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'Arbeit und Müßiggang' in der Literatur? Die Berechtigung der Themenstellung scheint evident, denn schon ein flüchtiger Blick in die Initialtexte der abendländischen Tradition erweist, wie sehr das westliche Denken von seinen Anfängen her über den Binarismus von Arbeit und Müßiggang gesteuert worden ist. Dies gilt zunächst für die jüdisch-christliche Schöpfungsmythe, welche den nachparadiesischen Menschen nicht nur zur Arbeit verdammt ("Verflucht sey der Acker vmb · deinen willen/ mit kummer soltu dich drauff neeren dein Leben lang / Dorn vnd Disteln sol er dir tragen / vnd solt das Kraut auff dem felde essen. Jm schweis deines Angesichts solm dein Brot essen" [Gen 3,17-19]), sondern ihm zudem abverlangt, die Mühsal des Broterwerbs in dem Bewusstsein zu verrichten, dass sie eine Strafe für die Übertretung der göttlichen Ordnung darstellt. Denn das Vermögen zur Unterscheidung von 'Gut und Böse' ist es ja, das der Mensch durch die Übertretung des göttlichen Gebotes erwirbt ("Da sprach die Schlang zum Weibe / Jr werdet mit nicht des tods sterben / Sondern Gott weis / das / welchs tags jr da von esset / so werden ewre augen auff gethan / vnd werdet sein wie Gott / vnd wissen was gut vnd böse ist" [Gen 3,4f.]). Wer nachparadiesisch müßig geht, wird nicht nur darben, sondern verstößt gegen das über den Menschen verhängte Arbeitsgebot und missachtet damit, zum zweiten Mal, die Autorität des die Ordnung der Welt setzenden Schöpfergottes. Wer hingegen arbeitet, der akzeptiert die über das Menschengeschlecht verhängte Strafe und bejaht, den ursprünglichen Verstoß bereuend, die Schöpfungsordnung. So ist mit der Vetreibung des Menschen aus dem Paradies nicht nur die Mühsal der Arbeit gesetzt, sondern ebenso der Binarismus von Arbeit und Müßiggang als ein den abendländischen Diskurs prägendes Unterscheidungswissen von einem gottgefälligen und einem gotteslästerlichen Leben.
In post-Kantian idealist aesthetics, at the very latest, literature and philosophy come to rival each other as producers of "history" At this point, philosophy takes it upon itself to "adopt" art and literature, treating the image as an object upon which to lavish the philosophical "labor of the concept" and explicitly asserting the primacy of concept over image. This objectivation of the image by the concept, however, goes hand in hand with the attempt to cover up and efface the poetic act that underlies the paradigm of "history," an act that had still informed the older, premodern meaning of the concept and had been conspicuously retained and reflected in the modern literary genre of historical drama. I therefore wish to propose that the origin of the logocentric discourse of history is to be found in Hegel's philosophy of art. In the first part of my essay, I will accordingly set out to reconstruct Hegel's effacement of the poetic origin of "history" by jointly examining his aesthetics and his philosophy of history. In the second part, I will confront Hegel's logocentric approach with a reading of Goethe's historical drama Egmont that exposes the poetic origin of "history" and thereby offers an alternative to Hegel's logocentrism.
Die Bühne der klassischen Episteme ist [...] in ihrem entweltlichten Status einem gerahmten Gemälde oder der Seite eines Buches näher als dem Zuschauerraum, von dem sie abgegrenzt wird: Die die Kulisse bildenden Objekte invertieren zu Zeichen, welche das Kontinuum des simulierten Ortes bedeuten. Das Licht, das die Bühne beleuchtet, bedeutet das Tageslicht, das das Gemach der Maria Stuart erhellt, die in Schillers Tragödie auf ihre Hinrichtung wartet.
