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Ob man auch Vers an Verse flicht,
Der Reime Blüten rastlos bricht,
Nur Abglanz ist's und Wiederhall,
Ob man es singt, ob man es spricht:
Doch aller Gedichte Vollendung ist - -
O glaube mir, - - ein getanztes Gedicht.
Dieser aus sechs vierhebigen, rhythmisch leicht holpernden Versen bestehende Text ist einer der wenigen Versuche Hugo von Hofmannsthals in der ursprünglich arabischen, besonders aber von persischen Dichtern entfalteten Form des Ghasels, und er ist sogar eines von drei Ghaselen, die Hofmannsthal zu seinen Lebzeiten selbst veröffentlicht hat, wenn auch bloß in dem als Privatdruck erschienenen Ballprogramm "Ein Tanz durch Wien" vom 21. Februar 1891.
Eine erste Notiz zu dem geheimnisvollen, oft gedeuteten und viel umrätselten "Magie"-Gedicht des 21jährigen Hofmannsthal entstand in Göding, am 14. Juli 1895; vollendet wurde es Ende Oktober desselben Jahres. Es geht hier um den Aufweis einer Quelle oder Parallele zu einigen Motiven in den sieben Eingangsstrophen, die insgesamt genau die erste Hälfte des Gedichts ausmachen:
Ein Traum von großer Magie
Viel königlicher als ein Perlenband
Und kühn wie junges Meer im Morgenduft,
So war ein großer Traum, wie ich ihn fand.
[…]
In seiner ersten Notiz skizzierte Hofmannsthal den Plan zu diesem Gedicht: "als Einleitung halbwacher Morgentraum mit undeutlich bewusster Wohnung: in einem Lusthaus […]. Ein Traum von großen Magiern". Aus dem "halbwachen Morgentraum" soll und wird ein Gedicht hervorwachsen - eine Szenerie, die ganz genau so und teilweise wörtlich in Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" (III.1) vorgebildet ist.
Es gibt, neben zahlreichen Bezugnahmen im Zusammenhang umfassenderer Fragestellungen, fünf größere Arbeiten, die sich ausschließlich auf Hugo von Hofmannsthals Gedicht "Ein Traum von großer Magie" konzentrieren. Reizvoll an diesen Arbeiten ist unter anderem der Umstand, dass sie in größeren zeitlichen Abständen erschienen sind, und somit auch etwas von den sich wandelnden Erkenntnissen, Modetrends und Verlegenheiten der Fachgeschichte selbst transportieren. Der frühe Aufsatz von Martin Stern gibt einen eingehenden editionsphilologischen und geistesgeschichtlichen Kommentar zu diesem Gedicht, das von der Forschung bis dahin, wie Stern betont, öfter gelobt als gedeutet [wurde]. Es gehört nach allgemeiner Auffassung zu seinen vollendetsten und dunkelsten und gilt gemeinhin als 'unausschöpfbar'.
Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten : Lyrik und Poetik beim frühen Hofmannsthal
(2012)
Die vielleicht elementarste Antwort auf die Frage, warum erzählt werde, lautet, dass für das Dasein der Dinge eine Herleitung, eine aus der Genese entwickelte Begründung gegeben wird. Das factum wird auf das facere zurückgeführt, dem Sein eine Vorgeschichte gegeben. Die erzählte Vorgeschichte legitimiert einen Zustand aus seinem Gewordensein, der begründenden Hauptgeschichte wird eine begründende Vorgeschichte zuteil. Diese Erzähl- und Denkform ist offenkundig so elementar und zugleich so universell, dass sie sich auf ihre eigene Form anwenden lässt und permanent angewandt wird. Erzählt jemand eine Vorgeschichte, dann wird ihm die Frage gestellt werden, was die Vorgeschichte dieser Vorgeschichte gewesen sei. Die begründungsaffine Narrationsform der Vorgeschichte schematisiert nicht nur die Denkform der Kausalität vor, sie formiert nicht nur die Temporalität, sie öffnet vielmehr auch in grundsätzlicher Weise die symbolische Explikation des Weltverständnisses überhaupt, indem sie zu jeder Geschichte eine weitere, sie begründende Geschichte hinzufügt und so ein Gewebe von Geschichten etabliert, welches in zunehmender Verdichtung die Zusammenhänge dessen darstellt, was wir Welt nennen.
Feingesponnene Gedichte, wie sie das lyrische OEuvre Hofmannsthals aufweist, erfordern vom Wissenschaftler theoretische Zurückhaltung, hermeneutische Diskretion. Deswegen nehmen nachfolgende Überlegungen ihren Ausgang nicht von Abstraktionen wie etwa dem im Titel geführten Begriff "Subjektivität", sondern von Beobachtungen, die aufgrund ihrer Textnähe leicht nachvollziehbar sein dürften. Diese gelten zudem einem Gebilde, das, obzwar intrikat gefügt, an das unmittelbare Verständnis keine allzu großen Anforderungen stellt. Gemeint ist der erstmals 1892 in den "Blättern für die Kunst" veröffentlichte Text "Vorfrühling".
Hofmannsthal 20/2012
(2012)
Hofmannsthals Unkenntnis der Slawen vor der Zäsur des Großen Krieges ist trotz der Freundschaft, die ihn mit dem böhmisch-stämmigen Schriftsteller Robert Michel verbindet, der zeitlebens Österreichs eigenen Orient in der okkupierten und dann annektierten Provinz Bosnien-Herzegowina beschreibt, kaum zu überbieten. Die weitaus größte Sprachgruppe der Monarchie ist für ihn höchstens ein imperiales Kolorit; sie wirkt - wenn überhaupt - exotisierend, erotisierend und dämonisierend wie in der "Reitergeschichte" (1899), in welcher der Wachtmeister Anton Lerch auf dem Feldzug Radetzkys in Mailand Frau Vuic erliegt. Der Slawe bleibt vorab das Feindbild Nummer eins im Innern Österreichs, dessen kulturprägende Komponente im Selbstverständnis Hofmannsthals deutsch ist. Gerade seine herausgeberischen Tätigkeiten sind symptomatisch für seine zunächst bornierte Haltung. Die deutsche "Cultur" (denn eine andere gibt es in der Wahrnehmung Hofmannsthals lediglich marginal) sei zu fördern, hier habe der Dichter "Führerschaft" anzumelden - wie er es 1906 in seinem Essay "Der Dichter und diese Zeit" formuliert. In Anschluss an Goethe sieht er darum seine Aufgabe mitunter darin, kanonische Literatur in den beiden Bänden "Deutsche Erzähler" (1910) und "Deutsches Lesebuch" (1912) zu versammeln.
"Wir sind nur Arlekin und Truffaldino / in einem tollen Stück", bemerkt Baron Weidenstamm zu seinem Diener Le Duc in Hofmannsthals Drama "Der Abenteurer und die Sängerin oder Die Geschenke des Lebens". Und zu Lorenzo Venier gewandt, urteilt er über sich selbst:
Hätte dieser da das Feur in seinem Blut so schön gebändigt wie du, so stünde nun ein andrer hier, ich bin ein Kartenkönig.
Auch Hofmannsthals Entwurfsnotizen zu "Ad me ipsum" setzen die Figur des Abenteurers in Relation zu einer Variation des Typus komische Person, zum Harlekin. Hofmannsthal führt diese Verwandtschaft in "Ad me ipsum" nicht deutlich aus. Seine Stichworte und auch andere Stellen im Werk lassen jedoch darauf schließen, daß die Gestalt des Abenteurers oder Verführers (ich verwende beide Bezeichnungen im folgenden synonym) und die Gestalt des Harlekins strukturell mindestens in drei Qualitäten miteinander korrelieren: Sie sind beide ohne Schicksal, sie sind beide ohne Schuld und sie beherrschen beide die Kunst des Wechsels, des Maskenspiels. Sie stehen außerhalb der Gesellschaft und ihrer sozialen Forderungen. Sie sind Maske, das heißt ohne Gewissen und jenseits der Umfriedung durch eine konventionelle Moral. Sie flottieren frei, sie beginnen, sie beenden, sie tauschen aus, sie verführen und lassen wieder zurück.
