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Bruno Tauts Filmphantasie "Der Weltbaumeister"(1920) wird interpretiert als ein kosmischer Zeugungsakt, der das architektonische Schaffen symbolisiert. Das Spezifische der Liebesmetaphorik, deren Wurzeln in der Romantik (Runge) ausgemacht werden, liegt in ihrem homoerotischen bzw. androgynen Gehalt. An zahlreichen, auch über die expressionistische Ära hinausreichenden Beispielen wird klar, daß es sich um eine epochale, keineswegs biographisch begrenzbare Phantasie der Selbstzeugung handelt. Der Künstler setzt sich in seiner Vorstellung vom künstlerischen Akt als weibliches und männliches Prinzip, d.h. die materiellen, der Autonomie von Kunst entgegenstehenden gesellschaftlichen Bedingungen (z.B. der Gebrauchszweck in der Architektur) werden in das Ich als weibliches verlegt. Nur im Rahmen dieser extrem idealistischen Denkhaltung bezeichnet Taut 1924 "die Frau als Schöpferin".
Die hochdeutschen Dialekte sind gemeinhin dafür bekannt, beim Ausdruck grammatischer Kategorien analytischer zu verfahren als die Hochsprache. Dafür spricht die Ersetzung des synthetischen Präteritums durch das zusammengesetzte Perfekt und der Abbau der Genitivflexion. In diesem Aufsatz soll gezeigt werden, daß diesen Analysetendenzen ganz deutliche Synthesetendenzen gegenüberstehen, die bisher viel zu wenig beachtet wurden: Das Alemannische weist eine beträchtliche Anzahl an Klitika auf. Nach einer kurzen Bestimmung der Termini Pro- und Enklise (1) wenden wir uns der Klitisierung von Artikel und Personalpronomen im Berndeutschen zu (2). Abschließend soll nach den sprachtypologischen Konsequenzen dieser Entwicklung gefragt werden (3).
Die komplementäre Funktion, welche der (…) besprochene Frauenlied-Typus im Blick auf die Männerlieder Reinmars erfüllt, zeigt sich besonders deutlich in dem Lied „Lieber bote nu wirp alsô“, in dem das Moment der artistischen Selbstdarstellung im Unterschied zu den anderen Liedern der Sequenz nicht in besonderer Weise ausgeprägt ist. Denn in dem hier gezeichneten Schwanken der Frau zwischen Reden und Schweigen, zwischen Sagen und Versagen, vollzieht sich eine Bewegung, die auch für viele Männerlieder Reinmars charakteristisch ist, in denen ein Entschluß oder eine Aussage am Ende des Liedes in einer „revocatio“ wieder zurückgenommen wird.
Zu den rätselhaftesten Werken des deutschen Mittelalters gehört Wolframs „Titurel“. Das beginnt bei der Bewegung der Überlieferung und endet bei der interpretierenden Einordnung in die Literatur- und Geistesgeschichte: eindeutige Antworten sind oft nicht möglich. Im Kontrast dazu steht die Faszination, die der Text ausgeübt hat und ausübt: immer wieder findet sich neben skeptischen Stimmen Hochschätzung, ja höchster Preis von Karl Müllenhoff (...) bis zu Hugo Kuhn (...). Eine Annäherung an den Text soll im Gang durch die verschiedenen Problemkreise unternommen werden.
Ein teures Vergnügen war es im 14. Jahrhundert, ein Liebhaber der Literaturen zu sein – das geht mit Deutlichkeit aus einer der prachtvollsten und wichtigsten Handschriften der Donaueschinger Bibliothek, dem Codex 97, hervor: sie ist so groß wie ein Weltatlas, enthält den ‚Neuen Parzival’ und wurde 1336 vollendet. (...)
Die deutschen Handschriften umfassen Beispiele aus allen Bereichen der mittelalterlichen Textüberlieferungen von höfischen Prunkcodex bis zur geistlichen Gebrauchshandschrift; in ihrer je unverwechselbaren Gestalt können uns die Codices Auskünfte über das Leben der Texte in der mittelalterlichen – und neuzeitlichen – Gesellschaft geben. Darüber hinaus bildet die Sammlung einen noch längst nicht vollständig gehobenen Schatz von Werken, die zur Kenntnis der Vergangenheit unserer Literatur, der politischen Geschichte und des Alltags Wichtiges beizutragen haben.
In die gattungsgeschichtliche Reihe der Novellensammlung oder auch der 'Novellenromane' sind Johann Beers 'Winter-Nächte' (…) [der Untersuchung zufolge] nicht eingefügt, wohl aber in die Tradition eines gemeinschaftlichen Erzählens, eines Novellare, das sich selbst in seinem todverdrängenden und lebenserhaltenden Sinn erläutert und legitimiert. Sie reicht von 'Scheherezâde' und dem 'Papageienbuch' bis zu Goethes 'Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten', von den sieben weisen Meistern über das 'Decameron' zu Brentanos
'Mehreren Wehmüllern', Heines 'Florentinischen Nächten' oder auch Leo Lionnis 'Frederick', der den hungrigen Mäusen in langen Winternächten jene Vorräte erzählend wiedergibt, die sie längst aufgebraucht haben.
Ein ‚intertristanisches’ Spiel, angedeutete Dialoge zwischen literarischen Figuren – solche Bezüge sind nicht erst in der jüngeren Literatur zu entdecken. Die Deutlichkeit der intertextuellen Markierungen kann zu allen Zeiten sehr unterschiedlich sein – in unserem Beispiel kann sie von der lediglich im Titel genannten Tristan-Figur, die im Bezug auf den Mythos schwebend bleibt, bei Platen, bis zur explikativen Benennung bei Thomas Mann (und zu in anderer Weise schwebenden Bezügen) gehen.
Schon Ingeborg Bachmanns eigene Konzeption rechtfertigt die Assoziation Undines mit Lulu nicht – viel weniger noch die literarische Entfaltung des Themas von der Meerjungfrau, der Mahrte, und ihrer Verbindung mit einem Sterblichen (...). (...) [Volker Mertens betrachtet] die Erzählungen von der Mahrtenehe strukturell als Thematisierung einer Differenz zweier Welten und als Integrations- und Harmonisierungsversuch, der scheitert, oder – selten – auch gelingen kann. Die beiden Welten sind durch komplementäre Defizite und Überschüsse gekennzeichnet, die einander kompensieren können.
Im Frühjahr 1902 schreibt der noch wenig bekannte, eben erst mit den Buddenbrooks hervorgetretene Thomas Mann an ein "verehrtes Fräulein Hilde" in Dresden einen ungewöhnlichen Brief. Nachdem er ihr zunächst artig zum Geburtstag gratuliert und sich mit einer kleinen Plauderei hinreichend bei ihr eingeschmeichelt hat, rückt er unverhohlen mit etwas ganz anderem heraus. Es ist ein Mordfall, der sich in Dresden zugetragen hat. Vor einiger Zeit habe eine 'Dame der Gesellschaft' in der Dresdner Straßenbahn einen jungen Musiker erschossen, ob sie ihm nicht, mit den Beteiligten bekannt, mehr darüber berichten könne. Der Fall habe einen "ganz merkwürdig starken Eindruck" auf ihn gemacht, vielleicht, daß er sich seiner einmal zu einer "wundervoll melancholischen Liebesgeschichte" bedienen werde. Und dann gießt er einen wahren Sturzbach von Fragen über sie aus: nach der Dauer der Beziehung zwischen den beiden, nach den Familienverhältnissen der Täterin, ob sie Kinder habe, wie man gesellschaftlich miteinander umgegangen sei, was mit den Geschenken gewesen sei, die sie dem Geliebten gemacht haben solle, wie sich die Tat im einzelnen abgespielt habe und vieles mehr. In jedem Falle aber benötige er "Détails", sie vor allem seien ihm wichtig. Wenn sie also irgend könne, so möge sie ihm doch "bitte, bitte, bitte!" einmal alles "recht genau, recht eingehend, recht ausführlich erzählen.
"Das zwischen dem Herbst 1989 und dem 3. Oktober 1990 entstandene literarische Material, das von einer vielfältigen Haltung der DDR-Intellektuellen zur deutschen Wiedervereinigung zeugt, scheint mir [...] besonders wichtig. Die Textsammlung [Grenzfallgedichte : eine deutsche Anthologie] - etwa 100 Gedichte - die hier kurz besprochen wird, bildet einen vielstimmigen Kommentar, manchmal genau datiert, zu den politischen Ereignissen jener Zeitspanne, in der sich der Lauf der deutschen Geschichte radikal verändert hat."
Briefnormen
(1994)
Geschichte von Dialogformen
(1994)
Die Forschungslage zur Geschichte von Dialogformen muß differenziert beurteilt werden. Einerseits gibt es vielfältig verstreute Arbeiten zu einzelnen historischen Dialogen und Dialogformen, vor allem aus den Bereichen der Literaturgeschichte, der Rhetorikgeschichte und der Philosophiegeschichte. Diese sind aber kaum systematisch erfaßt, so daß es schwierig ist, einen allgemeinen Überblick über den Stand der Forschung in diesem Sektor zu gewinnen.
One of the most interesting domains of feedforward networks is the processing of sensor signals. There do exist some networks which extract most of the information by implementing the maximum entropy principle for Gaussian sources. This is done by transforming input patterns to the base of eigenvectors of the input autocorrelation matrix with the biggest eigenvalues. The basic building block of these networks is the linear neuron, learning with the Oja learning rule. Nevertheless, some researchers in pattern recognition theory claim that for pattern recognition and classification clustering transformations are needed which reduce the intra-class entropy. This leads to stable, reliable features and is implemented for Gaussian sources by a linear transformation using the eigenvectors with the smallest eigenvalues. In another paper (Brause 1992) it is shown that the basic building block for such a transformation can be implemented by a linear neuron using an Anti-Hebb rule and restricted weights. This paper shows the analog VLSI design for such a building block, using standard modules of multiplication and addition. The most tedious problem in this VLSI-application is the design of an analog vector normalization circuitry. It can be shown that the standard approaches of weight summation will not give the convergence to the eigenvectors for a proper feature transformation. To avoid this problem, our design differs significantly from the standard approaches by computing the real Euclidean norm. Keywords: minimum entropy, principal component analysis, VLSI, neural networks, surface approximation, cluster transformation, weight normalization circuit.
