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1973 legte Thomas E. Morissey als Schüler von Brian Tierney seine – leider ungedruckt gebliebene – Dissertation »Franciscus de Zabarellis (1360–1417) and the Conciliarist Traditions« vor, um fortan bei diesem Thema zu bleiben, wie vorliegender Band belegt, der eine Auswahl von Aufsätzen aus den Jahren 1976 bis 2010 vereint, 15 davon als Nachdruck, zwei als Erstpublikation. Wer als Gelehrter Aufnahme in die »Variorum Reprints« bei Ashgate findet, gilt, zumindest in der angelsächsischen Welt, als Autorität auf seinem Gebiet, und in der Tat dürfte gegenwärtig allenfalls noch Dieter Girgensohn sich ähnlich gut wie Morissey im Leben und Werk des Paduaner Rechtsgelehrten auskennen, der als akademischer Lehrer und Autor ein großes, internationales Publikum fand und auch kirchenpolitisch von Einfluss war; selbst die nach seinem Tod in Padua Recht studierenden Nikolaus von Kues, Giuliano Cesarini oder Niccolò Tudeschi (Panormitanus) waren noch von seinem Geist geprägt. ...
Es ist schon erstaunlich: Da richtet ein Verlag eine sich ausschließlich an Fortgeschrittene wendende Reihe ein, vertreibt die über recht spezielle Themen handelnden Bände zu für Privatleute prohibitiven Preisen zwischen 100 und 160 Euro und kann dennoch innerhalb von nur vier Jahren (bis Sept. 2010) nicht weniger als 23 Publikationen vorlegen. Offensichtlich rechnet sich das bei einem international agierenden und mit den "Companions" wohl primär auf wissenschaftliche Bibliotheken zielenden Haus: eine gute Sache bei selbst für diese Institutionen schlechtem Preis. Ob es – bei einer bisherigen gewissen Schwerpunktsetzung in Spätmittelalter und Früher Neuzeit – um theologische Quodlibeta im 13. und 14. Jahrhundert, um Wyclif und Gerson oder um katholische Aufklärung geht, stets enthalten die Bände acht bis fünfzehn Beiträge einschlägig ausgewiesener Autoren samt Einführung, (teilweiser) Konklusion und Auswahlbibliographie der Herausgeber. Jedes Buch soll die Summe des Forschungsstands darstellen, und recht selbstbewusst spricht man im Untertitel der Reihe von "A series of handbooks and reference works". ...
Das vorliegende Buch ist eine im Wintersemester 2009/10 bei Michael Borgolte an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichte Dissertation, die die Forschungen von M. Borgolte und seinen Schülern zum vormodernen Stiftungswesen weiterführt. Es gliedert sich in drei Teile: zum einen in einen Textteil, dann einen zusammenfassenden und vergleichenden Mittelteil und als dritten einen Editionsteil. ...
Mit der vorliegenden Quellenanthologie präsentieren Tim Geelhaar und John Thomas ein Ergebnis aus dem transkulturellen und internationalen Forschungsprojekt "Stiftungstod. Säkularisation von Kirchengut und andere Gefährdungen für die Stiftungszwecke durch staatliche Gewalt in der lateinischen und griechisch-orthodoxen Christenheit des Mittelalters", das von der Fritz Thyssen Stiftung finanziert und von Michael Borgolte geleitet wurde. Den enthaltenen Quellen voran geht eine ausführliche und detaillierte Einleitung, deren allgemeiner Teil (S. 3–17) nicht nur die Entwicklung und Grenzen der eigenen Fragestellung benennt, sondern darüber hinaus die theoretischen und methodischen Prämissen des Vorhabens transparent darlegt und in der gebotenen Kürze die einhergehenden Schwierigkeiten und Konsequenzen präzise formuliert. Hieran schließt sich eine ebenso konzise Übersicht über die ausgewählten lateinischen (S. 19–35) und byzantinischen (S. 37–46) Quellen sowie deren vergleichende Perspektive (S. 47–56) an. Abgeschlossen wird der einleitende Teil durch einen kurzen Exkurs zu einer der ideengebenden Auseinandersetzung mit dem Thema staatlicher Einflussnahme in Stiftungsbesitz im byzantinischen Reich ("The Charanis Thesis Revisited", S. 57–68), der es dem Leser ermöglicht, anhand eines anschaulichen Beispiels nachzuvollziehen, welche Fragen, Lösungsversuche und grundsätzlichen Motivationen als treibende Kräfte in der Produktion der Anthologie gewirkt haben. Als Kernstück des Bandes folgt dann die Quellenauswahl aus dem 5. bis 15. Jahrhundert (lateinische, S. 94–303; byzantinische, S. 306–421), deren chronologische Anordnung und stets mitgelieferte Übersetzung (im Fall der byzantinischen Quellen oftmals erstmalig) es dem – auch nicht ausschließlich fachkundigen – Leser ermöglicht, Entwicklungslinien in der "staatlichen" Gefährdung von Stiftungsbesitz zu verfolgen und im byzantinisch/abendländischen Vergleich zu betrachten. Für eine eingehendere Auseinandersetzung mit der besagten Thematik haben die Herausgeber zusätzlich noch ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 71–91) bereitgestellt. ...
Das Mittelalter fordert heraus – und zwar in ganz unterschiedlicher Hinsicht: Wie der vor Kurzem verstorbene Otto Gerhard Oexle aufzeigte, sehen sich gerade die Deutschen mit einem "entzweiten Mittelalter" konfrontiert. Darüber hinaus aber, so Oexle, sei die Moderne insgesamt in ihrer Genese nicht ohne ihre ambivalenten Bezüge auf die ferne Epoche zu verstehen. Diese Tragweite der Mittelalterbezüge verdeutlicht auch das zu besprechende Werk, das im italienischen Original bereits 2011 erschien und nun in einer insgesamt gelungenen, aktualisierten französischen Übersetzung vorliegt: Denn wie Benoît Grévin in seinem Begleitwort (S. 7f.) unterstreicht, erschließen sich die politischen Implikationen, die mit den Verweisen auf das Mittelalter verbunden sind, so recht erst bei einer international ausgreifenden Betrachtung. Dass für den in Urbino mittelalterliche Geschichte lehrenden di Carpegna Falconieri italienische Beispiele eine besondere Rolle spielen, tut dem Wert seiner Studie keinen Abbruch, machten die politischen Entwicklungen auf der Halbinsel diese doch zu einem wahren Labor des "Mediävalismus", dessen Untersuchung auch wertvolle Blicke auf die Nachbarn ermöglicht (S. 8). ...
Obwohl das Interesse an der Erforschung der Monarchie so alt ist wie die Geschichtswissenschaften selbst, bestand in der Untersuchung der Begebenheiten nach dem Sturz eines Monarchen bisher eine weitgehende Forschungslücke. Nachdem er das Thema in einem mit Philip Mansel 2011 herausgegebenen Sammelband bereits angeschnitten hatte, legt Torsten Riotte mit seiner Habilitationsschrift nun eine erste komparative und umfassende Studie des modernen monarchischen Exils vor. Riotte widmet sich dabei mit großer Sorgfalt zwei Fallstudien: dem Comte de Chambord, Prinz Henri d’Artois (1820–1883), der Frankreich nach der Revolution von 1830 noch als Kind verlassen musste, und dem Herzog von Cumberland, Prinz Ernst August von Hannover (1845–1923), der seinem Vater dem König 1866, nach der Annexion Hannovers durch preußische Truppen, ins Exil folgte. Beide fanden Zuflucht in Österreich und ließen sich dauerhaft in der Nähe Wiens nieder. ...
Der Exchequer – das englische Schatzamt – entwickelte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts und bestand danach für 700 Jahre. Im Mittelpunkt der von Ulla Kypta 2012 an der Universität Frankfurt am Main eingereichten Dissertation steht das Erkenntnisinteresse an der außergewöhnlichen Kontinuität dieser Organisation und der Frage, wie diese sich im 12. Jahrhunderts konstituierte. Die zentrale These von Kyptas Studie lautet: Der Exchequer entstand aus unhinterfragt, kontinuierlich wiederholten Routineakten – dem Abfassen der sogenannten Pipe Rolls. Dabei wirkte die Fachsprache dieser Dokumente einerseits abgrenzend und gruppenkonstituierend, andererseits bewirkte die Anpassungsfähigkeit der Sprache, dass sich die Organisation an unterschiedliche Rahmenbedingungen anpassen und sich somit selbst reproduzieren konnte. Im Zusammenspiel von Abgrenzungswirkung und Anpassungsfähigkeit institutionalisierte sich der Exchequer als höchst beständige Organisation. ...