'Schweigen und tanzen' : Hysterie und Sprachskepsis in Hofmannsthals Chandos-Brief und "Elektra"
(2011)
Hugo von Hofmannsthals Tragödie "Elektra" wurde bereits 1903 bei ihrer Uraufführung in Berlin von der zeitgenössischen Kritik als Inszenierung einer hysterischen Krankengeschichte aufgefasst. Die germanistische Forschung hat die Ansicht, dass Hofmannsthals Drama "klinisches Material in bürgerliches Bildungstheater" verwandle, immer wieder aufgegriffen und variiert. Als Vorlage für die Figur der Elektra gilt dabei gemeinhin die Hysterikerin Anna O. aus Joseph Breuers und Sigmund Freuds "Studien über Hysterie". Eine solche eindimensionale Interpretation ist jedoch aus verschiedenen Gründen - nicht nur im Hinblick auf Hofmannsthals Kenntnis der "Studien über Hysterie" zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Dramas - fragwürdig: Vernachlässigt wird dabei insbesondere die Bedeutung des Prozesses einer Umschrift von Fallgeschichten in Literatur, mithin die Transposition, welche die Versatzstücke aus dem medizinsch-psychoanalytischen Bereich erfahren, wenn sie in das poetische Gefüge eines literarischen Textes eingerückt beziehungsweise in den Zusammenhang eines Gesamtwerkes wie dasjenige Hofmannsthals und seiner ihm eingeschriebenen Poetologie gestellt werden.
Das offizielle Programmheft der Salzburger Festspiele 2010, die ganz im Zeichen des 90jährigen Geburtstags der Festspielgründung standen, stellt die Veranstaltungen des Jubiläumsjahres in eine Kontinuität von Hofmannsthals Festspielkonzept, dem eine dezidiert europäisch-kosmopolitische Ausrichtung nachgesagt wird: Mitten im Ersten Weltkrieg reifte in den Gründervätern, Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Richard Strauss, Alfred Roller und Franz Schalk, der Entschluss, die gegeneinander gehetzten Völker durch Festspiele miteinander zu versöhnen, ihnen ein vereinendes Ziel zu geben. Hofmannsthal habe - so das damalige Festspieldirektorium - mit seinem "so zeitlos gültigen Gründungsauftrag" den "Friede[n] und de[n] Glaube[n] an Europa" in den "Mittelpunkt" jeder zukünftigen Festspielplanung gestellt. Doch bildet eine solche weltbürgerliche Ausrichtung tatsächlich das ideologische Fundament des von Hofmannsthal formulierten Festspielgedankens?
Zahlreich finden sich im Werk Hofmannsthals Spuren, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Molières belegen. Dazu gehört die Gedenkrede "Worte zum Gedächtnis Molières", die für die Feier zum 300. Geburtstag Molières am 15. Januar 1922 im Wiener Burgtheater bestimmt war und einer Aufführung der Komödie "Der eingebildete Kranke" vorausgehen sollte. Bereits im Jahr 1899 hatte der damalige Direktor des Burgtheaters, Paul Schlenther, Hofmannsthal um einen Prolog für eine Feier zum 150. Geburtstag Goethes gebeten, die dann am 8. Oktober 1899 stattfand. Hofmannsthals Wertschätzung für Molière, die er mit seinem Vorbild Goethe teilte, dürfte Anlass gewesen sein, ihn im Jahr 1921 erneut um einen Prolog zu bitten. Ein Brief Hofmannsthals vom 19. Dezember 1921 an den Direktor des Burgtheaters, Anton Wildgans, lässt darauf schließen, dass er der Anfrage zu entsprechen beabsichtigte.
Hofmannsthal 19/2011
(2011)
"Und, was das komische Fach angeht, lassen wir uns durch irgend etwas zum Wiehern bringen, was nicht plump und dick aufgetragen und dann noch dreimal unterstrichen ist?", fragte einst Richard Alewyn rhetorisch und hielt Hugo von Hof mannsthal postum für "berufen […], eine deutsche Lustspielbühne" gewissermaßen jenseits plumpen Wieherns zu schaffen. Seither ist zu Hofmannsthals Komödien nicht wenig geforscht worden; erstaunlich selten aber finden sich Arbeiten, die genauer nach der Komik in seinen Lustspielen fragen. Die meisten Untersuchungen greifen dramaturgische, historische, auch gesellschaftskritisch-politische oder motivliche Spezialaspekte heraus und stellen wichtige Interpretationsangebote auch zum "Unbestechlichen" zusammen. Auf Seiten der Komik- und Humor-Forschung ist das Bild nicht anders; bei der Suche nach Beispielen für systematisch interessante Lachanlässe in Theaterstücken fällt der Blick kaum je auf Hofmannsthal.
In einer Sonntagsnachmittagsvorstellung veranstaltete der "Verband der Freien Volksbühnen" im Februar 1915 eine "Jedermann"-Aufführung im Haus des »Deutschen Theaters« in Berlin. Die "Freie Volksbühne Berlin" war 1890 von der deutschen Arbeiterbewegung gegründet worden. Sie verstand sich als Besucherorganisation, die ihren Mitgliedern zu stark ermäßigten Preisen Theateraufführungen anbot. Der einflussreiche Theaterdirektor Otto Brahm (1856-1912) stand zunächst an der Spitze der Organisation, tatkräftig von dem streitbaren Bruno Wille (1860-1928) unterstützt, der hier eine Möglichkeit sah, seine Ideale einer in jeder Hinsicht freien Kunst zu verwirklichen und einem dezidiert als 'proletarisch' angesprochenen Publikum zu vermitteln. Brahm, früher Leiter des "Deutschen Theaters" in Berlin, wollte sein Programm vor allem mit Stücken profilieren, die von der Zensur verboten oder der Politik missliebig waren.
"Warum muß der Wachtmeister Anton Lerch sterben? Warum muß er so sterben? Nicht den Tod, auf den er vorbereitet ist, einen glorreichen Tod vor dem Feind, sondern - niedergeschossen wie ein Hund von der Pistole seines eigenen Kommandeurs, einen schimpflichen, einen unnützen, einen grausamen Tod?" - Mit diesen Fragen beginnt Richard Alewyn seine Deutung von Hofmannsthals 1899 erschienener "Reitergeschichte" und tatsächlich stellen sie sich unweigerlich. Um sie zu beantworten, muss die Erzählung von Beginn an nach denjenigen Momenten des Ungehorsams und der Insubordination durchsucht werden, die die tödliche Bestrafung des Wachtmeisters durch seinen Kommandeur aus militärischer Sicht möglicherweise rechtfertigen. Begreifen lässt sich das Geschehen jedoch erst, wenn auch die Motive, die verborgenen Wünsche und Begierden hinter den Handlungen der zwei Widersacher aufgedeckt werden.
Dieser Beitrag sucht einen bescheidenen Anfang zu machen, indem er in diplomatischer Transkription jene Briefe dokumentiert, die Vollmoeller und Hofmannsthal austauschten, und welche heute vornehmlich in der Bibliothek des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt (FDH) aufbewahrt werden. Die sieben Briefe Vollmoellers stammen aus den Jahren 1903 bis 1925, drei Briefe Hofmannsthals an Vollmoeller aus dem Jahr 1927 liegen in Abschriften vor. Hinzu kommt noch ein Kondolenzschreiben Vollmoellers an Christiane von Hofmannsthal-Zimmer, datiert auf den 19. Juli 1929.
Im Sommer 1913 folgt Elsa Bruckmann, geb. Prinzessin Cantacuzène einem Rat Rudolf Kassners und reist mit ihrem Gatten Hugo das Paar hatte am 24. November 1898 in Starnberg geheiratet - Anfang Juli nach Noordwijk aan Zee, um hier, im "am schönsten gelegenen Badeort der holländischen Küste", nach längerer Krankheit Stärkung zu suchen. Die regen- und sturmreichen Wochen "am nordischen Meer" mit seinem melancholischen "feuchten Grau" inspirieren sie zu fruchtbarem lyrischen Schaffen und lassen den Wunsch aufkommen, den am Ort wohnenden Dichter Albert Verwey kennenzulernen. So bittet sie dessen alte Münchner Freundin Hanna Wolfskehl um Vermittlung, die "diese Anfrage gleich" weiterleitet und dem Ehepaar Verwey die unbekannten Gäste in liebevoller Ausführlichkeit vorstellt:
Also Herr Direktor Bruckmann ist einer der ersten Verleger Deutschlands […] aus einer ächten alten Münchner Patrizier-Familie! seine Frau ist aber die Seele des Unternehmens! sie ist eine geborene Prinzessin Cantaguzeno […] hat den größten officiellen Salon für Kunst! sie war die Egeria von Hofmannsthal, sie ist eine Freundin von Klages! Karl und ich lieben sie sehr weil sie so eine richtige Frau und Dame ist und lieb dabei – sogar Stefan George hat sie gern. Gundolf verehrt sie sehr u.s.w. und ihr Neffe der junge Hellingrath ist der, der den Hölderlin neu herausgiebt. Den Winter sah ich sie wenig weil sie viel krank war. Nun ist sie zur Erholung an der See! Also wenn Sie wollen dann lassen Sie sie bitten! Ja so – den Mann auch! der versteht seine Sache wohl sehr aber alle Menschen reden nur von ihr.