Der folgende Beitrag will anhand der exemplarischen Lektüre zweier Aufsätze zeigen, was Lou Andreas-Salomés beschäftigte, wie und in welche Diskussionen sie sich einmischte und warum die Rezeption ihrer Texte schwierig ist; er will aber auch die Richtung andeuten, in der sich Fragen und Auseinandersetzungen Lou Andreas-Salomés bis in die Gegenwart fortgeschrieben haben. Am Beispiel der beiden beinahe zeitgleichen, thematisch so verschiedenen Texte "Grundformen der Kunst" (1898) und "Der Mensch als Weib" (1899) soll im folgenden Lou Andreas-Salomés Stimme, wie sie in der Polyphonie der Jahrhundertwende erklang, wieder zu Gehör gebracht werden. Daß die Aufsätze trotz ihres thematischen Unterschieds in denselben lebensbejahenden Versuch nach anthropologischer Selbstbestimmung münden, macht sie zu exemplarischen Texten für ihr Werk insgesamt.
Adam Bernd (1676 - 1748), der nach der Publikation zweier Traktate, die den Unwillen der Amtskirche hervorriefen, von seinem Amt als Prediger an der Leipziger Peterskirche resignierte, scheint mit seiner Klage recht zu haben: Zwar gehört der Selbstmörder seit der Antike zum Bild des Melancholikers, doch sind die Erklärungen der Zusammenhänge bis heute spärlich geblieben.
Die Hauptaufgabe einer Dialogtheorie ist die Beantwortung der folgenden Frage: Worin besteht die Fähigkeit von Dialogteilnehmern, Dialogzusammenhänge zu produzieren und zu verstehen? So einfach und selbstverständlich das dialogische Reden oft praktiziert wird, so komplex erscheinen dem Analysierenden die Mittel und Organisationsprinzipien, deren sich die Sprechenden bedienen, um in zusammenhängender Rede ihre kommunikativen Ziele zu verfolgen. Sie verwenden bestimmte Satzformen und Intonationsmuster , um hervorzuheben, worum es ihnen gerade besonders geht; sie benutzen bestimmte syntaktische und lexikalische Mittel, um Verknüpfungen zwischen Teilen längerer Äußerungen zu verdeutlichen; sie bereiten die Bezugnahme auf Gegenstände des Gesprächs vor, indem sie notwendiges Wissen sichern; sie entfernen sich in kleinen Schritten, fast unmerklich, von einem Hauptthema und steuern ein anderes an; sie kontrollieren ihre eigenen Dialogbeiträge und die ihrer Dialogpartner auf Relevanz und auf Widersprüche hin; sie klären Mißverständnisse auf; sie wählen aus alternativen Reaktionsmöglichkeiten virtuos diejenigen aus, die ihre Ziele zu fördern versprechen. Manchmal mißlingen allerdings auch Teile dieser komplexen Aktivität.
Formale Dialogspieltheorien
(1994)
Das Feld der Dialoganalyse umfaßt sehr unterschiedliche theoretische und methodische Ansätze, von der hermeneutischen Erschließung eines bestimmten Einzeldialogs über die quantitative Analyse bestimmter Typen von Dialogverläufen und die systematische Analyse der Grundstrukturen von Dialogformen bis hin zur formalen Theorie eines bestimmten Fragments einer Dialogform. Diese unterschiedlichen Ansätze können miteinander durchaus verträglich sein, insofern als sie unterschiedliche Aspekte des dialogischen Redens zum Gegenstand haben oder unterschiedliche Reichweite beanspruchen. Die in den bisherigen Artikeln dieses Handbuchs behandelten dialoganalytischen Ansätze erheben alle den Anspruch auf Systematizität der Analyse, sind aber keine formalen Theorien im strengen Sinne. Das heißt allerdings nicht, daß sie nicht formalisierbar sind, wie etwa die Formalisierung der Sprechakttheorie in Searle/ Vanderveken (1985) und die formale Beschreibungssprache für Handlungen in Heringer (1974) zeigen.
Angenommen, Literatur sei der unalltägliche Ausdruck dessen, was in der Luft liegt. Angenommen weiterhin, es verhalte sich so, wie unser alltägliches Sprechen über Literatur es nahelegt: das in den Wissenssystemen anwesende Wissen sei tendenziell defizitär, bedürfe daher der steten korrigierenden Ergänzung durch ein irreguläres Medium, und die freie, sprich keiner Sparte des Wissens und Handelns, allein der Öffentlichkeit verpflichtete Literatur sei dieses Medium, so ergibt sich daraus zweierlei. Erstens müßte verständlich gemacht werden können, welches Potential gerade die Literatur befähigt, immer neue Lücken im jeweiligen Wissensgefüge ihrer Zeit aufzuspüren und gemäß den eigenen Möglichkeiten zu benennen. Zweitens sollte es möglich sein, die Erfindung dieser Literatur im Zuge der europäischen Aufklärung so zu beschreiben, daß erkennbar wird, welche alle folgenden präjudizierende Lücke sie in ihren Anfängen auf den Plan ruft.
Zwar trifft für alle romantischen Schriftsteller zu, ob für Kleist oder die beiden Schlegel, für Görres oder Arndt, für Chamisso oder Steffens, für Novalis oder Heine, daß die Thematisierung Frankreichs nicht zu trennen ist von der eigenen kulturellen und nationalen Identitätsfindung. Das Sprechen über Frankreich ist für alle Genannten ein Reden über sich selbst, über das Selbstverständnis als Territorialpatriot, als Deutscher und als Schriftsteller. Und doch gilt dies in besonderer Weise von Achim von Arnim.
Die Gralsthematik ist bei Wolfram, auch was die Geschichte des Grals angeht, wesentlich weiter ausgeführt als bei Chrétien: die Notwendigkeit einer Vorgeschichte, wie sie Robert de Boron wohl für Chrétien bieten will (...), war bei ihm daher nicht gegeben. Vergleichbares gilt für die Geschichte der Elterngeneration, die bei Wolfram (...) ebenfalls ausführlich berichtet ist.
Den Romanen des "philosophischen Schriftstellers" Italo Calvino lassen sich grundlegende Fragen der zeitgenössischen Ästhetik entnehmen. Sie eröffnen einen Horizont, innerhalb dessen sich auch das theoretische und literarische CEuvre des "Roman-schreibenden Philosophen" Umberto Eco bewegt, ja es scheint fast, als befänden sich die Werke beider in einem Dialog. Jedes lebendige Kunstwerk ist, wie Eco betont, ein Kunstwerk in Bewegung, offen für neue interpretative und kommunikative Möglichkeiten sowie für neue Möglichkeiten des ästhetischen Genusses. Der Interpretationsprozeß gleicht einer Pendelbewegung zwischen der "Offenheit" der Rezeptionsmöglichkeiten und der "Geschlossenheit" bzw. Bestimmtheit des Werkes durch seine Struktur. Der Interpret steht demnach innerhalb einer nicht stillzustellenden Bewegung. in deren – immer erneut notwendigen – Nachvollzug er sowohl Erkenntnisse über die "kombinatorischen Möglichkeiten des Codes" gewinnt, als auch über "die Codes (...) einer bestimmten Periode der Kunstgeschichte." Daher ist es die Aufgabe der semiotischen Interpretation eines ästhetischen Textes, "das strukturierte Modell für einen unstrukturierten Prozeß eines kommunikativen Wechselspiels" zu liefern. Für Eco ist die Interpretation ein pragmatisch-hermeneutischer Prozeß, der im "Taumel der Möglichkeiten" bestimmte Bedeutungsmöglichkeiten ausschließt und andere privilegiert. Ein "epochales" Kunstwerk ist nach Eco eine "epistemologische Metapher", es repräsentiert ein "diffuses theoretisches Bewußtsein", das von den wissenschaftlichen und ästhetischen Theorien seiner Zeit gespeist wird. Dies gilt in besonderem Maße für die Romane Calvinos und Ecos: Der "Held" ihrer Romane ist der Interpretationsprozeß im Spannungsfeld zwischen Autor, Text und Leser. Dabei geht es um die Frage: Wie wird sich der Interpret im Verlauf der Interpretation seiner Rolle als Interpret bewußt? Die Absicht Ecos und Calvinos ist eine aufklärerische: Sie wollen einen "neuen Leser" schaffen, der sich seiner Rolle als Leser bewußt ist und der die Verantwortung für seine Lektürekonzeption übernimmt. "Ein Text will für seinen Leser zu einem Erlebnis der Selbstveränderung werden".