Kosmopolitismus ist kein Konzept, das für jedermann positiv besetzt ist, auch wenn dies die wohlklingende Bezeichnung "Weltbürger" zunächst vermuten lässt. Für George Cogniot, Chefredakteur der kommunistischen Tageszeitung "L’Humanité" repräsentierte der Kosmopolit vielmehr "die letzte Stufe kapitalistischer Unmenschlichkeit"; letztlich handele es sich um eine "weltweite zynische Ausbeutung entwurzelter Sklaven". Wer in den Koordinaten einer proletarischen Internationalen dachte, sah im Kosmopolitismus eher ein Konkurrenzprojekt des gehobenen Bürgertums. Schließlich war die Grundidee des Weltbürgertums eng mit der Aufklärung und dem Reisenden des 18. Jahrhunderts verbunden, mit den Vertretern der Oberschicht, die während einer Grand Tour die benachbarten Kulturen kennenlernten und dort weltgewandtes Auftreten erwarben. Der Großteil der historischen Studien, die sich mit der Geschichte des Kosmopolitismus beschäftigen, konzentriert sich auf diese Epoche. Dass dadurch ein wichtiger Umbruchpunkt in der Entwicklung des Kosmopolitismus ausgeklammert wird, verdeutlicht der vorliegende Sammelband von Ute Lemke, Massimo Lucarelli und Emmanuel Mattiato, in dem der Fokus auf die zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts gelegt wird. ...
Die soziale Rolle der Prostitution kann als Ausgangspunkt dienen, um Rückschlüsse auf den Stand der Geschlechterhierarchie in einer Gesellschaft zu ziehen. In vielen historischen Studien wurde Prostitution als Symbol patriarchalischer Unterdrückung interpretiert; die Stigmatisierung, Kontrolle bzw. Verfolgung von Prostituierten standen stellvertretend für die Ausgrenzung und Unterdrückung von Frauen allgemein. Nach Ansicht von Victoria Harris geriet das Individuum dabei aus dem Blick. Insbesondere in feministischen Studien sei die Geschichte der Prostituierten als eine Geschichte von Opfern aufgeschrieben worden. Diese Sichtweise werde der Komplexität der einzelnen Lebensgeschichten aber nicht gerecht. Nicht die Diskurse um Prostitution will Harris daher erfassen, nicht die Idee oder Bedeutung von Prostitution, sondern das Individuum im gesellschaftlichen Kontext: die Lebenserfahrung der Prostituierten. ...
Zwar scheinen die Zeiten, in denen der Unternehmer als einsamer, heroischer "Schöpfer" seiner Wege ging, der Vergangenheit anzugehören und "Innovationsbürokratien" an seine Stelle getreten zu sein – gleichzeitig genießt das "Unternehmerische" heute paradoxerweise einen kaum zu übertreffenden Ruf, werden damit doch Eigenschaften wie Kreativität, Produktivität oder Dynamik assoziiert. Anlass genug, sich genauer mit Fakten und Fiktionen um den Unternehmer zu befassen, wie es die von Werner Plumpe am Historischen Kolleg in München organisierte Tagung tat. Im Mittelpunkt standen denn auch Fragen nach den Merkmalen von Unternehmern und ihrer Bedeutung für Struktur und Entwicklung "ihrer" Unternehmen, mit anderen Worten: Sind Unternehmer "als Individuen notwendig, oder kann der Kapitalismus seine Dynamik auch anders als auf diese Weise entfalten?" ...
Die gegenwartsnahe Zeitgeschichte rückt immer näher an das Hier und Jetzt heran. Auch die Wirtschaftsgeschichte bildet dabei keine Ausnahme, wenn sie sich, wie in dem hier zu besprechenden Sammelband, bis in die 1990er Jahre vorwagt. Dass sich die Nationalökonomien seit den 1960er Jahren grundlegend verändert haben, steht außer Frage. Ob dieser Wandel allerdings mit dem gängigen Modell einer einfachen Bedeutungsverschiebung vom (niedergehenden) industriellen Sektor zum nur schwer exakt abzugrenzenden Dienstleistungssektor abgebildet werden kann, an deren Ende die ‚Dienstleistungsgesellschaft‘ steht, ist strittig. Die Autoren des Bandes, sämtlich Wirtschaftshistoriker, raten unter Hinweis auf die zeitgebundene Konstruktion dieses Erklärungsmodells und ihre eigenen Branchenanalysen zu differenzierteren Betrachtungsweisen. ...
Rezension zu: Wolbring, Barbara: Krupp und die Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Selbstdarstellung, öffentliche Wahrnehmung und gesellschaftliche Kommunikation. München: C.H. Beck Verlag 2000. ISBN: 3-406-46527-7; 367 S. Zitierweise: Christof Biggeleben: Rezension zu: Wolbring, Barbara: Krupp und die Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert. Selbstdarstellung, öffentliche Wahrnehmung und gesellschaftliche Kommunikation. München 2000, in: H-Soz-u-Kult, 01.02.2002, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/NG-2002-008>.
In der neuen Reihe "Geschichte der Antike" des C.H. Beck Verlags, die einem breiteren Publikum eine Einführung in die Großepochen der Alten Geschichte geben will, widmet sich Wolfgang Blösel der römischen Republik, zu der Beck bereits einen kürzeren Überblick von Martin Jehne und einen ausführlicheren von Klaus Bringmann publiziert hat. Martin Jehne, Die römische Republik. Von der Gründung bis Caesar, 3. durchgesehene Aufl., München 2013 (1. Aufl. 2006) und Klaus Bringmann, Geschichte der römischen Republik. Von den Anfängen bis Augustus, 2. durchgesehene Aufl., München 2010 (1. Aufl. 2002). Blösel gelingt es aber, innerhalb einer weithin traditionellen, sehr ereignisgeschichtlich orientierten Erzählung neue Deutungen für den Aufstieg und Fall der Republik zu präsentieren, die auf seinen Spezialstudien beruhen und neueste Literatur mit einbeziehen. ...
Da es bisher keine kritische Edition der Urkunden Philipps des Schönen gibt und in Frankeich auch keine den "Regesta Imperii" vergleichbare Institution, ist das hier zu besprechende Werk ein Meilenstein der Forschung, denn es erfüllt mehrere Aufgaben zugleich: Erschließung und Analyse eines gewaltigen Quellencorpus, Rekonstruktion des königlichen Itinerars und Auswertung der Befunde hinsichtlich Logistik, Reisetechnik, Gastungsrecht, Gefolge und Regierungspraxis des reisenden Hofes, schließlich eine Bewertung der Rolle von Paris als Hauptstadt und Behördensitz. ...
Der durch sein Buch zur Regierung und Verwaltungsorganisation der frühen Capetinger als Kenner dieser Epoche ausgewiesene Autor legt eine umfassende Biographie Ludwigs VI. vor, die eine empfindliche Lücke jedenfalls zu großen Teilen schließt, denn eine zusammenfassende monographische Darstellung der Zeit und Wirksamkeit dieses Königs (1108–1137) fehlt seit langem. ...
