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Wann immer man einen Kunsthistoriker oder eine Bildwissenschaftlerin bei ihrer konkreten Arbeit im Bereich der Bilder und des Visuellen mit der Frage unterbricht, was denn der Iconic Turn eigentlich sei, bekommt man leicht folgende Antworten: Man wisse es nicht, vielleicht gebe es auch gar keine Antwort auf diese Frage. Vielleicht stoße der Iconic Turn sogar eher Fragen an – Fragen angesichts einer immer mehr von Bildern und Bildtechnologien beherrschten Welt. Zum Beispiel die Ausgangsfrage: "Was ist ein Bild?" (Boehm 1994) Und doch scheint es – etwa unter Philosophen – manch einen zu geben, der sich hier eine Antwort zutraut: "Der iconic turn will […] in der alten Gigantomachie das Obere zuunterst stürzen und die Herrschaft des logos durch die der Bilder ersetzen" (Brandt 2008).
Das Thema stellt sich nicht nur im Blick auf die vom Medium Stummfilm geforderten Zwischentitel, sondern auch im weiteren Sinne. Seine Spannbreite reicht von den sogenannten 'Inserts', konkreten in der Filmhandlung auftauchenden schriftlichen Dokumenten, bis hin zu literarischen Referenzen und Motivkonstellationen. All dies zeigt, dass das frühe Kino als das 'neuere' Medium fortwährend auf das 'ältere', die Schriftkultur, Bezug nimmt, es zitiert und auratisiert, sich ebenso von ihm absetzt wie von ihm herleitet.
Am Ende der 1990er Jahre konnte man durch die Analyse der Metaphern der Alltagssprache schon sehen, "in welche Richtung" man rannte: Und heute leben wir in einer (globalen) Gesellschaft, in der jede Handlung und jeder Lebensbereich unseres Lebens als verwirtschaftet und auf Wettbewerb ausgerichtet ist. Aber all das war schon "geschrieben" und enthalten in den Bildern und der Sprache der Zeit: Es musste nur "gelesen" werden. Wenn wir auf die etymologischen Wurzeln des Wortes Kompetition achten (vom Lateinischen cum petere: cum = mit, zusammen, petere = zusteuern auf; das Wort bedeutet also zusammen gehen, übereinstimmen, sich treffen, zusammen Fragen stellen), müssen wir uns eingestehen, dass das Konzept des Wettbewerbs, der in Europa sehr stark gefördert wurde, im Gegensatz zur Begünstigung der Kooperation im Erlangen von Verständnis und individueller Fähigkeit zum Zwecke der Verbesserung der Lebensqualität, des Teilens von Gewinnen und des kulturellen Wachstums, eher die Angriffslust, die Notwendigkeit des Erfolgs, der Verwirklichung und des Besitzes bevorteilt hat. Schlussendlich hat sich der Umgang mit der Gegensätzlichkeit, die der Wettbewerb aufzeigt, zugespitzt mit einer Verschärfung der Dynamik zur Erlangung der Vormachtstellung.
Vielen hängt das Thema „Grexit“ schon zum Hals heraus. Seit dem ersten Hilfspaket 2010 kehrt es wellenartig in der Berichterstattung wieder, seit Wochen ist es das Top-Thema in den deutschen Medien. Ein Abstumpfen gegenüber dem politischen Gerangel sollte aber nicht dazu führen, dass unser kritischer Blick dafür schwindet, wie „Deutschland“ auf die Krise reagiert – sowohl außen- und finanzpolitisch als auch medial...