[Volker Mertens] will den im Berliner Ms.germ.fol. 640 (Tristan-Hs. P, Eilhart-Hs. D) überlieferten Tristan-Roman als Ganzes interpretieren und [beschreibt] zu diesem Zweck zuerst die Textgestalt beider Komponenten. Die Komplexität von Gottfrieds Konzeption, ihre gewollte Ambivalenz ist im Berliner ‚Tristan’ zwar reduziert, aber nicht aufgegeben. Gottfried stellt die Uneindeutigkeit durch die Spannung von Erzählfabel und Kommentar einerseits und innerhalb der Kommentare durch sprachliche Momente her – dem gegenüber bedeutet die Eilhart-Fortsetzung allerdings eine Vereindeutigung, die nachträglich auch das Verständnis Gottfrieds überformt und die Ambivalenz reduziert. Der Verzicht auf jegliche Kommentierung bedeutet aber auch einen Appell an die Offenheit für Verstehensmöglichkeiten seitens des Lesers. Diese sind durch Ausdeutung der Fabel bereits sensibilisiert und präformiert und können dann bei der Lektüre des abschließenden Eilhart-Textes aktualisiert werden. Sein Schluß in seiner lapidaren Eindringlichkeit ist gar nicht so weit von Thomas’ überliefertem Ende – der ganze konsolatorische Apparat Ulrichs und Heinrichs bleibt ja weitgehend ausgespart. Der schaden für Gottfrieds ‚Tristan’ in der Berliner Fassung ist nicht so groß, wie es aufs erste scheint: seine kunstliche geschichte wirkt wie der Trank auch nach dem Tode des Autors weiter und gibt dem Eilhart-Schluß eine Minne-Konzeption vor, die Heil und Heil-Losigkeit der Geschlechterliebe umgreift.
In Lenzens Briefen, seinen „stets unmittelbar und originell hervorsprudelnden Herzensergüssen [...] spiegelt sich des Dichters innerstes Sein und Wesen in lebendiger Treue [...].“(...) Diese Ansicht formulierte Franz Waldmann 1894 in schöner Übereinstimmung mit der allgemeineren zeitgenössischen Überlegung zum sogenannten Sturm und Drang-Brief. (...) Als zunächst vielleicht paradox anmutende These sei vorangestellt: Waldmanns Aussage gilt um so weniger, je „unmittelbarer“ und persönlicher die Briefe erscheinen; sie dokumentieren des „Dichters innerstes Sein und Wesen“ nicht „unmittelbar“, sondern nur in vermittelter Weise, im Bewußtsein des Absenders von seiner Rolle als Schriftsteller und in seiner genauen Kenntnis der literarischen Gesetze des sogenannten Sturm und Drang-Briefes. (...) Nicht auf den Briefschreiber kommt es an, sondern auf den Brief. Dies wäre, wenn die Interpretation stimmt, dem literarischen Charakter der Briefe angemessen.
[In seiner Studie will Volker Mertens] vor allem die konnotativen Bedeutungen darstellen, die für die ‚Jagd’ zu erschließen sind: es sollen als solche die gesellschaftlichen Traditionen der realen und der allegorischen Jagd in der Literatur gelten, die anthropologischen Deutungspotentiale der dargestellten Vorgänge und die mythische Dimension des literarischen Jagdmotivs.
[Volker Mertens] Beitrag beschäftigt sich mit den Texten, die teils auf hoch- (Tristant), teils auf spätmittelalterliche Vorlagen (Melusine, Magelone) zurückgehen und deren letztbetrachteter Fall einer weitgehend autonomen Erfindung des Autors Jörg Wickram entspringt. (…) [Volker Mertens fragt] nach der Darstellung der Geschlechterliebe (…) im jeweiligen Werk und nach ihrer spezifischen Semantik im Rahmen der literarischen und gesellschaftlichen Situation der Entstehungszeit, die etwa einhundert Jahre umspannt – von der 1456 aus dem Französischen adaptierten Melusine des Thüring von Rigoltingen, über den Prosa-Tristant von 1484 und Veit Warbecks Magelone von 1527 bis zum 1557 gedruckten Goldfaden. Um das liebessemantische System des Hochmittelalters einzubeziehen, (…) [stellt Volker Mertens] den Tristant im Vergleich zur Versfassung Eilharts von Oberge von ca. 1190 an den Beginn.
[Volker Mertens greift] (…) auf die von Rainer Warning formulierte „doppelte Rollenhaftigkeit“ des lyrischen Ichs zurück (…), [die er] Performanz-Ich und Text-Ich (…) [nennt]. (…) Beide Ichs stehen in Spannung zum (biographischen)Autor (…), wobei seine Nähe zum Performanz-Ich dann besonders groß ist, wenn er selbst als Sänger seiner eigenen Lieder auftritt. Der Autor ist in hohem Maße sozial eingebunden, das Performanz-Ich fügt sich in eigene Traditionen und Konventionen, besitzt aber weitgehende Lizenzen im Vergleich zur sozialen Realität; am freiesten von äußeren Bedingungen ist das Text-Ich. Ein Beispiel aus Walthers Minnesang kann das verdeutlichen (…).
Die Geschichte des ästhetisch Wunderbaren läßt sich in drei Schritten oder Phasen nachzeichnen: vom Wunder zum Wunderbaren und vom Wunderbaren zum Phantastischen. Das Phantastische ist die höchste Emanzipationsstufe, wo das freie Spiel der Einbildungskraft in seiner autonomen, auf sich selbst gestellten Gesetzlichkeit das Reale, Vertraute unserer gewöhnlichen Welt in Frage stellt. Diese Entwicklung vom Wunder zum Wunderbaren und vom Wunderbaren zum Phantastischen wird von Jacob Grimm jäh unterbrochen. [...] Jacob Grimm leitet eine Denkbewegung ein, die ich die Rettung des Wunderbaren aus der Zerstörung durch das Phantastische nennen möchte. Dieser Rettungsversuch kann und will nicht mehr zur Rehabilitierung des theologischen Wunders zurückführen. Statt dessen zielt er auf das "Unvordenkliche" der eigenen Herkunft, das auf den Glauben an das eigene Volk gründet.
Erfahrungswissen, das ins Logbuch eingeht, einerseits, das 'Wissenorganisationswissen' der auch heiligen Schriften andererseits treten, gleichsam hinter dem Rücken ihrer prätendierten Identität, auseinander. Dies wäre das Neue, das sich in Colóns Entdeckung des Bekannten abzeichnet.
Daß aber dieses Neue gewissermaßen schon ein Altes ist, daß es – kategoriale Veränderungen des Schrift-, des Wissens- und des Erfahrungsbegriffs nur mitbedacht – weit zurückreichende Traditionen hat, dies (…) [soll aufgezeigt werden]. Mein Beispiel nehme ich aus der mittelalterlichen Erzähltradition vom heiligen irischen Abt Brandan aus dem 6. Jahrhundert. Er ist auf seiner Fahrt durch die westlichen Meere bis zum irdischen Paradies selbst vorgestoßen und wie Colón, der von ihm aller Wahrscheinlichkeit nach wußte, hat Brandan, so steht es in der mich hier interessierenden Legendenversion, dabei ein Bordbuch geführt.
Daemonica Irano-Caucasica
(1994)
Eine bedeutende, wenn auch bisher vielfach verkannte Nebenüberlieferung iranischen Sprachguts findet sich in den sog. südkaukasischen oder kartvelischen Sprachen, unter denen das Georgische mit seiner im 5. Jh. einsetzenden, umfangreichen literarischen Bezeugung eine vorrangige Stellung einnimmt. Zu den zahlreichen Iranismen, die im Georgischen fest verankert sind, wird seit geraumer Zeit auch das Wort dev- gerechnet. Bereits Davit Cˇ UBINAŠVILI kennzeichnete das Wort in seinem Georgisch-Russischen Wörterbuch von 1887 als "persisch" ("s˙pars[uli]"); er setzte das Substantiv ("s.") mit dem Wort gveleša˙pi "Drachen, Ungeheuer" gleich und führte weiter aus. ...
Obwohl noch nicht ausreichend geklärt ist, wie belesen Schmidt im Bereich der literarischen Moderne eigentlich gewesen ist, als er um 1950 mit ersten literarischen Veröffentlichungen und um die Mitte der fünfziger Jahre sogar mit seinen ersten prosatheoretischen Entwürfen an die Öffentlichkeit trat, läßt sich seinen Äußerungen doch soviel entnehmen, daß wir seine Kenntnis der außerdeutschen europäischen Moderne wohl eher als sehr bescheiden und lückenhaft ansehen müssen. Die Quellenlage spricht dafür, daß außer Alfred Döblin, Hans Henny Jahnn, Hermann Hesse und, im Wortspielerischen, Expressionisten wie August Stramm nur wenige andere moderne Autoren ihm für sein Werk Pate gestanden haben, am wenigsten noch die großen Vertreter der europäischen Moderne. Schmidt, vom Faschismus samt der verabscheuten Wehrmachtszeit zu einem der zahlreichen 'transzendentalen Obdachlosen' der Nachkriegszeit transformiert, siedelte seine private literarische Ahnengalerie stattdessen vorzugsweise im 18. und 19. Jahrhundert an; Vorbilder waren ihm, dem selbst erklärten "Verirrten aus dem 18. Jahrhundert", unter anderem Wieland, Fouqué, Tieck, Poe, Dickens und Stifter.
Der folgende Text entstand aus einem Vortrag, der am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg am 30.1. 1992 gehalten wurde. Er erschien im Druck in: Dietrich Harth (Hg.): Fiktion des Fremden. Erkundung kultureller Grenzen in Literatur und Publizistik. Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag 1994, S. 83-112. In der deutschen literarischen Emigration nach Frankreich ab 1933 wird eine ganze Generation von Autoren gezwungen, ihr Denkmodell >Frankreich< mit der Realität zu konfrontieren. Das ist nicht nur ein imagologischer >Praxistest< im Vergleich von >Bild< und >Realität<, sondern es geht in diesem Ineinander von Selbst- und Fremddefinition im Grunde um die politische, geistige, psychologische Selbstfindung. Denn das positive Heteroimage >Frankreich< ist ganz eng an das sehr kritisch besetzte Autoimage >Deutschland< gebunden. Die in den images steckenden >imagotypen Makrostrukturen< werden sowohl in politische Hoffnungen und Erwartungen wie in literarische Phantasien umgesetzt. In Texten aller Gattungen - fiktionalen, journalistischen wie essayistischen - findet sich eine >fiktionale Sehweise< von Frankreich, die auf ihre Strukturen, auf Statik und Prozeßhaftigkeit befragt werden soll.