"[…] sie war die Egeria von Hofmannsthal" - eine heute wohl überraschende Antonomasie, bei der offen bleibt, ob sie Elsa Bruckmann oder Hanna Wolfskehl nach deren Erzählung gefunden hat.
Hofmannsthal 18/2010
(2010)
Hofmannsthal war auch als Philologe Dichter. Das zeichnet seine literaturkritischen Arbeiten aus, macht sie aber einzigartig subjektiv. Zudem ist die Denk- und Empfindungsweise der Epoche in diesen Texten deutlich präsent. Das gilt für das Meiste, was er an Würdigungen, Einleitungen und Reden schrieb. Es wird uns hier in seinen Urteilen über Nestroy und Raimund beschäftigen.
Im Literaturarchiv der Monacensia München liegt im Nachlass Otto von Taubes eine Mappe mit Briefen Hugo von Hofmannsthals. An Taube gerichtet sind fünfzehn Briefe - darunter zwei Gedichte Otto von Taubes mit handschriftlichen Kommentaren Hofmannsthals -, eine Postkarte, ein Telegramm, ein leerer Briefumschlag sowie eine in Hofmannsthals Namen geschriebene Nachricht von fremder Hand; hinzukommen ein kleines Schreiben Hofmannsthals an Baronin Marie von Taube und eine gedruckte Danksagung Gerty von Hofmannsthals an "Baron und Baronin Taube" für deren Teilnahme an Hofmannsthals Tod. Neun Gegenbriefe von Taube an Hofmannsthal verwahrt das Hofmannsthal-Archiv im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt am Main. Wie Anspielungen in den überlieferten Schreiben belegen, ist auf beiden Seiten eine nicht unbeträchtliche Zahl von Sendungen verloren gegangen. Die erhaltenen Briefe bezeugen einen anfangs losen, später vertrauter werdenden Kontakt; Schwerpunkte bilden zwei Zeitschriftenprojekte: zunächst in den Jahren 1907/1908 während Hofmannsthals verantwortlicher Mitarbeit am "Morgen", dann nach 1922 im Rahmen seiner eigenen Zeitschrift, der "Neuen deutschen Beiträge", die von 1922 bis 1927 im Verlag der Bremer Presse erscheinen.
Hugo von Hofmannsthal und Josephine Fohleutner : Briefe 1881–1902 / mitgeteilt von Katja Kaluga
(2006)
Die vorliegende Edition will anhand von insgesamt 92 Briefen, Karten und Telegrammen von Hofmannsthal und 27 Briefen von Josephine Fohleutner versuchen, die verbliebene Leerstelle zu füllen und einen Beitrag zu seiner frühen Biographie zu bieten. Erhalten haben sich vornehmlich Briefe aus der Kindheit und frühen Jugend Hofmannsthals, ferner eher sporadisch gewechselte Nachrichten aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, von denen die meisten, auch in dichterer Folge, während der Sommerreisen geschrieben wurden. Während seiner Reisen schrieb Hofmannsthal fast täglich an die Eltern, die seine Briefe oft an die Großmutter zur Lektüre weitergaben.
Hofmannsthal 14/2006
(2006)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Die Geschichte der Fassungen von "Cristinas Heimreise" ist nicht nur kompliziert und langwierig - sie erstreckt sich von 1908 bis 1926 -, sie ist als Teil von Hofmannsthals Bühnenerfahrung auch schmerzlich, denn diesem von ihm selbst schließlich als "uneigentliches Theaterstück" qualifizierten Werk blieb trotz vielfacher Bemühungen der Durchbruch versagt. Dabei ist gerade der Versuch, im Bereich der Komödie Fuß zu fassen, für die Bemühung um das "Soziale" von programmatischer Bedeutung: Der Bruch mit George, die Zusammenarbeit mit Richard Strauss und schließlich das gescheiterte Ringen um "Silvia im Stern" stellten bereits erschwerte Vorbedingungen dar. 1908 als "Florindos Werk" begonnen, aber nicht publiziert, folgten 1910 zwei Aufführungen der daraus hervorgegangenen Komödie "Cristinas Heimreise", einmal im Februar 1910 in Berlin (drei Akte), dann im Mai 1910 in Budapest (mit der Opferung des Schlußaktes). Weitere Aufführungen - als Einakter "Florindo" 1921 und dann wieder in der Budapester Fassung 1926 an der Wiener Josefstadt - blieben folgenlos.
Dabei ist diese schmerzliche, durchaus aufschlussreiche Textgeschichte auch mit der Wahrnehmung durch die Zeitgenossen verknüpft. Schon die Dokumentation der Zeugnisse Hofmannsthals aus seinen Briefwechseln konnte Einblicke in die Werkstatt bieten. Aber erst die Chronik der öffentlichen Aufnahme, überwiegend der Theateraufführungen, kann nun ein authentischeres Bild davon vermitteln, mit welchem Erwartungshorizont der Zeitgenossen eine Hofmannsthalsche Bühnenaufführung zu rechnen hatte. Aus den nachfolgend abgedruckten Rezensionen zwischen 1910 und 1930, ergänzt um wenige Stimmen von Lesern, die keine Aufführung beschreiben (Josef V. Widmann, Arnold Zweig, Arnold Gehlen), geht das mehr als kritische Klima anschaulich hervor, in das Hofmannsthals Komödie kam.
Im Nachlass von Paul Kahn (Privatbesitz) befinden sich vier Briefe von Hugo von Hofmannsthal, die hier mitgeteilt werden. Alle sind vierseitig auf 17,7×22,4 cm großen Bogen geschrieben. Auch zwei kleine Umschläge (9,3×12 cm) sind erhalten. Aus dem Poststempel des einen ergibt sich die Jahreszahl 1905.
Paul Kahn (1871–1947) war ein Sohn des wohlhabenden Mannheimer Bankiers und Fabrikanten Bernhard Kahn (1827–1905). Einige der Geschwister von Paul waren mit dem Berliner Kultur- und Wirtschaftsleben verbunden.
Durch seine Geschwister Clara und Robert lernte er Gerhart Hauptmann kennen, verbrachte mit ihm und Robert im August 1899 Ferientage auf Hiddensee und wohnte bei ihm 1903 und 1904 jeweils einige Wochen als "Sekretär, Freund und lieber Hausgenosse" in Agnetendorf. Sehr beliebt war er dort auch als Klavierbegleiter der Geige spielenden Margarete Hauptmann. Hofmannsthal hat ihn wahrscheinlich Ende Oktober 1903 getroffen, als er sich zur Uraufführung seiner "Elektra" in Berlin aufhielt.
Hugo von Hofmannsthal und Robert Michel : Briefe / mitgeteilt und kommentiert von Riccardo Concetti
(2005)
Die Herausgabe des Briefwechsels zwischen beiden Autoren bietet nun eine Gelegenheit, dem Vergessen entgegenzuwirken: Neben dem Versuch, die Konturen dieser am Rande der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung gebliebenen Figur zu umreißen, soll aufgezeigt werden, aus welchen Motiven heraus Hofmannsthal Michel unterstützte und ihm eine nicht marginale Rolle bei seinen Kriegspublikationen einräumte, ja, ihn im Laufe der Zeit geradezu als Inbild des österreichischen Dichters ansah.
Am 19. August 1898 schob Hofmannsthal über fünf Stunden lang sein Fahrrad vom schweizerischen Brieg auf die Paßhöhe des Simplon, wo sich ihm ein Szenario "von einer unbeschreiblichen Großartigkeit" eröffnete: "Abgründe, in die man ganze Bergketten hineinwerfen könnte, Gletscher bis an die Straße herab, Schutzdächer, über die das Wasser herunterschäumt und nach rückwärts riesige Bergketten und sich kreuzende mit Schatten erfüllte Thäler". Angesichts dieser unwiderstehlichen Kraft und Größe kamen ihm vier Zeilen in den Sinn, die er genau ein Jahr zuvor in Verona niedergeschrieben hatte: "Wasser steht, uns zu verschlingen / rollt der Fels uns zu erschlagen, / kommen schon auf starken Schwingen / Vögel her uns fortzutragen". Die Zeilen waren als Teil eines Versgesprächs entstanden. Eingebettet in eine allgemeine Reflexion über die Existenz des Menschen hatten sie damals einen eher abstrakten Sinn.