Seit den Debatten um ein "postdramatisches Theater" (Lehmann, 1999; vgl. Poschmann, 1997) wird dem "dramatischen", oder besser gesagt, dem literarischen Theater seitens der Theaterwissenschaft nur mehr wenig Beachtung geschenkt. Zu dominant ist die Stellung des performative turn im aktuellen kulturwissenschaftlichen Diskurs, zu vielfältig sind die Ansatzpunkte, um der "Theatralität" der verschiedenen gesellschaftlichen Sphären nachzuspüren (vgl. Fischer-Lichte, 2001), und zu eindeutig ist das Theater selbst auf ein unendliches Experimentieren mit nicht-literarischen Formen ausgerichtet. Vom 'konventionellen' literarischen Theater wendet man sich ab, da eine Beschäftigung mit ihm wenig mehr als eine Wiederholung des bereits Bekannten zu versprechen scheint. So produktiv und unhintergehbar der Paradigmenwechsel in den letzten beiden Dezennien zweifellos auch ist, so bleibt gegen die versiegende Aufmerksamkeit gegenüber dem literarischen oder dramatischen Theater indes einzuwenden, dass Gegenstände an sich nicht veralten. Vielmehr rekonstituieren sie sich im Rahmen der sich vollziehenden Diskursverschiebungen. Lohnend scheint es mir daher zu sein, das literarische Theater im Horizont neuerer mediologischer Debatten zu perspektivieren. Wenn etwa der Soziologe Dirk Baecker in einem "Medientheater" überschriebenen Essay aus seinen Studien zur nächsten Gesellschaft auf das Theater im Umbruch von der modernen buchgestützten zur "nächsten" computergestützten Gesellschaft zu sprechen kommt (vgl. Baecker, 2007), so wird mit dem Stichwort des "Medientheaters", das Baecker als ein Theater versteht, in dem "die Medien mit zur Aufführung kommen" (Baecker, 2007: 83-84), ein Rahmen gesetzt, der auch für eine Neuperspektivierung des Theaters jener nach Baecker im Absterben begriffenen Gesellschaft der "Gutenberg-Galaxis" (vgl. McLuhan, 1968) produktiv ist. Ich werde daher im Folgenden versuchen, den Umstrukturierungsprozess, den das Theater im Umbruch von der vormodernen zur modernen Gesellschaft durchlaufen hat, in mediologischer Perspektive zu rekonstruieren.
Im Folgenden werde ich [...] das moderne Theater aus mediologischer Warte perspektivieren, wobei ich in drei Schritten vorgehe. Zunächst wird es mir darum gehen, Johann Christoph Gottscheds Reform des Theaters als Zurichtung dieser Kunstform für das Gutenberg-Zeitalter zu skizzieren. Wenigstens hindeuten möchte ich sodann auf Lessings, Goethes und Schillers Ansätze zu einer Reflexion der medialen 'Verfasstheit des Theaters, um schließlich die volle Ausbildung eines modernen Medientheaters in Ludwig Tiecks Märchenkomödie "Der gestiefelte Kater" aufzuzeigen.
Theatre constitutes a form of collective creativity. This idea is not as self-evident as one might expect. To some extent the collective Character of this art form had to be rediscovered over the course of the twentieth century, as theatre emancipated itself from the primacy of the literary text and thus from the primacy of the author. In fact, the collective character of this art form was fully brought into view again only with the debates about a post-dramatic theatre of the last few decades. In this essay I will tum back to the point in cultural history when literature started to dominate theatre and when the supremacy accorded the author began to annul theatre's collective character. This paradigmatic shift in the evolution of theatre occurred during the eighteenth century, and it is represented primarily by Johann Christoph Gottsched. In the following I will investigate Gottsched's efforts to reform the theatre of his age from a mediological point of view.
Herder's concept of a national literature [...] serves as a differential category formulated in opposition to the concepts generated by universalistic rationalism and the Classicist aesthetics which is based on it, this being an aesthetics which is incapable of accommodating cultural difference. Thus Herder's concept is to be read – primarily as one looking for ways of conceiving cultural difference syncronically as well as diachronically.
This essay is concerned with the state of the concept of »work« in the realm. of literature. Around 1800, "work" becomes a central reflective category in the field of literature, as well as in philosophical and literary aesthetics. In the last two decades of the 18th century, especially within Goethe's and Schiller's classicist concepts of literature, "work" and "art"/"poetry" are generally considered unconnected, as is an economic and aesthetic attitude towards nature. Where the spheres of "art"/"poetry" and "work" are linked to each other this relationship is defined as one of opposition, as can be seen especially in Goethe's novel Wilhelm Meisters Lehrjahre and in Schiller's essay Über die ästhetische Erziehung des Menschen. This changes significantly with the re-conceptualization of literature by the German Early Romantics. Not only does the sphere of "work" - now regarded as something meaningful - become at this moment in the course of the· evolution of the literary system an eminent topic within literature and literary aesthetics, the poetic activity itself becomes - suddenly - conceptualized as "work" and the writer thought of as a "worker". This essay first raises the question of what cultural changes might follow the approaching end of the "working society" in Western societies before proceeding to this important turning point in the self-conceptualization of the literary system in relation to the modem concept of "work".