En tentant de regarder une image singulière avec quelques mots de Walter Benjamin, je voudrais, non pas me livrer à un exercice de commentaire, de glose ou de déchiffrement, mais, plus modestement, faire acte de reconnaissance, porter témoignage d’une experience de l’image, d’une 'poétique de l’image'. Walter Benjamin, l’un des penseurs qui a le plus radicalement bouleversé - réinventé - la notion de lisibilité (Lesbarkeit), est aussi l’un des penseurs au contact duquel l’histoire de l’art se trouve bouleversée dans son rapport même à la visibilité (Sichtbarkeit) et à la temporalité des images. Il ne s’agit pas seulement de rendre hommage à celui qui, mieux que quiconque, aura théorisé le rôle de la reproductibilité, taconté l’histoire de "l’art en tant que photographie" ou décrit le "déclin de l’aura". Il s’agit de travailler avec sa façon de mettre le temps au coeur de toute question d’image, et de faire de l’image - à commencer par la fameuse "image dialectique" - l’opérateur central de toute historicité. Le meilleur hommage, la meilleure justice que l’on puisse rendre à quelque chose, dit Benjamin - en parlant des "guenilles", des "rebuts" de l’histoire -, c’est de l’utiliser. Je vais tâcher de suivre cette leçon en vous présentant un objet de travail et en essayant de restituer la 'valeur d’usage' d’un ou de deux textes de Benjamin pour tenter de savoir, tout simplement, 'comment regarder une image'.
In vielen literarischen Texten umkreist Goethe problematische Effekte von Bildern und Bildpraktiken. Bilder können dazu einladen, das bildlich Dargestellte für einen Teil der Wirklichkeit zu halten, sie können Gegenstand fragwürdiger Projektionen werden oder aber dazu beitragen, die Wirklichkeit selbst bildhaft erstarren zu lassen. Diese Gefahren im Umgang mit Bildern sind nicht zuletzt auf deren spezifische temporale Verfasstheit zurückzuführen, insbesondere wenn die physische Präsenz eines Bildes genutzt wird, um Vergangenes oder Abwesendes zu vergegenwärtigen. Der Beitrag entfaltet diese Problemlage an verschiedenen exemplarischen Texten Goethes. Am Beispiel des Aufsatzes "Ruysdael als Dichter" skizziert er eine alternative Form des Umgangs mit Bildern, die nicht allein auf deren Präsenzeffekt setzt, sondern eine dem Bild eigene Temporalität im Prozess des Sehens und Reflektierens zur Geltung bringt.
Bill Violas mediale Neubearbeitungen der Passion Christi mögen hier als ein produktiver Umweg fungieren, der die Abkehr von einer Ikonographie der Passion ermöglicht und eine neue Sicht auf die Passion als Denkstil eröffnet. Denn durch einen solchen leidenschaftlichen Denkstil, gemäß der Bedeutung von 'Passion' als intensiver Hingabe an eine Person oder ein Objekt, zeichnet sich Sigrid Weigels wissenschaftliche Praxis aus, so etwa durch die Leidenschaft für dialektische Analyseverfahren von Bild und Schrift, verstanden als kritische Praxis. Solch ein Erkenntnisinteresse versucht unermüdlich, eine Neubestimmung kritischer Wissenschaft vorzunehmen, die sich sowohl im historischen Prozess bewährt als auch in gegenwärtigen Belangen verankert bleibt. Es folgt eine kritische Lektüre von Bildern, die jeweils in dichten Beschreibungen eingeführt werden. Drei Beispiele aus der Gegenwartskunst veranschaulichen die Konstituierung von Identitäten mit Blick auf die Diskurse von Geschlecht, Rasse und sexueller Orientierung und damit die Konstruktion einer Identität im Spannungsfeld von Subjektivität und Fremdbestimmung. Die Bilder verdeutlichen dabei die resultierenden Konflikte zwischen eigenem Erleben und vorherrschenden Strukturen.
Als eine künstlerisch-wissenschaftliche Praxis, die im Sinne des Verlernens hegemonialen Wissens Bedeutung veruneindeutigt, anstatt sie zu fixieren, versteht Philipp Hohmann in seinem Beitrag das Kuratieren. Er untersucht die künstlerische Arbeit "N.O.Body" von Pauline Boudry und Renate Lorenz, die in ihrer gleichnamigen Installation eine Auswahl der Abbildungen versammeln, anhand derer Magnus Hirschfeld in seiner 1926 bis 1930 erschienen "Geschlechtskunde" sein Einordnungsprinzip der sexuellen Zwischenstufen illustrierte. Dem pädagogisch-aufklärerischen Impetus des sog. 'Bilderteils', dem das Motto vorangestellt ist, "Bilder sollen bilden", stellen Baudry/Lorenz mit ihrer Re-Konstellation der Bilder, ihrem Film und der Performance, die Teil der Installation ist, eine "Affirmation als Methode der Kritik [gegenüber], um mit, gegen und auch jenseits dieser Bilder anders oder Andere(s) zu bilden" (Hohmann).