Otto Hufnagel war bis vor dem Ersten Weltkrieg ein typischer wilhelminischer Bildungsbürger. Er wurde 1885 als Sohn eines protestantischen Frankfurter Volksschullehrers und Veteranen des Kriegs von 1870 geboren, legte 1905 das Abitur ab und studierte in Heidelberg und Leipzig Geschichte, Deutsch und Latein. Während die kontroverse Bewertung seiner Dissertation zeigte, dass (nur) ein Teil der Leipziger Historiker in ihm ein wissenschaftliches Talent sah, waren auch die Skeptiker sicher, dass es sich bei Hufnagel Junior ebenfalls um einen vorbildlichen Lehrer handeln würde. Dieses Urteil bestätigte Hufnagel seit 1911 in der waldeckischen Hauptstadt Arolsen, wo er sich auch in der breiteren Öffentlichkeit der Residenzstadt hervortat: als glühender Bismarck-Verehrer, Marine-Apologet und Kriegsbefürworter. Das sollte sich erst ändern, als Hufnagel seit 1915 persönlich mit den Schrecken des Krieges konfrontiert wurde. Als er im Herbst 1918 in das einer relativ gemächlichen Revolution entgegenblickende Arolsen zurückkehrte, tat er dies als überzeugter Demokrat und Republikaner, der bald zu einer der führenden Persönlichkeiten der Waldeckschen DDP aufstieg. Als Mitglied des Landtages beschäftigte sich Hufnagel intensiv mit den besonderen Problemen der Waldeckschen Verfassung und ihrer Implikationen für eine Neuordnung der Beziehungen zwischen Bevölkerung, Fürst, Staat und Reich. Waldeck war 1866 von der preußischen Annexionswelle verschont geblieben, aber 1867 halb-freiwillig in die Rolle einer preußischen Dependance mit einem Monarch minderen Ranges gewechselt. Eine der beherrschenden Fragen der waldeckschen Landespolitik war daher - neben der Revolution - die Möglichkeit eines Anschlusses an Preußen (den Hufnagel befürwortete) und bereits vor 1926 die Frage nach dem Status des Vermögens eines Quasi-Monarchen (wo sich Hufnagel anspruchsvoll, aber kompromissbereit zeigte). Waldeck gehörte nach 1918 zunächst zu den deutschen Regionen, welche dem bürgerlichen Liberalismus besondere Möglichkeiten zu eröffnen schienen - dafür sprach bereits vor 1914 die Tatsache, dass Friedrich Naumann Reichstagsabgeordneter für Waldeck und Pyrmont gewesen war; nach dem Krieg kam das Wirken von ihrer Begeisterung für Kaiser und Reich abgekommenen Persönlichkeiten wie Hufnagel hinzu. Allerdings machte der weitere Verlauf der Ereignisse deutlich, dass auch in Waldeck der bürgerliche Liberalismus schwierigen Zeiten entgegenging. Zwar schien sich relativ lange die Chance zu bieten, alle liberalen Kräfte in einer Partei zu vereinigen oder zumindest im Landtag zu einer Fraktion zu schmieden, aber diese Hoffnung erwies sich als trügerisch. Die DDP wurde alsbald - trotz des politischen Geschicks Hufnagels - im bürgerlichen Lager von rechts überholt, wobei die Tatsache, dass in Menks Darstellung die liberale Haltung zu sozialen Fragen stark in den Hintergrund tritt, eine mögliche Begründung erahnen lässt. Die Taktik der bürgerlichen Rechten, Hufnagel öffentlich an den Pranger zu stellen, etwa durch Verweis auf die Folgen seiner politischen Aktivität für Unterrichtsausfall an seiner Schule oder durch Berichte über vermeintliche Verfehlungen im Landtag (beispielsweise Protokollfälschung) endete in einer Prozesskette, aus der Hufnagel zwar siegreich hervorging, die ihn aber zermürbte und 1924 dazu bewog, ins liberale Frankfurt überzusiedeln. Folgt man dem Urteil Gerhard Menks, so wurde Waldeck sehr bald ein weiterer Staat, in dem eine demokratische politische Kultur bereits vor 1933 von innen ausgehöhlt wurde und wo für kritische Geister weniger Platz blieb als für Demagogen, die nach 1933 erfolgreich blieben. In Frankfurt betätigte sich Hufnagel vorwiegend als Lehrer und Wanderer, kaum noch als Politiker und politischer Publizist. Insofern bedeutete die Machtergreifung 1933 zwar eine Zäsur, aber keine unmittelbare politische Bedrohung; eine Entlassung des wenig exponierten Lehrers stand offenbar ebensowenig zur Debatte wie ernsthafte Sanktionen. Die Versetzung innerhalb Frankfurts konnte als Strafe oder Belohnung gedeutet werden. 1944 zog Hufnagel mit seiner Schule nach Westerburg, um den Folgen des Bombenkrieges zu entgehen, starb aber noch im selben Jahr. Hufnagel war gewiss kein Politiker der ersten Reihe. Der vorliegenden Biografie gelingt es aber, anhand der detaillierten Betrachtung einer - zugegebenermaßen spröden - Person ein liberales Milieu der 'Provinz', das entscheidend von Lehrern geprägt wurde, neu und in vielfacher Hinsicht erstmals zu beleuchten. Dies geschieht auf der Grundlage akribischer Recherchen, die durch den beinahe kompletten Verlust des Nachlasses Hufnagels erschwert wurden, sowie umfassender Kenntnisse der Landesgeschichte, die immer in den breiteren historischen Kontext eingebettet wird. Ein 776 Seiten umfassender Dokumentenanhang enthält publizierte Quellen zu Hufnagel, zur Geschichte der waldeckschen und Frankfurter DDP, zur Revolution von 1918 und zur allgemeinen Regionalgeschichte des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik. Während der Rezensent sich eine deutlich rigorosere Straffung des Manuskripts gewünscht hätte, das zu ausladenden, sich im Rahmen der Darstellung mehrfach wiederholenden Schilderungen neigt, so werden andere Nutzer des Buches die Tatsache begrüßen, dass der Autor auch mit der allgemeinen Historiografie der Epoche nicht vertraute Leserinnen und Leser an jeder Stelle in den allgemeinen Kontext seiner Betrachtungen einführt. Es handelt sich insgesamt um ein Produkt einer gründlichen, leidenschaftlichen Forschungsarbeit, welche die Geschichte des Weimarer Liberalismus um eine biografische und regionalgeschichtliche Dimension erweitert und damit die Frage nach den Gründen für sein Scheitern der Beantwortung ein Stück näher bringt. Redaktionelle Betreuung: Nils Freytag
Dass in Bremen an einer Uferböschung des Flüßchens Ochtum ein alter – mit Stacheldraht bespannter – Schleppkahn als Konzentrationslager gedient hat, erfährt, wer den "Benz-Distel" aufschlägt. Drei Bände des großen Werkes über die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager liegen nun vor. Auf ursprünglich sieben, mittlerweile neun Bücher, die in halbjährlichem Abstand bis zum Frühjahr 2009 im Verlag C.H. Beck erscheinen werden, ist die Gesamtgeschichte der Lager angelegt, die Wolfgang Benz und Barbara Distel initiiert haben. Das mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnete Herausgeberteam der "Dachauer Hefte" treibt bereits seit Jahrzehnten die Forschung zu den nationalsozialistischen Konzentrationslagern voran. Im Zentrum des schon wegen seines schieren Umfangs eindrucksvollen Projekts steht die Topografie der Lager, genauer: der Umstand, dass die Nationalsozialisten Deutschland und das gesamte besetzte Europa flächendeckend mit einem Netz von Haftstätten überzogen haben. "Der Ort des Terrors" heißt denn auch die mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes und des Auswärtigen Amtes geförderte Gesamtdarstellung der Lager. ...
Seit der Studie Otto Brunners ist der Fehde führende Adlige rechtshistorisch rehabilitiert. Anders steht es umdas Bild des seiner Herrschaft unterworfenen Bauern: Ihm als dem unter grundherrlichem "Schutz und Schirm" Stehenden war – wie auch dem Bürger – das "subsidiäre Rechtsmittel" angeblich nur in der Ausnahmeform von Blutrache und Totschlagsfehde erlaubt. Der "neutralere" Kontext einer regulären Interessenkollision zwischen Parteien, den die Konfliktforschung nahe legt, wird für bäuerliches Handeln nicht in Erwägung gezogen; einen aktiven Part bei der Durchsetzung eigener Ansprüche erkennt man dabei höchstens im kollektiven "Widerstand". Eindimensionale soziale Rollenzuschreibungen bestimmen den Forschungshorizont. Nie ist z. B. die Frage gestellt worden, ob ein mittelalterlicher oder frühneuzeitlicher Mensch tatsächlich der Waffenfähigkeit oder Waffen bedurfte, um eine Fehde zu führen. So weckt der "gemeine Mann" in der viel besprochenen Untersuchung von Gadi Algazi zwar erstmals überhaupt das nähere Interesse einer Untersuchung zum Fehdewesen, tritt jedoch auch da nur als Objekt einer sich sozial reproduzierenden "Herrengewalt" in Erscheinung. Algazis Ansatz hat allerdings Denkanstöße gegeben, ohne welche wohl gerade Christine Reinles Habilitationsschrift nicht jene konzeptionelle Konturschärfe gewonnen hätte, die sie kennzeichnet. Selbstredend setzt sich die Autorin darin nicht nur mit Algazi auseinander – auch wenn dieser mit Abstand ihrHauptgegner bleibt. Die zugegeben nicht sehr quellengesättigte These des Historikers steht auf einer Beobachtungslinie mit den Studien von Joseph Morsel und Hillay Zmora. Allen dreien geht es, grob gesagt, um die soziale statt die seit Brunner oft strapazierte rechtliche Funktion der Fehden – um die Beobachtung einer engen Verknüpfung dieser Konfliktpraxis mit sozialer Stratifikation und adliger Herrschaftsbildung. ...