Modern memory theories conceptualize literature as a medium of cultural memory. Yet, the following article challenges this conceptualization, arguing that ascribing a memory function to literature undermines the de-pragmatization of literature in modernity. Through a poetological reading of Ralf Rothmann's novel "Milch und Kohle" (2000) the article then investigates in which way a memory function could be ascribed to modern literature without undermining the latter's status as a de-pragmatized system.
Zählen seit dem neunzehnten Jahrhundert angesichts einer sich beschleunigt industrialisierenden Gesellschaft die Sphäre der Industriearbeit und die Persona des Proletariats zu den festen Themenbeständen der Literatur, so wird diese Konstitution eines literarischen Diskurses "Arbeitswelt" in der Regel als Teil einer sich etablierenden Arbeiterkultur perspektiviert. [...] Um diesen Fragenkomplex zu erörtern, werde ich zunächst den Status zu klären versuchen, den Brecht der Sphäre der Arbeit und der sozialen Klasse des Proletariats für den gesellschaftlichen Prozess zuschreibt. In einem zweiten Schritt wird es mir darum gehen, die Funktion des Intellektuellen für das Proletariat zu skizzieren, wie Brecht sie in seiner Theaterästhetik programmatisch bestimmt; bevor ich schließlich eine Antwort auf die Frage zu geben versuche, welche Funktion dem Proletariat für die Identitätsbildung des Intellektuellen zukommt – oder besser gesagt: welche Funktion ihm zukam; denn aktuell scheinen die Intellektuellen ihr Interesse an der Arbeitswelt weitgehend eingebüßt zu haben.
In der Einleitung eines von ihnen herausgegebenen Sammelbandes schlagen Jürgen Fohrmann und Helmut J. Schneider vor, die Geschichte der 1830er und 1840er Jahre als "die Geschichte von 'Bewegung'" zu erzählen. Sie sehen diese beiden Dezennien durch einen Diskurswechsel bestimmt, "der mit den politischen Schlagworten 'Leben', 'Jugend', 'Gegenwart', 'Emanzipation' usw. eine strukturelle Umpolung unserer Semantik auf 'Bewegung' hin versucht". Dieser Vorschlag leuchtet unmittelbar ein; doch ist von dem Diskurswechsel nicht nur die Semantik, sondern auch die Pragmatik der Literatur und damit die Konzeptualisierung der Autorposition betroffen. Lässt sich in diesem Sinne eine ganze Reihe von Schriftstellern nennen, die sich in den genannten Jahrzehnten einem neuen, im Zeichen der politischen Emanzipation stehenden Konzept der Autorschaft verschreiben, so kennzeichnet es die Schriften Heinrich Heines, dass sie an diesem Konzeptwechsel nicht lediglich teilhaben, sondern ihn thematisieren und inszenieren. Ja, man kann sagen, dass die Inszenierung der eigenen Autorschaft einen Grundzug des Heineschen Werkes darstellt.
Das Medium, um das es in meinem Beitrag gehen soll, das Plakat, unterscheidet sich von jenen Medien, die in den anderen Beitragen dieses Bandes verhandelt werden, in einem. wesentlichen Punkt. Ob es sich nämlich um das Buch, die Zeitung, das Internet, die Oper, den Film, das Fernsehen oder das Radio handelt, so betreten wir die Raume, in denen diese Medien wie Rhetorik entfalten, mehr oder weniger willentlich. Das Buch haben wir in der Buchhandlung erstanden oder einer Bibliothek entliehen;' die Zeitung haben wir abonniert; die Fernsehbilder beginnen erst zu rauschen, nachdem wir das Gerät per Fernbedienung eingeschaltet haben; ins Kino oder ins Theater begeben wir uns nach Durchsicht des Spielplans. Ins Internet müssen wir uns einloggen und um Karten für die letzte Ausstellung in der Tübinger Kunsthalle haben wir unter Umstanden lange angestanden – Den Raum jedoch, in dem das Plakat seine rhetorische Wirkung entfaltet, betreten wir in der Regel auf sehr viel unvermitteltere Art und Weise, jedes Mal nämlich, wenn wir auf die Straße hinaustreten. Denn Plakate gehören mit einer solchen Selbstverständlichkeit zum urbanen Lebensraum der Moderne, dass uns für bloßes Vorkommen in einem gewissen Sinne kaum mehr auffällt. Um den Wahrheitswert dieser Aussage zu prüfen, genügt es schon, sich nur einmal zu vergegenwärtigen, an wie vielen Exemplaren dieser Gattung man allein im Verlauf eines einzigen Tages vorbeikommt. Mit ziemlicher Sicherheit werden wir bereits Schwierigkeiten haben, allein die Artzahl zu bestimmen, geschweige denn zu sagen, welchen Gegenständen sie gegolten haben. Aber das heißt keineswegs, dass diese Begegnungen spur- und wirkungslos an uns vorübergegangen waren. Denn auf eben diese Situation, auf den Umstand nämlich, dass ihm oft nur Sekunden bleiben, um seine rhetorische Macht zu entfalten, ist das Plakat sehr gut abgestellt. Fast ist man versucht, in Analogie zur Darwinschen Evolutionstheorie der biologischen Arten von einer optimalen Anpassung dieser Gattung an ihre Umwelt zu sprechen. Ja, diese Anpassung ist so hervorragend, dass von einem Veralten des Plakats selbst im Zeitalter der digitalen Medien nicht die Rede sein kann. 1m Gegenteil verzeichnet die Plakatbranche für die gerade zu Ende gegangenen neunziger Jahre enorme Wachstumsraten. Eine Erfolgsgeschichte also durchaus.