Edukative Grenzüberschreitung : Text-Bild-Verweise in 'The League of Extraordinary Gentlemen'
(2017)
Zwar integrieren Comics bildliche und textuale Elemente. Oft herrscht in einzelnen Bildern oder Szenen aber ein Primat des Texts oder des Bildes vor. Dies bedeutet eine faktische Text-Bild-Trennung im Comic-Panel. 'The League of Extraordinary Gentlemen' macht diese Text-Bild-Grenzen durch gezielte Überschreitungen fruchtbar: Die implizite Hierarchie von Text und Bild wird durch gegenseitige, explizite Verweise aufeinander in Frage gestellt. Dies lässt auch den Informationswert der einzelnen Panels zweifelhaft erscheinen: Geht hier mehr vor sich, als auf den ersten Blick ersichtlich ist? 'League' provoziert so ein aufmerksames, 'detektivisches Lesen', das sensibel ist gegen die Verweisstrukturen des Comics. Dieser zeigt über sich selbst – auf einen Kanon literarischer Vorlagen – hinaus.
This article parts from an interdisciplinary point of view. Its main interest lies in the rich and complex interaction between the literary text and the image. These relations are understood as a “reciprocal illumination between the arts”, according to a publication of Oskar Walzel (Berlin, 1917). It will first investigate two historical landmarks in relation to literature and the image: first, the social differentiation around 1800 and its imposition of a purely textual literature and second, the avant-garde with its intense interaction between the various forms of artistic communication. The paper will then approach two contemporary examples of novels which combine visual and textual material.
Im Folgenden möchte ich Mundts Schrift in ihren Hauptmomenten vorstellen und dabei schlaglichtartig derartige Schnittstellen erhellen: die Idee einer großen, die modernen Differenzerfahrungen aufhebenden Vermittlung und deren politische Implikationen (1.); die Möglichkeiten einer politischen Artikulation im Rahmen der philosophischen Ästhetik des Vormärz (2.); die dynamische Begriffsordnung der "Aesthetik", deren Bewegungsemphase und das zugleich bemerkbare Erproben formativer Kräfte (3.); Phantasie und Idealisierung (4.) und schließlich den für Mundts Schrift wichtigen Begriff des Bildes (5.). Die Verbindungslinien, die sich zwischen Mundts "Aesthetik" und der Ästhetik des Jahrhunderts zeigen werden, sind dann zugleich Ausweis von Kontinuitäten, die sich zwischen den beiden Jahrhunderthälften, zwischen Vormärz und Nachmärz erstrecken.
In un passo di Angelus Novus, Walter Benjamin ebbe a scrivere, citando Pascal : "'Nessuno', dice Pascal, 'muore così povero da non lasciare nulla in eredità'. Ciò vale anche per i ricordi – solo che essi non sempre trovano un erede". Per Thomas Bernhard può dichiararsi a buon titolo erede solo e proprio colui che si assume il compito di elaborare radicalmente il ricordo del passato, di estinguere una volta per tutte il radicamento all'origine. Nel romanzo Estinzione la memoria è condensata in una serie di immagini fotografiche che s'impongono, si sottopongono, si sovrappongono alla coscienza del protagonista, Franz Josef Murau. Sono la cifra del vincolo con l'origine, che qui è la cittadina austriaca di Wolfsegg: un cordone ombelicale che, attraverso il potere corrosivo del ricordo, deve essere reciso, fi bra dopo fi bra. E, per attendere a questo esito, occorre far cortocircuitare le varie visioni che investono la coscienza di Murau: immagini reali, immagini distorte, immagini sfigurate, immagini riflesse, immagini fotografiche, immagini memoriali, immagini sognate, immagini ideali, immagini dell'inconscio. È dalla lettura di una serie di Bilder che Murau attingerà il coraggio necessario per sobbarcarsi il peso di Wolfsegg, dell'origine che ci è toccata in sorte e che, proprio per questo, "delenda est".
