagen: "Samo da ne bude Beirut" (Dass hier nur kein Beirut kommt). Wenn man jedoch, als jemand, der sich mit den Nachkriegskulturen der Balkanregion, speziell Bosnien-Herzegowina, beschäftigt, den Libanon besucht, dann scheint einem mitten in Beirut Sarajevo zu begegnen. Die Parallele zwischen Beirut und Sarajevo mochten die Sarajevoer 1992 aus naheliegenden Gründen nicht sonderlich - schließlich dauerte der libanesische Bürgerkrieg von 1975 bis 1990. Aufgrund der (oft anti-arabisch gefärbten) Präsenz des Libanons in europäischen und westlichen Massenmedien hält sich auch im heutigen Bosnien-Herzegowina beharrlich ein weitgehend negatives Bild des Landes. Dennoch werden immer wieder Vergleiche über die Kulturen beider Länder gezogen, meist von Personen, die Bosnien-Herzegowina und den Libanon nur mittelbar kennen, d. h. deren Kenntnisse allein auf Repräsentationen beruhen. Aus diesem Grund findet sich ihr und so auch mein Vergleich in der gleich en Falle wieder, wie die Repräsentationen selbst.
In der Schachthöhle mit dem Namen Mušja jama/Fliegenhöhle bei Škocjan im Hinterland der Triester Bucht an der nordöstlichen Adria sind mehrere Hunderte von Metallfunden zu Tage gekommen, überwiegend aus Bronze, einige wenige auch aus Eisen. Ihr Erhaltungsstand ist sehr unterschiedlich. Überwiegend handelt es sich um Reste von prachtvollen Waffen und Bronzegefäßen, während Elemente des Trachtzubehörs und andere Geräte unterrepräsentiert sind. Unter den Funden finden sich nur wenige Objekte lokaler Provenienz, es überwiegen erstaunlicherweise solche, deren Verbreitungsradius weit über die Region um das Caput Adriae hinausgeht, manche kommen sogar von sehr fern. Anhand der Verbreitungskarten von einigen kennzeichnenden Waffentypen erweist sich Škocjan als ein bemerkenswerter Schnittpunkt im „globalen“ Sinne der europäischen Urnenfelderkultur, aber auch noch in der frühen Eisenzeit. Vergleicht man z. B. insgesamt die Verbreitung von Glocken- und Kegelhelmen gegenüber der von Kammhelmen, zeigt sich eine Zweiteilung zwischen der östlichen und westlichen Ausrüstung der Elitekrieger in Europa, wobei die Trennlinie vom Caput Adriae, d. h. von Škocjan, entlang der Ostalpen und Elbe bis zur Ostsee verläuft. Man kann annehmen, dass es sich in der Mušja jama/Fliegenhöhle um die Weihungen mehrer Kriegsbeuten an Gottheiten martialischen Charakters handelte, wobei sich offenbar im Laufe der Zeit das Glücksrad zwischen den östlichen und westlichen Akteuren – Feldherren – gedreht hat.
Völker-Gastfreundschaft
(2011)
Ich werde von zwei Sprichworten ausgehen: Ein georgisches Sprichwort sagt: "Stumari vtisaa" - "Der Gast ist von Gott". Ein russisches Sprichwort sagt dagegen: "Nezvannyj gost’ chuže tatarina" - "Ein ungeladener Gast ist schlimmer als ein Tatare". Ich will damit nicht sagen, dass Georgier bessere Gastgeber sind als Russen. Hinter der scheinbaren Differenz zwischen den beiden Konzepten von Gastfreundschaft steht eine Gemeinsamkeit - in beiden Fällen wird die Souveränität aufgegeben. Ein Georgier aber betont das Freiwillige der Übergabe dieser Souveränität: Er tritt das Hausrecht dem Gast ab, so wie er es dem Gott überlassen würde und lässt ihn für eine bestimmte Zeit über die Hausordnung walten. Das russische Sprichwort betont dagegen die feindliche Übernahme: Der ungeladene Gast stört die Ordnung des Hauses, so wie der Erzfeind, der Mongole.
Anna Chiarloni analysiert und interpretiert exemplarisch und vergleichend einzelne Gedichte bzw. Gedichtausschnitte aus Günter Herburgers 1991 erschienen Lyrikband "Das brennende Haus": "Späte Schicht", "Die Mole", "Anglunipe", "Heimkehr", "Mein Newton", "Die Zigeunerin", "Die Kopenhagener Deutung", "Rückkehr", "Das Versteck", "Grönland", "Die imaginäre Haltestelle", "Heimweh", "Tee", "Lied" und "Einstand".
Der vorliegende Band versammelt eine Anzahl grundlegender Texte der Kulturwissenschaft, die Antwort auf zwei Fragen geben sollen, nämlich erstens: Was ist Kultur? und zweitens: Was ist Kulturwissenschaft? Dabei ist davon auszugehen, daß sich beide Fragen wechselseitig bedingen, mehr noch: daß es Interferenzen zwischen Kulturbegriff und Kulturwissenschaft gibt: […]. Möglicherweise muß man bereits an dieser Stelle Zweifel anmelden, ob die beiden […] Was-ist-Fragen überhaupt sinnvoll sind – implizieren sie doch einen essentialistischen Kulmrbegriff. Sollte man sie nicht ersetzen durch die Fragen: Was macht Kultur? Und: Was macht Kulturwissenschaft? Im folgenden können vermutlich weder die Was-ist-Fragen noch die Was-macht-Fragen befriedigend beantwortet werden; vielmehr möchte ich versuchen, den Raum zwischen diesen beiden Fragestellungen zu erkunden, um zu klären, um welche Art von Raum es sich dabei handelt. Aber auch, um zu klären, was Kulturwissenschaft in diesem, aus diesem »in between space« macht. Wie transformiert sie diesen »Zwischenraum« in einen »Denkraum«?
Transkulturalität, Transnationalität, Transgender, Transspecies – Innerhalb des letzten Jahrzehnts erleben die politischen und wissenschaftlichen Debatten um Theorien, die sich dem Präfix 'trans-' (lat. 'jenseits, über, über – hin') verpflichtet sehen, eine bemerkenswerte Konjunktur. Grundlegend verbindet sich mit diesen Konzepten die Vorstellung eines übergreifenden und umfassenden Diskurses, der für durchlässige Konturen plädiert. Analytisch ermöglichen die Theorien des 'trans' die konzeptuelle Erfassung von Phänomenen, die sich in einem Prozess des Werdens befinden und aus entgegengesetzten Strukturen, Logiken, Dynamiken und Funktionsweisen bestehen. 'Trans' verweist folglich nicht auf geschlossene Identitätsvorstellungen, sondern enthält fluide Grenzverläufe. Die damit verbundenen subversiven Vorstellungen finden sowohl verstärkt Gehör in gesamtgesellschaftlichen Kontexten als auch innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen, die sich abseits einer Fortschreibung kanonischer Inhalte neu konzipieren.
Vorwort: Dialogorientierte Wissenschaftskommunikation als Gewinn für Universitäten und Praxis
(2019)
Forschung und Lehre gelten als die Kernaufgaben deutscher Universitäten. In der öffentlichen Wahrnehmung von Universitäten spielt der ebenfalls in den Hochschulgesetzen der Länder festgeschriebene Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen in Wirtschaft und Gesellschaft häufig eine untergeordnete Rolle, auch wenn Universitäten schon immer, beispielsweise durch Technologietransfer und Ausgründungen, wichtige Beiträge zur Wirtschaftsentwicklung leisten. ...
Sprache ist ein Medium, mit dem auf vielfältige Weise experimentiert werden kann. In diesem Band werden unterschiedliche Fragestellungen aufgeworfen, die sowohl konkrete mediale und gesellschaftliche Veränderungen als auch deren Folgen im Bereich des Experimentierens mit der Sprache betreffen. Darüber beschäftigen sie sich mit dem Einfluss der neuen digitalen Welt des 21. Jahrhunderts auf die deutsche Sprache. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Grenze zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und dem sprachlichen Experimentieren in der Presse gewidmet. Eine ganz spezifische Perspektive stellen die letzten zwei Abschnitte des Buches dar, die Experimente aus diachroner Perspektive und im Sprachkontakt betrachten.
Vorwort
(2019)
Vorwort
(2018)
Vorwort
(2016)
Archive verändern sich heute. Überall entstehen neue Archive und die bestehenden wandeln vor allem durch die Möglichkeiten der Digitalisierung rasch ihre Form. Zugleich sehen sich die offiziellen Archive zunehmend einer Vielzahl von Sammlungen von Daten und Bildern gegenüber, von denen keineswegs ausgemacht ist, ob man sie noch als 'Archiv' bezeichnen kann. Durch die Virtualisierung scheinen die Dinge zu verschwinden oder an Kompaktheit zu verlieren; gleichzeitig entsteht immer mehr 'Archivgut' – alles wird archivierbar und unser Leben unterliegt zunehmend der Selbstarchivierung, die alle unsere Äußerungen und Erlebnisse in einem 'Profil' sammelt, das wir vielleicht niemals mehr löschen werden können. Insgesamt ist die fortschreitende Archivierung von allem und jedem vielleicht eines der auffälligsten Komplemente zur wachsenden Beschleunigung spätmoderner Gesellschaften – und es ist alles andere als klar, ob man sie als Zeichen einer Erosion 'des' Archivs oder eher als dessen Universalisierung verstehen kann.
Spannung wird in dem Beitrag konsequent als psychisches Phänomen, nicht als Texteigenschaft aufgefasst. Ausgehend von psychophysischen Erscheinungen, die für das Alltagskonzept 'Spannung' als prototypisch gelten können, wird die Menge möglicher spannungserzeugender Emotionen in einem ersten Anlauf auf die Gruppe der Stressemotionen eingegrenzt. An diesem Beispiel wird sodann die Notwendigkeit einer Unterscheidung von situations- und figurenbezogenen Spannungswirkungen demonstriert. Anschließend wird das Problem dominant kognitiver Spannungserzeugung – des in der Literaturwissenschaft bislang am intensivsten erforschten Aspekts von 'Spannung' – aufgegriffen und mit Hilfe des gestalttheoretischen 'Zeigarnik-Effekts' reformuliert. Zum Schluss wird unter dem Begriff der Planungsemotionen eine dritte Möglichkeit spannungserzeugender Leseremotionen vorgestellt und präzisiert.
Vorbild, Beispiel und Ideal : zur Bedeutung Goethes für Wilhelm Diltheys Philosophie des Lebens
(2017)
Johannes Steizinger untersucht unter drei Leitaspekten die Bedeutung Goethes für die Lebensphilosophie Wilhelm Diltheys. Goethe stelle das Vorbild für Diltheys Weltanschauung dar; er diene ihm als Beispiel für die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten der Einbildungskraft; und schließlich steige die vielfach beschworene Synthese von Goethes Leben und Werk für Dilthey zum Ideal von Dichtung als einer "Steigerungsform des Lebens" selbst auf. Goethe bilde folglich nicht nur einen zentralen Gegenstand in der Entwicklung von Diltheys Ästhetik und Poetik, wie sie etwa in den unterschiedlichen Fassungen von "Ueber die Einbildungskraft der Dichter" (ab 1877) greifbar wird. Darüber hinaus beanspruche er Goethe konsequent als Lehrmeister in wesentlichen methodologischen Fragen, ja er verpflichte ihn geradezu auf eine Beglaubigungsinstanz der eigenen Philosophie, wenn er in seiner Baseler Antrittsvorlesung programmatisch festhält: "So ruht Goethes forschendes Auge noch auf dem, was wir heute tun." Die methodische Bedeutung Goethes für Dilthey zeige sich in erster Linie an Phänomenen wie der Selbsterforschung und dem Selbstzeugnis. Es sei in letzter Instanz der eigene Lebensbegriff, den Dilthey bereits bei Goethe systematisch vorgeprägt sieht. So lasse sich "die Relativität alles Geschichtlichen" mit Goethe als Grundtendenz an das 'Leben' selbst zurückspielen und depotenzieren; so lasse sich mit Goethe das Denken als "Ausdruck des Lebens" und nicht als dessen Widerpart begreifen; und so sei das genetische Naturverständnis Goethes wegweisend für Diltheys typologische Weltanschauungslehre. Der zentrale Stellenwert der Einbildungskraft und die 'schöpferische' Opposition, die sie zu den "pragmatischen Erfordernissen der Erfahrungswelt" unterhalte, erlaube es Dilthey sogar, die Unterscheidung zwischen Natur- und Geisteswissenschaften im Rekurs auf Goethe vorzunehmen. Die Hoffnung auf eine für Goethe symptomatische Unmittelbarkeit der Beziehung zwischen 'Erlebnis' und 'Ausdruck' - wie sie im Kompositum des 'Erlebnisausdrucks' manifest werde - untersucht Steizinger im Sinne Diltheys abschließend als "Ausgangspunkt jeder erkenntnistheoretischen Reflexion".