Der Typus (...) [des] Liebesromans bildet das Gerüst von „Mai und Beaflor“, einem anonym überlieferten höfischen Roman des 13. Jahrhunderts, dessen genaue Datierung unsicher ist. (...) Die Vorlage ist unbekannt, sie dürfte französisch sein. (...) Eine Prosachronik als Quelle ist eher unwahrscheinlich und soll wohl die Authentizität der Geschehnisse verbürgen; Prosaromane vergleichbaren Inhalts sind nicht überliefert. Der Liebesroman erhebt – im Unterschied zum Artusroman – generell einen Faktizitätsanspruch: Flore und Blanscheflur sind in die Karls-Genealogie eingebunden, der „Partonopeus“ auf das Haus Blois bezogen, auch der „Willehalm von Orlens“ gibt sich als Historia.
Die Literatur hat, wenn sie sich der Beschreibung von Hölle, Vorhölle und Fegefeuer begibt (...) eine Darstellungstradition aufgegeben, die über das Mittelalter bis in die Zeit der Alten Kirchen zurückreicht. (...) Da es (...) [Jens Haustein] im folgenden um das Fortleben des Evangelium Nicodemi’ im Mittelalter gehen wird, (...) [gibt er] zunächst einen kurzen Überblick über Entstehung und Inhalt dieses spätantiken Textes (...). Im Rahmen eines (...) von typologischem Denken bestimmten Erzählzusammenhangs kommt (...) dem Bericht von der Höllenfahrt Christi aus dem ‚Evangelium Nicodemi’ eine zentrale Position zu, da in ihm ja das typologische Konzept in der Begegnung von Patriarchen und Propheten mit dem von ihnen gesehen oder vorausgesagten und nun auferstandenen Gott gewissermaßen Gestalt gewonnen hat. (...) Kaum ein Autor, der vergleichbar ausführlich die Höllenfahrt schildert, hat sich die Dramatik und das Pathos der Szene entgehen lassen: die Vorahnung des Teufels, seine Verzweiflung, das machtvoll-laute Zerstören der Höllentore, die endgültige Gefangennahme des Teufels, den freudigen Jubel der Erlösten. Der Autor der ‚Erlösung’ hat von all dem fast nichts aufgenommen.
Die folgenden Überlegungen gelten einer literarischen Gattung, die in ihrer Entstehungs- und Primärrezeptions-Phase für das 15. und 16. Jahrhundert von größter Bedeutung war und die darüber hinaus durch ihre spätere Verbreitung in Form von billigeren Drucken als „Unterhaltungsliteratur“ zum Leserrepertoire auch der folgenden Jahrhunderte gehören sollte: dem frühen deutschen Roman, zur Unterscheidung von seinen versifizierten höfischen Vorläufern unter der aus neuzeitlicher Sicht scheinbar tautologischen Bezeichnung „Prosaroman“ bekannt.
Nichts ist für die heutige Situation der fiktionalen Literatur bedeutsamer, nichts greift tiefer in ihr Verhältnis zur Realität ein als die Tatsache, daß von immer mehr Menschen Selbstzeugnisse erscheinen. Briefe, Tagebücher, Memoiren, Erlebnisberichte - was lange Zeit nur von Prominenten zugänglich war, erreicht uns heute zunehmend auch von Unbekannten. Wo aber die Erlebenden selbst und unverstellt von ihren Erlebnissen berichten, sind Fiktionen überflüssig bzw. müssen, um bestehen zu können, mehr sein als biographische Mimikry. Der Roman, soweit er 'Literatur' sein will, hat darauf auch längst reagiert. Mehr denn je betont er statt seines Mitteilungs- seinen Kunstcharakter, ersetzt also seinen Mangel an originärer Information durch den immer virtuoseren Gebrauch der erzählerischen Mittel. Ob diese Entwicklung wirklich so unbegrenzt weitergehen kann, wie man derzeit noch unterstellt, kann hier offen bleiben - allzu viele folgen jenen Erzähl-Experimenten ja schon heute nicht mehr. Nur der Zusammenhang als solcher sollte unstrittig sein, zumal man ihn jüngst noch einmal wie in einer Zeitraffer- Aufnahme an dem Bedeutungsverlust beobachten konnte, den gleichsam über Nacht die DDR-Literatur erlitten hat. Lange Zeit allein erzählberechtigt (und deshalb gern für einen höheren Kulturzustand in Anspruch genommen), ist mit der neuen Mündigkeit auch sie vom authentischen Erzählen eingeholt worden, und mit jedem weiteren Bericht, der über Flucht-, Stasi- und Wende-Schicksale jetzt erscheint, wird unwahrscheinlicher, daß Romane der alten Art zu solchen Schicksalen noch entstehen.
Auseinandersetzungen um Bischofsstühle, die auf dem Basiliense zum Austrag gelangten, sind über den jeweiligen lokalen und regionalen Rahmen hinaus von Interesse. Denn zum einen wurden sie zwangsläufig in den damaligen gesamtkirchlichen Konflikt zwischen Konzil und Papst einbezogen, zum anderen standen hinter den Prätendenten weltliche Mächte, die ihrerseits den Kampf zwischen Basel und Rom zielstrebig zum Auf- und Ausbau eigener landeskirchlicher Hoheit auszunutzen suchten. In solchem Zusammenhang ist die Bedeutung des Streits um den Stuhl von Tournai recht hoch zu veranschlagen, da hier - in einer politischen und wirtschaftlichen Zentralregion des Spätmittelalters - neben den Konzilsvätern und Eugen IV. mit Frankreich und Burgund jene beiden westeuropäischen Vormächte auf den Plan traten, die gerade in den Jahren der Auseinandersetzung um den Bischofssitz mit dem Vertrag von Arras (1435) zu einem den Ausgang des Hundertjährigen Kriegs mitentscheidenden Ausgleich fanden, der indes äußerst fragil und prekär, da von stetem gegenseitigen Mißtrauen überschattet blieb. Denn die früheren Spannungen zwischen Burgund und Armagnac, die sich mit der Ermordung der Herzöge Ludwig von Orleans und Johann Ohnefurcht zu offenem Bürgerkrieg gesteigert wie zum Bündnis Burgunds mit England gefuhrt hatten, waren nicht vergessen. Dennoch kam es trotz solchen, von Argwohn und Verdächtigungen bestimmten Klimas fallweise zu kalkuliertem Einvernehmen auf Zeit, wenn dies den Beteiligten um der Wahrung eigener Interessen wilIen opportun erschien. In der Auseinandersetzung um das Bistum Tournai zeichnet sich mithin nicht nur der große kirchliche Konflikt der Zeit ab, sondern es spiegeln sich darin auch die vielen Facetten der komplex-komplizierten Beziehungen zwischen französischen und burgundischen Valois wider, auf die im ganzen der fast zeitgenössische Begriff der paix faincte zutrifft, welche der Franziskaner Pierre des Gros in seiner 1467 entworfenen Friedenstypologie dann gegeben sah, quant au dehors on monstre beau semblant et au dedans on ha haine de cestepaix. ...
Es gibt viele Möglichkeiten der Beschreibung und Analyse von Literaturverfilmungen. Die meisten jedoch, so Hickethier, werden als Verlusterfahrung des Literarischen gewertet, da im Allgemeinen die Literatur als die eigentliche künstlerische Disziplin, der Film hingegen lediglich als moderne, technisch vermittelte Kunstform angesehen wird. Hickethier stellt in seinem Aufsatz zunächst diverse Konzepte möglicher Filmanalysen vor (der Film als Literaturverwertung, Rezeptionsergebnis, semiotischer Prozeß u.a.), wobei für ihn die Betrachtung des Mediums Film vor allem als ebenbürtige Erzähl- und Darstellungsform im Vordergrund steht. Anhand von Axel Cortis´ Film "Eine blaßblaue Frauenschrift" setzt sich Hickethier exemplarisch mit Filmgeschichte, Verschiebungen, Akzentuierungen, Rhythmisierungen des Erzählens und anderen Kriterien auseinander, wobei zahlreiche Detailanalysen den Text sehr anschaulich werden lassen. Hickethiers Analyse eignet sich besonders für den Deutschunterricht, der nicht nur durch literarische Werke, sondern auch durch deren Verfilmungen lebendig gestalten möchte.
Wie hängen die verschiedenen Verwendungsweisen eines sprachlichen Ausdrucks miteinander zusammen? Diese Kernfrage der lexikalischen Semantik war schon immer ein praktisches Problem der Lexikographie und ein theoretisches Zentralthema der traditionellen Semasiologie (vgl. Paul 1894, 68ff.). In der neueren Semantik stand dieses theoretische Problem längere Zeit nicht im Vordergrund der Diskussion. Eine gewisse Stagnation in dieser Frage mag auf linguistischer Seite bedingt gewesen sein durch methodische Vorgaben strukturalistischer Bedeutungsauffassungen (vgl. Lyons 1977, 553; Heringer 1981, 109ff.) und auf philosophischer Seite u.a. durch das notorische Desinteresse der wahrheitsfunktionalen Semantik an lexikalischen Fragen.
Wenn man eine Schweizer Bäckerei besucht, erwirbt man nicht nur Spezialitäten kulinarischer, sondern auch sprachlicher Art. Auf der Papiertüte, die man dort bekommt, befindet sich eine Aufforderung, die zwei typisch schweizerdeutsche Erscheinungen enthält: "Chum doch cho schnuppere!" steht auf der Verpackung unten rechts. Wörtlich übersetzt: "Komm doch kommen schnuppern!". Zum einen taucht hier das Verb choo ,kommen' doppelt auf, einmal im Imperativ (chum) und einmal in einem kurzen Infinitiv (cho) vor dem Vollverb schnuppere. Zum anderen gehört choo einer besonderen Verbgruppe an, den sog. Kurzverben. Diese Kurzverben kennt das Nhd. nicht (mehr), wohl aber die geographisch und sprachlich entfernteren nordgermanischen Sprachen. In der folgenden Liste der Kurzverben werden zum Vergleich die entsprechenden schwedischen Kurzverben danebengesetzt, ohne daß hier ausführlicher auf sie eingegangen werden kann.
