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Doppeltgänger — man fasst diesen Begriff bei Jean Paul gerne im heutigen Sinne auf, also als Beschreibung zweier Menschen, die sich äußerlich gleichen und daher von dritten miteinander verwechselt werden. Das 18. und frühe 19. Jahrhundert hat jedoch vor allem die Dimension des "geistige[n] Doppeltgänger[s]" im Blick, also die psychische, ja psychopathologische Innenansicht einer solchen Verwechslung. Es handelt sich bei einem oder mehreren Doppeltgängern dementsprechend um "Leute, die sich selber sehen" oder genauer:'um "eine Person, von verbrannter Embildungskraft, welche wahnt, daß sie doppelt zu sehen sei, oder zu einer und derselben Zeit an zwei verschiedenen Orten zugleich sei".'
Dichter stellen seit der Antike selbst einen beliebten Gegenstand von Dichtung vor. Einen Höhepunkt erreichte das literarische Interesse an der Künstler- und Dichterpersönlichkeit bekanntlich in der Literatur der Romantik, die das Faszinosum individueller künstlerischer Schaffenskraft selbstreflexiv ins Zentrum der künstlerischen Gestaltung rückte. Nimmt man die deutsche Literatur insgesamt in den Blick, so lassen sich die Dichtergedichte, Dichterdramen, Dichtererzählungen und -romane in ihrer Vielzahl kaum übersehen. Unter ihnen finden sich einige der bekanntesten Werke der deutschen Literatur wie Goethes Drama "Torquato Tasso", Novalis' Künstlerroman "Heinrich von Ofterdingen" und Büchners Erzählung "Lenz". Kein zweiter Schriftsteller aber hat andere Dichter so häufig zum Gegenstand seines Schreibens gemacht wie Robert Walser, dem die Auseinandersetzung mit fremden Autoren zur Grundlage des eigenen literarischen Schaffens wurde.
"Und jetzt ich" : Gegen-Ästhetik und algorithmische Autorschaft in Jan Brandts "Tod in Turin" (2015)
(2021)
Als "Buchpreisverarbeitungsbuch" (TiT, 290) mit einer Erzählinstanz, die sich explizit als der empirische Autor zu erkennen gibt und geradezu leitmotivisch ihren beruflichen Status offenlegt - "'[i]ch bin Schriftsteller'" (TiT, 18 u.ö.) -, ist "Tod in Turin" Metaliteratur, Literatur über Literatur und vor allem über deren Produktions-, Rezeptions- und Verwertungsbedingungen. Metatextuell im Sinne Gérard Genettes, das heißt: Prätexte nicht nur referierend, sondern 'kommentierend', ist "Tod in Turin" aber schon qua Titel und Thema. "Die reiche, Jahrhunderte umspannende deutsche Italienliteratur" füllt längst eine schon wieder überholte Bibliographie von monographischer Dimension. In diese Tradition schreibt sich Jan Brandt ein und betreibt mit ihr ein "postmoderne[s] Spiel" (TiT, 291), dessen Telos, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, über die Subversion oder Persiflage bestehender literarischer Italienbilder hinausreicht. Es besteht vielmehr in einer neuartigen, nämlich 'algorithmischen' Fruchtbarmachung des überwältigenden Prätext-Kanons.