Das Folgende ist in vier Abschnitte gegliedert: 1. Rekurs auf Kants Ornamentästhetik - Gradationen der „Zierde“ 2. Erinnern und Löschen - Wechselreiten von Scherzen und Verrätseln 3. Märchen und Rätsel - geselliges Spiel und klassizistische Lektüreübung 4. Unterhaltung und Gespräch - drei Geselligkeitskonzepte und ihre Auflösung in philostratischer Choreographie
Die meisten Maler und Zeichner der Romantik haben von den in dem erzählten Märchen wachgerufenen Innenbildern berichtet und von ihnen bei ihrer Arbeit profitiert. [...] Bekanntlich rehabilitieren die romantischen Künstler nicht nur die erzählenden volkstümlichen Gattungen, die Legende, das Märchen, die Anekdote und das Volksbuch, sondern auch die volkstümlichen Formen der bildenden Kunst: die Scherenschnitte, die Silhouetten,
die Schattenrisse etc. [...]
Öffentlichkeit bedarf, um zu gedeihen, einerseits bestimmter staatlicher und rechtlich abgesicherter Außenbedingungen [...] anderereits bestimmter kommunikativer und urbaner Binnenbedingungen. Öffentlichkeit ist und wird aber auch geprägt von bestimmten Erfahrungs- und Wahrnehmungsformen. Eine Gelehrtenöffentlichkeit kann z.B. lokalitätsüberschreitend durch Schrift [...] und vor Ort in bestimmten Formen der Oralität, etwa der Vorlesung oder Disputation, stattfinden. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Physiognomie der Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr dominant von einer exzessiven Lese- und Schreibsucht geprägt wie noch im 18. Jahrhundert, sondern von einem unersättlichen Bilderhunger. Geht man auf die Suche nach den eigentümlichen Konstitutionsbedingungen literarischer Öffentlichkeit in der Epoche der Spätromantik und des Vormärz, so darf man nicht bei der Literatur stehen bleiben, sondern muß von der Interferenz von Literatur und Bild (wie in anderer und paralleler Weise von Literatur und Lied) ausgehen.
Die Interaktion von Bildern und Schrift definiert zwar den Comic nicht; dieser Interaktion in Comics nachzugehen, bietet jedoch wesentlichen Aufschluss darüber, was die spezifische historische und moderne Ästhetik dieser unter den vielen denkbaren Kunstformen ausmacht, die mit Bildern in Sequenz Sinn oder Narration generieren. Der Beitrag geht dieser Spur an drei Beispielen aus 'Astérix', aus Demian5s 'When I am King' und aus Matt Fractions 'Hawkeye' nach; er stützt sich dabei auf Jacques Rancières Beschreibungen des ästhetischen Regimes.
Der Dichter Ahmet Haşim litt an einer schweren Krankheit und begab zwecks Behandlung in verschiedene Länder. Zuletzt fuhr er im Jahre 1932 mit dem Zug nach Frankfurt am Main. Auf dem Weg nach Deutschland und in Frankfurt verfasste er Reiseberichte, in denen er die Länder und Städte, die er besuchte, und die Menschen, denen er begegnete, beschrieb. Seine Berichte wurden nach seiner Rückreise erst in einer türkischen Zeitung und später in einem Sammelband veröffentlicht. An seinen Reiseberichten sind insbesondere kulturelle, soziale und politische Beobachtungen wichtig (hier sei übrigens erwähnt, dass es sich um die Zeit kurz vor der Machtergreifung Hitlers handelt). Ahmet Haşim beschreibt in seinen Reiseberichten sowohl seine negativen als auch seine positiven Erfahrungen und Eindrücke. Diese Reiseberichte spiegeln deshalb auch das Deutschlandbild von Ahmet Haşim wieder und sind daher sehr bedeutend. Ahmet Haşims realistische Beschreibung und seine Prognosen erregten seinerzeit in der Türkei großes Aufsehen, wurde allerdings erst nach etwa 75 Jahren von Beatrix Caner ins Deutsche übersetzt.