Hofmannsthal 13/2005
(2005)
Jedem von uns ist das schon begegnet: ich will ein Wort verwenden. Es fällt mir einfach nicht ein. Mein Hirn macht sich auf die Suche und legt erst einmal alles andere lahm. Meine ganze Aufmerksamkeit peilt dieses eine Wort an, das sich entzieht. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren. Ja, ich kann nicht einmal einschlafen, weil dieses unauffindbare Wort alle Funktionen, sogar vegetative, stört. Es hat sich mit dem ganzen Wortfeld eingekapselt, abgeschottet.
Wenn ich wenigstens ein Synonym finden könnte, irgendein Wort, das sinngemäß eine Richtung weist, ich könnte mich daran weiterhangeln, auch wenn mir der Boden unter den Wörtern abhanden gekommen ist. Grad noch das Wort davor ist verfügbar, ich klammere mich dran fest. Der Wortfluß, bisher moderat, schwemmt alles weg - und wo grad noch ein Meer von Wörtern war, nichts als eine wortlose Dürre. Nichts mehr da.
Das Klangtal
(2003)
Die Worte Österreich, England, Europa, London, Wien habe ich das erste Mal im Jahr 1962 gehört, bei einem unserer Ausflüge zu den Hügeln draußen vor der Stadt und zu den Wäldern und Tieren. Ich hörte sie das erste Mal im Zusammenhang mit einem Brief, den die Mutter vorgelesen hat, laut gelesen hat, weil sie die Sprache in diesem Brief gerne hörte, laut, weil es ein englischer Brief war, der nicht auf Englisch geschrieben war, weil sie vielleicht dieses Aber-Englisch hören wollte, laut vielleicht, dass ich zuhören konnte. Es sei ein Brief, der von einem Kind namens Katharina erzählt und von einem Fisch. "Ich lese den englischen Brief vor", sagte die Mutter, dann las sie auf Deutsch. So hatte das Kind die Gewissheit, dass das Englische und Deutsche eins sind.
...
Auf einem der Hügel auf dem Festland standen im Halbkreis Hütten, dort zogen englische Ferienfamilien ein, spielten Fußball und Tennis und Badminton, Leser saßen dazwischen und lasen The Times und The Daily Mirror und Kriminalromane und malaysischenglische Wörterbücher. "Achte einmal darauf, ich lese dir stückerlweise den Brief aus Österreich vor." Österreich? Österreich? "Ja, das ist ein Land, das weit weg in der Mitte von Europa liegt." Europa? Europa? "Ja, das ist eine Sammlung von Ländern, eine Art Asien wie hier, wo wir sind." Wer hat dir den Brief geschickt? "Den Brief hat mir niemand geschickt. Der Brief ist an Francis Bacon in England gerichtet worden, vor vielen hundert Jahren." Wer hat ihn geschrieben? "Das weiß ich nicht. Ein Mann namens Philipp Chandos, ich weiß nicht, wer der war. Ich weiß nur von einem anderen Chandos namens Grey, 5th Baron Chandos. ...
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Über Assimilation, deutsch-jüdische "Symbiose" und politischen Antisemitismus in Wien und Österreich während der k.u.k. Monarchie und der Ersten Republik gibt es umfangreiches Material, das Interessierten sowohl mentalitätsgeschichtlich als auch soziologisch und statistisch über die damaligen Verhältnisse gründlich Auskunft erteilt. Und seit Carl Schorskes vieldiskutierter Darstellung des "Fin de siècle" ist auch Hofmannsthal mehrfach in diese Untersuchungen einbezogen worden, eindrücklich von Jens Rieckmann. Debattiert wurde einerseits, ob – und in welcher Form – Hofmannsthals jüdisches Erbe in seinem Werk erkennbar sei, aber ebenso, ob er, insbesondere mit seiner heftigen Reaktion auf Dichtungen von Schnitzler und Beer-Hofmann, dabei einer Art von "jüdischem Selbsthaß" erlegen sei, der abgelehnte Ichanteile nach außen und auf andere projizierte. Und mehrfach besprochen wurde auch, wie abweisend Hofmannsthal in den 20er Jahren auf Versuche antwortete, ihn - durchaus lobend - in Publikationen zusammen mit jüdischen Autoren darzustellen.
Hofmannsthal 12/2004
(2004)
Vorliegende Ausgabe der 'Mitteilungen der Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft' enthält:
Zum Tod von Renate Böschenstein-Schäfer / Karl Pestalozzi
Andreas Zimmer (14. Mai 1930 – 21. Juni 2003) / Elsbeth Dangel-Pelloquin
Tagung der Hugo vom Hofmannsthal-Gesellschaft in Wien 12. –15. September 2002 / Juliane Vogel
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Hofmannsthal wurde auf das Motiv des Musikinstruments im "Jedermann" durch eine briefliche Mitteilung des Komponisten Clemens zu Franckenstein vom 12. April 1903 hingewiesen, der bei der Beschreibung einer Londoner Aufführung des "Everyman" besonders die musikalischen Elemente und Requisiten hervorhob: "Everyman" […] geht langsam, ein Serenadenartiges Lied singend und begleitet sich auf der Laute die er an einem Bande umgehängt trägt […] "Fellowship" […] tritt auf "Everyman" zu. "Everyman" reicht ihm beim Abschied seine Laute.
Die Idee, das Instrument zunächst in seiner Funktion als Begleitinstrument eines Liedes einzuführen und es zuletzt zum Zeichen für den endgültigen Abschied vom Freund zu setzen, dürfte Hofmannsthal dieser Bühnenbeschreibung Franckensteins entnommen haben. Die erotischen Konnotationen, die das Requisit im Prosa-Jedermann gewinnt, und vor allem die symbolische Zerschneidung seiner Saiten, als es am Ende dem Freund gegeben wird, hat Hofmannsthal neu eingebracht.
Hofmannsthals "Gespräch über Gedichte", nur ein Jahr nach dem Chandos-Brief konzipiert und 1904 erstmals, mit dem Titel "Über Gedichte", veröffentlicht, leidet unter einer fatalen Anschuldigung. "Hofmannsthal sucht im Georgedialog das ästhetische Symbol als Opferritual zu fassen", erklärt Theodor W. Adorno in einem Essay von 1939. Er zitiert dann die berühmte Erzählung Gabriels vom ersten Opferer, mit ein paar Auslassungszeichen allerdings, und kommt zu dem Schluß: "Diese blutrünstige Theorie des Symbols, welche die finsteren politischen Möglichkeiten der Neuromantik einbegreift, spricht etwas von ihren eigentlichen Motiven aus. Angst zwingt den Dichter, die feindlichen Lebensmächte anzubeten: mit ihr rechtfertigt Hofmannsthal den symbolischen Vollzug. Im Namen der Schönheit weiht er sich der übermächtigen Dingwelt als Opfer." Blutrünstig und politisch finster, Angst und Selbstopfer - da öffnet sich ein ästhetischer und gleich auch politischer Abgrund. Denn umstandslos setzt dieser Begriffswirbel Symbol (also auch Poesie) und Blutopfer, den Dichter und den Opferer gleich.
Nachfolgende Beobachtungen zum Chandos-Brief Hofmannsthals haben die im letzten Drittel des Briefes beschriebenen "guten Augenblicke" zum Thema, die als exemplarische Darstellungen einer ästhetischen bzw. poetischen Erlebnisweise ausgewiesen werden sollen. Getragen ist also die Lektüre von der vielleicht kontroversen Voraussetzung, daß in die Schilderung der guten Augenblicke ein poetologischer Vorstellungskreis eingeht, der auch über die Grenzen des Chandos-Briefs hinaus für Hofmannsthals Schreiben bestimmend bleibt. So wird sich die Argumentation auch auf spätere Texte beziehen, zumal auf solche wie "Das Gespräch über Gedichte" oder den Vortrag "Der Dichter und diese Zeit", deren Anliegen ein explizit poetologisches ist.