Wenn wir der drohenden Klimakatastrophe entgegentreten wollen, müssen wir uns für Energieeinspamg und für eine verstärkte Nutzung regenerativer Energien einsetzen. Die Windenergie ist eine der wenigen Energieformen neben solarer Strahlung und Wasserkraft, mit der sich Strom ohne schädliche Emissionen erzeugen läßt. Leider ist die Windenergie noch längst nicht in dem Umfang erschlossen, wie dies aus ökologischer und energiepolitischer Sicht wünschenswert wäre. Eine Betreibergemeinschaft aus 38 Personen ließ diesen Worten Taten folgen und errichtete den bis dahin siidlichsten Windpark mit großen Anlagen in Deutschland. Die drei Windräder auf der Neutscher Höhe produzieren jährlich etwa 2.600.000 kWh elektrische Energie, was dem Durchschnittsverbrauch von etwa 900 Haushalten entspricht. Das Projekt "Odenwaldwind" kann deshalb als Vorbild zur Nutzung regenerativer Energien angesehen werden. Gegenüber der Energieerzeugung im Kohle-Heizkraftwerk werden jährlich etwa 2.600.000 kg des Treibhausgases Kohlendioxid, 19.000 kg Schwefeldioxid, 7,000 kg Stickoxid und 500 kg Staub eingespart. Die für die Herstellung der Windräder benötigte Energie wurde von diesen bereits innerhalb des ersten Betriebsjahres zurückgewonnen. Die erzeugte elektrische Energie wird in das 20.000 Volt Mittelspannungsnetz der HEAG eingespeist und steht damit den umliegenden Gemeinden zur Verfügung. Nicht zuletzt durch dieses Projekt wird die Nutzung der Windenergie in den gesamten süddeutschen Raum getragen. Zahlreiche Projekte zur Nutzung der umweltfreundlichen Windenergie sind dort bereits angelaufen. Natürlich sind Windräder auch sichtbar und müssen an Standorten mit hohem Windangebot stehen. Ihr Nutzen ist so wertvoll, daß sie als neues Erscheinungsbild in unserer Landschaft positiv aufgenommen werden können und sollten. Daß dies bereits geschieht, wird am Projekt "Odenwaldwind" besonders deutlich, wo ganze Besucherströme die Windräder begutachten und sie wohlwollend als neue Landschaftsmerkmale akzeptieren.
In den neueren literaturtheoretischen Diskussionen wird die Arbeit des Interpretierens, zumal wenn es in kritischer oder ideologiekritischer Absicht erfolgt, radikal in Frage gestellt. Es scheint, als hätte die Literaturwissenschaft die von Susan Sontag vor nun fast dreißig Jahren in ihrem Essay Against Interpretation vorgeschlagene "Erotik der Kunst" zu guterletzt noch ernst genommen und zur Sündhaftigkeit gesteigert. Das wäre doch zu viel des Sinnlichen für Germanistik-Seminare. Zwar hat die Philologie seitdem bisweilen den Tugendpfad der Hermeneutik verlassen und sich auf textlinguistische, diskursanalytische oder systemtheoretische Pfade begeben, jedoch verbürgtermaßen niemals aus Lust am Text. Trotzdem wächst die Kritik an der unermüdlichen, manchmal schwerfälligen und oft mühseligen Arbeit der Interpretation, mehren sich die Stimmen, die das Objekt des sündhaften Begehrens, sie Literatur, vor den Interpreten schützen wollen. Und zunehmend sind es grundsätzliche, das theoretische Verständnis von Autor und Werk betreffende Einwände, die laut werden.
Literarische Fiktion beim Wort genommen ist in den zitierten Fällen eine geläufige Technik, um Komik zu erzeugen, wobei hier diese Wirkung doch nur dann eintritt, wenn z.B. die Werbungssituation als im Minnelied präsent empfunden, sie weder als Allegorie für den Bewußtseinsstand einer Aufsteigerschicht (...) verstanden wird, (...) noch als gesellschaftliches Verhaltens – „Programm“, das durch den Mitvollzug des Liebesliedes durch das Publikum in der Aufführung eingeübt wird.
[Volker Mertens nimmt] (...) zwei jüngere Arbeiten zum Minnesang, die sich mit eben diesen Problemen auseinandersetzen, zum Anlaß, die Frage nach Thematik und Pragmatik der mittelhochdeutschen Lyrik zunächst grundsätzlich zu diskutieren und sie dann an drei Liedern Walthers von der Vogelweide (11ß,24; 53,25; 74,20) als interpretatorisches Instrument zu benutzen.
Wir können also die im Text des „Rolandsliedes“ genannten Namen auf historisch greifbare Personen beziehen: auf Heinrich, den mächtigsten Territorialfürsten der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, und auf einen seiner lateinisch gebildeten Hofbeamten, der dem Herzog in der Kanzlei, in der geistlichen und weltlichen Verwaltung diente. Daß ein Fürst volkssprachliche Literatur „in Auftrag gab“, ist zu keiner Zeit im deutschen Reich etwas Neues, noch keinesfalls weithin üblich – vorangegangen waren allenfalls westliche Adelsfamilien wie die Grafen von Loon (Brabant), für die Heinrich von Veldeke tätig war, während im Auftrag eines rheinischen Adelsgeschlechts schon vor dem „Rolandslied“ der „Alexander“ des Pfaffen Lamprecht entstand. (...) Der Welfenhof gehörte (...) zu den Vorreitern bei der kulturell-politisch bedeutsamen Förderung volkssprachlicher Dichtung, und nicht zufällig nennt Konrad hier neben seinem Herrn auch dessen Gemahlin Mathilde: Ihr war aufgrund ihrer Herkunft vom angevinischen Hof die Pflege von Literatur vertraut, und sie „besorgte“ die Vorlage, die „Chanson de Roland“, die sie wahrscheinlich sich und ihrer französischsprachigen Umgebung „vorgetragen“ und dann für den gesamten Hof übersetzen ließ.
[Franz Josef] Worstbrocks Artikel mit seinen Argumenten für einen Hiltbold zwischen 1190 und 1210 war der Aufgangspunkt für (...) [Volker Mertens], Hiltbolds Oeuvre erneut zu untersuchen, seine Eigenart zu erfassen und – vielleicht – zu einer Entscheidung in der strittigen Datierungsfrage zu kommen, zumindest aber, die Valenz der Worstbrockschen Begründungen zu überprüfen.
Das Lied MF 159,1 interessiert die Minnesang-Philologie vorrangig als einer der beiden Ausgangspunkte für Walthers Reinmar-Parodie L 111,23. (...) Doch weder (...) Abweichungen in der Strophenfolge noch die – zum Teil eklatanten – Unterschiede im Wortlaut vermochten das Interesse der Forschung recht zu wecken.
In LaPolla 1990, I presented arguments to show that Chinese is a language in which there has been no grammaticalizalion of the syntactic relations "subject" and "object". This being the case, then syntactic relations cannot be what determines word order in Chinese. In this paper I will argue that, aside from a semantic rule that the actor of a verb, if expressed, must precede that verb, it is pragmatic relations (information structure) that are the main determinants of word order in Chinese.
This paper presents the first results of a comprehensive project on comparative Tibeto-Burman (TB) morpho-syntax. Data on morphological forms and typological patterns were collected from one hundred fifty-one languages and dialects in the TB family. For this paper the data were surveyed for nominal 'ergative' or agentive case marking (postpositions), in an attempt to determine if it would be possible to reconstruct an ergative case marker to Proto-Tibeto-Burman (PTB), and in so doing learn more about the nature of grammatical organization in PTB. Ablative, instrumental, genitive, locative, and other case forms were also surveyed for possible cognacy with ergative forms, as suggested in DeLancey 1984.
Immermann betont, er habe mit diesem Roman eine "sonderbare" Komposition geschaffen. Er habe zunächst nur vorgehabt, einen Spaßmacher vorzustellen, eine Satire auf die Modetorheiten zu schreiben, unter der Hand sei ihm aber eine tragische Gestalt daraus geworden. [...] Am Ende der Kunstperiode findet dieser ganz unheroische Fabulant zu einer fast heroischen Größe. Die
Arabeske feiert damit ihr dionysisches Fest [...]
Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist die Frage nach der Anwendbarkeit des Begriffs "Nation" auf mittelalterliche Staaten und Reiche. Die Antwort kann sich weder aus dem Disput um treffende Definitionen ergeben noch aus der Begriffsgeschichte. Definitionen stehen am Ende, nicht am Anfang empirischer Untersuchungen, und die Begriffsgeschichte hat gezeigt, daß das Wort natio im Mittelalter andere, vom neuzeitlichen Sprachgebrauch jedenfalls verschiedene Bedeutungen hatte. ...
Im Fall der Lieder Walthers (...) hat man (...) die Qual der Wahl zwischen den Textfassungen Carl von Kraus’ und Friedrich Maurers (...). [Ingrid Bennewitz] möchte im folgenden die Überlieferung der Handschrift E zum Anlaß nehmen, um anhand einiger Beispiele die Stationen der Textkritik und jene Argumentationsstrategien zu demonstrieren, die seit Lachmann Texte ins forschungsgeschichtliche Abseits gestellt oder aber zur Bildung von Atethesen geführt haben.