Es geht im Folgenden darum, nach Berührungspunkten und Unterschieden zwischen Kosellecks Zugang und dem Warburgs zu fragen. Dies erfolgt in einer – selbstverständlich nur sehr ausschnitthaften, auf einige methodische Grundannahmen beschränkten – parallelen Lektüre, die Kosellecks und Warburgs Verständnis bildlicher und begrifflicher Semantiken und der Bedeutung von Epochenschwellen für deren Wandel zueinander in Beziehung setzt. Das durch die Tagung thematisierte Spannungsfeld "Bild – Begriff – Epoche" würde sich zu einer sehr viel umfassenderen und über diese beiden Autoren hinausgehenden Bestandsaufnahme eignen, um Parallelen, Bezugnahmen und Unterschiede zwischen Begriffsgeschichtsforschung und (politischer) Ikonologie, zwischen dem Projekt der Geschichtlichen Grundbegriffe und den Forschungsprogrammen an der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg (KBW) zu untersuchen.
Trotz einiger vorliegender Arbeiten zu Hofmannsthals Kunstrezeption ist die Frage nach der spezifischen Art seiner Wahrnehmung von "Bildern" und deren Bedeutung für sein Werk noch weitgehend unbeantwortet. Hier setzen die folgenden Überlungungen ein. Hoffmannsthals Interesse an bildender Kunst zeigt sich schon zu Beginn seines literarischen Schaffens: in seinem Prosagedicht "Bilder" von 1891, den Ausstellungsbesprechungen und Rezensionen [...]; später dann in seinen Einleitungen zu Mappenwerken wie Ludwig von Hofmanns "Tänzen" (1905) oder den Handzeichnungen aus der Sammlung seines Rodauner Nachbarn Benno Geiger (1920). Auch in seine Versen zu "lebenden Bildern", in den lyrischen Dramen und den Libretti, sogar in einzelnen Gedichten ist eine besondere "ikonographische" Komponente erkennbar; sie gilt im besonderen Maße für die Balette, etwa den "Triumph der Zeit", was bislang noch kaum gesehen wurde. Schließlich spiegelt sich das vitale Interesse an Kunst in den Reiseaufsätzen, in Vorträgen, Briefen und Notizen. In vielen seiner persönlichen Beziehungen (von den deutschen Zeitgenossen insbesondere zu Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe) ist die bildende Kunst ein wichtiges kommunikativ-verbindendes Element.
Kinoleidenschaft, geteilt
(2010)
Im Kino geht es um Sehnsüchte und Leidenschaften - das ist ein Allgemeinplatz. Weitaus seltener bemerkt worden ist, dass es einem echten Vertrauensbeweis gleichkommt, gemeinsam ins Kino zu gehen. Der Kinogänger offenbart dabei die eigenen Passionen - allein schon durch den Vorschlag, diesen oder jenen Film anzuschauen. Und er lässt die anderen an recht persönlichen Erschütterungen teilhaben: dem Erschrecken, Seufzen, Kichern oder auch Schluchzen. Gemildert wird diese Offenherzigkeit jedoch dadurch, dass auch die Begleiter im Halbdunkel aus dem Seitenwinkel wahrnehmbar sind. Nicht selten gleichen sich auf diese Weise die Reaktionen miteinander ab. Ein ostentatives Aufstöhnen wird durch ein beherrschtes Nicht-Reagieren beantwortet, ein lautes Lachen durch erleichtertes Mitlachen. Die Kino-Gemeinschaft ist durch ein System kommunizierender Blickwechsel miteinander verbunden.