"Nichts komischer als eine Theorie des Komischen - wer zu diesen Worten auch nur andeutungsweise mit dem Kopf genickt hat, ist bereits gerichtet", schreibt Robert Gernhardt in Was gibts denn da zu lachen? Ähnliches gilt natürlich auch für eine performative Theorie des Komischen - allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Auf die Feststellung: "Nichts performativer als eine performative Theorie des Komischen", wird man vermutlich vergeblich auf andeutungsweises Kopfnicken warten. Statt dessen verständnisloses Kopfschütteln: Performativ? Muß das sein? Es muß.
Vorbemerkung
(2004)
Es gibt verschiedenste Engelstypen. Trotz intensiver scholastischer Bemühungen entziehen sie sich wohl der endgültigen Klassifikation. Entsprechende Rätsel gibt das Interesse an ihren Funktionen und ihrer Physiologie auf – eine Frage, die sich überhaupt nur angehen läßt, wenn man die Zeugnisse, welche von ihren sinnlichen Manifestationen sprechen […] und die Bilder, welche Engelserscheinungen darstellen, wie Dokumente behandelt, deren Informationsgehalt gleichrangig neben dem konventioneller historischer Quellen steht. Was spricht auch dagegen, ein tradiertes kulturelles Wissen, das in visueller und verbaler Form gespeichert ist, hinter eine mit den Mitteln der wissenschaftlichen Empirie erstellte Datensammlung zurückzustellen, wenn es um ein Grenzgebiet zwischen Sinnlichem und Transsinnlichem geht, angesichts dessen der Anspruch der Empirie, Verifizierbarkeit zu begründen, ohnehin mehr als fragwürdig erscheint? Phänomenologische Deskriptionen der Engel […] sind hinsichtlich ihrer methodologischen Prämissen mit der Geisterphotographie vergleichbar (und vielleicht, die ketzerische Spekulation sei gewagt, auch der Psychoanalyse); sie operieren mit den Mitteln wissenschaftlicher Datenerhebung auf prinzipiell ungesichertem, weil an sich unsichtbarem Territorium. Wenn sie denn auch kein gesichertes Wissen über Engel begründen mögen, so provozieren sie doch vielleicht zur Reflexion über das, was Wissen überhaupt ist, nach seinen Implikationen, Ansprüchen und Grenzen.
Vorahmung
(2018)
Unter dem Eintrag 'ahmen' vermerkt das Campe'sche "Wörterbuch der Deutschen Sprache" von 1807: Das Wort gebe es zwar nicht, doch es müsse einmal geläufig gewesen sein und so etwas wie "thun, verrichten, handeln" bedeutet haben - diesen Rückschluss lasse das noch lebendige 'nachahmen' zu und möglicherweise auch die 'Ameise'. Campe plädiert nicht nur dafür, das verlorene 'ahmen' wieder einzuführen, er möchte insbesondere zu der Neubildung 'vorahmen' anregen. Von gleicher Machart wie sein begriffliches Gegenstück, das Nachahmen, werde sich das Wort schnell einbürgern und hätte den unschätzbaren Vorteil, dass man in betreffenden Kontexten nicht länger auf Fremdworte wie 'Original' und 'originell' zurückgreifen müsse. Das Kompositum 'Vorahmung' erscheint seinerseits eher fremdartig, als Hans Blumenberg es genau 150 Jahre später in seinem Aufsatz zur "Nachahmung der Natur" aufnimmt. Auch im Jahr 1957 ist das Wort keineswegs gängig, dank seiner einfachen Form aber auch nicht unverständlich. Es ist vielmehr unselbstverständlich, d. h. im basalen Sinn fragwürdig.
Magnus Wieland untersucht in seinem Beitrag die Bedeutung von Hüten, die sich als motivischer und biographischer roter Faden durch die Kunst der Avantgarde ziehen. Vielsagend ist die etymologische Anspielung auf die 'Vor-Hüte' der Avantgarde, da sich anhand kopfloser oder fortfliegender Hüte die antibürgerliche Ästhetik der Avantgarde 'in nuce' skizzieren lässt.
Aus einer grammatologischen Betrachtungsweise – und das heißt mit Jacques Derrida: aus dem Blickwinkel jener Spuren, die dem Bestehenden vorausgehen – verändert sich das Bild des Archivs. Von der Institution zur Bewahrung von 'Archivgut', dem Zentralbegriff der Archivalienkunde, verlagert sich der Blick auf das Zustandekommen des Archivs und die Metamorphose von Dokumenten zu Archivgut. Es geht dann weniger um den Ort inventarisierter Archivalien beziehungsweise geordneter Einheiten von Dokumenten, Textkorpora und anderen Medien des Wissens als um diejenigen Verfahren und Regelungen, durch die Zeugnisse und Hinterlassenschaften ins Archiv eingehen – oder eben gerade nicht ihren Weg dorthin finden. Denn, so Derrida: "Die Bewegung der Spur ist notwendig verborgen, sie entsteht als Verbergung ihrer selbst." Archive werden gemeinhin als institutionalisiertes, positives Gedächtnis eines Gemeinwesens oder eines speziellen Wissensgebiets betrachtet, das auf einer systematischen Erhaltung, Erfassung und Erschließung von Dokumenten basiert, die mithilfe von Signaturen und Registern für die Nutzung zugänglich gemacht werden. Auf der Benutzeroberfläche erscheint das Archiv als geordnetes, auf Einheit und potentielle Vollständigkeit ausgerichtetes Inventar, während dessen Genese doch zumeist im Dunkeln bleibt – gleichsam vor dem Archiv.
Begibt man sich auf das Feld der regionalen und lokalen Verlagsgeschichte, so bewegt man sich in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht von Voraussetzungen und Fragen. In den letzten Jahrzehnten hat die Untersuchung des deutschen Verlagswesens, insbesondere der Entwicklung an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert, deutlich an Breite und Tiefe, aber auch an methodischer Innovation gewonnen. Verlagsgeschichte wurde mehr denn je Teil der Erforschung komplexer kulturgeschichtlicher Zusammenhänge, bei denen neben den allgemeinen Zeitverhältnissen die wirtschaftlichen und gesellschaftlich-sozialen Bedingungen besonders zu beachten sind. Einen besonderen Stellenwert bekam in diesem Zusammenhang der Entwicklungsstand der öffentlichen Kommunikation mit den Mitteln des geschriebenen Wortes im weitesten Sinne. Der Verlagsbuchhandel stellte innerhalb dieses Kommunikationsvollzugs eine spezifische Erscheinungsform von außerordentlicher Breitenwirkung dar. Insofern ermöglichen verlagsgeschichtliche Untersuchungen einen wichtigen, ja unentbehrlichen Einblick in die literarischen Kommunikationsverhältnisse der jeweiligen Epoche, Region oder Stadt.
Was lässt sich also vorerst über eine mögliche Rilke-Rezeption bei Thomas Bernhard sagen? Am ehesten kann man das Verhältnis der beiden Autoren darstellen, indem man Rilkes "Auftritte" in Bernhards Werk mit dem Dasein der verstorbenen Christine Brahe in Urnekloster vergleicht. Wäre er leibhaftig dort, er würde sich selbst sicherlich nicht in einem Spiegel erkennen, zu unterschiedlich sind Formen und Inhalte. Auch fehlt das Rilke-Portrait jedenfalls in Bernhards selbst gewählter Ahnengalerie. Es gibt allerdings einzelne Momente in den Texten, bei denen man vermeint, Rilke durch eine an sich "stets verschlossene Türe" in Bernhards Werk hineinschreiten zu sehen, gemessenen Schrittes geht er an den Figuren vorbei und verschwindet fast durchsichtig, fast unbemerkt wieder. Nur ein Geist, in dieser Welt gestorben und nicht mehr verlässlich zuhaus, ein Nachhall von einem vergangenen Zustand, dadurch aber dennoch, zumindest zwischen den Buchstaben, Zeilen und Seiten, zwischen den Buchtiteln und Klappentexten, vorhanden.
Als Reaktion auf das Unidirektionalitätspostulat in der Grammatikalisierungsforschung sind in jüngerer Zeit einige Beiträge entstanden, die sich mit gegenläufigen Prozessen befassen (in diesem Band etwa die Beiträge von Trost, Simon und Wischer). Solche gegenläufige Entwicklungen ("De-Grammatikalisierungen") finden sich in Harnisch (2004) zusammengestellt. Quer zu dieser Achse verläuft die zwischen Lexikalisierung (als Prozess der Demotivierung und Desegmentierung einstiger Wortbildungsprodukte) und Delexikalisierung (als Prozess der Resegmentierung und Remotivierung), die unter dem Stichwort "Volksetymologie" oder "sekundäre Motivation" bekannter sein dürfte (vgl. ungar. talpas - nhd. Toll-patsch; hierzu s. Abb. 1 in Harnisch 2004: 211, die sich hier als Abb. 3 wiederfindet). In diesem Bereich sind auch die uns interessierenden Erweiterungen von Familiennamen auf -er zu -ert anzusiedeln (Schreiner zu Schreinert). Dabei wird der morphologische Status von -ert zu klären sein.
Im Spektrum der Epochen, von denen der Historienroman im 19. Jahrhundert erzählt, spielt die Antike eine untergeordnete Rolle. Ihr vorgezogen werden die großen Zeitalter der nachantiken europäischen Geschichte: das hohe Mittelalter, die Renaissance, die Frühe Neuzeit und die Revolutionsepoche um und nach 1800. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, lange nach der sogenannten „Scott-Ära“ in den 1820er Jahren, in denen sich der historische Roman in ganz Europa zur beliebtesten Erzählform entwickelt, wird häufiger über die Antike erzählt. So steigt die Zahl der Romane, welche die antike Geschichte thematisieren, gegen Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts langsam und kontinuierlich an bis zu einem Höhepunkt in den 1880er Jahren, um danach wieder leicht zurückzufallen. Auch in den 1880er Jahren bleibt die jährliche Publikationsrate von Romanen über das Altertum freilich im einstelligen Bereich und damit deutlich unterhalb der Quote je- ner Texte, die sich späteren historischen Zeiträumen widmen. Themen aus der Phase zwischen Barockzeitalter und beginnendem 19. Jahrhundert dominieren die gesamte Epoche; bestimmend ist die Tendenz zu jüngeren Zeitabschnitten, zur modernen Geschichte.
Wie sich Konzessivkonnektoren im 18. und 19. Jh. entwickelt haben, untersuchen Lisa Bürgerhoff, Jana Giesenschlag, Linda Kunow und Alexandra Kern für ihren Beitrag "Von ob ich schon wanderte zu obschon ich wanderte?! - Eine Korpusuntersuchung zur Konzessivität von 1700-1900". Ihre Untersuchungen im Deutschen Textarchiv zeigen unter anderem einen Zusammenhang zwischen der Zusammenschreibung der Konnektoren und einer eindeutig konzessiven Lesart, der für obschon, obgleich, obwohl und obzwar allerdings unterschiedlich stark ist. Auch die Faktizität der Teilsätze und das Auftreten verstärkender Partikeln sind für die Entwicklung der ob-Gruppe von Bedeutung. Als eindeutigste und frequenteste Konzessivkonnektoren stellen sich insgesamt obwohl und vor allem obzwar heraus.