Über kaum einen Gegenstand wissen wir so wenig wie über die Wirklichkeit des juristischen Denkens. Am besten sind wir noch – dank Richard Posner ("How Judges Think" – Cambridge, MA/London 2008) und anderer (überwiegend) anglo-amerikanischer Autoren – über die Untiefen und Irrläufe richterlicher Entscheidungsfindung informiert. Rechtswissenschaft und Rechtspolitik werden hingegen nach wie vor nur selten in kognitiven Kategorien vermessen. ...
Als vor mehr als zwanzig Jahren der erste Band von Harold J. Bermans Law and Revolution erschien, kam dies selbst einer Revolution gleich. Nicht mit der Renaissance nämlich, nicht mit dem Absolutismus und nicht mit 1789 setzte der Rechtshistoriker ausHarvard The Formation of theWestern Legal Tradition (1983; dt. 1995), also die Entstehung des modernen Staates, an, sondern mit dem Sieg der Papstkirche im Investiturstreit zwischen 1075 und 1122. Die entscheidenden Ergebnisse dieser Papal Revolution seien das kanonische Recht gewesen, das elaborierteste, umfassendste seiner Zeit, und eine professionelle Methode seiner Handhabung, die Scholastik. Mit ihrer Hilfe habe die römische Kirche die Bevormundung durch weltliche Mächte abgestreift, ihren Supremat über die Laien fest etabliert, eine hoch effiziente Hierarchie geistlicher Juristen und Gerichte aufgebaut und die bis heute gültigen Prinzipien westlichen Rechts geprägt ...
Der von den schwedischen Rechtshistorikern Kjell Å. Modéer und Martin Sunnqvist herausgegebene Band geht zurück auf ein 2006 veranstaltetes, gleichnamiges Symposium. Die in vier thematischen Gruppen angeordneten 14 Beiträge stammen aus der Feder von Rechtshistorikern bzw. Juristinnen, Literaturwissenschaftlern und Kunsthistorikerinnen überwiegend skandinavischer Provenienz und beschränken sich mit zwei Ausnahmen auf Entwicklungen des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts. Die auf dem Umschlag abgebildete Gerichtsszene vom Beginn des 17. Jahrhunderts täuscht also etwas, allerdings hätte manche Analyse in der Tat auf der viel früher an derartigen Fragen interessierten Frühneuzeitforschung aufbauen können, was kaum der Fall ist. Der Band scheint ein weiteres Beispiel für die im Zuge des steigenden Publikationsoutputs feststellbare Tendenz, dass Disziplinen und Forschungskontexte aneinander vorbei argumentieren können, auch wenn sie ähnliche Fragestellungen verfolgen. An dieser Stelle können nur einige Beiträge exemplarisch besprochen werden. ...
Die Rechtsgeschichte hat dem vormodernen Asyl lange Zeit einen bestenfalls marginalen Platz eingeräumt und es häufig als Hindernis auf dem Weg zum staatlichen Gewalt- und Justizmonopol bewertet oder den angeblichen "Missbrauch" des Asyls betont. Gleiches gilt cum grano salis für die allgemeine Geschichte, die wenige, eng begrenzte lokale Fallstudien beigesteuert hat, während umfassendere Darstellungen zur Geschichte der "Menschenrechte" oder zur historischen Kriminalitätsforschung das vormoderne Asylrecht weitgehend ignorieren. Erst in jüngster Zeit nahm die Zahl der Arbeiten zu, die sich intensiver mit der Geschichte des Asyls beschäftigen und neue Erkenntnisse sowie Forschungsperspektiven beitragen. ...
Das griechische Recht ist, so stellt der Verfasser dieser Passauer juristischen Dissertation zu Recht fest, nicht hinreichend erforscht worden. Althistoriker behandeln es nebenher mit, typischerweise ohne juristische Expertise; Spezialisten für antike Rechtsgeschichte wenden sich zumeist anderen Rechtskulturen zu. Zeitler will in diese Lücke vorstoßen, mit einem Schwerpunkt auf dem Prozess des Sokrates – nun gerade einer der meistdiskutierten Fälle griechischen Rechts. Doch sind diesem gerade knapp 30 Seiten von etwas mehr als 200 gewidmet. ...
Gelehrte bedürfen einander. Eine soziale Gruppe, die es nicht als ihre vornehmste Aufgabe ansieht, sich die materiellen Grundlagen des Lebens zu erarbeiten, ist auf Solidarität angewiesen. Nicht immer steht ein reicher Gönner, ein Mäzen, ein Patron zur Verfügung, der gewillt ist, antiquarische, philologische oder sonstige "zweckfreie" Interessen zu fördern. Der vom Schicksal Benachteiligte hofft in dem Fall auf die Unterstützung derer, die seine Interessen teilen und die materielle Bedrängnis aus eigenem Erleben nachvollziehen können. Gelehrte bedürfen ferner auch insoweit einander, als in der Regel nicht alle für die Realisierung eines wissenschaftlichen Vorhabens benötigten Informationen, Schriften und Artefakte vor Ort vorhanden sind. Also begibt man sich auf Reisen, zieht in ferne Länder in der Hoffnung, dort Gleichgesinnte zu treffen, die im Besitz der erstrebten ideellen Güter sind und dazu bereit, andere daran teilhaben zu lassen. ...
Der byzantinische Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts ist ein unerschöpfliches Thema, das alljährlich mehrere Bücher und noch mehr Aufsätze generiert. Und gelegentlich schafft er es sogar – wenn auch nur en passant –, in den Feuilletons der großen Tageszeitungen Erwähnung zu finden. So etwa Anfang 2006, als (rechtslastige) Journalisten in Dänemark meinten, Muslime mit Muhammadkarikaturen provozieren zu müssen – was ihnen bekanntlich ja auch gelang. Allerdings diente der mittelalterliche Streit über die Berechtigung der Verehrung heiliger Bilder lediglich als pseudogelehrtes Ornament der geführten Debatte. Ob dies dazu führte, dass irgendjemand zu dem kurz zuvor erschienenen Band von Thümmel über die Synoden zur Bilderfrage im 7. und 8. Jh. griff, um sich weiter über diesen Themenkomplex zu informieren, vermag der Rezensent natürlich nicht zu sagen. Auszuschließen ist es nicht. Und sicher hätte man genügend Informationen gefunden, um sich ein Bild vom Bilderstreit zu machen. Man hätte erfahren können, dass dieser byzantinische Gelehrtenstreit – um einen solchen handelt es sich in erster Linie – nichts mit dem islamischen Bilderverbot zu tun hatte, wie man früher oft meinte. ...
Rezensionen zu: Georg Denzler, Die verbotene Lust. 2000 Jahre christliche Sexualmoral. München - Zürich, Piper, 1988, 378 S. Aline Rousselle, Der Ursprung der Keuschheit. Aus dem Französischen übersetzt von Ronald Vouillie, hrsg. von Peter Dinzelbacher. Stuttgart, Kreuz-Verlag, 1989, 298 S. Jacques Rossiaud, Dame Venus. Prostitution im Mittelalter. Aus dem Italienischen übersetzt von Ernst Voltmer. München, C. H. Beck, 1989, 239 S.
Der von Jo Reichertz und Manfred Schneider herausgegebene Band enthält Beiträge, die in dem Forschungsprojekt "Geständnismotivierung. Zur Wirksamkeit des Geständnispositivs seit 1780" entstanden sind. Bei den Autoren handelt es sich um Kommunikationswissenschaftler, Soziologen und Germanisten, die mit den methodischen Mitteln ihrer Disziplinen, der Diskursanalyse Foucaults und der hermeneutischen Wissenssoziologie in einzelnen Fallstudien den "Wandel der Geständniskultur" seit dem späten 18. Jahrhundert thematisieren, um in einem "historischen Längsschnitt" nichts weniger als "die Entwicklung und den sich verändernden Stellenwert des Geständnisses in unserer Kultur" nachzuzeichnen (9). ...