Jede Kultur operiert mit Zeichen, und jede Zeichenoperation birgt in sich ein Konzept der Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Schriftlich gefasste Theorien zu dieser Beziehung entstehen in Mittelalter und Früher Neuzeit vor allem da, wo die Zeichenoperation von hoher Relevanz und dabei in ihrer genauen Bedeutung strittig ist. In der christlichen Kultur der Vormoderne hat die theologische Notwendigkeit einer Exegese der Konsekrationsformel hoc est corpus meum zu einer Arbeit am Zeichenkonzept geführt, die in ihren Folgen nicht auf die eucharistische Kernbedeutung beschränkt bleibt. Und alle anderen Begriffe, die im Kontext der sakramentalen Leitfigur der Zeichenkonzepte eine zentrale Rolle spielen, werden ebenfalls von den Debatten imprägniert, so wie beispielsweise 'Substanz' und 'Präsenz'. Es sind jedoch nicht nur die theologischen Debatten zwischen den verschiedenen Lagern in Mittelalter und Früher Neuzeit, die den Zeichen-, Substanz- und Präsenzbegriff formieren, sondern auch das Ritual selbst als komplexe institutionalisierte und sakral überhöhte Zeichenoperation. Der Vollzug ist die für die Geltung und Gültigkeit des sakramentalen Status relevante Instanz, die im Diktum ex opere operato explizit angesprochen ist. Es gilt für die vorreformatorischen und katholischen Sakramente und besagt, dass das Sakrament aus dem kirchlichen Ritual direkt und zwingend hervorgebracht wird, unabhängig von äußeren, kontingenten Bedingungen. Es ist bezeichnend, dass sich im Sakrament die beiden gebräuchlichen Begriffe von Performativität treffen: Im Sinne der linguistischen Sprechakttheorie (nach John L. Austin) bringt die Konsekrationsformel das Sakrament performativ hervor, und der medientheoretische Begriff der Performanz im Sinne komplexer, bedeutungsgeladener Handlung ist ebenfalls auf den Vollzug des gesamten Rituals auch außerhalb seiner Sprachlichkeit anwendbar. Dieser im Ritual erfolgende Vollzug des Sakraments, die Performanz der Zeichenoperation bzw. die Performanz des Sprechaktes der Konsekrationsformel, ist innerhalb der vormodernen christlichen Kultur das zentrale Modell für andere Zeichenoperationen, und zwar vor allem dort, wo es um die Geltung von Vereinbarungen und die Wirksamkeit der Institutionalisierung von politischen Verfahren geht. Dies gilt im Besonderen für den Vertrag und den Eid. Dass das Bildmedium bzw. die Kunst bei diesen rechtlichen Umsetzungen der sakramentalen Leitfigur eine entscheidende Rolle spielen, sollen die folgenden Ausführungen deutlich machen. Die Übertragungen der sakramentalen Bedeutungsmuster auf profane Zusammenhänge der rechtlichen Zeremonien und der Vertragsschlüsse sind, wie zu zeigen sein wird, überkonfessionell geprägt. Die kulturelle Arbeit in den Debatten über das Wesen des Sakraments hat auch dort sinnstiftende Konsequenzen, wo man es zunächst nicht erwartet, und diese Sinnstiftungen außerhalb des religiösen Kernbereichs können sich auch aus den Vorstellungen der jeweils anderen Konfessionen speisen.
Der Versuch, die Beziehung, oder vielmehr die vielfältigen Beziehungen zwischen der Welt der Texte und der Welt der Bilder zu erhellen, führt bald auf Fragen grundsätzlicher Natur, respektive […] zu antagonistischen Auffassungen: Besteht zwischen Texten und Bildern eine innere Analogie, eine wie auch immer geartete Entsprechung – oder kann eine solche zumindest bestehen? Existiert so etwas wie eine verbindende Tiefengrammatik von Text- und Bildphänomenen? Gibt es Gesetze oder doch Spielregeln der Repräsentation, welche beide "Welten" […] miteinander verbinden? Oder sind Texte und Bilder einander stattdessen unwiderruflich fremd? Haben sie sich womöglich […] als Konsequenz der Abkehr von logozentrischen Modellen der Weltauslegung voneinander entfremdet? Stehen sie einander auch dort, wo sie scheinbar und vordergründig ein gemeinsamer Gegenstand oder ein gemeinsames Thema verbindet, ja sogar dort, wo Texte sich ausdrücklich auf Bilder beziehen und Bilder sich Texten anlagern, unvermittelt und unvermittelbar gegenüber? Es ist keineswegs sicher, daß ein Text je sagen kann, was ein Bild zeigt, daß Worte Bilder und deren Gegenstände angemessen erklären, daß sie dazu beitragen können, uns Bilder besser verstehen oder gar besser sehen zu lassen. Umgekehrt darf und muß kritisch gefragt werden, inwiefern und unter welchen Bedingungen Bilder dabei helfen können, Worte und Texte zu verstehen.
Rezension zu Ulrike Landfester (Hg.): Schrift und Bild und Körper, Bielefeld (Aisthesis) 2002 (=Schrift und Bild in Bewegung; Bd. 4). 210 Seiten.