Du, er und sie, wir, ihr und die Anderen, einige, viele, alle – und dazwischen Ich.
Wie können ästhetische Zugangsweisen und sinnlich-kreative Lernmethoden in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern aussehen? Vielleicht denken wir auf Anhieb an Rollenspiele im Geschichtsunterricht, Karten zeichnen in Erdkunde, geistliche Lieder im Religionsunterricht, eine Wahlsimulation in Politik und Wirtschaft – doch wie bald gehen uns die Ideen aus? Nun ist ein ästhetischer Zugang aber mehr als eine Sammlung von Methoden und Projekten; vielmehr kennzeichnet ihn ein bestimmter Blick auf die Inhalte des Unterrichts und auf die Menschen, die an diesem mitwirken. Einen solchen Blick zu gewinnen, ist Ziel des Workshops.
Das klingt sehr grundsätzlich – und ist daher am besten möglichst konkret zu erschließen. Thematisch heißt das in diesem Fall die Beschäftigung mit dem Leben zwischen Individualität und Sozialität, Selbstbestimmung und Abhängigkeit, mit Fragen von Identität(en), Alterität(en), Gruppen und sozialen Kontexten.
Methodisch meint "Beschäftigung" dabei durchaus auch ein Reflektieren, in erster Linie aber wird das unmittelbare Erfahren, Ausprobieren und Erfinden im Mittelpunkt stehen – z.B. beim Vortragen, Inszenieren, Zeichnen, Erzählen, Gestalten oder Spielen.
Der erwähnte, ganz besondere Blick auf die Dinge und Menschen verlangt nämlich nicht nur ein Beobachten derselben von außen, sondern ein tätiges Miteinander – dazwischen Ich!
Im Folgenden werde ich [...] das moderne Theater aus mediologischer Warte perspektivieren, wobei ich in drei Schritten vorgehe. Zunächst wird es mir darum gehen, Johann Christoph Gottscheds Reform des Theaters als Zurichtung dieser Kunstform für das Gutenberg-Zeitalter zu skizzieren. Wenigstens hindeuten möchte ich sodann auf Lessings, Goethes und Schillers Ansätze zu einer Reflexion der medialen 'Verfasstheit des Theaters, um schließlich die volle Ausbildung eines modernen Medientheaters in Ludwig Tiecks Märchenkomödie "Der gestiefelte Kater" aufzuzeigen.
In aktuellen Diskussionen werden Forderungen nach einer diversen Kinder- und Jugendliteratur laut. Autor:innen wie Andrea Karimé oder Chimamanda Ngozi Adichie fordern Gegenerzählungen oder sprechen von den Gefahren einer 'single story', in denen den Leser:innen nur weiße Geschichten präsentiert werden. Im Mittelpunkt des Beitrags stehen ausgewählte Kinderromane der Autorin Andrea Karimé sowie die Frage nach diversen und intersektionalen Kindheitsbildern. Die Analysen zeigen, dass sowohl diversitätssensible als auch intersektionale Perspektiven für die Auswahl von Kinderliteratur für den Unterricht bereichernd sind, denn sie eröffnen den noch jungen Leser:innen nicht nur neue Welten, sondern stärken auch die Kinder mit Blick auf ihre eigene Lebenswelt. Zugleich spielt insbesondere Intersektionalität eine untergeordnete Rolle, sollte aber dennoch aufgrund des hohen Potentials stärker in die literaturwissenschaftlichen und -didaktischen Debatten rücken.
Dinge in Texten haben maßgeblich an der Konstruktion imaginärer Welten teil. Sie kommen zu allen Zeiten und in allen literarischen Gattungen vor, in der Heldenepik ebenso wie in Aphorismen, im Mittelalter wie in der Moderne. Dinge treiben Handlungen voran, stören, wenn sie nicht funktionieren, und sie schaffen und zerstören Ordnungen - auch solche der Worte. Im Gegensatz zur Ethnologie oder Museologie hat es die Literaturwissenschaft stets mit Zeichen zu tun - es stellt sich also die Frage, wie das Verhältnis von res und verba analysiert und beschrieben werden kann. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die sich, angefangen bei der antiken Rhetorik über mittelalterliche Literatur bis hin zum 20. Jahrhundert, mit Dingen in und neben Texten beschäftigen.
Das Hauptziel dieses Beitrags besteht darin, anhand einer tiefergehenden prosodisch-phonologischen Analyse der häufigsten Rufnamen von 1945-2008 der Frage nachzugehen, ob im Laufe der Zeit eine Androgynisierung unserer Rufnamen dahingehend stattgefunden hat, dass Strukturen, die bislang dominant für das eine Geschlecht galten, zunehmend auch für das andere Geschlecht gewählt werden bzw. geschlechtspräferente Strukturen nivelliert oder gar abgebaut werden. Ein weiteres Ziel besteht darin, auf onymischer Ebene der These nachzugehen, dass in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eine sog. Informalisierung und Intimisierung stattgefunden habe, die sich möglicherweise in heutigen Namen wie Lilly oder Nico statt früher Elisabeth und Nikolaus niederschlagen.
Seit 2000 ist die promovierte Geoökologin als Referatsleiterin in der Berliner Senatsverwaltung u.a. für die atomrechtliche Aufsichts- und Genehmigungsbehörde, die Katastrophenschutzbehörde, die Strahlenmessstelle Berlin und das Berliner Luftgütemessnetz zuständig. Seit 2010 ist Heike Kaupp stellvertretende Abteilungsleiterin der Abteilung Integrativer Umweltschutz. Sie ist Fellow des Mercator Science-Policy Fellowship-Programms an den Rhein-Main-Universitäten.
Die schöne Seele bei Jean Paul hat sich als der Ausdruck eines Theorie-Synkretismus erwiesen. Die platonische Erzeugung des Guten im Schönen und die rousseausche Transformation von der Liebe zur Liebe zur Pflicht werden in den frühen Romanen bis zum "Titan" enggeführt: Die Protagonisten erhalten ihren sozialen Ort und ihre rechtlichen Aufgaben über die Regulierung bzw. Veredelung ihrer erotischen Leidenschaften. Gleichzeitig wird diese Engführung ins Ästhetische transformiert: Es ist auf übertragener Ebene die literarische Phantasie, die als ästhetischer Motor für die Ideen- bzw. Pflichtfindung des Lesers dient.
Von der Schuld, noch am Leben zu sein : einige Bemerkungen zum Roman "Der Boxer" von Jurek Becker
(1992)
Der 1976 erschiene Roman "Der Boxer" folgt in seiner Handlungszeit, die sich über den Zeitraum von 1945 bis 1970 erstreckt, chronologisch der ersten gelungenen Erzählung "Jakob der Lügner". In diesem Roman läßt Becker die Überlebenden aus den nazistischen Lagern zu Wort kommen; aus der Distanz von nahezu dreißig Jahren verfolgt er Geschehnisse aus der Geschichte des Vaters und aus dessen Leben im Berlin der ersten Nachkriegszeit. Aron Blank, die zentrale Gestalt des Romans, ein in Riga geborener Jude, hat das Konzentrationslager als einziger seiner Familie überlebt. [...] Um psychisch überleben zu können, ist Aron entschlossen, die faschistische Vergangenheit aus seinem Gedächtnis zu löschen. [...] Es ist eine jener paradoxen Situationen, die in Beckers Prosa häufig vorkommen: obwohl unschuldig, muß sich das Individuum mit einer Täuschung dem unerbittlichen Zugriff der Geschichte entziehen. Anna Chiarloni stellt in ihren Bemerkungen zum Roman "Der Boxer" von Jurek Becker Vergleiche und Bezüge zu (u.a.) anderen Werken des Autors selbst wie "Der Verdächtige" sowie Rainer Werner Faßbinders Bühnenstück "Die Stadt, der Müll, der Tod" und Christa Wolfs Erzählung "Störfall" her.
Der musikalische Serialismus wird bis heute als ein mechanistisches Kompositionsverfahren abgetan, wie es typisch für die verunsicherte Nachkriegszeit der 1950er Jahre zu sein scheint. Dieser Ansatz übersieht die grundsätzlichen Impulse, die von diesen Ansätzen bis heute ausgehen. Festmachen kann man dies z. B. daran, wie stark seit den 90er Jahren ein formales strukturorientiertes Denken in der elektronischen Musik zum Durchbruch gelangte, wie es noch mit Sound- und Midiorientierten Verfahren in den 80er Jahren nicht absehbar war. Für einen qualitativ neuen Typus form- und strukturgenerierender Tools im Virtuellen digitaler Symbolverarbeitung stehen heute kollaborative Echtzeitprogramme bereit, die 'Komposition' als ein neues strukturelles Dispositiv erfahren lassen und in direkter Linie zum Serialismus gesehen werden können.
Bereits im Selbstverständnis seiner Vertreter tritt der Humanismus als eine epochale Bildungsbewegung auf, der die Ausbildung richtigen Lateins als Ausbildung auch des richtigen Denkens und letztlich des richtigen Lebens gilt. Das Thema »Humanismus in der deutschen Literatur« vom […] auf das Lateinische ausgerichteten Grammatikunterricht anzugehen, liegt damit zunächst nicht nahe. Setzt man freilich statt am übergreifenden Selbstbild der Humanisten konkreter an den Hilfsmitteln ihres Lateinunterrichts an […], in denen lateinische Texte ins Deutsche übersetzt werden, relativieren sich solche Bedenken. Wenn sich der nachstehende Beitrag mit den zwischen circa 1450 bis 1600 in über 150 Handschriften und Druckausgaben im zweisprachigen Verbund verbreiteten ›Disticha Catonis‹ einem Korpus solcher zweisprachigen Unterrichtsmaterialien zuwendet, dann geschieht das zum einen, um an einem tendenziell repräsentativen, in seiner quantitativen Breite aber noch einigermaßen überschaubaren Bestand erste Voraussetzungen dafür zu schaffen, den emphatischen Bildungsanspruch der Humanisten in größerer Nähe zu seinem praktischen Niederschlag im Lateinunterricht untersuchen zu können […]. Das Hauptinteresse des nachstehenden Beitrags richtet sich freilich auf das im Umfeld des Humanismus sich wandelnde Verhältnis der bei den Sprachen Latein und Deutsch. Dieses verschiebt sich im Untersuchungszeitraum bekanntlich auf eine entscheidende Weise […] in bezug auf den Status des Deutschen als Sprache überhaupt.
Von der Poetik und Rhetorik des Fremden zur Kulturgeschichte und Kulturtheorie des Übersetzens
(2004)
Der Beitrag geht der Frage nach, wie sich die noch in den 1980er Jahren marginalisierte Migrationsliteratur heutzutage unter der Etikettierung 'Interkulturelle Literatur' auf dem literarischen Markt allmählich etabliert hat und mittlerweile zur zentralen Tendenz der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur geworden ist. Am Beispiel von Autoren und Autorinnen tschechischer Herkunft, Jiří Gruša, Libuše Moníková und Michael Stavarič, wird die 'Verortung' der 'interkulturellen Literatur' im Spannungsfeld von Peripherie und Zentrum dargestellt und ihr Mehrwert diskutiert.