Angesichts der Kaiserkrönung Napoleons war es möglich, daß mancher anwesende ehemalige Revolutionär gedacht haben könnte: Und die Aufklärung hat doch recht! Condorcet nämlich hatte in "La Vie du M. Turgot" für die Aufklärung beispielhaft das Krönungszeremoniell kritisiert und vor seinen gefährlichen Langzeitfolgen gewarnt. In einer friedlichen Zeit, so schreibt Condorcet, mögen solche Vorurteile, wie Zeremonien es nun einmal sind, bloß kindisch zu nennen sein; in einer Zeit der Krisen können dagegen ihre Folgen schrecklich sein. Condorcet spielt mit der Warnung vor den Folgelasten in Krisenzeiten auf die Möglichkeit an, durch Weihung einen Usurpator zu legitimieren.
Streler, Johannes OP
(1995)
Streler, Johannes OP I. Geboren vermutlicli noch vor 1390, trat St. frühzeitig in den Dominikanerorden ein. Sein Geburtsort ist nicht bekannt; nach einer Titelaufschrift der Frankfurter Hs. Ms. Praed. 20 war er "filius nativus" des Frankfurter Konvents. 1416 wirkte er, wie er selber berichtet, im Trierer Kloster als magister studentium. 1431 ließ er sich an der Univ. Wien als Student der Theologie einschreiben und hielt hier in den folgenden Jahren als Cursor biblicus und Sententiarius die zur Erlangung des Doktorgrades vorgeschriebenen Vorlesungen. 1439 wurde er zum Magister der Theologie promoviert. Eine Reise im Auftrag des Ordens (1432/33) und ein Aufenthalt in Frankfurt (1437) unterbrachen die Wiener Studienjahre. Im Frühjahr 1439, also noch während seiner Wiener Zeit, wählte ihn der Frankfurter Konvent zu seinem Prior. Im September 1440 immatrikulierte sich St. als Dr. theol. an der Univ. Köln. 1442- 44 ist er zeitweise in Straßburg und 1444-45 in Frankfurt nachweisbar. 1445 kehrte er als Professor der Theologie nach Wien zurück und nahm Vorlesungen auf. Im WS 1445/46 wählte ihn die theologische Fakultät zu ihrem Dekan; zur gleichen Zeit bekleidete St. das Amt des Vikars der österreichischen Nation innerhalb der Ordensprovinz Teutonia. 1448 begegnet er nochmals in Straßburg. 1451 -52 schrieb er das Augustinus-Florileg im Frankfurter Ms. Praed. 70. St. starb am 23. Okt. 1459. Sein persönlicher Bücherbesitz (darunter Autographen fast aller seiner Schriften) fiel dem Frankfurter Kloster zu. II. 1. St. gehört nicht zu den namhaften und wirkungsmächtigen theologischen Gelehrten des 15. Jh.s. Seine Hauptschriften waren dazu bestimmt, den Anforderungen des artistisch-theologisclien Studienganges an der Univ. Wien Genüge zu tun. Mehrere Opuscula, Vorlesungen und Predigten traten im Laufe der 40er Jahre hinzu. Mindestens vier Schriften sind unvollendet geblieben. Ob St. überhaupt mit der Absicht der Piiblikation schriftstellerisch arbeitete, bleibt zweifelhaft. Nennenswerte Verbreitung hat nach unserer gegenwärtigen Kenntnis keines seiner Werke gefunden; von den Predigten und den 'Informationes' abgeselien, liegen alle Texte bezeichnenderweise nur in autographer Überlieferung in Frankfurt, StB u. UB, Ms. Praed. 20 und Ms. Praed. 60, vor. St. hat vor allem durch das gesprochene Wort: in Vorlesung und Predigt gewirkt. Seine Berufung in verantwortliche Ordens- und Universitätsämter zeugt von dem Ansehen, das er im Orden und in Kreisen der Wiener theologischen Fakultät besaß. Ungesichert bleibt die Autorschaft an den 'Quaestiones librorum de anima', die eine Aschaffenburger Hs. (Hofbibl., Ms. 47 a, f. 1 -50) einem Magister Johannes de Franckfordia zuweist. H. THURN (J. HOFMANN/H. THURN, Die Hss. d. Hofbibl. Aschaffemburg, 1978, S. 110) bezieht den Namen vermutungsgsweise auf Streler. Da St. sonst nicht unter diesem Namen bezeugt ist und eine Ordensbezeichnung fehlt, ist keine sichere Entscheidung möglich. VgI. auch Johann von Frankfurt. 1. 'Quaestiones in Aristotelis Metaphysica' (Frankfurt, Ms. Praed. 20, f. 326-330). Begonnen (in Wien?) im Winter 1431 "pro continuatione dierum vacantiarum". St. behandelt in kurzer Form ausgewählte Themen aus dem 1. und 2. Buch der 'Metaphysik' und bezieht u.a. Stellung zu den "opiniones Platonicorum". Mit L. II q. 6 bricht der überlieferte Text unvermittelt ab. 2. 'Dicta in librum Ecclesiasticum' (Ms. Praed. 20, f. 1 - 91). Als erstes exegetisches Thema ("primus cursus") wies die Wiener theologische Fakultär St. das Buch Ecclesiasticus zu. Wegen einer Reise mußte er die Anfang Nov. 1432 begonnene Vorlesung nach kurzer Zeit unterbrechen. St. konnte sie erst am 8. Juni 1433 mit c. 3 wieder aufnehmen und am 16. Nov. dieses Jahres abschließen. 3. 'Lectura in epistolas Pauli ad Timotheum' (Ms. Praed. 20, f. 92- 107; mit inseriertem Text). Nach FRANK, S. 211, las St. im Winter 1433134 über die beiden Paulus-Briefe, die ihm die Fakultät als Gegenstand des zweiten Cursus zugeteilt hatte. Der Text ist am Ende auf 1433 datiert; St. spricht hier die Hoffnung aus, zu gegebener Zeit über die Sentenzen lesen zu können ("Sperans eciam ad sentenciarum lecturam suo tempore pervenire"). 4. 'Lectura in libros Sententiarum' (Ms. Praed. 20, f. 111 - 152). Vollständig behandelt ist nur das 1. Buch der Sentenzen, und zwar anfangs in Anlehnung an den Kommentar des Wiener Theologen Heinrich Totting de Oyta. Beginnend mit I 15 löst sich St. von diesem Leitfaden (127 va: "Hic incipio dimittere questiones principales Magistri Henrici de Oyta"). Der Kommentar zum 2. Buch, begonnen am 13. Okt. 1434, bricht nach wenigen Seiten in der Erklärung von II 9 mitten im Satz ab. 5. 'Quaestiones in libros Sententiarum' (Ms. Praed. 20, f. 159 - 313). Ein vollständiger Zyklus von Vorlesungen, die im Unterschied zur stärker kursorischen 'Lectura' den Hauptinhalt der wichtigsten Distinktionen in scholastischer Form problematisieren. Neben Thomas und Albertus Magnus werden im Text und in marginalen Zusätzen vor allem Petrus de Palude (Pe. Pa.) und Michael (de Furno) zitiert, seltener Johannes von Sterngassen. St. begann die Vorlesung im Sommer 1434 und schloß sie spätestens Anfang 1436 ab. In einer Schlußklausel unterwirft er seine Darlegungen dem Urteil der Wiener und der Kölner Universität. 6. 'Lectiones super epistolam Pauli ad Romanos' (Ms. Praed. 60, f. 130- 133). St. beginnt die Auslegung mit einer Commendatio des von ihm gewählten Themas (Phil 3,21) und erörtert anschließend verschiedene Dubia, die sich auf die Paulus-Briefe insgesamt und speziell auf den Römerbrief beziehen. Vom Text des Römerbriefe selbst ist nur die Salutatio apostolica (1,1-7), also nur der Anfangsabschnitt des Exordiums (1,1- 17), behandelt. St. setzt sich hier namentlich mit den "Errores hereticorum" (Arius, Photius, Sabellius) auseinanauseinander und führt gegen sie in der Filiationsfrage thomistische Argumente ins Feld. Die Zuhörer werden mit "venerandi mei" angesprochen. Der Vortrag des Textes, begonnen in der Zeit um den 23. Sonntag nach Pfingsten, zog sich über die Wende eines nicht näher bezeichneten Jahres hin (132 va Lect. ult.: [...] "quam epistolam transacto anno dei nutu incepi"). 7. Eine in Frankfurt, StB u. UB, Ms. Praed. 70, f. 1v, erwähnte "Lectura magistri Johannis Streler super prima canonica Johannis" ist nicht erhalten. 8. 'Lectiones super psalmos poenitentiales' (Ms. Praed. 60, f. 198-202). Ein umfänglicher Prolog handelt im I. Principale ausführlich von den einzelnen Worten des Titulus (tractatzis, septem, psalmorum, penitencialium); das 2. Principale geht wesentlich knapper auf die radix (den Urheber) und auf die utilitas der Bußpsalmen ein. Die Texterklärung selbst endet nach wenigen Spalten mit einer Auslegung zu v. 1-2 des ersten Bußpsalms, die um das Thema der Prädestination kreist. 9. Predigteil. Ohne ein zusammenhängendes Predigtwerk zu hinterlassen, ist St. seinen Ordens- und universitären Amtspflichten gehorchend zu verschiedenen Zeiten als Prediger aufgetreten. Wie er in Ms. Praed. 20, 187 ra, selbst bezeugt, hielt er 1434 am Wiener Schottenstift eine lat. Predigt zum Fest Mariae Geburt. Als Universitätsprediger übernahm er später in Wien Predigten zu Mariae Himmelfahrt (1439) und zum Weihnachtsfest (1445; FRANK, S. 212, 213). Eine Notiz in Ms. Praed. 60, 13 va (Straßburg, Anfang der 40er Jahre), hält fest, daß er "post prandium in conventu propter dedicacionem altaris" eine Evangelienstelle auslegte ("Applicavi donum sapientie apostolis [...]"). Neben Abschriften von Predigten Meister Ingolds überliefert der Sammelband Ms. Praed. 