Wer den Ehrgeiz hat, sein Fach zu revolutionieren, der sollte sich zu seiner Liebe bekennen und keine Arbeitsvorhaben formulieren, schon gar nicht sollte er wie ein Kassenwart erst einmal "Bilanz ziehen". Fernand Braudel wusste das. "Ich habe das Mittelmeer leidenschaftlich geliebt", schrieb er 1946 im berühmten Vorwort zur ersten Auflage von "La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II", "der beste Leser dieses Buches wird vielleicht der sein, der mit eigenen Erinnerungen, eigenen Bildern des Mittelmeeres an meinen Text herangeht, ihm eigene Farbe verleiht und mir dabei hilft, worum ich mich mit aller Kraft bemüht habe: die gewaltige Präsenz dieses Meeres erfahrbar zu machen". Aus dem missionarischen Eifer, anderen die narkotisch-erotische Ausstrahlung des mare nostrum zu vermitteln, der er selbst erlegen war, schöpfte er die Kraft für ein gewaltiges Œuvre, das in der Geschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts seinesgleichen sucht. ...
Inter arma enim silent leges – im Krieg schweigen die Gesetze, so lautet ein berühmtes Zitat von Cicero, das über die Jahrtausende hinweg in Diskursen der Gewaltlegitimation bedeutsam geblieben ist. Thomas Hobbes und Immanuel Kant haben es übernommen, wobei Letzterer der Rechtfertigung von Krieg die Konzeption eines dreigliedrigen, "ewigen" Rechtszustandes entgegengestellt hat. Zwischen der von "Realisten" angenommenen Anarchie und der von "Idealisten" angestrebten Rechtsherrschaft in grenzübergreifenden politischen Beziehungen hat sich die moderne Völkerrechtswissenschaft insbesondere mit dem schwierigen, zuweilen paradoxen Verhältnis von Krieg und Recht beschäftigt: Das Kriegsrecht limitiert den Gebrauch von Gewalt (als violentia) nicht allein, es legitimiert ihn auch, indem es die Gewalt (als potestas) normativ ordnet und sie damit wiederum zur Rechtfertigungsressource macht. Mit dem Wiedererstarken der Völkerrechtsgeschichte sowie der aktuellen Brisanz kriegsrechtlicher Fragen (etwa angesichts des "war on terror") gehen erneut Forschungen zur Rolle des Rechts in Zeiten des Krieges, zu seiner Rechtfertigung und seiner rechtlichen Aufarbeitung einher. Isabel V. Hull und die AutorInnen im von Martin Löhnig, Mareike Preisner und Thomas Schlemmer herausgegebenen Sammelband leisten hierzu zwei sehr unterschiedliche Beiträge. ...
Rezension zu: Maria R.-Alföldi, Edilberto Formigli und Johannes Fried : Die römische Wölfin. Ein antikes Monument stürzt von seinem Sockel Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Band XLIX, Nr. 1, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-515-09876-2, 161 Seiten, 48 Euro.
Zu den dunkelsten Kapiteln deutscher Rechtsgeschichte zählt die zivile Besatzungsjustiz Nazideutschlands in Osteuropa. "Dunkel" ist hier in zweifacher Hinsicht zu verstehen: Zum einen war die Justiz durch die Involvierung in die Besatzungspolitik an der Unterdrückung und Ausplünderung der besetzten Gebiete und ihrer Bevölkerung beteiligt und trug durch die Verfolgung des Widerstandes und der "normalen" (Kriegs-)Kriminalität maßgeblich zur Stabilisierung der deutschen Herrschaft bei. Zum anderen ist dieser Aspekt nationalsozialistischer Rechtsund Justizgeschichte in der deutschen Forschung bislang wenig beachtet worden, was vor allem den Sprachbarrieren, den lange Zeit nur schwer zugänglichen osteuropäischen Archiven und ideologischen Hemmnissen in der Zeit des Kalten Krieges geschuldet ist. ...
Die Studie der Frankfurter Historikerin ruht auf ihren früheren Arbeiten über frühneuzeitliche politische Predigten, vor allem in den Forschungsbibliotheken Gotha und Wolfenbüttel, sowie auf einem Projekt im Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen". Ein Forschungskonzept "Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit" lag bereits seit 2007 vor. Daraus ist nun ein Buch geworden, an dem man aus mehreren Gründen die innere Balance vermisst und das viel enger zugeschnitten ist, als der weite Titel verheißt. Die Autorin möchte in der vielstimmigen religiös-politischen Semantik des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts jene Position besonders herausheben, die als "politica christiana", "Christliche Politik" oder "Christen-Staat" bezeichnet wurde. Sie unterstreicht, im Einklang mit der neueren Forschung, dass solche christlichen und naturrechtlichen Begründungen eines Widerstandsrechts und die Betonung der Frömmigkeit für Herrschende und Beherrschte keine Außenseiterpositionen und keine Spezialität des Luthertums waren, sondern in Europa konfessionsübergreifend diskutiert und weitgehend akzeptiert wurden. Das Thema eines möglichen Widerstands gegen eine religiös-konfessionell unterdrückerische Obrigkeit ist nur ein Aspekt jener weiter gefassten "christlichen Politik". Dass auch die Lutheraner über das Widerstandsrecht diskutierten, vor allem im 16. Jahrhundert, ist unbestreitbar. Sie taten dies ebenso wie Katholiken oder Calvinisten, wenn sie konfessionspolitisch in Bedrängnis waren. Das war naheliegend. Aber genügt es, um den vielfach bestätigten Gesamtbefund, das Luthertum habe aufgrund seiner an die weltliche Obrigkeit angelehnten Struktur auch stärker obrigkeitlich gedacht, zum Vorurteil zu erklären? ...
Das Pallium des Metropoliten ist ein Band aus weißer Wolle, bestickt mit sechs schwarzen Kreuzen, durch das die Gewalt angezeigt wird, mit welcher der Metropolit, in Gemeinschaft mit der römischen Kirche, in der eigenen Provinz von Rechts wegen ausgestattet wird (vgl. 437 § 1 CIC/ 83). Als Papst Franziskus am 12. Januar 2015 die Verleihung der Pallien ändern ließ, schlugen ihm geteilte Meinungen entgegen. Anstelle des Papstes kommt nun dem zuständigen Apostolischen Nuntius die Aufgabe zu, dem neu ernannten Metropoliten das Pallium in dessen Heimatdiözese zu verleihen (vgl. Communicationes 47 (2015), 110 f.). Für den Aufruhr, den diese Änderung verursacht hat, lassen sich zwei Gründe erkennen: Einerseits sind das Pallium und die damit verbundenen Zeremonien keineswegs bedeutungslos geworden. Andererseits liegen die gewachsenen Traditionen, Veränderungen und Entwicklungen, denen das Pallium im Laufe seiner Geschichte unterlag, größtenteils im Dunkeln. ...
Von 9.–13. November 2009 kamen die 141 Vertragsstaaten der Anti-Korruptionskonvention der Vereinten Nationen in Doha (Katar) zusammen und nahmen die wichtigste Resolution seit Inkrafttreten der Konvention an. In Zukunft wird die Umsetzung der Konvention in jedem Vertragsstaat von jeweils zwei anderen Vertragsstaaten überprüft, die einen Bericht mit Empfehlungen abgeben. Dies soll nicht nur die Umsetzung des ersten globalen Abkommens gegen Korruption garantieren, sondern auch den internationalen Dialog und die Leistung technischer Hilfe fördern. Viele Delegierte wiesen darauf hin, dass Bestechung nur im Zusammenwirken von aktivem und passivem Part möglich sei und dass Korruption in ihren vielfältigen Formen nur in der geteilten Verantwortung von Industrie- und Entwicklungsländern effektiv bekämpft werden könne. Dies entspricht dem Geist der Konvention, die die internationale Zusammenarbeit erleichtert und durch umfassende Bestimmungen über die Strafbarkeit unter anderem von Bestechung gleiche Bedingungen unter den Staaten schafft. ...