Das Kernthema des Bandes, der inhaltlich recht heterogene Beiträge versammelt, exponiert Ulrike Landfester mit ihrer Abhandlung 'Tertium datur. 'Schrift und Bild und Körper' als kulturtheoretische Denkfigur' (9-42). Es gehe, so Landfester, um ein Aufbrechen dichotomischer Ordnungskonzepte; darum wird die Dichotomie von Bild und Schrift durch die Einbeziehung des Körpers zur dreistelligen Relation erweitert.
Die telefonische Revolution des Bildes : Effekte einer Kommunikationsobsession des 21. Jahrhunderts
(2010)
Um was für ein Objekt handelt es sich eigentlich beim gegenwärtigen Mobiltelefon? Im Folgenden sollen kurz drei Elemente skizziert werden, die für die historische Entwicklung und das gegenwärtige Design des Mobiltelefons von zentraler Bedeutung sind: Das Mobiltelefon ist (1) ein höchst hybrides Medium, das eine ganze Reihe von Medientechniken verbindet und dabei auch diese eigentümliche Verbindung von Telefon und digitalem Bild herstellt; es ist (2) eine mobile Operationseinheit, die sich von einem physischen oder architektonischen Ort löst und dessen Mobilisierung (3) die Minimierung der Interfaces forciert. All dies erzeugt die neuen Bedingungen für eine Revolution des digitalen Bildes im Zeichen des Telefons.
Inschriften sind Formen, die durch eine besondere mediale Disposition charakterisiert sind. Was Inschriften auszeichnet, ist, neben ihrem engen Bezug zu einem materiellen Träger, ihre eigentümliche Position auf der Schwelle von Schrift und Bild. [...] Die Eigenart der Inschrift, ein Wort oder einen Text als sichtbare Zeichenfolge auszustellen, hat der italienische Epigraphieforscher Armando Petrucci im Begriff der 'scrittura esposta' zum Ausdruck gebracht. [...] Versucht man, die damit berührte spezifische Potenz der Inschrift genauer zu erfassen, liegt es nahe, zunächst auf die visuelle Dimension zurückzukommen. Es ist, so darf man annehmen, die Fähigkeit der Inschrift, als Bild zu erscheinen, die es ihr erlaubt, in den Blick des Betrachters zu treten und sich jenem als exponierte Figur vor Augen zu stellen. Mit dieser bildhaften Erscheinungsform, so ließe sich das Argument weiterführen, verbinden sich ästhetische Qualitäten der sinnlichen Eindrücklichkeit und Präsenz, die der Inschrift die ihr eigentümliche Ausdrucks- und Aussagekraft verleihen. [...] Mit dieser Erklärung ist unterdessen nur die eine Seite der Inschrift und ihrer medien- und wirkungsästhetischen Beschaffenheit erfasst. Das Besondere der Inschrift erschöpft sich nicht in deren Eigenart als ausgestellter, exponierter Zeichenformation. Die Inschrift ist nicht nur 'esposta', sondern ebenso 'scrittura'. Die besondere Gestaltungs- und Wirkungsweise der Inschrift beruht mithin nicht allein auf deren bildhafter Disposition. Die Wirkkraft der Inschrift verdankt sich, so die hier vorgeschlagene These, dem Umstand, dass diese, auch wenn sie sich als exponierte, eingängig und weithin sichtbare Gestalt zur Geltung bringt, zugleich ihren Charakter als Schrift bewahrt und diesen nicht weniger deutlich hervorkehrt. Wer eine Inschrift betrachtet, der erblickt in ihrer bildhaften Gestaltung zugleich die visuelle Form eines Textes, einer sprachlichen Äußerung. Durch ihre Gestaltung als 'scrittura' erscheint die Inschrift somit in einer Form, die in spezifischer Weise mit Momenten der Macht und Autorität versehen ist. Ist doch die Schrift dasjenige Medium, in dem uns, in einer von der Antike bis in die Neuzeit und Moderne reichenden Tradition, das Gesetz, die aufgezeichnete und materialisierte 'Stimme des Souveräns' entgegentritt. Das Besondere der Inschrift scheint also, so lässt sich vorläufig festhalten, darin zu bestehen, dass sie die Medien von Bild und Schrift in einer spezifischen Weise miteinander verknüpft. In ihr sind mediale und ästhetische Qualitäten wirksam, die teils dem Bild, teils der Schrift angehören. Auf diesem Zusammenspiel beruht auch das eigentümliche Wirkungspotential, das sich mit dieser Äußerungsform verbindet. In der Folge wird es darum gehen, dieses Zusammenwirken bildlicher und skripturaler Aspekte genauer zu erkunden und vor diesem Hintergrund die Bedeutung und Wirkkraft inschriftlicher Zeichen insbesondere in politischen Kontexten zu untersuchen.