Den berühmten Text, um den es hier geht, schrieb Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1902 und veröffentlichte ihn im selben Jahr in zwei Folgen in der Berliner Zeitschrift "Der Tag". Aus demselben Sommer sind viele persönliche Briefe Hofmannsthals erhalten, die dasselbe Thema der Sprach- und Schreibkrise behandeln. Hofmannsthal erlebte in dieser Zeit längere unproduktive Phasen, die mit einem Vertauensschwund in das Wort als künstlerisches Medium und Ausdruck von Realität zusammenhingen. Im OEuvre des Autors markiert der Brief eine Zäsur zwischen den Jugendwerken und denen des reiferen Alters, die zugleich auf einen Wechsel der Gattungen verweist. Hofmannsthal verkündet hier, so schreibt Gotthart Wunberg, "seine große Absage an die lyrische Produktion seiner frühen Jahre, an die Werke, die ihn berühmt gemacht haben." Es ist der Abschied von der Magie des lyrischen Worts und die Hinwendung zu einer Prosa, die er ebenfalls als als 'reine Form' zu binden erhofft. Das Prinzip der Form - wie immer wieder bemerkt worden ist, wurde dieser Essay über das Verstummen in einer meisterhaften Prosa artikuliert - überbrückt nicht nur den Abstand zwischen Lyrik und Prosa, sondern auch den zwischen den biographischen Briefen und dem literarischen Brief.
Die rhetorische Bravour des "Briefes" – eine Bravour, die bekanntlich ihr eigenes Dementi voraussetzt und damit zur glanzvollsten Präteritio ihrer selbst gerät –, diese Bravour also findet sich exemplarisch in einem seiner Sätze:
Es begegnete mir, daß ich meiner vierjährigen Tochter Katharina Pompilia eine kindische Lüge, deren sie sich schuldig gemacht hatte, verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so ineinander überflossen, daß ich den Satz, so gut es ging, zu Ende haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der einsamen Hutweide einen guten Galopp nehmend, wieder einigermaßen herstellte.
Der als Sprachkrise inszeniertea "mystische Weg", den Hofmannsthal rückblickend als Weg des Lord Chandos beschworen hat, bezeichnet weniger den "Anstand des Schweigens", als vielmehr eine literarisch äußerst produktive und semiotisch folgenreiche Poetologie des inneren Sehens, der endogenen Bilder des Bewußtseins.
"Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen." Wohl kein Leser hat es versäumt, den Widerspruch zu bemerken, daß der berühmte Satz einer Erfahrung gilt, die Lord Chandos macht oder erleidet, nicht aber den Sätzen, in denen er diese Erfahrung formuliert und mitteilt. Um die Paradoxie zu erklären, möchte ich vorschlagen, den Chandos-Brief als poetologisches Experiment zu lesen. Hofmannsthal zerstört - oder setzt für die Dauer eines Textes außer Kraft - , was man die Spielregel der kreativen Reproduktion nennen könnte. Seit der Goethezeit und das 19. Jahrhundert hindurch stellte sie eine unantastbare Einheit dar: als jene persönliche Instanz, die Welt vernimmt oder wahrnimmt und dem Vernommenen oder Wahrgenommenen wiederum Ausdruck gibt. Diese Instanz entfällt; nicht nur die Sprache, auch Lord Chandos selber zerfällt in Teile, in eine erlebende und in eine erzählende Person. Eine Anregung hierfür, das wäre mein zweiter Vorschlag, konnte Hofmannsthal den Schriften Ernst Machs entnehmen, zumal dem ebenso berühmt gewordenen Satz "Das Ich ist unrettbar". Was geschieht, wenn man diesen Satz auf die Autorschaft anwendet? Schließlich und drittens wäre zu bedenken, ob nicht die Erlebnisse eines Autors, dem sich der Ausdruck versagt, gleichwohl Manifestationen von Kreativität sein könnten. In diesem Sinne möchte ich besonders die "guten Augenblicke" (S. 50) des Lord Chandos erörtern. ...
Sehr geehrte Freunde des Varietés,
sehr geehrte Artisten und Claqueure,
es freut mich, daß Sie so zahlreich erschienen sind zu dieser Versammlung, und daß ein jeder von ihnen seinen Zehnt abgibt von seinem Herz, womit wir die Kosten des Mitleids mit Herrn Chandos tragen wollen. Von den Reden meiner zahlreichen Vorgänger kam viel Mitgefühl für sein Schicksal, daß der Tag davon nun bereits bis an den Rand gefüllt ist, und nur ein Seufzer noch fehlte, und schon schwappte etwas davon über und tropfte in mein Gemüt, und dann besitze auch ich ein paar Tränen. Damit will ich aber nun lieber mein Unglück beweinen. Es ist nicht so elegant gekleidet wie das des Herrn Chandos, der seinen Traum wie einen viel zu großen Anzug auf sich zurechtschneidern ließ, damit er ihm am Ende dann auch paßte. ...
Brief an Lord Chandos
(2003)
Brief an Lord Chandos ...
... mit groszer Anteilnahme habe ich Ihre Klagen aufgenommen und möchte zu Ihrer Tröstung bekennen, dasz es mir vor einiger Zeit ähnlich ergangen ist: ich hatte in dieser meiner Krise aller Welt vorgemacht, ich sei an der Arbeit, muszte mir jedoch eingestehen, dasz ich in Wahrheit völlig ausgebrannt war, ja, dasz die Vorstellung mich verfolgte, ich hätte noch nie auch nur I Wort aufgeschrieben, ich würde nie wieder Pläne oder Ahnungen von Gedanken empfangen können, am allerwenigsten jene so wundertätigen Verbalträume, die mich jederzeit mitten hinein in die Produktion katapultiert hatten. Aber dann versuchte ich mich selbst aufzufangen, indem ich den Gründen meines Versagens nachzuforschen begann, und ich entdeckte, warum es mir so elend erging. …
"Ich bin Hofmannsthal das erstemal Anfang 1902 begegnet. In seinem Rodauner Haus, wohin mich Hermann von Keyserling brachte. Jahre also, nachdem ich schon der Bezauberung durch seine Gedichte und einige Aufsätze unterlegen war. Ich sage Gedichte, denn auch seine kleinen Dramen nahm ich für solche. Seinen Aufsätzen hatte ich unter anderem den ersten Hinweis auf englische Dichter wie A. C. Swinburne und den Ästheten und Essayisten Walter Pater verdankt, auch auf andere, von denen später mein erstes Buch gehandelt hat, das im übrigen auch die Brücke war, die mich, da mir jede andere Verbindung mit ihm gefehlt hat, zu Hofmannsthal hinüberführen sollte."
Mit diesen Worten gedenkt Kassner nach mehr als einem Menschenalter, im Jahre 1946, der Anfänge dieser Freundschaft und der Rolle, die sein Erstlingswerk dabei gespielt hat. In der Tat beruft er sich in dem zu Beginn des neuen Jahrhunderts erschienen Band "Die Mystik, die Künstler und das Leben", für jeden Kundigen deutlich, in der allgemeinen geistigen Haltung vielfach auf Hofmannsthal und zitiert, offen oder verdeckt, an mehreren Stellen dessen Werk.
Hofmannsthal 11/2003
(2003)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als der zwischen Ritual und Trauma. Rituale sind kollektive Wiederholungen symbolischer Handlungen, die kulturell prägende Sinnzuschreibungen und Motivationen in Umlauf bringen. In der Ökonomie des gesellschaftlichen Zeichentauschs sind sie daran beteiligt, die "Zirkulation von sozialer Energie" nach Mustern der herrschenden Zeichenordnungen zu regulieren. Rituale sind in der Regel streng kodifiziert. Deshalb ist ihr Ablauf weitgehend vorhersehbar.
Traumata dagegen sind ihrem Wesen nach unvorhersehbar. Nach Freud entsteht ein Trauma, wenn das Ich übermächtigen Sinnesreizen oder nicht kontrollierbaren Triebschüben schutzlos preisgegeben ist. Das Trauma bringt die psychische Ökonomie der Betroffenen so nachhaltig aus dem Gleichgewicht, dass die von ihm verursachten Symptome auch die Ökonomie des gesellschaftlichen Zeichentauschs stören. Während Rituale an der Stiftung von kulturellem Sinn wesentlichen Anteil haben, sind traumatische Ereignisse dadurch gekennzeichnet, dass für sie "alle kulturell vorgeprägten Sinnrahmen versagen".
"Man ficht und spricht heute schneller als vor 100 Jahren. Sogar von Demosthenes zu Cicero läßt sich die Entwicklung zum Telegraphenstil, zur mangelhaften Verknüpfung der Sätze, zur Wirkung durch abgerissene bedeutende Wörter beobachten".
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen aus dem Nachlaß (1890?)