Ein Unsichtbarer posiert für das Erinnerungsfoto eines Ereignisses, das nicht stattgefunden hat: In der Ritterrüstung steckt Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, Ehemann der Krupp -Erbin Bertha und Aufsichtsratsvorsitzender des größten deutschen Industrieunternehmens im Kaiserreich, des Stahlkonzerns und Waffenproduzenten Krupp. Er war einer der Teilnehmer an einem Historienspiel, das den Fortschritt, natürlich besonders denjenigen der Waffentechnik, dazu den Kaiser und Deutschland glorifizieren sollte. Die Handlung des Stückes war trivial, doch die Ausstattung mit Kostümen und Requisiten opulent. Die 314 Mitwirkenden waren leitende Angestellte des Unternehmens, ihre Frauen und Kinder. Sie hatte monatelang für das Spektakel geprobt, das im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum der Firmengründung der Fried. Krupp AG und des Geburtsjahres von Alfred Krupp im Sommer 1912 aufgeführt werden sollte. Zum Abschluss des Besuches von Kaiser Wilhelm II., der am 8. und 9. August Essen und das KruppWerk besuchte, sollte die einzige geplante Aufführung nur für das Staatsoberhaupt und sein Gefolge stattfinden. Doch sie fiel aus, denn am Vormittag des 8. August hatte sich im benachbarten Bochum eines der schwersten Grubenunglücke des Ruhrgebietes ereignet, dem 112 Bergleute zum Opfer gefallen waren. ...
Alle 18 Beiträge des Sammelbandes entstammen einem internationalen Kolloquium am Deutschen Historischen Institut in London aus dem Jahr 2014, das Aspekten der Rechtsgeschichte allein des Dominikanerordens gewidmet war. So reiht es sich in eine Tradition der Ordensforschung ein, hebt sich aber durch die thematische Konzentration mit diachronem wie raumübergreifendem Zugriff deutlich hervor. Die titelgebende Dichotomie durchzieht die Gesamtanlage des inspirierenden Bandes, umkreist sie doch ein Spannungsfeld selbst gesetzter normativer Ansprüche vor der sprichwörtlichen Wirklichkeit. Und auch dies stellt das Buch in einen traditionellen Zusammenhang. ...
Thomas Ott beschäftigt sich in seiner 2006 abgeschlossenen Dissertation mit dem albertinischen Sachsen und seinen politischen Wirkungskreisen im 16. Jahrhundert. Im Zentrum des Interesses steht die Frage, "was das albertinische Sachsen im Reich 'ausmachte', was es 'galt', wodurch seine Beziehungen zu anderen Ständen und zum Kaiser definiert waren" (6). Als zentrale Maßstäbe für die Einordnung Sachsens in das durch Kaiser und Reichsverband markierte Bezugsfeld werden in der Einleitung unter den Schlagworten "Präzedenz" und "Nachbarschaft" einerseits die Teilnahme an Reichsversammlungen und damit die Bedeutung von Session und Zeremoniell und andererseits das Erbeinungswesen herausgestellt. Bei Letzterem liegt der Fokus auf Erbeinungen zwischen Sachsen und Böhmen und der Frage, ob diese "langfristig für Einfluß bei Kaiser und Ständen sorgen konnten und wie sich dieser Einfluß bemaß" (27). ...
orschungen zur Geschichte der Gewalt bzw. Gewaltkriminalität – verstanden als interpersonale physische Gewalt zwischen "Privatpersonen" – haben in den letzten Jahren einen beachtlichen Aufschwung genommen. Die neuen Studien von Francisca Loetz und Pieter Spierenburg markieren exemplarisch unterschiedliche methodische Ansätze und Forschungsergebnisse und sollen im Hinblick auf ihre Erträge für die Rechtsgeschichte befragt werden. ...
Die Freiburger rechtswissenschaftliche Dissertation widmet sich der Forschungsgeschichte zum Hansischen Recht seit dem Alten Reich des 17. Jahrhunderts bis zum Jahre 2001, in dem Ernst Pitz seine Monographie zur Verfassung der Hanse vorlegte. Sie beschränkt sich dabei auf deutschsprachige Werke, wohl wissend, dass die "Hanse ein europäisches Phänomen" war (22). Diese zeitliche wie sprachliche Einschränkung ist legitim, wenn auch der Untertitel der "Forschungsgeschichte" demnach eine deutsche ist. Zudem ist das Buch eine juristische Qualifikationsschrift, was ebenfalls die vorgenommene Konzentration auf ein zweifellos großes Feld rechtfertigt. ...
Die Strafrechtsgeschichte hat – mit Ausnahme von Geständnis und Folter – einzelne Interaktions- und Kommunikationsmodi des Strafverfahrens eher selten untersucht. Insofern schließt die Monografie von Antje Schumann eine Forschungslücke, da sie die historische Entwicklung von Verhör, Vernehmung und Befragung in Deutschland bis zum Strafprozessänderungsgesetz von 1964 verfolgt. Letzteres sowie die aktuellen strafprozessrechtlichen Rechtsprobleme bilden den Ausgangspunkt der Untersuchung, die insofern eine teleologische Perspektive einnimmt, um "d[ie] Notwendigkeit und de[n] Wert eines Rechtsbegriffs der Vernehmung im Strafprozess" zu rekonstruieren (2). Methodisch erfolgt dies mit einem dogmen- und begriffsgeschichtlichen Ansatz, der sich auf die Analyse des Strafverfahrensrechts und der entsprechenden juristischen Literatur beschränkt. Die empirische Untersuchung bezieht Kriminalakten und Verhörprotokolle nicht und die ab dem 17.Jahrhundert entstehende Praxisliteratur nur exemplarisch ein. Die einschlägigen Studien der historischen Kriminalitätsforschung und Kommunikationswissenschaften zieht Schumann immerhin punktuell bei der theoretischen Konturierung des Vernehmungsbegriffs und der historischen Grundlegung von Untersuchungsgegenstand und Fragestellung heran, soweit diese "für die Erklärung des jeweiligen rechtlichen Gegenstandes von Interesse sind" (67). ...
In seinem neuen Buch bietet Karl Ubl einen weit gefassten Überblick seiner bisherigen Forschungen zur Lex Salica im Kontext seines Projektes an der Universität Köln zu den frühmittelalterlichen Rechtsüberlieferungen, beginnend mit den substantiellen Beobachtungen "Warum Barbaren Gesetze erlassen" (37–66) als Folge aus der Frage nach Einsatz und Nutzen der Rechtsbücher (Einleitung, 11–35). Er sieht die fränkische Lex in ihren Ursprüngen als identitätsstiftendes Instrument an ("Ein Monument der Alterität", 67–97, sowie als "Entwürfe von Gemeinschaft im 6. Jahrhundert", 99–135). ...
Andreas Fahrmeirs These lautet, dass die Entwicklung der modernen Form der Staatsbürgerschaft "von einer spezifischen Erfahrung zwischenstaatlichen Wettbewerbs vorangetrieben wurde" (231). Dass alle oder fast alle erwachsenen Männer nach den Prinzipien der Aufklärung und des Liberalismus Rechte besaßen oder wenigstens fähig waren, zur politischen Mündigkeit erzogen zu werden, hat sicherlich auch zur Erweiterung der Rechte und der Zahl der Staatsbürger in vielfältiger Weise beigetragen. Nach Fahrmeir waren aber "Blut und Eisen" wichtiger für die Entwicklung von Staatsbürgerrechten als der Einfluss Lockes und Kants. Krieg oder die Vorbereitung auf einen Krieg haben Staaten angetrieben, eine "homogene, gesunde und produktive Bevölkerung" zu schaffen, um Stabilität und ökonomische Effizienz herzustellen (230). Und hauptsächlich deshalb wurden weitere zivile, politische und soziale Rechte breiteren Gruppen von Einwohnern gewährt und Grenzen zwischen Staatsbürgern und Ausländern schärfer gezogen. Dieser Hypothese folgend, kommt Fahrmeir zum Schluss, dass, da westliche Regierungen seit den 1970er Jahren zunehmend auf die Wehrpflicht verzichten und sich vielmehr auf den wirtschaftlichen Erfolg im Kontext einer globalisierten Ökonomie konzentrieren, sie sich fortan auch weniger um die Opferbereitschaft und um die Rechte ihrer Einwohner kümmern. Deren ökonomische Nutzbarkeit steht im Vordergrund (231 f.). ...
Über die Geschichte des kanonischen Rechts im Mittelalter ist reichlich geforscht worden. Wenn nun ein Sammelband zum Gebrauch dieses Rechtes in der kirchlichen Verwaltungspraxis des Früh- und Hochmittelalters vorgelegt wird, weckt das die Aufmerksamkeit der mediävistischen Rechtshistoriker, die sich – vor allem unter dem von Hermann Nehlsen am Beispiel der frühmittelalterlichen Leges Barbarorum geprägten Aspekt der »Effektivität« – mit der normativen Praxis in vormodernen Gesellschaften beschäftigen. Oftmals bewegen sich die Forschungen entweder auf der rein normativen Seite mit einem breiten Horizont oder auf der praktischen anhand von mehr oder minder begrenzten Untersuchungsräumen. ...