Die Arabeske ist ein Nachkömmling. Sie ist die jüngere Schwester
der Groteske. Die Gemeinsamkeiten wird man schwer übersehen können. Beide, Groteske und Arabeske, kennen keine strikte Trennung zwischen 'hohen' und 'niederen' Künsten, beide entwickeln sich gleichermaßen in 'klassischen' wie in Print-Medien, beide haben Teil an der Ausbildung der Künstler als Experten in Spezialbereichen. Gemeinsam ist ihnen vor allem, dass ihre Entstehung überschattet ist von Infragestellungen. Die Pointe freilich ist, dass Kritik und Abwehr der Groteske zur Geburt der Arabeske führen. Es liegt also nahe, die Ketten von Polemiken zunächst zu benennen, zumal da die Antworten und Gegenmaßnahmen auf die Kritik die ästhetischen Spielräume der Grotesken und Arabesken erst eigentlich eröffnen.
Im heutigen Deutschland lebt eine große Gruppe von Einwanderern türkischer Herkunft und ihren Nachfahren. In der Literatur und Publizistik dominierten bis vor kurzem sehr kritische Narrative über sie, insbesondere über die Frauen und ihre Rolle in den Gemeinschaften, die diese Gruppen bildeten. Hatice Akyün, eine junge deutsche Journalistin und Autorin türkischer Herkunft, versucht in vielen Publikationen dieses Bild zu entzaubern. Dem Beispiel ihres eigenen Lebens folgend, beschreibt sie den Alltag einer türkischen Familie aus einer neuen Perspektive. Sie ist gut integriert und erfolgreich tätig in beiden Kulturen, der deutschen und der türkischen, und sie zeigt es zum Beispiel in ihrem Text Einmal Hans mit scharfer Soße mit einem starken Sinn für Humor. Im folgenden Artikel versucht die Verfasserin, den langen imaginären Weg von Hatice aus der Peripherie der deutschen Gesellschaft in ihre Mitte vorzustellen. Die Analyse zielt darauf ab, die Vorurteile über Minderheiten von Einwanderern mit der Realität zu konfrontieren, die aus einer neuen unüblichen Perspektive dargestellt wurde.
Im Mittelpunkt des Beitrages stehen Werke von Autoren aus dem ehemaligen Ostdeutschland, denen es dank der Nominierungen auf den zwei wichtigsten Buchmessen in Deutschland gelungen ist, von der Peripherie ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Die anderen Erfahrungen aus dem Leben in der DDR ermöglichen Autoren aus den neuen Bundesländern eine unterschiedliche Sicht auf die deutsche Geschichte. Untersucht wird die Themenwahl der Werke, die sich aus der Vergangenheit im geteilten Deutschland ergibt. In den nominierten Romanen nach dem Jahre 2000 lassen sich folgende Themen finden: Geschichte, Privatsphäre und aktuelle Themen. Die deutsche Geschichte des 'kurzen zwanzigsten Jahrhunderts' wird in den Familienromanen vorgestellt. Gleichzeitig besteht Interesse an den Ereignissen der Wendezeit sowie der Zeiten davor und danach. Die lang erwartete und trotzdem plötzlich kommende Wende mündete in Ratlosigkeit, Entfremdung und Unsicherheit. Großer Beliebtheit erfreuen sich auch das Thema Privatleben sowie die Themen Kindheit, Jugend in der DDR vor und nach der Wende, aber auch zwischenmenschliche Beziehungen zwischen den einzelnen Generationen, die auf die gesellschaftlichen Ereignisse reagieren, womit sich beide zuerst genannten Hauptthemen vermischen. Nicht zuletzt werden in den nominierten Romanen aktuelle Gegenwartsthemen wie Terrorismus oder Flüchtlinge reflektiert, die anhand konkreter Geschichten erzählt werden.
Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Herausforderung der Geschichtswissenschaft durch die sog. Postmoderne. Um ein besseres Verständnis über die Begrifflichkeit und die konkreten Herausforderungen zu gewinnen, konzentrieren sich die Ausführungen auf jene theoretisch konsistente Theoriebildung, wie sie von Jean-François Lyotard in seinen zwei maßgeblichen Werken "Das postmoderne Wissen" und "Der Widerstreit" formuliert wurde. Die Postmoderne ist für Lyotard durch eine Skepsis gegenüber den großen Erzählungen gekennzeichnet, welche jegliche Form des Wissens legitimieren. Im Vergleich zu anderen Fachdisziplinen steht die Geschichtswissenschaft in einem besonderen Verhältnis zu diesen Erzählungen, was zugleich die Chancen wie auch die Schwierigkeiten anzeigt. Die entscheidende Herausforderung der Geschichtswissenschaft betrifft dabei jedoch weniger die narrative Darstellung historischen Wissens, als vielmehr den Status der Geschichte als Wissenschaft.
Von der nackten Wahrheit zur rätselhaften Wahrheit des Strumpfes : Walter Benjamins Bilddenken
(2015)
Mit der Unterscheidung zwischen Erkenntnis und Wahrheit findet sich in Benjamins frühen erkenntnistheoretischen Überlegungen eine Entsprechung zu den beiden Seiten der Sprache. Unter 'Erkenntnis' versteht er in diesem Zusammenhang durch Begriffe mitteilbare Sachverhalte, welche den Bereich propositionalen Wissens bilden und in der Semantik der Sprache aufgehen. Erkenntnisse können prädikativ erfasst und verbal vermittelt werden. Von der Wahrheit könne es hingegen kein Wissen geben. Da die Wahrheit weder in Begriffen darstellbar noch durch Aussagen mitteilbar ist, ist ihre Darstellung auf die symbolische Seite der Sprache verwiesen. Folgerichtig findet sich für diese Vorstellung von Wahrheit in Benjamins Schriften kein Begriff, sondern ein 'Bild', nämlich das des Strumpfes - vermutlich nicht zufällig. Denn dieser steht als ein Kleidungsstück exemplarisch für den Zusammenhang von Funktion und Symbol in der menschlichen Kultur.
Für Romanisten ist Interkomprehension seit der Begründung ihrer Disziplin ein Anliegen, für romanischsprachige Menschen ist sie meist ein persönliches Erlebnis der partiellen Entdeckung, vor 1500 Jahren war sie alltägliche Realität. Es geht um die Fähigkeit, in einer Gruppe von Sprachen, die einen gemeinsamen Ursprung haben, kommunizieren zu können.
Läßt man die Problematik der bei dieser Aussage verwendeten Ausdrücke außer Betracht und schränkt den Blickwinkel auf die Gruppe der romanischen Sprachen ein, so lassen sich eine Reihe von Aussagen über Interkomprehension machen.
Daß zwischen dem sechsten und achten Jahrhundert, also während der protoromanischen Phase, Interkomprehension zwischen entfernten Gegenden des niedergegangen Imperium Romanum möglich war, ist unstrittig, freilich gab es keine außersprachlichen Gründe, die das Faktum Interkomprehension in den Vordergrund hätten rücken können. Die einzig übriggebliebene Zentralmacht Kirche benutzte ihr eigenes Latein. ...
Aufgrund ihrer expliziten Darstellung von Gewalt und dem offensichtlichen klischeehaften, stereotypen Verhalten der sowohl männlichen als auch weiblichen Figuren, sorgte die Leinwandversion von Frank Millers Sin City Graphic Novels im Jahr 2005 auf Seiten der Kritiker gleichzeitig für Empörung und Begeisterung. In diesem Zusammenhang untersucht der hier vorzufindende Artikel die Repräsentation von Gender in Frank Millers kontrovers diskutiertem Film Sin City. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass es sich bei dieser Comicverfilmung um einen so genannten overtpostmodernen Film (Seidl o.J., 344) handelt, welcher sich durch die demonstrative zur Schau Stellung seiner eigenen Künstlichkeit auszeichnet und dessen offensichtlicher, aber auch innovativer Gebrauch digitaler Filmtechnik sowohl die graphischen Möglichkeiten des Mediums Comic als auch die technischen Möglichkeiten des Mediums Film offen zelebriert. Dabei wirkt sich der Aspekt der demonstrativen Künstlichkeit nicht nur auf die Ästhetik des Films, sondern auch auf die Repräsentation von Gender aus. Der vorliegende Artikel vertritt somit die These, dass im konkreten Fall von Frank Millers Sin City die postmoderne Art der Verfilmung nicht nur die Künstlichkeit der beiden Medien Comic (bzw. Graphic Novel) und Film hervorhebt, sondern auch die Künstlichkeit bzw. Konstruiertheit des repräsentierten Diskursproduktes Gender (Liebrand 2002, 256) demonstrativ zur Schau stellt.
Welche Schätze in Bibliotheken verborgen sind, entdeckt man oft nur bei besonderen Anlässen. Einen derartigen Anlaß stellt vielleicht der aktuell erstellte Katalog der Deutschen Kolonialbibliothek dar. Die Kolonialbibliothek gelangte nach dem Zweiten Weltkrieg auf abenteuerliche Weise zur Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a.M., wo sie heute beheimatet ist. Sie besteht aus den Bibliotheken mehrerer Kolonialverbände, die 1936 zum Reichskolonialbund zusammengefaßt wurden. Den größten Bestand brachte die Bibliothek der 1882 gegründeten Deutschen Kolonialgesellschaft ein. Während die 18.000 Monographien der Kolonialbibliothek als geschlossener Bestand erhalten blieben, sind die ebenfalls enthalten Zeitschriften in den allgemeinen Bestand der Universitätsbibliothek überführt worden.
Mit der Darstellbarkeit des Denkprozesses an sich beschäftigt sich der französische Lyriker und Philosoph Paul Valéry. Denn durch die Materialisierung dieser Prozesse, d. h. durch den Versuch der exakten Dokumentation, werden sie analysierbar und ihr Potential allererst begreifbar. Technische Genauigkeit wird hierbei zum methodischen Ideal. Gemäß dem Beitrag von Lucas Knierzinger sucht Valéry explizit nach einer präzisen, systematisierenden Notationsform, die mit dem variierenden Schreibfluss seiner "Cahiers" in Spannung tritt und den in der Handschrift sedimentierten Denkprozess in Erscheinung treten lässt. Mit Eggerts laboratorischen Versuchsanlagen vergleichbar, bezeichnet Valéry die Interaktion von Lesen und Sehen bei der anschließenden kritischen Betrachtung dieser faksimilierten Manuskriptseiten auch als analytische 'machine à lire'.
Von Canguilhem zu Haraway
(2013)
Vor dem Hintergrund der Geschichte des physikalischen Objektivitätsbegriffs zieht die Physikerin und Epistemologin Françoise Balibar in ihrem Beitrag "Von Canguilhem zu Haraway" einen Vergleich der unterschiedlichen Konzepte der Objektivität von Haraways situiertem Wissen und Canguilhems regionaler Epistemologie. Dabei erinnert sie daran, dass Objektivität im physikalischen Sinn nicht, wie Haraway unterstelle, auf eine repräsentationale Identität der Objekte ziele, sondern dass das Objekt der Physik durch die Beziehungen generiert werde, die sich zwischen Tatsachen herstellen.
Im Werk des multiformen Wissenschaftlers Eugen Rosenstock-Huessy (1888−1973) liegt ein interessanter Fall einer Selbstübersetzung vor, die sich nicht nur auf die sprachliche Übersetzung, sondern auch auf die Transformation der Struktur des eigenen Werkes bezieht. Und selbst hier bleibt der Übersetzungsprozess nicht stehen. Rosenstocks Theorie und Praxis der Übersetzung ist geleitet von der Überzeugung des Primats der Sprache respektive des Sprechens für die menschliche Existenz. Übersetzen wird ihm so zu einem Existenzial, in dem der Mensch sein Menschsein bewährt: Selbstübersetzung ist immer und gerade eine Übersetzung des Selbst. Menschliches Dasein ist ein grundsätzlich sprachgebundener Prozess und an diesem Dasein beweist sich zuallererst das dem Einzelnen verfügbare und anderen lehrbare Wissen.