Wenn Søren Kierkegaard in den "Schriften über sich selbst" die eigene Gegenwart als "eine Zeit der Auflösung"l bezeichnet, die eine "Radikalkur" bedürfe, so markiert er damit zugleich seinen eigenen philosophischen Entwurf existenz-dialektischen Denkens. als ein Konzept, das im Horizont jener gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse zu verorten ist, die im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts eine Neukonzeptualisierung des Denkens von Mensch und Welt unabweisbar fordern. Topisch geworden in diesem Sinne ist Karl Löwiths Rede vom "revolutionären Bruch im Denken des neunzehnten Jahrhunderts". Wie für viele seiner Zeitgenossen bildet dabei für Kierkegaard die Identitätsphilosophie Hegels den negativen Bezugspunkt. Während jedoch Theoretiker wie Marx in dem Sinne der Hegelschen Spur folgen, daß sie den Systemcharakter dieser ersten Theorie der Moderne beerben, ist es im Falle Kierkegaards gerade Hegels Verwissenschaftlichung der Philosophie, die zum Widerspruch herausfordert. Der Begriff der Verwissenschaftlichung bezeichnet dabei den Sachverhalt, daß die Philosophie in Gestalt einer objektivierenden Ontologie der Gegenwart dem Individuum keinerlei Handlungsorientierung mehr zu geben vermag. Kierkegaard problematisiert mit seiner HegelKritik also jene Grundtendenz der modernen Kultur, welche Max Weber als einen Prozeß der Ausdifferenzierung in füreinander gleichgültige Wertsphären und mithin als einen Vorgang der Dezentrierung der symbolischen Ordnung beschrieben hat.
Bis weit ins achtzehnte Jahrhundert hinein schöpft der Dichter seine Identität und Autorität aus einer Tradition, die im wesentlichen als diachrone "textual community" auftritt. Die Schrift ist das Medium, das die Kontinuität der Tradition sichert. [...] Wer außerhalb dieses Universums steht, wer zum Archiv der Schrift keinen Zugang hat, ist gedächtnislos, kann seine Individualität, kann seine Subjektivität nicht realisieren, ist allenfalls Objekt der Belehrung. Noch die aufklärerischen Konzepte der Volkserziehung – etwa bei Gottsched – speisen sich aus dieser Auffassung und beruhen auf dem Prinzip der In- bzw. Exklusion durch Teilhabe an der Schriftkultur.
Dies scheint sich (in Deutschland) seit den sechziger und siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts grundlegend zu andern. [...] Als Phönix aus der Asche des poeta doctus steigt nun aber nicht nur das Originalgenie empor; zum Genialitätsparadigma gehört als komplementärer Pol wesentlich die Orientierung auf eine Sphäre, die im Horizont des Gelehrsamkeitsparadigmas außerhalb des Blickfelds geblieben war: jene des aliteralen Volks und der mündlichen Überlieferung. Das Volk gilt nicht mehr nur als Objekt der Erziehung, der Dichter nicht mehr einfach als sein Erzieher. Das Volk wird im Gegenteil zum Ursprungsort der Dichtung und damit das Mündliche zum Ursprungsort des Schriftlichen erhoben. Die Schriftkultur legitimiert sich fortan gar durch Bezug auf ein ihr gegenüber grundsätzlich anders strukturiertes semiotisches System. Diese Komplementarität berührt aber die Frage nach der Autorschaft bereits am kulturgeschichtlichen Ursprungsort ihres emphatischen Begriffes essentiell. Wer ist der Autor – das literale Originalgenie oder das aliterale Volk?