Ist Quantität in der Historiographie ein Argument? Oder ist die Menge von Nachweisen, zumal in Zeitaltern, für diemit zahlreichen Überlieferungszufällen zu rechnen ist, gerade ein oberflächlich verführerisches und trügerisches Argument? Beide Fragen brennen Mediävisten schon seit langem unter den Nägeln, wenngleich sie sich nicht nur bei Epochen mit raren materiellen Überresten stellen sollten. Wie viele Belege brauchen wir für die Richtigkeit einer historischen These? Wie sollen wir wissen, welches Gewicht eine singuläre Quelle hat? Wenn diese Fragen zugleich implizieren, dass man sich über Statistiken hinwegsetzen könnte, dann werden sie zu gefährlichen Fragen. Deren Virulenz wird in der Mediävistik und anderswo für gewöhnlich durch das Anlegen fachspezifischer Korsette und das Eintrainieren professioneller Betäubungstechniken bereits in der Sozialisationsphase effizient eingedämmt: Beliebt dafür sind das Erlernen eines strengen Puzzlespiels in der Quellenexegese, ritualisierte Logik, rhetorische Nonchalance und – besonders verhängnisvoll in Bereichen der Wirtschaftsgeschichte – der Hinweis auf die Existenz ökonomisch-theoretisch unbezweifelbarer Zusammenhänge, die auf die Aufdeckung durch besonders talentierte Spürnasen nur zu warten scheinen. ...
Sorgfältig gewählte Worte können Konflikte durchaus entschärfen und einhegen. Sie müssen dabei nicht zwangsläufig beschwichtigend sein, sondern können auch (fiktive) Drohszenarien aufbauen und bewusst darauf ausgelegt sein, den Gegner einzuschüchtern. Die Federn der diplomatischen Akteure konnten spitz sein und flott deren Mundwerke, harte Kämpfe konnten dementsprechend auch mit diesen Waffen ausgefochten werden. Sicherlich nicht ohne Grund sollte der Mailänder Herzog Giangaleazzo betonen, er fürchte einen einzigen von Coluccio Salutatis Briefen weit mehr als tausend feindliche Reiter (211). ...
Die vormoderne "gute Policey" theoretisch zu durchdringen, die Vielfalt ihrer Normen zu systematisieren und die Policeypraxis zu analysieren – damit hatte bereits die vormoderne Policeywissenschaft Schwierigkeiten. Die neuere "Policeyforschung" hat dann auch meist exemplarische Fallstudien bevorzugt und einzelne Städte, Territorien und Regelungsbereiche untersucht oder die Policeydiskurse unter spezifischen Fragestellungen analysiert. Andrea Iseli will dagegen einen kompakten Überblick – "handbuchartig" (Umschlagtext) – über die gute Policey im vormodernen Europa geben. ...
Englischsprachige Bücher über Carl Schmitt sind keine Seltenheit, steht doch der deutsche Jurist wegen seiner schillernden Bedeutung seit Längerem im Fokus nicht nur juristischer und philosophischer Studien. Auch dass es um Schmitts Verhältnis zum Raum geht, ist keine Überraschung, denn im letzten Jahrzehnt wurde er in solchen Zusammenhängen verstärkt rezipiert. Versprochen wird dem Leser allerdings, er habe "the first systematic examination from a geographic perspective of one of the most important political thinkers of the twentieth century" in den Händen (Werbetext auf dem hinteren Einbanddeckel). Einschränkend bemerken die Autoren in ihren Acknowledgements allerdings, dieses Buch sei "the result of almost a decade of work on Carl Schmitt and his reception in English speaking academia" (x). ...
Im vorvergangenen Jahr sind zwei umfangreiche Monographien zur Funktion der Kirche im Frühmittelalter erschienen, die besonderes Augenmerk unter der Fragestellung nach dem Verhältnis von "Recht, Raum und Religion" zu verdienen scheinen. Zum einen ist dies die Jenaer Dissertation von Tina Bode, zum anderen die Studie von Florian Mazel, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Rennes II, die Gegenstand seiner habilitation à diriger les recherches gewesen ist. Erstgenannte will sich auf das ostfränkische Reich der Ottonenzeit (919–1024) konzentrieren, während Mazel gar die mittelalterliche Kirche vom 5. bis zum 13. Jahrhundert in den Blick nehmen möchte. ...
Die 18 Beiträge des Sammelbands behandeln das auch rechtshistorisch interessierende Thema der "religiösen Devianz", die zwischen schweren Delikten wie Gottlosigkeit, Hexerei oder Blasphemie und nonkonformistischen Glaubenspraktiken, Dissimulation und Eigensinn verortet wird. Dieses breite Spektrum, zu dessen einzelnen Erscheinungsformen bereits ergiebige Forschungen existieren, soll mit neueren sozialwissenschaftlichen und kriminalitätshistorischen Ansätzen, Methoden und Fragestellungen durchleuchtet werden: Nicht mehr Kirche und Staat, sondern der Herstellungsprozess religiöser Abweichung, deren Zuschreibung und die Sanktionierung/Stigmatisierung und damit die Praxis des Umgangs mit religiöser Devianz stehen im Mittelpunkt des Forschungsfeldes. Dessen Dimensionen legen die Herausgeber in der Einleitung systematisch und überzeugend dar und betonen als zentrale Forschungsleitlinien die stärkere Berücksichtigung von religiöser Pluralität, gruppenbezogener und konfessionsübergreifender Devianzen bzw. übergreifender Deliktfelder sowie das Zusammenwirken von religiösen, sozialen und rechtlichen Normen und Praktiken. Vollständigkeit kann freilich nicht erzielt werden und daher beschränkt sich der Band auf exemplarische Fallstudien zum konfessionellen Zeitalter, welche die variantenreiche religiös-konfessionelle Landschaft Europas ausreichend abdecken. ...
Zu Ciceros "Philippischen Reden" sind in den letzten Jahren mehrere Untersuchungen in monographischer Form vorgelegt worden, dabei zumeist philologisch-historische Kommentare, die von einem Text und einer Übersetzung begleitet werden. In ihrer Dissertation möchte K. H(edemann) das "Antoniusbild" in den Philippischen Reden Ciceros untersuchen. Die Einleitung verspricht, dass eine "differenzierte Charakterisierung des Antonius" (16) erfolgen soll und, so wenig später, ein "realitätsnaher Blick auf Antonius" (39). Auch dieses Ziel, die Entlastung der von Cicero diffamierten Persönlichkeit des Antonius, spielte bereits in verschiedenen Spezialstudien zu diesem Rede-Corpus eine wichtige Rolle. ...
Der von STEFFEN DIEFENBACH und GERNOT MICHAEL MÜLLER herausgegebene Tagungsband (zugleich Band 43 der Millenium-Studien) beschäftigt sich mit dem Westen des römischen Reichs in der Spätantike und fokussiert sich auf die tiefgreifenden Veränderungen vom frühen 5. bis zum ausgehenden 6. Jahrhundert, die zeitgleich, aber nicht unbedingt synchron abliefen und so gerade in der älteren Forschung den Eindruck eines katastrophischen Niedergangs aufkommen ließen. In der Einleitung plädieren DIEFENBACH und MÜLLER dafür, diese Zeit als einen „Strukturwandel mittlerer Reichweite“ anzusehen und erörtern die relevanten Aspekte wie die sichverändernden Formen der Herrschaftsbildung und der politischen sowie kulturellen Vergemeinschaftung, die Widerstand hervorrufende staatliche Durchdringung z.B. von ländlichen Regionen und die neuen kirchlichen Strukturen (S. 1)...
Rezension zu: Alison E. Cooley, The Cambridge Manual of Latin Epigraphy (Cambridge u.a. 2012)
(2015)
Die ursprünglich über zwei Meter hohe Inschrift von Paros, im Folgenden hier gemäß der gängigen Konvention als Marmor Parium bezeichnet, stellt einen faszinierenden Text dar, der in den Altertumswissenschaften jedoch kaum größere Beachtung erfährt. Umso erfreulicher ist es, dass sich Andrea Rotstein in einer monographischen Abhandlung eingehend damit beschäftigte und erstmals seit über 100 Jahren auch eine neue Edition mitsamt englischer Übersetzung vorlegte. ...