Von antiklassisch zu antimanieristisch : Walter Friedländers Neubewertung von Epochenbegriffen
(2023)
Ab 1921 bekleidete Friedländer eine außerordentliche Professur in Freiburg und arbeitete in dieser Zeit seine Vorstellungen über die Modifikation und Reinterpretation kanonisch gewordener Epochenbegriffe aus. In seiner Antrittsvorlesung widmete er sich als einer der Ersten der manieristischen Periode der italienischen Malerei. Sein Aufsatz "Die Entstehung des antiklassischen Stiles in der italienischen Malerei um 1520", der aus seinem Habilitationsvortrag hervorgegangen war, aber erst 1925 erschien, darf als Gründungsdokument einer Rehabilitierung des Manierismus gelten. Für Friedländers späteren Vortrag "Der antimanieristische Stil um 1590 und sein Verhältnis zum Übersinnlichen" in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg im Curriculum 1928 /29 ist dieser Aufsatz von großer Bedeutung, und deshalb muss auf seinen Versuch der Neubewertung dieser künstlerischen Strömung kurz eingegangen werden. 'Manierismus' wurde als Epochenbegriff im 19. Jahrhundert von Jacob Burckhardt eingeführt und sowohl von ihm wie auch von seinen Nachfolgern weitestgehend pejorativ verwendet. [...] Bis heute ist der 'Manierismus' als Stil- und Epochenbegriff ein polarisierendes Streitthema in der Kunstgeschichte geblieben: Der Auffassung, der Manierismus sei eine konsequente Weiterentwicklung oder Übersteigerung der Renaissance, die schließlich im Barock resultiere, steht eine andere Position gegenüber, zu deren Lesart auch Friedländers gehört. Sie erkennt den Manierismus als eine eigene Stilepoche an, die durch einen starken Bruch mit der Renaissance im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts eingeläutet worden sei. [...] Um den negativ konnotierten Terminus des Manierismus mitsamt seiner ablehnenden Valenz zu umgehen und andererseits einen "neuen Stilwillen" zu betonen, wählt Friedländer den Begriff "antiklassisch". [...] Vier Jahre nach Erscheinen seines Aufsatzes zum Manierismus widmete sich Friedländer aus Anlass seines Vortrags an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg der Ablösung des antiklassischen Stils. Für die erneute Gegenbewegung der Kunst um 1590, die andere vor ihm unter den Epochenbegriff des Barock subsumiert hatten, schlägt er die Bezeichnung des antimanieristischen Stils vor. [...] Friedländer war weniger daran interessiert, sich als Begriffspräger in die Kunstgeschichte einzuschreiben, als vielmehr daran, homogenisierende Epochenbegriffe kritisch ins Visier zu nehmen. Eine Zusammenfassung unter einen "Generalnenner, etwa wie Barockzeitalter" lehnte er ebenso ab wie andere "ziemlich willkürlich gesetzte und definierte Termini" wie Gotik, Renaissance, Klassizismus etc. Friedländer plädierte auch in weiteren Abhandlungen für mehr Differenzierung und für eine Betrachtungsweise, die nicht in einem monolithischen Stildenken aufgeht, sondern eine Überlagerung der Generationen und ein Nebeneinander disparater Haltungen und Schulen berücksichtigt. Er hat dabei immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die etablierten Epochenbezeichnungen der Kunstgeschichte oft einem Begriffsarsenal der Herabwürdigung früherer Epochen entsprang. [...] Was konnte Friedländer mit seinem Vortrag "Der antimanieristische Stil um 1590 und sein Verhältnis zum Übersinnlichen" zum Erreichen der Ziele der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg beitragen? Welche methodischen Überschneidungen konnten sich möglicherweise ergeben, auch wenn theoretische und methodische Grundsatzdebatten so wenig die Sache von Friedländer wie von Warburg waren?
Sie werden, meine Damen und Herren, diese Bilder "2001 – A Space Odyssey" von Stanley Kubrick erinnern. Dieser Film, 1968 gedreht, also noch vor der ersten bemannten Mondlandung und noch vor dem takeoff des Computerzeitalters – dieser Film ist nicht nur eine Inkunabel eines ganzen Filmgenres, sondern er hat unsere Bilder von Weltraum und Computer maßgeblich geprägt. Er vermochte dies auch deswegen, weil Kubrick hier technische Phantasien und religiöse Motive, psychodelische Zeitreisen und metaphysische Sinnsuche, Urgeschichte und Endgeschichte, Angst vor der Technik und Sehnsüchte nach einer Entgrenzung jenseits von Zeit und Raum in maßstabsetzende Bilder brachte, verbunden mit einem niemals zuvor derart ungeheuren Einsatz von Musik und einer so noch niemals zuvor gesehenen Herabsetzung des Mediums, das seit alters her als die Sphäre des Menschlichen überhaupt angesehen wurde, nämlich die Sprache. Von 141 Minuten Film sind nur 40 Minuten von Dialogen begleitet. Kubrick erweist den Film als dasjenige Medium, in welchem die visuellen Mythen unserer Zeit kreiert werden. ...
Die deutsche Präposition-Artikel-Enklise bietet wie kaum eine andere Grammatikalisierung Einblicke in den Mikrobereich von Grammatikalisierungsprozessen: Klare, "zielorientierte" Verhältnisse sind hier nicht zu beschreiben, was der Grund für ihre bisher so geringe Beachtung durch die Grammatikalisierungsforschung sein dürfte. Es wurde deutlich, dass bezüglich der hier als zentral bewerteten Morphologisierung des Artikels das gesamte Spektrum von Nichtverschmelzbarkeit bis hin zu (kurz vor Flexiven stehenden) obligatorisch verschmelzenden speziellen Klitika abgedeckt ist. Diachron hat sich zwar insgesamt eine deutliche Rechtsdrift auf der Grammatikalisierungsskala vollzogen; bezüglich des Genitivartikels hat jedoch eine Degrammatikalisierung in Form von sog. retraction (gemäß Hapelmath 2004) stattgefunden, die hier in einer Demorphologisierung (Resyntaktisierung) eines Klitikons besteht. Dabei findet keine "Relexikalisierung" im Sinne einer lexikalischen Anreicherung eines bereits grammatikalisierten Elements statt (siehe hierzu Haspelmath 1999). Mittel- und frühneuhochdeutsche Verschriftungen deuten auf reichere Inventare an Verschmelzungs formen hin, doch sind hierzu diachrone Untersuchungen erforderlich. Ebenso ist der Übergangsbereich zwIschen einfachen und speziellen Klitika in sich abgestuft und weitaus komplexer gestaltet als hier dargestellt. Auch dazu besteht Bedarf an Detailanalysen unter der Fragestellung, welche der unter Abschnitt 2.2 aufgeführten Artikelfunkttonen am ehesten eine Präposition-Artikel-Verschmelzung erfordern. Einiges deutet auf den am stärksten desemantisierten (expletiven) Artikel z.B. vor Eigennamen hin. Um den Einfluss von Schriftlichkeit und Standardisierung auf Grammatikalisierungsprozesse ermitteln zu können, wurden zwei Dialekte in den Blick genommen: das Ruhrdeutsche, das die Erwartung nach deutlich fortgeschritteneren Verhältnissen erfüllt, und das Alemannische, das andere Phänomene ausgebildet hat wie etwa die Proklise des Artikels an das Substantiv, die Nullrealisierung klitischer Artikelformen und den kategorialen Umbau der vier Nominalkategorien am Artikel. Die Einbeziehung weiterer Dialekte und vor allem auch der gesprochenen "Umgangssprache" könnte weiteren Aufschluss über die Ratio dieser Grammatikalisierung liefern. Sollten flektierende Präpositionen Ziel dieses Wandels sein, so hätte dies tiefgreifende Konsequenzen für die Grammatikschreibung.
Von "Hypothesen, die auf einer Hypothese gründen" : Ökologische Prognostik in den 1970er Jahren
(2013)
In ihren unterschiedlichen Dimensionen markiert die Prognostik das wissenschaftlich-politisch Imaginäre der Ökologie, das allererst konstituiert, was als relevantes Problem wahrgenommen wird und was nicht, das den beschriebenen Phänomenen eine spezifische Form verleiht und sie in bestimmte Theorien einfügt und das vor allem als regulative Instanz gesellschaftliche Prozesse steuert bzw. zu steuern versucht. Im Folgenden wird untersucht, welche Gestalten dieses Imaginäre in den 1970er Jahren annimmt. Dabei geht es zunächst um den in diesem Zeitraum geprägten Begriff "politische Ökologie", dann um das Verhältnis von Bevölkerung und Überleben, um Narrative der Prävention in ökologischen Aktionsprogrammen und um die Rolle des Abfalls in Zukunftsfiktionen. Der letzte Abschnitt widmet sich Hans Magnus Enzensbergers sogenannter "Komödie" Der Untergang der Titanic, die aus miteinander verwobenen Gesängen und Gedichten besteht, in denen technische, statistische, religiöse und wissenschaftliche Zukunftsmodellierungen als Repräsentationen der Zukunft durchdekliniert werden.
Vom Überleben des Wunsches als Todestrieb : Nachträglichkeit, Subjekt und Geschichte bei Freud
(2011)
Es ist nahe liegend, sich zum Thema 'Überleben' mit Freuds Schrift 'Jenseits des Lustprinzips' von 1920 zu beschäftigen, mit der traumatischen Neurose und mit Freuds Diktum, dass das Ziel des Lebens der Tod sei. Beginnt Freud doch damit, dass er gerade durch das Leiden derer, die den Krieg (oder einen schweren Unfall) überlebt haben, dazu kommt, ein Jenseits des Lustprinzips zu postulieren, einen Todestrieb einzuführen, da der traumatische Wiederholungszwang dem Lustprinzip so sehr zu widersprechen scheint, geht es doch um die Perpetuierung des Leidens, um die Wiederholung von etwas Schrecklichem. Ich möchte jedoch im Folgenden einen Umweg beschreiten und mit einer Konstellation aus den Anfängen der Psychoanalyse beginnen, von der sich ebenfalls sagen lässt, dass sie das Überleben behandelt, allerdings in einem gänzlich anderen Kontext, dem der Konstitution des Psychischen. Die Rede ist vom Befriedigungserlebnis und dem unbewussten Wunsch - zwei Konzepte, die für Freuds Denken um 1900 zentral sind.
Mutter- und vaterlos, so schreibt der amerikanische Literaturtheoretiker Harold Bloom über das Verhältnis Gottes zur Bibel, scheine Jahwe aus den Seiten eines Buches zu purzeln, das er selbst geschrieben haben könnte und mit dem er zu identifizieren sei – und unterscheide sich dadurch im Grunde lediglich graduell von jedem anderen Autor. Tatsächlich thematisiert die Bibel wie kein anderes Buch das Problem von Autorität und Autorschaft und ist immer wieder daraufhin gelesen worden. Gott selbst tritt als Autor der mit göttlichem Finger verfassten Gesetzestafeln auf, Moses als inspiriertes Sprachrohr und als Schreiber, der nach Gottes Diktat die zweiten Tafeln anfertigt, nachdem er aus Zorn über die Anbetung des Goldenen Kalbes durch die Israeliten die ersten zerbrach, und die christliche Bibel etabliert Jesus in Fortsetzung dieser Tradition als Überwinder des Mosaischen Gesetzes, als Autor seines eigenen Gesetzestextes. Die Frage nach der Autorschaft der biblischen Texte selbst wurde und wird kontrovers diskutiert, und das Thema der Bewertung der unterschiedlichen Autoren dieses Textkorpus wird auch im Kontext der 'Bibel als Literatur'-Debatten aufgegriffen. So fragt bereits Erich Auerbachs Vergleich von homerischem und biblischem Erzählstil nicht nur nach der jeweiligen ästhetischen Wirkung, sondern auch nach der Autorenperspektive eines einzelnen biblischen Erzählers, des Elohisten, und stellt somit einen biblischen als literarischen Autor ins Zentrum der Betrachtung. Dass die Entscheidung darüber, welche der Autorfiguren der Bibel betrachtet und wie Autorschaft dabei verstanden wird, nicht nur in theologischen oder religionswissenschaftlichen, sondern auch in literaturwissenschaftlichen Diskursen eng mit der jeweiligen Definition der Bibel verknüpft sein könnte, ist eine These, die sich an Harold Blooms Umgang mit der Bibel als einem Werk von literarischer Erhabenheit – und somit als literarischem Text – abzeichnet. An Autoren des 'Bibel als Literatur'-Diskurses wie Erich Auerbach, Robert Alter und Frank Kernmode anschließend und sich zugleich von ihnen abgrenzend, wendet sich Harold Bloom schon in früheren Veröffentlichungen einer eher vernachlässigten Autorfigur zu: nicht dem aus den biblischen Seiten purzelnden Jahwe, sondern dessen 'Erfinder', dem Verfasser des Book of J, dem sogenannten Jahwisten.