Die Bemerkung, die Hugo von Hofmannsthal im Alter von 16 Jahren gemacht haben soll, weist ihn schon vor dem eigentlichen Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn als feinfühligen Beobachter sprachhistorischer Entwicklungen, aber auch medialer Einflüsse aus. Mit seiner Ferndiagnose zur Entwicklung des literarischen Stils von Demosthenes bis Cicero, die er unter dem Eindruck des Telegraphenstils seiner eigenen Epoche vornimmt, bestätigt er nicht nur seine klassische Bildung, sondern auch seine medienkulturhistorische Zeitgenossenschaft. Der wahrgenommene Effekt ist einer der Dynamisierung und Fragmentierung von Kommunikation.
Am 26. April 1916 findet am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt die Uraufführung eines Balletts "Die grüne Flöte" statt, dem ein einaktiges Lustspiel vorausgeht: "Die Lästigen. Nach Molière". Die Aufführung steht unter dem Protektorat der Stadt Berlin zugunsten der zerstörten Karpatenorte; der Weltkrieg hat bereits eine für Deutschland kritische Wendung genommen. Die Kritiken in den Zeitungen am nächsten Tag reagieren ausschließlich positiv: Das Ballett erregt "helles Entzücken" und der Einakter findet Gefallen; ein Kritiker will darin sogar "den ganzen Molière in der Größe seiner Anschauungen" erkennen, das sei "echter Molière, jener Molière, der uns Deutschen heute nähersteht als manchem seiner Landsleute". Der nationalistische, von der Kriegspropaganda nicht ganz freie Ton, der Molière gegen seine eigenen Landsleute ausspielt, ist nicht zu überhören. Aber am französischen Autor selbst kommt kein Zweifel auf, der Text des Lustspiels wird in dieser und anderen Besprechungen eindeutig Molière zugewiesen.
Die Sache hat allerdings einen Haken, der den meisten Kritiken entgangen ist. Das Stück "Die Lästigen" trägt zwar den übersetzten Titel von Molières "Les Fâcheux", aber es ist nicht von Molière: von ihm stammt nur - wie der tatsächliche Verfasser Hofmannsthal in einem Brief an Pannwitz bemerkt - der "Titel und vagste Grundidee", sonst sei alles eine "völlige Improvisation", was der "ganzen breitmäuligen Presse" entgangen sei. Und an Richard Strauss schreibt Hofmannsthal: "Übrigens ganz im Vertrauen: Reinhardt spielte die letzten 6 Wochen allabendlich einen Molière, die 'Lästigen', wovon außer dem Titel keine Zeile von Molière war, sondern jedes Wort vom ersten bis zum letzten von Ihrem ergebenen Librettisten, ohne daß die Kritik 'Mau' sagte." Die Genugtuung, das Publikum und vor allem die Kritik so hintergangen zu haben, die Freude, daß der Schwindel nicht aufgeflogen ist, klingt in diesen Sätzen durch.
Hofmannsthal 10/2002
(2002)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Keine andere Figur verletzt so eklatant die ungeschriebenen Regeln des Spiels, als das sich soziale Interaktion im aristokratischen Milieu von Hofmannsthals Komödie »Der Schwierige« gestaltet, wie der neu eingestellte Diener Vinzenz, der eben deshalb das Privileg erhält, den Vorhang über dem Spiel zu heben. Als Vinzenz in der ersten Szene des ersten Akts in die Räumlichkeiten des Bühlschen Palais eingeführt wird, unterrichtet er das Publikum nicht nur über den zeitgeschichtlichen Kontext des Stücks und die Lebensverhältnisse seines Protagonisten. Er bringt die Sprache auch umgehend auf jenen "Punkt", der sich für alle Beteiligten als der "Hauptpunkt" erweisen wird. "Jetzt kommt alles darauf an: geht er [Bühl] mit der Absicht um, zu heiraten?", eröffnet er dem alten Diener Lukas und fügt erläuternd hinzu: "Wenn er sich die Verwandten da ins Haus setzt, heißt das soviel als: er will ein neues Leben anfangen. Bei seinem Alter und nach der Kriegszeit ist das ganz erklärlich."
Inmitten der epochalen Katastrophe des Ersten Weltkriegs eine Komödie zu schreiben, die das konventionelle Komödienthema der Heirat im konventionellsten Komödienschema des Missverhältnisses von Absicht und Verwirklichung an einigen Repräsentanten des Wiener Hochadels durchspielt, welche den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden haben - dass diese Konstellation beim zeitgenössischen Publikum für Irritationen sorgen könnte, hat Hofmannsthal zumindest geahnt.
Hugo von Hofmannsthal, dessen Rezeption in Frankreich durch die Übertragungen von Charles Du Bos in den 20er Jahren entscheidende Anstöße erhielt, war bereits vor dem Weltkrieg im Nachbarland kein Unbekannter. Wie eine Reihe früher Erwähnungen in Zeitschriften und literarhistorischen Darstellungen belegen, waren Gedichte Hofmannsthals und einige seiner dramatischen Arbeiten zumindest einem Kreis von Kennern vertraut. Einem breiteren Publikum dürfte sein Name vor allem als Librettist von Richard Strauss geläufig gewesen sein - seit der im Januar 1909 uraufgeführten Oper "Elektra“, seit dem "Rosenkavalier" (1911) und der "Ariadne auf Naxos" (1912). Dass sich französische Leser auch von den Gedichten und lyrischen Dramen Hofmannsthals eine Vorstellung machen konnten, war das Verdienst eines jungen Autors, dessen Name, in den Jahren nach dem Weltkrieg einer breiteren Öffentlichkeit vertraut, heute in Vergessenheit geraten ist: Henri Guilbeaux.
Hofmannsthal 9/2001
(2001)
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert.
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Hugo von Hofmannsthal wird nicht müde, in seinem Essay über Victor Eftimiu die Doppelheit des "lateinisch-slawische[n] Wesen[s]" zu betonen: "[D]er Rumäne ist Lateiner und Slawe zugleich." In ihren Ausführungen zur Hofmannsthal-Rezeption in Rumänien bescheinigt die rumänische Germanistin Mariana-Virginia Lazarescu dem österreichischen Dichter eine "genaue Kenntnis des rumänischen Lebensgefühls, der rumänischen Seelen- und Mythenlandschaft und der rumänischen Volksüberlieferungen". Repräsentiert die Latinität bei Hugo von Hofmannsthal also die kulturelle, europäische, ja vielleicht sogar die universale Perspektive, so stehen das Slawische und das Walachische, die jedoch um andere und weitere Volkselemente beliebig zu ergänzen wären, für die partikulare landschafts-, heimat- und volksbezogene Dimension. Dennoch lassen sich bei Hugo von Hofmannsthal auch in dieser letztgenannten Dimension universale Perspektiven erblicken. So spricht er etwa in seinem Geleitwort zu einer Sammlung von Übersetzungen tschechischer und slowakischer Volkslieder von "dem ewig Gleichen und der beharrenden Wurzel" der Volksüberlieferung, der er zugleich eine religiöse Dimension zuspricht. So wie Hofmannsthal bzw. Borchardt im Europabegriff der Renaissance die "Gemeinbürgschaft aller an der Latinität der höheren geistigen Existenz beteiligten für Erweckung und Bewahrung dieses grundlegenden Erbes" sahen, so war Hugo von Hofmannsthals Europabegriff während und in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von der Idee des Ineinanderklingens der zahlreichen volkshaften und sozialen Partikularismen geprägt.
Das künstlerische Verhältnis zwischen Richard Strauss und seinem Librettisten Hugo von Hofmannsthal ist auch heute noch in der Forschung ein kontrovers diskutiertes Thema. Viele Interpreten sind offenbar durch die sehr unterschiedlichen Temperamente beider Künstler dazu angeregt worden, ihre bewertenden Urteile weniger durch Werkanalysen als vor allem durch Persönlichkeitsstudien zu belegen.
Hugo von Hofmannsthal - Yella, Felix und Mysa Oppenheimer : Briefwechsel ; Teil II: 1906-1929
(2000)
Hofmannsthal 8/2000
(2000)
Das Jahrbuch der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft tritt an die Stelle der Hofmannsthal-Blätter und der Hofmannsthal-Forschungen, die Quellen und Dokumente zu Hofmannsthals Leben und Werk vorgelegt und die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem CEuvre gefördert haben. Es führt deren Konzeption weiter, soll aber zugleich den Gesprächsraum für alle jene Themen eröffnen, die sich mit dem Namen dieses Autors verbinden. Zur Diskussion steht also Hofmannsthals Schaffen und mit ihm die sogenannte klassische Moderne, ihre Herkunft und ihre Fortschreibung bis heute. Mit Hofmannsthal und seinem Werk sind Genese und Ausbildung der Moderne in besonderer Weise verknüpft. Seine Texte bilden den Ort eines Gesprächs der Kulturen. So sind methodisch Interdisziplinarität und komparatistisches Verfahren gleichermaßen vorgegeben.