Das vorliegende Buch von Anne Kolb (Zürich) und Joachim Fugmann (Konstanz) beinhaltet eine Sammlung von 58 Grabinschriften aus der Stadt Rom samt den dazugehörigen Monumenten, die als „charakteristische Beispiele ihrer Gattung“ (9) fungieren und einen Überblick über die ganze Bandbreite römischer Inschriftenkultur liefern. Reich bebildert und mit ausführlichen Begleittexten versehen erfüllt das Werk gleich zwei grundlegende Funktionen: Zum einen kann es vom Leser als Handbuch genutzt werden, um sich – auf fachlich hohem Niveau und unter Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes – gezielt über einzelne Monumente zu informieren. Zum anderen gewährt es, bei einer zusammenhängenden Lektüre, tiefe Einblicke in die facettenreiche Sozialgeschichte der römischen Republik und Kaiserzeit. ...
Zur großen Ausstellung „Imperium der Götter“ des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, die vom 16. November 2013 bis zum 18. Mai 2014 die Vielfalt und Bedeutung der Kulte und Religionen im römischen Reich mit einer Fülle an beeindruckenden Exponaten vor Augen führte, ist ein Ausstellungsband erschienen, in dem nicht nur die ausgestellten Objekte präsentiert, sondern auch die im Blickfeld stehenden Kulte, die „orientalischen“ Kulte einschließlich des frühen Christentums und Judentums, durch zahlreiche, kurze Beiträge näher beleuchtet werden...
Bei der hier vorzustellenden Publikation handelt es sich um eine Zusammenstellung von Aufsätzen des Autors zur Geschichte und Archäologie von Mainfranken in der Antike. Nur die Einführung "Römer, Germanen und der Main" (11-19) ist eine Erstveröffentlichung, in welcher der Untersuchungsraum näher vorgestellt wird: Zwar wird die Bedeutung des Mains, der stark gewunden ist, als Schifffahrtsweg in römischer Zeit als gering eingeschätzt, dennoch wurde über ihn sicherlich etliches Bauholz aus den Wäldern des Spessarts, Odenwalds und Steigerwalds an den Rhein transportiert. Auch als Verkehrsweg nach Germanien hinein spielte der Main keine große Rolle und man bevorzugte – so Steidl – eher den Landweg. Das Bemühen der Römer, hier eine Infrastruktur aufzubauen, endete mit der Varusschlacht; die Mainregion diente von nun an nur noch als Ressourcenquelle außerhalb des römischen Herrschaftsbereichs. ...
Der im Folgenden anzuzeigende Band ist aus der Tagung „Oratory and Politics in the Roman Republic“ hervorgegangen, die im September 2010 in Oxford veranstaltet wurde. Die Herausgeberinnen stellen in der „Introduction“ (1-7) heraus, dass man politische Reden zwar bislang durchaus untersucht, die Wirkung derselben aber eher vernachlässigt habe. Diesem Aspekt ist der Band gewidmet (2). Ferner stünden diesmal nicht Ciceros Reden im Zentrum der folgenden Artikel. Statt dessen habe man sich bewusst auf die weniger gut belegten orationes anderer Politiker konzentriert. Ein wichtiges, aber kaum überraschendes Ergebnis wird bereits hier verkündet: Zwar habe der römische Redner mit seinem Vortrag politischen Einfluss ausüben wollen, doch sei der Effekt einer Rede nicht immer vorhersehbar gewesen (2). Ein weiteres Resultat erstaunt ebenso wenig: Die Rhetorik habe in der politischen Karriere der römischen Politiker zum Teil ganz unterschiedlichen Zielen gedient. Cicero erscheine dabei in mehrfacher Hinsicht als Ausnahme, „both in his near-exclusive dependence on oratory to fuel his public career, and in the choices he makes about how to use oratory. […] and he exploited to an exceptionally high degree the possibility of preserving his oratory in textual form“ (3). Mit anderen Worten, die Sonderstellung Ciceros als erfolgreicher Redner wird erneut betont. Kurze Zusammenfassungen der insgesamt 19 Beiträge schließen die Einführung ab (4-6). Letzteres macht eine kurze Besprechung sämtlicher Artikel obsolet. Statt dessen sollen im Folgenden einzelne Studien detaillierter besprochen werden...
Mit Christa Steinby beschäftigt sich in der vorliegenden Arbeit eine Kennerin der Materie mit der Geschichte der römisch republikanischen Flotte und Seekriegsführung in der Zeit der Punischen Kriege. Steinby ist bereits 2007 als Autorin der nach den ausführlichen Studien von Thiel einzigen jüngeren monographischen Betrachtung der republikanischen Flotte in Erscheinung getreten, und in vielerlei Hinsicht schließt auch das hier anzuzeigende Werk an diesen Vorgänger an...
Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die erste längere Monographie zu der Königin Teje überhaupt, wenn auch z.B. ihr Portraitkopf in Berlin des Öfteren in kürzerer Form Beachtung fand. Teje war die Große königliche Gemahlin von Amenophis III., Pharao der 18. Dynastie des Neuen Reiches, sowie die Mutter des Königs Echnaton und Schwiegermutter Nofretetes. Bei ihren Eltern handelt es sich um Juja und Tuja, deren Grab in Theben (KV46) bei der Auffindung 1905 noch mit zahlreichen Objekten versehen war, die heute im Ägyptischen Museum Kairo ausgestellt sind. So wurde z.B. neben den äußeren, mit Schlittenkufen versehenen Sarkophagen, Särgen, Kanopenkästen und vergoldeten Totenmasken einer der überaus wenigen heute vollständig erhaltenen Streitwagen aus pharaonischer Zeit in ihrem Grab gefunden...
Das lakedaimonische Reich und seine hegemoniale Stellung standen oft im Fokus der historischen Forschung, während die übrigen Staaten auf der Peloponnes weniger Berücksichtigung in der wissenschaftlichen Diskussion fanden. Seit den letzten Jahren existiert zwar eine Vielzahl an Detailstudien zu einzelnen peloponnesischen Poleis, allerdings wird in ihrer Darstellung der in den Quellen vorherrschenden Perspektive Spartas Folge geleistet. Das Beziehungsgefüge der Mittel- und Kleinstaaten untereinander ist bislang nicht näher untersucht worden. In der hier zu besprechenden Dissertation "Sparta und die peloponnesische Staatenwelt in archaischer und klassischer Zeit" ändert die Autorin Christina Wolff den bisher vorherrschenden Blickwinkel. ...
Wenn eine Neuerscheinung von zwei renommierten Verlagen gleich beim Erscheinen angekündigt wird mit dem spektakulären ‚Aufmacher‘ „Das konkurrenzlose Handbuch zu den großen Mythen der Welt“ und mit den plakativen Tops: „Konkurrenzlos umfassend: berücksichtigt alle wichtigen Kulturkreise – Kompakte Einträge zu einzelnen Mythen und ihrer Wirkung – Erklärung von Begriff, Funktion und Deutung von Mythen – Informationen zum Mythos in Wissenschaft und Künsten“, so werden damit beim breiteren Publikum und auch in Fachkreisen einige Erwartungen geweckt. Daher sieht der Rezensent, nach langer ‚Arbeit am Mythos‘ unlängst Verfasser des ersten systematischen Handbuchs zum antiken Mythos (2011) und eines weiteren handbuchartigen Überblickswerks zu Mythen, Sagen und Märchen (2012), seine Aufgabe vor allem in der Beantwortung der Frage, inwieweit die Neuerscheinung diesen Erwartungen gerecht wird...
Der Leittitel des hier zu besprechenden Buches mag zunächst überraschen, vielleicht auch befremden, in jedem Fall weckt er aber die Neugier einer potentiellen Leserschaft. Der Untertitel verdeutlicht dann das spezielle Anliegen, welches die Herausgeber mit der Veröffentlichung von Vorträgen einer ebenso betitelten interdisziplinären Tagung verbanden, die im September 2014 an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen stattfand. Im kurzen Vorwort werden die beiden zentralen Ansätze, welche die Tagung verfolgte, erläutert: Zunächst sollten die nicht-narrativen Quellen zur Herrschaft des Antoninus Pius, deren Basis aufgrund mancher Entdeckungen und Aussagemöglichkeiten sich in der jüngeren Zeit beachtlich verbreitert hat, in den Mittelpunkt der Diskussion von Spezialisten unterschiedlicher Fachrichtung gerückt werden. ...