Vom wüsten Raum zur affektiven Provinz : westliche Semantisierungen östlicher Landschaft 1800−1960
(2011)
In Europa meint die Zuschreibung der Himmelsrichtung stets mehr als eine rein kartographische Situierung. Was als "Osten" bezeichnet wird, unterliegt historisch ständigen Verschiebungen, bei denen sich eine enge Kopplung zwischen geographischer und semantischer Dimension verfolgen lässt. Bei dieser beweglichen Grenzziehung nimmt Deutschland einen besonderen Platz ein: Das Land erscheint in Selbst- wie Fremdbeschreibungen als Hybrid zwischen Ost und West und unterhält gleichzeitig eine eigene Faszinationsgeschichte mit der Figur des Ostens, die zwischen Abwehr, Okkupation und Identifikation schwankt. Es bildet daher den Ausgangs- oder vielmehr Durchgangsort, um im Folgenden die semantischen Wanderungen im (westlichen) Blick auf östliche Landschaften nachzuzeichnen. Die Etappen reichen von der Wahrnehmung der Gegend um Berlin als wüsten Raum um 1800 bis zur affektiven Besetzung der ehemaligen deutschen Gebiete in Osteuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. Aus geographischen Provinzen werden dabei Provinzen des Gedächtnisses.
Vom Wünschen
(2016)
Es freut mich, dass ich bei der Gelegenheit meiner Antrittsvorlesung über ein Thema sprechen kann, das es mir schon lange angetan hat: das Wünschen. Ich werde gleich in einem einleitenden Abschnitt skizzieren, wie ich den Umfang und Inhalt des Themas bestimme und welche Fragen sich für mich daran anschließen. Hauptsächlich möchte ich mich dann auf einen Aspekt konzentrieren, der meiner Professur hier am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin besonders entspricht. Das Fachgebiet lautet "Kulturforschung mit Schwerpunkt Wissensgeschichte", und deshalb möchte ich in dieser Antrittsvorlesung vor allem über den Zusammenhang von Wünschen und Wissen sprechen, und somit auch über die Spannungen zwischen beidem. Es soll um die Frage gehen, was man vom Wünschen wissen kann, um die Frage, wie Wünschen das Wissen initiiert oder antreibt, aber auch darum, wie es das Wissen behindern oder sogar verhindern kann.
Seit den Debatten um ein "postdramatisches Theater" (Lehmann, 1999; vgl. Poschmann, 1997) wird dem "dramatischen", oder besser gesagt, dem literarischen Theater seitens der Theaterwissenschaft nur mehr wenig Beachtung geschenkt. Zu dominant ist die Stellung des performative turn im aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurs, zu vielfältig sind die Ansatzpunkte, um der "Theatralität" der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären nachzuspüren (vgl. Fischer-Lichte, 2001), und zu eindeutig ist das Theater selbst auf ein unendliches Experimentieren mit nicht-literarischen Formen ausgerichtet. Vom 'konventionellen' literarischen Theater wendet man sich ab, da eine Beschäftigung mit ihm wenig mehr als eine Wiederholung des bereits Bekannten zu versprechen scheint. So produktiv und unhintergehbar der Paradigmenwechsel in den letzten beiden Dezennien zweifellos auch ist, so bleibt gegen die versiegende Aufmerksamkeit gegenüber dem literarischen oder dramatischen Theater indes einzuwenden, dass Gegenstände an sich nicht veralten. Vielmehr rekonstituieren sie sich im Rahmen der sich vollziehenden Diskursverschiebungen. Lohnend scheint es mir daher zu sein, das literarische Theater im Horizont neuerer mediologischer Debatten zu perspektivieren. Wenn etwa der Soziologe Dirk Baecker in einem "Medientheater" überschriebenen Essay aus seinen Studien zur nächsten Gesellschaft auf das Theater im Umbruch von der modernen buchgestützten zur "nächsten" computergestützten Gesellschaft zu sprechen kommt (vgl. Baecker, 2007), so wird mit dem Stichwort des "Medientheaters", das Baecker als ein Theater versteht, in dem "die Medien mit zur Aufführung kommen" (Baecker, 2007: 83-84), ein Rahmen gesetzt, der auch für eine Neuperspektivierung des Theaters jener nach Baecker im Absterben begriffenen Gesellschaft der "Gutenberg-Galaxis" (vgl. McLuhan, 1968) produktiv ist. Ich werde daher im Folgenden versuchen, den Umstrukturierungsprozess, den das Theater im Umbruch von der vormodernen zur modernen Gesellschaft durchlaufen hat, in mediologischer Perspektive zu rekonstruieren.
Vom Vitalen zum Sozialen : Überlegungen zu einem politischen Wissen im Anschluss an Canguilhem
(2013)
Muhle geht von der Frage nach dem Verhältnis des Begriffs des Lebens und der sozialen Normen aus, das Canguilhem als eines der Mimesis des Vitalen durch das Soziale beschreibt und führt daran anschließend ihre Annahme aus, nach der Foucault aus dieser Verhältnisbestimmung von Vitalem und Sozialem einen entscheidenden Impuls für die Ausformulierung seiner Biopolitik gewonnen habe.
Das Verschwinden des östlichen ‘Blocks’ von der ideologischen Landkarte hat – in West und Ost – eine Reihe von Phantomschmerzen gezeitigt, deren zufriedenstellende Diagnose noch aussteht. Zwar fehlte es nicht an ehrgeizigen Versuchen, aber es fügte sich, daß sie alle mehr oder minder unreflektiert in die der Politik und dem Wirtschaftsleben abgelernten Formeln von der ‘Unsicherheit’ oder ‘Ungewißheit’ kommender Entwicklungen mündeten, selbst die seinerzeit auf ganz andere Problemstände gemünzte Habermas-Vokabel von der ‘Neuen Unübersichtlichkeit’ kam hier und da schüchtern zu neuen Ehren. Das mochte, um an eine Wendung Kants zu erinnern, in der Praxis hingehen, doch in der Theorie schuf die sich in solchen Floskeln bekundende Auslieferung an einen kommenden Zeitgeist eine Opportunismusvariante, die man, eine Lieblingsvokabel dieser Jahre aufgreifend, getrost ‘virtuell’ nennen könnte. Warum sich den Kopf zerbrechen, wenn alles im Fluß ist und das Passende sich früher oder später schon finden wird? Die intellektuelle Selbststornierung kennt allerlei Quellen und mancherlei Gründe, auch Abgründe – es scheint, als erlebten manche Heroen des öffentlich ergriffenen Wortes schmerzliche Bewußtseinslagen noch einmal, allerdings nicht, wie zu ihrer Zeit, eingespannt zwischen Hoffen und Bangen, sondern im Licht des Verdachts, daß mit dem beschädigten Hoffen auch das Bangen nicht mehr das alte sein dürfe. Wer profitiert, sind die Eiferer und die Spötter: Feindschaft stabilisiert, Loyalität, zumal verdeckte, nicht minder.
Die sich im westeuropäischen Impressionismus und Symbolismus entwickelnde Tendenz [generiert] zur Entreferentialisierung, die vor allem in den gängigen Theorien moderner Lyrik zu Unrecht an das Kriterium der emotionalen Abstinenz gekoppelt ist, eine neuartige, synästhetische Ebene der Präsentation von Gefühlen: die der Stimmung. Diese Ebene wird nicht nur für den frühen Rilke stilbildend, sie kann im Blick auf die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den symbolistischen Verfahren Mallarmes, Rimbauds oder Valerys als Ferment und Konstituens des Gesamtwerks bezeichnet werden. Damit kann das unpopuläre Frühwerk Rilkes gegen die gängige Reduktion auf das Epigonentum neuromantischer Stimmungsdichtung abgegrenzt weiden. Es ist vielmehr der für den deutschsprachigen Raum charakteristischen, spannungsgeladenden Verschränkung antimimetischer Verfahren mit lebensphilosophischen und monistischen Tendenzen zuzuordnen, die auf das existenzielle, Entzweiungsphänomene kompensierende Erleben einer >Ganzheit< zielt. Das hochemotionale Ganzheitserlebnis ist um 1900, im Unterschied zur Romantik, längst nicht mehr metaphysisch zu verbürgen und bringt moderne, fragile Mythen des Lyrischen ebenso hervor wie die autonom werdende Wahrnehmung des Gefühls.
"Paris ist für mich", schreibt Rilke 1907, "eine unermeßliche Erziehung, dadurch, daß es meinem Blick und meinem Gefühl, die entlegensten, äußersten, die schon nicht mehr nachweisbaren Thatsachen seelischen Erlebens bis zu beispielloser Sichtbarkeit (ja, Weithinsichtbarkeit) verdichtet, hinhält". Diesem in bzw. an Paris erfahrenen Zusammenhang von Blick und Gefühl, Sichtbarkeit und seelischem Erleben, Sehen-Lernen und Innerlichkeit geht Karin Winkelvoss hier noch einmal nach.
Die folgenden Überlegungen sollen zeigen, wie die vielfältigen Bewegungen des Films, insbesondere in gewissen neueren SpielfIlmen, die ich mit dem Begriff des expressiven, ethnografischen Realismus fassen möchte, an der Oberfläche >Denkbilder< im Sinne von Walter Benjamin skizzieren. Dafür werde ich zuerst das Verhältnis des Kinos zu den Ideen, d.h. auch das Verhältnis des Sichtbaren zum Unsichtbaren, darlegen und im Rahmen der künstlerischen Moderne verorten, um mich anschließend dem angesprochenen Modus des Realismus zu widmen, der den Körper der Filmfiguren ins Zentrum stellt. Mein Leitgedanke für diesen zweiten Abschnitt läßt sich folgendermaßen umreißen: In der Figurengestaltung, die durch eine exzessive Körperlichkeit bestimmt ist und also den Inbegriff des fIlmisch Konkreten, den primären Schauwert darstellt, wird das audiovisuelle Bild wie die Figur als Zeichen gesprengt. In der filmischen Bewegung ergibt sich so gleichzeitig die Möglichkeit zur Abstraktion: Liest man die Figuren stärker als Phänomene der Präsenz und weniger in ihrer Psychologie, verkörpern sie ein bewegliches Denken, das die Sprache umgeht, und konkretisieren letztlich Formen des Nichtdarstellbaren an der Oberfläche des Films.
Mit den sich wandelnden Anforderungen an den Fremdsprachenunterricht, die jeweilige Fremdsprache so zu unterrichten, dass sie schriftlich wie mündlich auch außerhalb schulischer Aufgabenstellungen verwendet werden kann, wandeln sich auch dementsprechend die Methoden. Diese variierenden Methoden nehmen häufig auf, was zuvor vielleicht von den vorausgegangenen Methoden vernachlässigt wurde und gehen auf aktuelle Bedürfnisse der Gesellschaft ein. Zudem berücksichtigen diese Methoden neueste Ergebnissen der unterschiedlichen Bezugswissenschaften. Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache ist von dieser Entwicklung der Methoden des Fremdsprachenunterrichts nicht auszunehmen. Ausgehend von diesen Festlegungen soll im Folgenden die Methode der Dramapädagogik und deren Bedeutung für den Erwerb der Fremdsprache kurz besprochen werden.