60 eine Reihe verfasserloser Sermones, von denen einige möglicherweise St. zuzuschreiben sind. Drei lat. Predigten eines Strelarius (zum 14., 16. und 17. Sonntag nach Pfingsten) finden sich eingestreut in eine De-tempore-Reihe, die der Pleban der Kirche im elsässischen Lautenbach 1448 aufzeichnete (Basel, UB, cod. A. X. 127, 130 r, 141 v, 142 v). Es handelt sich um kurze Predigtdispositionen, deren Verfasser - ähnlich wie häufig Meister Ingold in seinen Predigten - Dreizahl-Schemata zugrunde legt (z. B. 130 r "Dilectionem ostendit triplici signo: [...]"). Der Sermo zu Dominica 17 ist unvollständig. Die einzige bekannte dt. Predigt, gehalten von "meister Hans Strell anno 49 jor," hat Lc 17,17 "Seind nit zechen [Aussätzige] gereinigt? Wo sind die neun?" zum Gegenstand. Der Text wurde im Nürnberger Dominikanerinnenkloster St. Katharina aufgezeichnet (Nürnberg, StB, cod. Cent. V1, 52, 205 r - 218 r). 10. 'Miracula S. Theodulphi' (Ms. Praed. 60, f. 245 -247). In einem persönlich gefärbten Zusatz zur Abschrift einer Vita s. Theodulphi berichtet St. rückblickend von drei Heilungswundern, die der Heilige um 1416 in Trier an dem Dominikanerprior Giselbertus de Traiecto, dem Subprior Johannes Bolant und an einem Famulus des Domdekans bewirkt habe. Mit der Wendung "Et ego frater Johannes sacre theologie professor [...] ea que audivi et vidi non silebo" unterstreicht St. die Glaubwürdigkeit seines Berichts. 11. 'Informationes' (Basel, UB: cod. E.III.13 47 r; Abdruck: Löhr, 1924, S. 162). In sechs kurzen Sätzen äußert St. seine Lehrmeinung über unterschiedliche Wahlverfahren im Konvent, Fragen der Beichte und Absolution sowie über die unbefleckte Empfängnis. In diesem letzten Punkt vertritt St. ("BMV tenet conceptam sine originali") eine ihn im Orden isolierende Meinung. Außer den Niederschriften eigener Werke sind von St.s Hand zahlreiche Abschriften theologischer und moralphilosophischer Texte anderer Autoren erhalten. Nach örtlichen Vorlagen, zuweilen in Verbindung mit weiteren Schreibern kopierte und exzerpierte er während seiner Aufenthalte in Frankfurt, Straßburg und Köln, was ihm nützlich und bewahrenswert erschien. Predigten, darunter die des Meisters Ingold, sowie moralrheologische Kompendien jeder Art (Moralitates, Figurae Bibliorum, Florilegien), auch Fabeln (Aesopus, PS.-Cyrillus) und der 'Physiologus' fanden sein Interesse. Auf das Kölner Studium weist die Abschrift des Physik-Kommentars in Frankfurt, StB u. UB, Ms. Praed. 39. Unter den Ordensschriften sei das 'Opus indulgentiarum' des Domiilikaners Blandus de Pavorino (Frankfurt, Stadtarch., Dominikanerbuch 19) hervorgehoben. Das meiste, was er schrieb, war für den eigenen Gebrauch bestimmt, Knappe Bemerkungen über die Beschaffenheit der Vorlagen ("ex antiquissimo libro rescriptus; in albo sollempni libro in bona scriptura") verraten seinen Büchersinn. St. schreibt eine dichte, bewegungsreiche Gelehrtenkursive, deren Niveau durchweg unterhalb der Buchschrift bleibt. Literatur: ....
Die Gedanke der Zivilisation als Folge der europäischen Aufklärungsbewegung ist in der gesamten Welt verbreitet worden. Im Namen des Zivilisierungsprozesses werden die Bürger der Entwicklungsländer akkulturiert. Im folgenden wird versucht, eine Analyse des Einflusses der Zivilisierung auf die Bürger der nicht abendländlichen Kulturen aufzustellen. Der Schwerpunkt dieser Kurzanalyse liegt bei dem Mechanismus der Akkulturation der Bürger der Entwicklungsländer.
There is a caricature of Marcel Proust in which the despairing writer is consoled by a friend saying, 'Aber, aber, mon cher Marcel, nun versuchen Sie sich doch zu erinnern, wo Sie die Zeit verloren haben.'
Literature in general, not only A La Recherche du Temps Perdu, deals with a different form of memory than that of mnemonics, in which the hints of places lead to a retrieval of what has been stored there before. Nevertheless it is difficult to pinpoint the criteria that make this difference. How does literature transcend the technologically limited sense of memory in terms of a storage and retrieval system? ...
Die vier Elemente im Zusammenhang der Anthropologie zu behandeln, ist heute keineswegs selbstverständlich. Die naturphilosophische Lehre von den Elementen fand ihre erste Ausprägung bei Empedokles. Ihre Ausarbeitung bei Platon und Aristoteles war für die Philosophie der Natur bis etwa 1800 paradigmatisch. Mit Antoine Laurent Lavoisier, Joseph Priestley und Sadi Carnot, denen der Nachweis der chemischen Zusammengesetztheit von Wasser, Luft und Feuer experimentell gelang und die damit den Grund für das periodische System der chemischen Elemente lieferten (schon zu Lavoisiers Lebzeiten zählte man über dreißig), war die Elementenlehre als Theorie der Natur wenigstens wissenschaftlich an ihr Ende gekommen. In diesen 2300 Jahren, in denen die vier Elemente die Pfeiler einer jeden Naturphilosophie bildete, hat es eine Reihe wesentlicher Korrespondenzen zwischen Elementenlehre und Anthropologie gegeben. Am wichtigsten ist die überragende Bedeutung, welche die Elemente in der hippokratisch-galenischen Medizin einnahmen, die ihrerseits bis ins 16., wenn nicht bis ins 18. Jahrhundert den Rahmen aller Krankheitslehren abgab. Allerdings kommt die Anthropologie selbst, von einigen Vorläufern abgesehen, erst im 18. Jahrhundert auf den Weg, in einer Zeit also, wo die Elementenlehre durch die moderne Chemie und die antike Humoralpathologie durch die anatomische und neurophysiologische Medizin abgelöst wurde. Auf die junge Anthropologie hat die Elementenlehre also keinen Einfluß mehr ausgeübt. ...
Faust I
(1996)
"Faust letztes Arrangement zum Druck." Mit dieser knappen Tagebuchnotiz besiegelte G. am 25. April 1806 das Ende einer über 35-jährigen Entstehungsgeschichte, die man eigentlich eine Unvollendungsgeschichte nennen müßte. Daß sie nun doch noch zum Abschluß kam, war auch für den Dichter nicht selbstverständlich. Noch weniger für seinen leidgeprüften Verleger: Cotta fuhr eigens nach Weimar, um das Manuskript abzuholen. Wegen der französischen Besatzung verzögerte sich der Druck um weitere zwei Jahre, dann erst konnte Faust. Eine Tragödie im achten Band der dreizehnbändigen Werkausgabe erscheinen. ...
Goethes Lebens-Erinnerungen
(1996)
Wenige Wochen nach seinem sechzigsten Geburtstag entwirft Goethe ein Schema seiner Biographie. Offenbar hält er die Zeit für gekommen, Rückschau zu halten. Das erscheint verfrüht, wenn man bedenkt, daß er seine Hauptwerke, den Diwan, die Wanderjahre, den Faust II noch vor sich hat. Doch das eine hängt mit dem anderen zusammen: Goethe schreibt seine Lebenserinnerungen nicht obwohl, sondern weil er große Projekte vor sich hat. Er vollzieht die Retrospektive nicht im Interesse einer abschließenden Bilanz, sondern des Aufspürens kreativer Impulse. Im folgenden soll gezeigt werden, daß Goethe dieses Aufspüren schöpferischer Quellen durch eine Erinnerungstechnik vollzieht, die den faktischen Gang des äußeren Lebens in bestimmter Weise transzendiert. Erinnerung der eigenen "Vita" heißt bei ihm: Innewerden der lebendigen Naturproduktivität – nicht im abstrakten Zugriff auf das "große Ganze", sondern durch Bewußtmachung der Bedingtheit des kulturellen Gedächtnisses. ...
Die gegenwärtige Debatte zur Naturästhetik erinnert in manchen Zügen an den vorstehenden Dialog aus Becketts 'Endspiel'. Die Hamms dieser Debatte, sentimentalische Physiozentriker, werden von anthropozentrischen Clovs mit letzten erkenntnistheoretischen Wahrheiten konfrontiert: "Natur als solche existiert nicht." ...
Anhand der Familie Perrot sollen zwei Aspekte beleuchtet werden, die in den Darstellungen von Wirtschaftsbürgertum oft zu kurz kommen: Erstens die Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen von Unternehmern. Zweitens die Einflußnahme von Unternehmern auf die Politik. Hier wird also keine sozialgeschichtliche Analyse von Untemehrnern oder Wirtschaftsbürgern in den Kolonien versucht; vielmehr soll ein Typ von Unternehmer vorgestellt werden, der für die Entwicklung der Kolonien durchaus Positives zu leisten in der Lage war und auch einiges Positive geleistet hat; positiv im Sinne moderner entwicklungspolitischer Überlegungen. Eine größere Schicht von ,"Wirtschaftsbürgern" konnte es in den deutschen Kolonien nicht geben. Die deutsche Kolonialherrschaft dauerte nur 30 Jahre - dieser Zeitraum ist zu kurz, um eine längere Generationenfolge von Familien in den Kolonien zu beobachten. Vor allein aber ist die zahlenmäßige Basis zu Mein: 1913 lebten in allen deutschen Kolonien insgesamt rd. 25.000 Europäer, davon etwa 22.000 Deutsche. Von diesen waren mehr als die Hälfte Beamte, Soldaten, Missionare. Von den rd. 11.000 „Sonstigen" konnte etwa ein Drittel bis die Hälfte als "Wirtschaftsbürgertum" bezeichnet werden, je nachdem, welche Merkmale man für diesen Begriff heranzieht (z.B. ist zu fragen: Sind die Angestellten der Handelshäuser und der Plantagengesellschafien hinzuzurechnen oder nicht?). Die wichtigsten Personen der Familie Perrot, die aus Württemberg stammt, sind Carl Herrmann Perrot und sein Sohn Bernhard. ...
