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Prodigien
(2016)
Gegenstand dieses Essays ist eine in der frühen Neuzeit weit verbreitete historische Kulturtechnik der Vorzeichendeutung, nämlich die Vorhersage der Zukunft aus Ereignissen oder Gegenständen, die nicht dem Lauf der Natur zu entsprechen scheinen. Der Oberbegriff für solche Abweichungen lautet zeitgenössisch Praesagium, oder, häufiger, Prodigium, das sich von dem Verbum defectivum 'aio', 'sagen', ableitet. Es geht demzufolge um im Gegenstand selbst befindliche Vorhersagen, die direkt oder indirekt auf Gott zurückgehen. Mit Prodigien werden meist ungewöhnliche Veränderungen im gestirnten Himmel bezeichnet, worunter z.B. das Auftauchen von Kometen oder Meteoren, aber auch Devianzen vom Lauf der Natur auf der Erde gehören, wobei unter Letzteren vor allem – und darum soll es hier besonders gehen – Monstren, also Missgeburten bei Tieren und Menschen, gefasst werden.
Philipp Melanchthon (1497-1560), der heute vorwiegend als Theologe und Mitstreiter der lutherischen Reformation bekannt ist, hat ein umfangreiches Ensemble lateinischer und griechischer Gedichte verfasst, die ein breites Spektrum von Themen und poetischen Formen umfassen. Eine entscheidende Rolle kommt dabei, so das hier vorgetragene Argument, der Motivik und Metaphorik des einfachen, gewöhnlichen Lebens zu, die in Melanchthons Dichtungen stilbildend wirken. Teils im Rekurs auf antike Vorlagen, teils in Anschluss an die biblischen Schriften, entwickelt der Dichter eine Sprache des Alltäglichen, die seiner poetischen Rede ihren charakteristischen Ton des 'sermo humilis' verleiht.