Vom Name-n-forscher zum Name-ns-forscher : unbefugte oder befugte ns-Fuge in Namen(s)-Komposita?
(2004)
Um die nun im Titel gestellte Frage zu beantworten: Es ist befugt, Komposita mit Name als Erstglied mit -ns- zu verfugen. Die Korpusbefimde weisen überdeutlich aus, daß "ns- hier hochproduktiv ist. Als Grund fiir diese starke Bevorzugung der ns-Fuge wurde der "Rückzug" der n-Fuge auf die Klasse der belebten, schwachen Maskulina und damit die Funktionalisierung ebendieser Fuge als Klassen- und Belebtheitszeichen ermittelt. Der Name als Simplex hat sich zwar bereits mit dem starken Genitiv Singular Namens aus der Klasse der schwachen Maskulina entfernt, doch verharrt er weiterhin in einer kleinen Mischklasse, deren Mitglieder zum größten Teil bereits in die starke (sog. "Balken-") Klasse abgewandert sind oder dabei sind, dies zu tun. Daß der Name sich diesem Wandel entzieht, geschieht jedoch unbefugter- und unerklärtermaßen. Die Beschäftigung mit den Namen/s-Schwankungen hat ferner erbracht, daß gerade die ältere Schicht an Namens-Komposita lexikalisiert ist (Namenstag, Namensvetter) und daß die n-Fuge nur noch in fachsprachlicher Verwendung dominiert (Namenaktie, Namenkunde, Namenforschung). Als förderlich für die ns-Verfugung haben sich gerade die (ansonsten fugenhemmend wrrkenden) deverbalen Zweitglieder erweisen (Namensgebung), als hinderlich dagegen die Komplexität der 1. Konstitutente (Familiennamenforschung) - wenngleich diese Tendenzen nur fiir die s-Fuge ermittelt wurden. Die ns-Fuge erweist sich ilrrerseits als bessere Binnengrenzmarkierung, da [s] positionsbeschränkt, d.h. im Wortanlaut blockiert ist. Sowohl bei -n- als auch bei -ns- handelt es sich um paradigmische Fugen. Der Zufall bzw. das Alphabet will es, daß der Eintrag Name zwischen Naivling und Nandu (< span.-südam. nandu [njan'du]), dem südamerikanischen Kollegen des afrikanischen Straußenvogels, angesiedelt ist. Was den Nandu betrifft, so hat sich dieser Beitrag zumindest darum bemüht, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Was jedoch den Naivling anbelangt, so befinden wir uns bei dem faszinierenden Thema der Fugenelemente immer noch in diesem Stadium, auch wenn mittlerweile bei der Frage nach Funktion und Grammatik dieser "Grenzfälle morphologischer Einheiten" (so der Titel von Fuhrhop 1998) große Durchbrüche erzielt worden sind. Wenn es aber, wie in diesem Beitrag, um Schwankungs- und damit um Grenzfälle solcher Grenzfälle geht, so tut sich, um die Sache positiv zu wenden, ein ganzer Strauß (oder Nandu) an Desideraten, Herausforderungen und Forschungsperspektiven auf.
Die vielleicht bewegendste literarische Lebensgeschichte des 18. Jahrhunderts, Karl Philipp Moritz’ Anton Reiser (1785-1790), ist ein in vieler Hinsicht hybrider Text. Weder Liebes-, Familien- noch Bekehrungsgeschichte erzählt sie den ins Leere laufenden Bildungsweg eines Melancholikers. Eingeschrieben ist ihr eine Lektüre- und Autorbiographie, in der Lesenlernen und die Initiation in die Bücherwelt eine Schlüsselfunktion haben. Daß meine Darstellung dieser Initiation in einen so breiten Rahmen eingelassen ist, muß begründet werden. Er soll zeigen, wie die in den Vorreden geforderte Aufmerksamkeit für alltägliche Details über die Ordnung des Erzählens generiert wird; und zwar eines Erzählens, das Kontexten auf der Spur ist. Interessiert hat mich sowohl die Deskription wie auch die Konstruktion dieser Geschichte, und so ist mein Beitrag auf den Umfang von zweien angewachsen...
In dem vorliegenden Beitrag wird das Augenmerk der Verfasserin auf das publizistische Werk Artur Beckers, eines aus Polen stammenden, hauptsächlich auf Deutsch schreibenden Autors gerichtet. An Hand seiner journalistischen Arbeiten sowie der vor kurzem erschienenen Essaysammlung Kosmopolen soll das Bild einer modernen transkulturellen Identität rekonstruiert werden. Ausgehend von der Lebensgeschichte des Autors werden zunächst seine Wahrnehmung als Schriftsteller in der Öffentlichkeit, sein eigenes Selbstbild sowie sein Umgang mit Sprachen (der Muttersprache Polnisch und der Literatursprache Deutsch) thematisiert. Im Hinblick auf die zunehmende Relevanz der sogenannten interkulturellen Literatur im deutschsprachigen Raum - von der peripheren Stellung der Gastarbeiterliteratur bis zur Begeisterung für Werke der mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ausgezeichneten Autoren - wird Becker in dem Polysystem der deutschen Nationalliteratur zentral verortet. Anschließend wird seine aktuelle mediale Präsenz in einen Zusammenhang mit den Termini Transkulturalität und Transnationalität gebracht. In seinen neuesten Pressetexten nimmt der Schriftsteller Stellung zu aktuellen innenpolitischen Problemen in Polen und in Deutschland, thematisiert seine persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse und rezensiert literarische Neuerscheinungen anderer polnischer Autoren. Im Gegensatz zu seinen literarischen Werken, die von Becker seit 1989 ausschließlich auf Deutsch verfasst werden, beginnt der Autor in der letzten Zeit seine publizistischen Texte auch in der polnischen Sprache zu schreiben. Diesen erneuten Sprachwechsel nach über 20 Jahren reflektiert er selbst als ein großes Ereignis. Im folgenden Teil des Beitrags wird der von Becker aufgegriffene und weiter entwickelte Begriff 'Kosmopolen' rekonstruiert, der nach Ansicht des Autors einerseits für eine bestimmte, von der Nationalzugehörigkeit und dem momentanen Wohnort unabhängige Haltung, andererseits aber auch für einen offenen grenzübergreifenden Raum steht. Indem Becker die Perspektive des Außenbeobachters mit einer Innenansicht einnimmt, erhebt er den Anspruch, als eine objektive Stimme der Vernunft zu gelten. In diesem Zusammenhang wird die vielfältige, transkulturell geprägte Problematik des Essaybandes erörtert.
Verkleidung und Entstellung, Verfälschung und Verfremdung gehören ebenso zu Carlyles intellektuellen Techniken wie Übertreibung und Provokation. Auch sein größter Coup - die gut besuchten und mit viel Beifall bedachten Vorlesungen "On Heroes, Hero-Worship, and the Heroic in History" (1840) - sind vor diesem Hintergrund zu betrachten: Sie überzeugten nicht aufgrund ihrer sachlichen Argumentation, sondern Carlyles affektive Hingabe an sein eigenes kulturkritisches Ressentiment riss die Zuhörer mit. Seine Zeitgenossen wollte Carlyle davon überzeugen, dass im Erkennen der wahren Helden und ihrer Verehrung die einzige Möglichkeit zur Rettung bestünde - eine These mit großer Wirkung, für deren Propagierung er sein ganzes rhetorisches Talent einsetzte. In den Vorlesungen "On Heroes, Hero-Worship, and the Heroic in History" (1840) entwarf Carlyle vor den Augen seiner Zuhörer ein beeindruckendes Panorama des Heldentums, das überraschende Figuren aufweist. Nicht nur Götter, Propheten und Könige, sondern auch Poeten, Priester und Schriftsteller gehören Carlyles Elysium an.
Ich möchte […] drei Beispiele für den produktiven Dialog zwischen Historischer Sprachwissenschaft und Sprachtypologie liefern: 1. Den phonologisch-typologischen Wandel des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache, 2. die frühnhd. 'Justierung' der Abfolge grammatischer Kategorien am Verb gemäß der universellen Relevanzskala, und 3. die Entwicklung unseres Höflichkeitssystems am Beispiel der Anredepronomen. Weder liefere ich Neues noch kann ich ins Detail gehen. Es geht hier nur darum, für die gegenseitige Wahrnehmung und Zusammenarbeit linguistischer Disziplinen zu werben.
Machen wir uns nichts vor. Auch wenn "Event" zum "PR-Wort der letzten Jahre" gekürt worden ist, wenn "Events auf die Besucher wie eine moderne Konsumdroge" wirken, wenn gar vom "Trend zum Event" gesprochen wird, von dem alle Bereiche der Gesellschaft längst so stark erfaßt sind, daß sich ihm nichts und niemand mehr entziehen kann – es bleibt dabei: Wann auch immer davon in Verbindung mit Kultur die Rede ist, da hat man es mit einem bösen Kampfbegriff zu tun. Mit "Eventisierung der Kultur" ist ihr steter Verfall gemeint. Und das Label "Eventkultur" gibt den Zustandsbegriff für eine Gesellschaft, die antrat, mit Kunst und Literatur die höchsten Höhen des Menschenmöglichen zu erreichen, und die nun ihr Bestes, Schönstes und Wahrstes bei einem Schaustellerwettbewerb auf dem Jahrmarkt verhökert. Event, das ist das "zur Sensation hoch inszenierte Nichtereignis, und die größte Kunst im Medienspiel ist das lauteste Krähen". Hier wird, so scheint es, "die Kunst zum bloßen Anlaß für den Konsum (...), zum Alibi", weil sie "in sonderbarer Perversion der alten Horazischen Ästhetik des 'utile cum dulci' und des 'prodesse et delectare', Zucker auf eine Sache streut, die sonst keinem mehr schmeckt." Und das passiert en masse: "Anschwellende Programmhefte, ausufernde Veranstaltungskalender, zunehmender Festivaltourismus, Boom der Multiplex-Kinos, Expo, Millenium Dome – was ist", so fragt sich da der kritische Betrachter mit Blick aufs Literarische, "was ist aus dem Erzählen geworden?" ...
Archivarin, Editorin und Biographin in Personalunion zu sein, ist eine Herausforderung, zumal wenn die ganz verschiedenen, mit jeder einzelnen Rolle verbundenen Erfordernisse auf dasselbe Material bezogen sind. Die gleichzeitige Ausübung dieser ganz unterschiedlichen Funktionen ist aber auch ein Privileg, denn sie ermöglicht es, das Verhältnis zweier aufeinander bezogener Ordnungen, die in der Regel auf unterschiedlichen Wegen generiert werden und an voneinander getrennten Orten existieren, für die Arbeit mit den Materialien produktiv zu machen: die Ordnung von Nachlassmaterialien im Archiv, sichtbar in Gestalt des Inventars und von Textkorpora, und die 'An-Ordnung' dieser nunmehr zu Archivalien gewordenen Materialien, etwa mit dem Ziel, sie als Zeugnisse einer intellektuellen Geschichte lesbar zu machen. Die wechselseitige Beziehung dieser unterschiedlichen Ordnungen berührt die "Überkreuzung des Topologischen und Nomologischen", die Derrida in seinem Buch 'Mal’ d’archive' als Wesenszug der archontischen Aufgabe ausstellt. Dies insofern, als es dabei um die Überkreuzung und teilweise Übereinstimmung zweier Archiv-Orte geht: desjenigen, an dem die Dokumente aufbewahrt werden, und desjenigen, an dem Recht und Kompetenz der Auslegung über diese Dokumente praktiziert werden: von den archonten an ihrem Wohnsitz, dem 'archeion'.