Im Folgenden soll die gegenseitige Befruchtung von Kunstschaffen und Religion am Beispiel Ludwig Meidners, einer der Doppelbegabungen aus dem Umkreis des Expressionismus, vorgeführt werden, der als Maler und Zeichner und Schriftsteller hervorgetreten ist. Interessant scheint das Exempel auch deshalb, weil gezeigt werden kann, wie die Bezogenheit auf das Heilige die Medien Text und Bild durchzieht und so in besonderer Weise transgressiv wirksam wird.
Bild und Leidenschaft
(2010)
This experience, listening to the radio version of "The Green Hills of Earth" was the first form in which I encountered a problem that in the following years continued to haunt much of the work I have done ever since. This problem has a double aspect, since it involves both 'the visibility of the invisible' and, inseparably linked to it, that of the 'invisibility of the visible'. Far from excluding each other, as opposites are commonly expected to do, 'visibility' and 'invisibility' seem here to be inextricably linked, although not simply the same. The prominence, in the story, of repetition and recurrence, indeed of doubling, suggests that another term should be introduced to describe this curious relationship of non-exclusive opposition, that of 'divisibility'. Visibility divides itself into what is visible and what is invisible. And given the fact that this is also a question of life and death, of living and dying, the process of divisibility can be said to produce not just appearances, but 'apparitions' (which in English, unlike its 'false friend' in French, signifies 'ghosts' and not just appearances). Listening to the radio in that darkened bedroom, I think what I experienced was something like the apparition of such divisibility, by which the invisible seemed to become visible, but only by making the visible invisible. Much later I learned that this was a phenomenon - if one can call it that - quite familiar to philosophers and aestheticians who generally tried to interpret it with the use of words such as "fantasy" and "imagination": what Kant, for example, in 'Kritik der reinen Vernunft' calls "productive" as distinct from "reproductive imagination", which does not merely reproduce what one sees but which produces representations of things that were never seen (and perhaps could never be seen). But I never felt that such concepts were capable of accounting for the strange capacity of those invisible 'images' to produce feelings whose intensity seemed in direct proportion to their indistinct and relatively indeterminate - non-objective - quality.
Wir leben in einer Welt voller Bilder. Unser Denken funktioniert in Bildern, die menschliche Kommunikation bedient sich verschiedener Sprachbilder und das mediale Zeitalter überrollt uns mit einer wahren Flut aus bewegten und unbewegten Bildern. Die Moderne greift dabei nicht nur auf den reichen Bilderschatz vergangener Jahrhunderte zurück, sondern es werden auch traditionelle Motive variiert, verändert und verworfen. Das ursprüngliche Bild wird ergänzt durch Gegenbilder und Alternativkonzepte. Letztlich ringen sie alle, Bilder und ihre Gegenbilder, um die Deutungshoheit. Die Veranstalter Corina Erk, M.A., und Christoph Naumann, M.A., eröffneten als Promovierendenvertreter der Bamberger Graduiertenschule für Literatur, Kultur und Medien den Workshop „Gegenbilder – literarisch/filmisch/fotografisch“ und stellten das anspruchsvolle Tagungsprogramm vor, das sich in fünf Sektionen gliederte. Jedes Panel näherte sich aus einer anderen Perspektive dem Themenbündel „Gegenbild“ an.
In 'Mein Jenseits', der dritten Novelle innerhalb Walsers umfangreicher literarischer Produktion, werden uns von Walsers früheren Büchern bekannte Themen aus einer neuen, einem "Spätwerk" entsprechenden Perspektive dargeboten, wie im Laufe dieser Analyse gezeigt werden soll. In diesem Zusammenhang soll besonders die zentrale Rolle, die hier einem Bild für das Textganze zukommt, beleuchtet werden.