In der Thematik der Beiträge präsentiert sich das breite Spektrum dessen, was Hofmannsthals Rolle in seiner Zeit ausmacht: Aufnahme der Tradition und Entwurf des Künftigen. Dieses Spektrum reicht von der Literatur in allen ihren Gattungen bis zur Philosophie, Psychologie und Psychoanalyse genauso wie von bildender Kunst, Architektur, Musik und Film zu Geschichte und Sozialgeschichte, Technik und Technikgeschichte; es bezieht Fragen der Lebenswelt und Politik ebenso ein wie Probleme der Bewusstseins- und Religionsgeschichte, der Bildungs- und Wissenschaftshistorie. So steht nicht das Werk Hofmannsthals allein im Vordergrund, sondern die Literatur in ihren Beziehungen zu anderen Literaturen und den genannten angrenzenden oder weiter entfernten Bereichen.
Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Dekadenz als literarische Vorlage in den Werken von Tezer Özlü und Hugo von Hofmannsthal zu untersuchen. Hierbei wird der Tod in den Werken 'Die kalten Nächte der Kindheit' und 'Das Märchen der 672. Nacht' mit Hilfe der hermeneutischen Methode analysiert. Anhaltspunkt für die Analyse ist die Dekadenzdichtung nach Bourget und Bahr. Bourgets Vergleich der Gesellschaft mit Organismen und deren Verfall im Falle einer Verweigerung der Kooperation sind neben Bahrs Romantik der Nerven, Hang nach dem Künstlichen, Sucht nach dem Mystischen und letztlich dem Zug ins Ungeheure und Schrankenlose Hauptuntersuchungskriterien bei der Motivselektion. Die ausgesuchten Motive werden in Passagen ausgeschnitten und den dekadenten Vorgaben gemäß interpretiert und kontrastiv verglichen. Man sieht, dass die Dekadenzdichtung nicht zeitengebunden ist, da beide Werke verschiedenen Epochen angehören. Was sie vereint, ist einzig und allein der Hang zur Abweichung, wie auch Huysmanns Roman A rebours es sagt, nämlich gegen den Strich.
Hofmannsthal ist vom Orient fasziniert. In seinem lyrischen Drama "Hochzeit der Sobeide" wie in vielen seiner Werke und Erzählungen sind Einflüsse der orientalischen Kultur auffällig. Der Handlungsort des Dramas "Die Hochzeit der Sobeide" ist eine alte Stadt im Königreich Persien. Dass der orientalische Schauplatz hier eine dekorative Bedeutung hat, bestätigt eine spätere Version, in der die Geschichte von Persien nach Ragusa verlegt wird. Aus der Stadt in Persien wird dann eine italienische Kaufmannsrepublik. Dennoch stellt sich die Frage: Warum die Geschichte zunächst im Orient spielt. Mein Beitrag wird die Deutung orientalischer Spuren in dem Theaterstück thematisieren.
The article examines the reception of Hugo von Hofmannsthal's works by two Czechoslovak authors writing in German: Max Brod and Josef Mühlberger. The reception of Hofmannsthal's oeuvre is reflected primarily in Brod's novel "Mira", Brod's correspondence with Hofmannsthal, and Mühlberger's essay "Hugo von Hofmannsthal". The article explores how both authors depict the Viennese poet and what they consider to be Hofmannsthal's main significance and legacy for future generations. The article also compares Brod's and Mühlberger's statements with thematically similar texts by the Austrian author.
The article analyzes two early works by Hugo von Hofmannsthal: Das kleine Welttheater and Das Märchen der 672. Nacht. The author focuses on artistically perceptive characters: the poet and artist (in Das kleine Welttheater) and the "dilettante" (in Das Märchen der 672. Nacht). Using examples of the analyzed characters, the article attempts to define the features that are typical of the artist and the dilettante, explains the concepts of "pre-existence" and "existence" and gives an account of their importance in Hofmannsthal's work. The author characterizes the artistically perceptive characters on the basis of these concepts.
The friendly relationship between the renowned Munich doctor Wilhelm Schenk von Stauffenberg and the Austrian author Hugo von Hofmannsthal can be viewed in terms of the writer's life and work. This study traces the contacts between the two men, describes their shared interests and shows how Hofmannsthal planned to depict Stauffenberg in his works. These issues are viewed against the background of Stauffenberg's and Hofmannsthal's friendship with Countess Mechtilde Lichnowsky, who introduced the two men in 1909; the paper traces the mutual contacts until Stauffenberg's death in 1918.
Dějiny šlechtického rodu Lichnowských otevírají vhled do evropského kulturního panoramatu od poslední čtvrtiny 18. století až do konce první poloviny 20. století. Členové této knížecí rodiny se proslavili nejen svou vlastní literární a hudební tvorbou, ale také kulturními kontakty se soudobými umělci. Taktéž biografie kněžny Mechtildy Lichnowské (1879–1958) je protkána přátelstvími s německy a anglicky píšícími autory, hudebními skladateli a v neposlední řadě soudobými malíři. Předložená studie navazuje na dlouhodobý výzkum zabývající se fenomenální kulturní kontinuitou šlechtického rodu Lichnowských a přibližuje kontakty kněžny Mechtildy Lichnowské a Hugo von Hofmannsthala. Přátelství obou autorů bylo formováno jejich literárními a hudebními zájmy, jež ovlivňovaly vzájemnou, umělecky podnětnou výměnu názoru. Reflexe dramatické tvorby Hugo von Hofmannsthala a obraz jejich několika setkání, zachycený ve vzájemné korespondenci, doplňují mozaiku informací o literární tvorbě, kontaktech, názorech a uměleckém vývoji obou spisovatelů.
Este artigo tem por objetivo investigar a correlação de pensamento entre três importantes nomes da segunda metade do século XIX – Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud e Hugo von Hofmannsthal – que se debruçaram sobre as crises da identidade masculina frente ao retorno do matriarcado. Tendo a Viena fin-de-siècle como cenário, o feminino é apresentado aqui por intermédio de Electra, que no texto homônimo de Hofmannsthal representa não só o fortalecimento como a própria destruição da mulher.
Ursula Renner rezensiert Waltraud Wiethölters Tübinger Habilitationsschrift "Hofmannsthal oder Die Geometrie des Subjekts", in der ein Zugang zu Hofmannsthals Erzählprosa erprobt wird, der über die Grenzen der abgeschlossenen Texte hinausgreift und sie als ein chronologisch sich entwickelndes Textkontinuum versteht. Neben den Erzählungen werden die essayistische Prosa und die Notizen aus dem Nachlaß einbezogen, welche in ihrem Umfang - und auch ihrer Bedeutung - erst nach und nach durch die Bände der kritischen Ausgabe ans Licht kommen. Die Verfasserin macht einen Zusammenhang sichtbar, der von dem frühen autobiographischen Fragment "Age of Innocence" und dem "Märchen der 672. Nacht" und den vieldiskutierten "Brief" des Lord Chandos, das Kunstmärchen "Frau ohne Schatten" bis hin zum "Andreas"-Fragment reicht, an dem Hofmannsthal seit 1907 bis zu seinen letzten Lebensjahren "laborierte". Die Anlayse dieses Romanentwurfs beansprucht den größten Raum - mehr als 100 Seiten - in Wiethölters Untersuchung.
Biographisch gehört Hofmannsthal zu jenen Autoren [...] der Jahrhundertwende, für die bildende Kunst selbstverständlicher Teil ihrer Umwelt und Erziehung war. [...] Hofmannsthal sucht, könnte man verallgemeinernd sagen, ästhetische Erfahrung nicht an die Wissensdiskurse seiner Zeit anzuschließen, sondern sie für eine Kommunikation über sinnliches Erleben fruchtbar zu machen. Es geht ihm nicht um eine Opsis, die neue Dinge sehen will, wie in den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, sondern um ein Schauen, das Dinge neu sieht. Die bildende Kunst ist für Hofmannsthal das Medium, in dem er, mehr noch als im eigenen der Literatur, Bedingungen der Kreativität, der kulturellen Transformation mentaler Bilder und der Semiose bedenkt. Sie ist ein Lebensthema Hofmannsthals, das Freundschaften und Beziehungen, etwa zu dem Maler und späteren Schwager Hans Schlesinger, zu Richard Beer-Hofmann und Hermann Bahr, später zu Sammlern wie Harry Graf Kessler, Eberhard von Bodenhausen, Alfred Walter Heymel, Julius Meier-Graefe oder eben zu Ludwig von Hofmann, prägt.