Die vorliegende Arbeit untersucht die Motivation des Wechsels von der Lyrik zur Prosa im Frühwerk von Thomas Bernhard und bemüht sich zu zeigen, wie sich die 'neue' Gattung als Experimentierraum sprachlicher Konstruierbarkeit einer literarischen Wirklichkeit und die Existenzialphilosophie als neues Ausdrucksmittel des leidenden Subjekts erweist. Beide bilden die Voraussetzungen für den neuen Bernhard'schen Ton, der sich im Roman 'Frost' (1963) zum ersten Mal zeigt. Das Experimentelle im Romanerstling Bernhards ist soziologisch motiviert und äußert sich sowohl erzähltechnisch als auch konzeptuell in der 'experimentellen Sprache' des Malers Strauch.
Vom analogen Foto zum digitalen Image : die Sicherung historischer Fotos durch HERRMANN & KRAEMER
(2004)
Die fototechnische Realisierung des Projektes und die Schaffung einer digitalen Benutzerausgabe bei Wahrung aller Bildinformationen gestaltete sich durchaus anspruchsvoll: handelt es sich doch um einen hinsichtlich Vorlagenart, Erhaltungszustand und Verwahrungsform in jeder Weise sehr differenzierten Bestand. Die Dokumente, Fotografi en und Negative befinden sich nicht nur im Besitz der StUB. In das Projekt einbezogen wurden auch Bestände aus der Sam-Cohen-Library in Swakopmund und viele engagierten Privatpersonen stellten Alben, Filme und vereinzelt sogar Wandkarten und gerahmte Bilder zur Verfügung. Speziell die „externen“ Bestände hatte man aus verständlichen Gründen nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung. Zugleich existierte bislang noch kein langzeitarchivbeständiges Sicherungsmedium, weshalb dem Sicherungsgedanken – auch angesichts eines Brandes, den es bei Sam Cohen gegeben hat – verständlicherweise größte Bedeutung beigemessen wurde.
Die Rückseite einer Stickerei gilt gemeinhin nicht als vorzeigbar. Ungeachtet ihrer dreidimensionalen Textur ist die 'Nadelmalerei', wie man die Stickkunst schon in der Antike zu nennen pflegte, vielmehr ganz auf die Frontalseite ausgerichtet. In ihrer stark hierarchisierenden Fokussierung der zur Ansicht bestimmten kunstvollen 'Schau-' zuungunsten der meist ungestalten, dem Blick entzogenen 'Kehrseite' unterscheidet sie sich grundlegend von anderen Textilarten wie gefilzten oder gehäkelten Stoffen, deren Vorder- und Rückseite einander entweder gleichen oder aber symmetrisch sind. Anders als die konventionelle Leinwandmalerei wiederum ist die Stickerei konstitutiv mit ihrer Rückseite verbunden, insofern der stoffverzierende Faden "gleichzeitig zu seiner eigenen Befestigung auf der Unterlage dient."
Voltaires Verwirrung
(2011)
Ausgehend von einer Anekdote über den 80 Jahre alten Voltaire hebt Fabio Camilletti die Wiederholungserfahrung als zentralen Aspekt des Unheimlichen hervor. Den Philosophen Voltaire, der durch den Anblick eines abendlich betenden Mädchens plötzlich beunruhigt und schockiert wird, versteht Camilletti als eine vielsagende Figur der ängstlichen Verzauberung. Dieser Begebenheit folgend untersucht der Beitrag das Unheimliche im Primitivismus des 19. Jahrhunderts und macht deutlich, dass die jeweiligen Bestrebungen, die Vergangenheit wiederzubeleben, mit Rückgriff auf die Struktur des Verdrängungsprozesses interpretiert werden können.
Über das Leben Voltaires, das in Paris 1694 begann und 1778 endete, sind wir dank einer ungeheuren Korrespondenz von reichlich 20 000 Briefen hervorragend unterrichtet. Sein Lebensweg, sein Zeitalter und die bestimmenden Ideen der Epoche sind darin dokumentiert. Der in der Religionswissenschaft gebräuchliche Begriff 'Kulturheros' muss für den notorischen Religionsspötter daher zunächst irritierend unpassend erscheinen, was die Überschrift zum Ausdruck bringt. Für den Intellektuellen im politischen, nicht im soziologischen Sinne ist dagegen bezeichnend, dass sein Name in der Öffentlichkeit schon Gewicht hat, wenn er ungefragt und ohne Auftrag zu einer Frage Stellung nimmt, die außerhalb seiner Zuständigkeit liegt, wobei er im Namen höherer Werte für die unterlegene Seite Partei ergreift. Nicht alle Geistesschaffenden sind also schon Intellektuelle in diesem Sinne, sondern nur da, wo sie "von ihrem beruflichen Wissen jenseits ihrer Profession einen öffentlichen Gebrauch machen". Als Ahnherr dieses Intellektuellentypus aber gilt Voltaire, dem es im vorgeschrittenen Alter gelang, auf beispielhafte Weise für Wahrheit und Gerechtigkeit einzutreten. [...] Um zu verstehen, wie Voltaire zum politischen Mythos werden konnte, sollen im Folgenden einige Problemstellungen aus seinen Schriften und seinem Wirken skizziert werden.
Jede Kultur operiert mit Zeichen, und jede Zeichenoperation birgt in sich ein Konzept der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Schriftlich gefasste Theorien zu dieser Beziehung entstehen in Mittelalter und Früher Neuzeit vor allem da, wo die Zeichenoperation von hoher Relevanz und dabei in ihrer genauen Bedeutung strittig ist. In der christlichen Kultur der Vormoderne hat die theologische Notwendigkeit einer Exegese der Konsekrationsformel hoc est corpus meum zu einer Arbeit am Zeichenkonzept geführt, die in ihren Folgen nicht auf die eucharistische Kernbedeutung beschränkt bleibt. Und alle anderen Begriffe, die im Kontext der sakramentalen Leitfigur der Zeichenkonzepte eine zentrale Rolle spielen, werden ebenfalls von den Debatten imprägniert, so wie beispielsweise 'Substanz' und 'Präsenz'. Es sind jedoch nicht nur die theologischen Debatten zwischen den verschiedenen Lagern in Mittelalter und Früher Neuzeit, die den Zeichen-, Substanz- und Präsenzbegriff formieren, sondern auch das Ritual selbst als komplexe institutionalisierte und sakral überhöhte Zeichenoperation. Der Vollzug ist die für die Geltung und Gültigkeit des sakramentalen Status relevante Instanz, die im Diktum ex opere operato explizit angesprochen ist. Es gilt für die vorreformatorischen und katholischen Sakramente und besagt, dass das Sakrament aus dem kirchlichen Ritual direkt und zwingend hervorgebracht wird, unabhängig von äußeren, kontingenten Bedingungen. Es ist bezeichnend, dass sich im Sakrament die beiden gebräuchlichen Begriffe von Performativität treffen: Im Sinne der linguistischen Sprechakttheorie (nach John L. Austin) bringt die Konsekrationsformel das Sakrament performativ hervor, und der medientheoretische Begriff der Performanz im Sinne komplexer, bedeutungsgeladener Handlung ist ebenfalls auf den Vollzug des gesamten Rituals auch außerhalb seiner Sprachlichkeit anwendbar. Dieser im Ritual erfolgende Vollzug des Sakraments, die Performanz der Zeichenoperation bzw. die Performanz des Sprechaktes der Konsekrationsformel, ist innerhalb der vormodernen christlichen Kultur das zentrale Modell für andere Zeichenoperationen, und zwar vor allem dort, wo es um die Geltung von Vereinbarungen und die Wirksamkeit der Institutionalisierung von politischen Verfahren geht. Dies gilt im Besonderen für den Vertrag und den Eid. Dass das Bildmedium bzw. die Kunst bei diesen rechtlichen Umsetzungen der sakramentalen Leitfigur eine entscheidende Rolle spielen, sollen die folgenden Ausführungen deutlich machen. Die Übertragungen der sakramentalen Bedeutungsmuster auf profane Zusammenhänge der rechtlichen Zeremonien und der Vertragsschlüsse sind, wie zu zeigen sein wird, überkonfessionell geprägt. Die kulturelle Arbeit in den Debatten über das Wesen des Sakraments hat auch dort sinnstiftende Konsequenzen, wo man es zunächst nicht erwartet, und diese Sinnstiftungen außerhalb des religiösen Kernbereichs können sich auch aus den Vorstellungen der jeweils anderen Konfessionen speisen.
Durch die Ästhetisierung und Regulierung der Gewalt im ritterlichen Kampf und insbesondere in seiner literarischen Darstellung spaltet sich der mehrdeutige deutsche Begriff ‘Gewalt’ in zwei seiner lateinischen Entsprechungen: Wofern die Regeln eingehalten werden, ist sie ‘vis’, wofern aber gegen die Regulierung verstoßen wird, ist sie ‘violentia’; Johannes Rothe nennt sie dann im ›Ritterspiegel‹ ‘bose gewalt’ (V. 2677). Nicht vergessen werden darf aber die dritte Komponente der Gewalt, die ebenfalls in diesem schillernden deutschen Wort enthalten ist: ‘potestas’, die auf ‘vis’ aufbaut. Die ‘êre’, die ein Ritter im Kampf erringt, ist mehr als nur ein guter Ruf, sie ist eine gesellschaftliche Anerkennung, die auch Elemente der Macht in sich trägt. Die ‘potestas’ aber des Herrschers stärkt sich, indem sie einige Formen der ‘vis’ anderer zur ‘violentia’ erklärt. Ein herausragendes Beispiel hierfür sind die Landfriedengebote, die insbesondere unter dem Stauferkaiser Friedrich I. häufig ausgesprochen und als Herrschaftsinstrument verwendet wurden. Durch sie sollte die Möglichkeit eines individuellen gewaltsamen Konfliktaustrags in der Fehde unterbunden werden, indem sich beide Parteien der richterlichen Gewalt, der ‘potestas’ des Herrschers, unterwerfen und es dem Richter überlassen wird, mit Gewalt denjenigen, der gegen Regeln des Zusammenlebens verstoßen hat, zu bestrafen. Die ‘peinlichen’, also ernsten körperlichen Strafen, die die hoheitliche Gerichtsbarkeit verhängen kann, sind Ausdruck dieser rechtlich kanalisierten, aber keineswegs abgeschafften Gewalt, auf der die Ordnung beruht.
Nach Günter Thomas, der sich mit verschiedenen Formen religiöser Zeugenschaft befasst und kritisch in Frage stellt, ob es sich ausgerechnet beim Märtyrer um den paradigmatischen religiösen Zeugen handelt, ereignet sich Zeugenschaft in Situationen und Konstellationen. Stärker als um eine Suche nach einem Grundmodell von Zeugenschaft geht es Thomas um eine Untersuchung der "spezifischen Differenzen und Differenzierungen" in verschiedenen sozialen Sphären. Eine genauere Untersuchung der religiösen Zeugenschaft erlaubt es, unterschiedliche "Modi der Gewissheit" und "Techniken der Überzeugung" zu differenzieren und die der religiösen Zeugenschaft eigenen "originären Konstellationen" herauszustellen. Dabei thematisiert er vier Typen des religiösen Zeugnisprozesses: den Auferstehungszeugen, den Märtyrer, das diakonische Zeugnis und die Zeugniskette. Das Zeugnis des Märtyrers wird als Tatzeugnis dargestellt, das von einem weiteren Zeugen (mündlich oder vor allem schriftlich) beglaubigt werden muss. Ein unsichtbares Martyrium kann nicht Zeugnis sein; "[d]ie Gewissheit der Märtyrer ist so eine diskursive Konstruktion von Beobachtern". Auch hier findet sich die doppelte Struktur des Zeugnisses. Thomas weist darauf hin, dass es gerade im Bereich der religiösen Zeugenschaft nicht nur natürlich-sprachige Zeugnisse, sondern - wie am Beispiel der Diakonie zu beobachten - Handlungen gibt, die als Tatzeugnisse Ereignisse mit performativer Dimension sind. Da diese Handlungen selbst Medien der Kommunikation sind und im sozialen Kontext Dynamiken entfalten, ist auch hier von einer hohen Komplexität der jeweiligen Konstellationen zu sprechen.