Zwischen Idealisierung und Entzauberung : Kindheitsbilder in der Musik des 19. und 20. Jahrhunderts
(1996)
The binding problem is regarded as one of today's key questions about brain function. Several solutions have been proposed, yet the issue is still controversial. The goal of this article is twofold. Firstly, we propose a new experimental paradigm requiring feature binding, the "delayed binding response task". Secondly, we propose a binding mechanism employing fast reversible synaptic plasticity to express the binding between concepts. We discuss the experimental predictions of our model for the delayed binding response task.
Anliegen der vorliegenden Studie ist die Ableitung von Zielvorstellungen über notwendige Maßnahmen zur Verminderung der Nährstoffbelastung innerhalb des Berliner Gewässersystems, um das Hauptproblem für diese Gewässer - die Eutrophiemng - in der Zukunft so weit zurückzudrängen, daß eine umfassende Nutzung und nachhaltige Entwicklung der Gewässer in und unterhalb von Berlin hergestellt und dauerhaft gewährleistet werden kann. Ausgangspunkt war eine Analyse der derzeitigen Belastung der Gewässer mit Phosphor als dem Nährstoff, der in erster Linie für die übermäßige Entwicklung von planktischen Algen verantwortlich ist. Der Istzustand ist durch eine Gesamtbelastung über die natürlichen Zuflüsse, die Einleitungen der Kläranlagen der Berliner Wasserbetriebe und aus der Misch- und Trennkanalisation in einer Größe von insgesamt 415 tP/a charakterisiert. Die Zuflüsse aus Spree, Dahme und Havel haben einen Anteil von 54% an der Gesamtbelastung. Die dem Berliner Gewässersystem über die kleineren Zuflüsse, insbesondere das nakenfließ, die Erpe und den Nottekanal, zugeführten Phosphorfrachten liegen in einer Größenordnung von 43 Wa bzw. 10% der Gesamtbelastung. Die Einleitungen über die Abläufe der Kläranlagen der Berliner Wasserbetriebe liegen zur Zeit bei insgesamt 112 fP/a und haben somit einen Anteil von 27% an den gesamten P-Zufuhren. Mit 38 tP/a bzw. 9% sind die abgeschätzten Einträge über die Überläufe der Mischkanalisation und aus der Regenwasserkanalisation in der P-Bilanz der Berliner Gewässer keinesfalls mehr vernachlässigbar. Für Stickstoff wurde ebenfalls versucht, die Belastungssituation zumindest grob zu erfassen. .....
Bei Goethes Renaissance-Rezeption handelt es sich zunächst um einen facettenreichen und heterogenen Komplex, der so unterschiedliche Phänomene wie die Konjunktur der Dichtung des deutschsprachigen 16. Jahrhunderts im Sturm und Drang, eine positive Machiavelli-Rezeption und die Begeisterung für die Malerei und Architektur des italienischen Cinquecento umfaßt. Goethe entwickelt zwei große Interessenschwerpunkte: zum einen das von ihm selbst eröffnete Genre des historischen Dramas, zum anderen das eigenständige Interesse am italienischen und deutschen 16. Jahrhundert, das sich vor allem in den historiographischen Projekten und den historischen Portraits manifestiert, die nach der Rückkehr aus Italien entstehen. Beide Bereiche erschließen sich Goethe besonders über das intensive Studium von Biographien und Autobiographien. Die konstante Aufmerksamkeit auf Gestalten des spätmittelalterlichen respektive frühneuzeitlichen Zeitraumes ist daher als sein Hauptzugang zu der von uns als Renaissance definierten Epoche zu betrachten.
Der Name Engelbert Humperdinck wird von den meisten Musikinteressierten unwillkürlich mit seinem berühmtesten Werk "Hänsel und Gretel" oder allgemein mit dem Begriff "Märchenoper" assoziiert. Auch herausragende Musikwissenschaftler - wie z.B. Carl Dahlhaus im "Neuen Handbuch der Musikwissenschaft" - beschränken sich beim Stichwort "Humperdinck" in der Regel auf Erläuterungen zu "Hänsel und Gretel". Humperdinck hat in der Tat eine ganze Reihe von Märchenstoffen vertont: Er begann mit Liedern zu Märchenspielen, die seine Schwester Adelheid Wette für ihre Kinder geschrieben hatte ("Schneewittchen" 1888, "Hänsel und Gretel" 1890 und "Die sieben Geislein" 1895). Nach dem Erfolg der durchkomponierten Oper "Hänsel und Gretel" 1893 versuchte er sich an der Gattung Melodram ("Königskinder" 1895/97 nach einem Text von Elsa Bernstein), einer Mischform aus Singspiel und Melodram ("Dornröschen" 1902 nach einem Text von Elisabeth Filhés-Ebeling) und schließlich wieder an der durchkomponierten Märchenoper ("Königskinder" 1910). Außerdem schrieb er ein Vorspiel und zwei Musiknummern zu Maurice Maeterlincks "Der blaue Vogel" (1910-12).
Jedoch war dies nur ein Bereich der Musik für die Bühne, in dem er sich betätigte. Eine bedeutende Phase war für Humperdinck die Zusammenarbeit mit Max Reinhardt am Deutschen Theater und Alfred Halm am "Deutschen Schauspielhaus" in Berlin (von 1905 bis 1907), in der u.a. Bühnenmusik zu vier Shakespeareschen Werken entstand ("Der Kaufmann von Venedig", "Der Sturm", "Das Wintermärchen" und "Was ihr wollt"). In seiner letzten Schaffensperiode konnte Humperdinck sich verstärkt der Gattung widmen, die ihm schon vor Hänsel und Gretel als Ausweg aus der Wagner-Nachfolge-Lethargie erschienen war, der komischen Oper ("Heirat wider Willen" 1905, "Die Marketenderin" 1914, "Gaudeamus" 1919).
In diesem Beitrag soll "Dornröschen" genauer betrachtet werden - ein Märchenspiel, das im Unterschied zu den beiden Märchenopern Humperdincks wenig Erfolg hatte und in der Literatur bisher so gut wie gar nicht behandelt wurde. Wie ist das Werk entstanden, was ist das Besondere an ihm, und welche Gründe gibt es für sein Scheitern auf der Bühne? Zunächst soll je doch ein kurzer Überblick über Inhalt, Besetzung und Form in das Werk ein führen...
Die „epische Erzählung“ hat also prinzipiell drei Funktionen: die Exposition der Voraussetzungen, die Motivation der Handlung und die Charakterisierung der Rolle des Erzählenden.
Unter diesen Prämissen (…) [wirft Volker Mertens] einen Blick auf Hagens Erzählung von Jungsiegfrieds Taten in „Nibelungenlied“: Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Dichter des „Nibelungenliedes“ ein anderes Verhältnis zur Stofftradition und andere Vorstellungen von Stimmigkeit und Kohärenz eines Werkes hatte Wagner, andererseits schuf auch dieser nicht im traditionsleeren Raum, das ‚Drachentöter-Image’ beispielsweise war beiden Siegfried-Gestaltungen bereits vorgegeben. (…)
In (…) [den Verdoppelungen der textuellen Ich-Instanzen] zeigt sich (…) mit der Rolle des Minners/Werbers und derjenigen des Sängers zugleich beider Differenz und beider Rollenhaftigkeit; insofern könnte man sagen, daß Minnesang nicht so sehr Rollenlyrik ist, als vielmehr in bestimmten seiner Sektoren als Rollenlyrik sich selbst beschreibe. Dieserart lockert sich die Bindung des Textes an seinen pragmatischen Sprecher, der Regelzusammenhang selbstverständlich metonymischer Rede wird suspendiert: Wo zwei differente textuelle Sänger offenbar Rollen zu spielen – auch solche Rollen, die Rollen spielen. So lösen sich die Rollen von dem, der sie aktuell innehat, der sie nun vielmehr spielt. (…)
Die meisten Maler und Zeichner der Romantik haben von den in dem erzählten Märchen wachgerufenen Innenbildern berichtet und von ihnen bei ihrer Arbeit profitiert. [...] Bekanntlich rehabilitieren die romantischen Künstler nicht nur die erzählenden volkstümlichen Gattungen, die Legende, das Märchen, die Anekdote und das Volksbuch, sondern auch die volkstümlichen Formen der bildenden Kunst: die Scherenschnitte, die Silhouetten,
die Schattenrisse etc. [...]
Vermeintliche Freiheit
(1996)
Interpretation des Gedichts "Klage der Ceres" von Friedrich Schiller. [...] gerade "Alexis und Dora" sei, schreibt [Schiller] an Goethe, "so voll Einfalt [...], bey einer unergründlichen Tiefe der Empfindung", daß sie dem proklamierten Muster der Empfindung vollkommen zu entsprechen scheint. Seine Theorie gibt Schiller jedoch auch die Kritik ein, er vermisse bei der Idylle eine anhaltende Grundstimmung, zu rasch wechselten Glücksgefühl und Eifersucht innerhalb dieser Dichtungsweise. Auf Schillers rezeptionsgeschichtlich wirkungsträchtiges Mißverständnis wird hier eingegangen, weil es durch Goethes folgende Revanche in Form der in bedeutendem Ton vorgetragenen Unverbindlichkeiten zur "Klage der Ceres" auf Schillers Elegie zurückgewirkt hat.