Für die Literatur der Jahrhundertwende werden Werke der bildenden Kunst auf eine Weise bedeutsam, die sich wesentlich von der Kunstrezeption früherer Epochen unterscheidet: Im Zusammenhang mit den literarischen Neigungen zur Symbolisierung kommt dem Bild bzw. der BiIdhaftigkeit des Ausdrucks eine zentrale Rolle zu. Bildende Kunst als Medium visueller Vergegenwärtigung erhält einen neuen Stellenwert innerhalb des literarischen Produktionsprozesses. Am Beispiel Hofmannsthals läßt sich dies besonders gut verdeutlichen, da er sich zeitlebens intensiv mit der Kunsttradition auseinandersetzte und Bild"vorgaben" in hohem Maße in sein Werk einbezog. Diese "produktive Rezeption" (G. Grimm) der bildenden Kunst bei Hofmannsthal läßt sich durch sein gesamtes literarisches Schaffen verfolgen. Sie ist nicht nur konkret faßbar in den lyrischen Dramen und den Kunstaufsätzen. Sie ist auch erkennbar in elementaren Erfahrungen (wie dem Van-Gogh-Erlebnis in den Briefen des "Zurückgekehrten" und dem Anblick der archaischen Koren im dritten Teil der "Augenblicke in Griechenland") und schlägt sich nieder in grundsätzlichen philosophischen und kunstästhetischen Fragestellungen.
Hofmannsthals Aufsatzentwurf "Die neuen Dichtungen Gabriele d’Annunzio’s" aus dem Jahre 1898, der hier zum ersten Male abgedruckt ist, belegt anhaltendes Interesse und eine um die Jahrhundertwende noch einmal aufllammende Sympathie, die erst 1912 in offene Ablehnung umschlagen wird. Gegenstand des ersten Teiles "Zwei Verherrlichungen der Stadt Venedig", welcher als beinahe abgeschlossen gelten kann, ist ein Bändchen von D’Annunzio mit dem Titel "L’Alllegoria dell’ autunno" (1895). Hofmannsthal kaufte es auf seiner Italienreise 1898. Über welche Dichtungen er darüber hinaus noch schreiben wollte, ist nicht bekannt. Einer genaueren Rekonstruktion der Beziehung zwischen D’Annunzio und Hofmannsthal bis zu diesem Zeitpunkt gelten die folgenden Hinweise.
"Vor einem Bild", so Arthur Schopenhauer, "hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einem Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen." Es ist, als hätte Günter Eich eben diese Aufforderung ernst genommen und in ein subversives Sprachspiel verwandelt. Sein Gedicht "Munch, Konsul Sandberg" aus dem Jahre 1963 erweist sich dabei als ebenso bemerkenswerter wie eigenwilliger Beitrag zum Thema "Text und Bild". [...]Wenn Günter Eichs Gedicht aus dem Band "Zu den Akten" von 1964 etwas aus dem Bild übemimmt, was gleichsam ins Auge springt, so ist es jene genannte Ambiguität zwischen Präsenz und Entzug, zwischen Flächigkeit und Plastizität der Gestalt, die der Text nun seinerseits, in einer Art "overkill" gleichsam, radikalisiert. Eich besingt nicht das Bild, er kokettiert nicht mit der Tradition des Bildgedichtes, er treibt und hintertreibt vielmehr die Erwartung des Lesers durch die Konstruktion eines provozierenden Sprechers. Einer solchen Konstruktion scheinen Fragen vorausgegangen zu sein, wie: Kann ein Text etwas von der Spannung und Energie, die das Gemälde ausstrahlt, "übersetzen"? Läßt sich etwas von der (Nach-)Wirkung dieses Bildes fassen, ohne in gängige Register zu verfallen, mit denen Bilder in der Regel kommuniziert werden? Kann, mit anderen Worten, das Verhältnis von Text und Bild anders artikuliert werden als im Modus der Beschreibung, eines Narrativs oder einer hermeneutischen Belehrung - Modi allesamt der Bemächtigung, der Rivalität oder der Unterwerfung?
Hugo von Hofmannsthal lernte die Fürstin und spätere erfolgreiche Schriftstellerin Mechtilde Lichnowsky Anfang 1909 in Berlin kennen. [...] Wahrscheinlich wurden schon bald Briefe mit Verabredungen ausgetauscht. Die ersten gesichert datierten Briefe der hier veröffentlichten Korrespondenz stammen aus dem Frühjahr 1910. [...] Auch wenn die vorliegende Korrespondenz Lücken aufweist und vermutlich über das letzte hier dargebotene Briefzeugnis hinaus, die Trauerbekundung um den Tod von Wilhelm Freiherr Schenk von Stauffenberg, andauerte, vermag sie doch einen Eindruck von dieser vielschichtigen Beziehung zu geben. [...] Unter den Themen, die der Briefwechsel anschlägt dominiert das Gespräch über Hofmannsthals Werke, Projekte und Theateraufführungen. Besonders Anteil nimmt Mechtilde Lichnowsky an Max Reinhardts Berliner Inszenierung des "König Ödipus". [...] Sämtliche Texte der Korrespondenz werden aus den Handschriften geboten; lediglich Hofmannsthals Briefe an seinen Vater und an seine Frau Gerty, die im Deutschen Literaturarchiv Marbach a.N. aufbewahrt werden, sowie die Auszüge aus seinen Tagebüchern, werden nach den Kopien im Freien Deutschen Hochstift, Frankfurt a.M., zitiert.
"Das schöne Gedicht auf den Vogel ..." : Anmerkungen zu Hofmannsthals Rezeption Walt Whitmans
(1986)
Die Bedeutung des amerikanischen Dichters Walt Whitman (1819-1892) für Hugo von Hofmannsthal im einzelnen ausmachen zu wollen, ist nicht einfach und kann auch nicht Ziel dieser Ausführungen sein. Vielmehr soll es darum gehen, Spuren zu verfolgen, die einer solchen Untersuchung dienlich sein können. Dem kurzen Überblick über die Rezeption Whitmans im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert folgen eine genauere Untersuchung des Briefwechsels zwischen Hofmannsthal und Ottonie von Degenfeld, welcher gegenüber Hofmannsthal Whitmans Gedicht "Out of the Cradle Endlessly Rocking" wohl als das "schöne Gedicht auf den Vogel, der um seine Frau klagt" erwähnte, sowie der vollständige Abdruck des Gedichtes und dessen deutsche Übersetzung von Johannes Schlaf.
Hugo von Hofmannsthal ist eigenen Aussagen zufolge kein Schriftsteller, der seine Inspiration aus der Musik schöpft, wie die Autoren der Romantik oder des französisch-sprachigen Symbolismus: „Ich bin ein Dichter, weil ich bildlich erlebe“, lautet der demonstrativ-lakonische Ausspruch des jungen Literaten von 1894. Trotz seines selbst diagnostizierten Musik-Defizits avanciert Hofmannsthal in der langen Zusammenarbeit mit Richard Strauss zum bedeutendsten Librettisten seiner Zeit, dessen Texten der Komponist eine fundamentale Musikalität attestiert. Neben der visuellen Grundorientierung existieren latente, aber markante Züge einer musikalischen Poetologie. Diese ist, wie anhand der ersten drei lyrischen Dramen Hofmannsthals gezeigt werden soll, eng mit dem Begriff der „Stimmung“ liiert, dessen Ursprung in den musikalischen Kosmogonien des Pythagoreismus und Platonismus mit der Idee einer verborgen tönenden, Mensch und Natur beeinflussenden Harmonie der Sphären liegt. Spätestens seit 1800 wird das klangmetaphysische Konzept der Sphären- und Weltharmonie, das am nachhaltigsten der deutsche Stimmungsbegriff transponiert, massiv von anthropomorphen Fortschreibungen überlagert, die den kosmogonischen Kern zur Metapher oder Konnotation depotenzieren und in disparate einzelwissenschaftliche Definitionen auflösen. Daher können sich um 1900 in einem umgangssprachlich gewordenen Stimmungs-begriff musikalische, literarische, philosophische und psychophysische Diskurse kreuzen, deren Vernetzungen seinen proteischen und synästhetischen Charakter betonen. Zugleich entstehen disziplinenspezifische Prototheorien, die großteils nicht mehr ineinander übersetzbar sind.