Das Konzept "Engagierte Literatur" verhalt sich dem Se1bstverstandnis seiner Vertreter zufolge zu jenem des ästhetizistischen "l'art pour l'art" gegenläufig. Verliert sich der "Ästhetizismus", so das kritische Urteil seiner Gegner, in weltloser Selbstbezüglichkeit, so begehren die Vertreter der "Engagierten Literatur" gegen die von Max Weber zum Epochenschicksal erklärte Ausdifferenzierung der Kultur in füreinander gleichgültige Wertsphären auf und versuchen, in geradezu prometheischem Gestus ein literarisches Konzept aufzurichten, das die Grenze des Subsystems Literatur für die außerästhetischen Parameter des Ethischen und des Politischen offen hält . "[D]ie Kunst", urtei1t Bertolt Brecht in seinem Arbeitsjournal, "ist ein autonomer bezirk, wenn auch unter keinen umständen ein autarker". ",[D]as dichten muß als menschliche tätigkeit angesehen werden, als gesellschaftliche praxis mit aller widersprüchlichkeit, veränderlichkeit, als geschichtsbedingt und geschichtsmachend". Erkennt der Dialektiker Brecht die Autonomisierung der Kunst und Literatur in der Moderne einerseits an, so bezieht – und verpflichtet – er sie zugleich auf das gesellschaftliche Ganze, dessen Teil sie sei. Damit stehe Brecht in der Tradition der Konzepte ästhetischer Erziehung seit der Aufklärung; und der wohl prominenteste Ort dieser Erziehung ist seit dem achtzehnten Jahrhundert das von Gottsched und seinen Nachfolgern konsequent literarisierte Theater.
Wo der Name Johann Gottfried Herders im philosophischen Diskurs des gerade vergangenen Jahrhunderts überhaupt eine Rolle spielt, da figuriert er zumeist in der Rolle des großen, wenngleich unsystematischen Anregers bedeutender Diskurse der modernen Philosophie: der Geschichts- und der Sprachphilosophie ebenso wie der Philosophischen Anthropologie. Als dem "Bahnbrecher des Historismus" (Friedrich Meinecke) scheint ihm der Zutritt zu einem anderen Diskurs indes prinzipiell verwehrt: zu jenem der Utopie. Sogar Ernst Bloch, der seinen eigenen Entwurf im Horizont einer Geschichte des utopischen Denkens entfaltet, behandelt ihn lediglich am Rande; immerhin wird die Ode "Genius der Zukunft" anzitiert. Einer der wichtigsten Beiträge der neueren Forschung, Ralf Simons herausragende Studie zum Gedächtnisbegriff Herders, weist diesem sogar die Position eines Posthistoristen zu. [...]
Ich will hier nun nicht in eine systematische Auseinandersetzung mit Simons verkürzender Argumentation eintreten; vielmehr soll mir diese erst jüngst geäußerte These zum Anlaß und Ausgangspunkt meines eigenen Versuches dienen, den Namen Herders in den Utopie-Diskurs einzuschreiben und aufzuzeigen, daß im Grunde sämtliche Bereiche seines Denkens, die Geschichts- und Sprachphilosophie wie auch die Studien zur Ästhetik und schließlich seine Tätigkeit als Anthologe, allesamt Aspekte eines prinzipiell zukunftsgerichteten Denkens darstellen. Das Motiv für diesen Versuch ist zunächst dasjenige, historische Gerechtigkeit zu üben; die Frage, ob und inwieweit Herders Denken heute Anknüpfungspunkte bietet, um über das Thema Utopie neu nachzudenken und dem allgemeinen Konjunkturverlust dieses Diskurses entgegenzutreten, muß leider unberührt bleiben, denn schon die Sichtung der utopischen Intention seines Denkens kann hier nur in einem ersten Aufriß geschehen.
Die auf der Ebene des Figurenbewußtseins in der Schlußszene sich reflektierende innere Form des Stücks, die das Dramengeschehen bestimmende Umformung der Titelfigur zur Symbolgestalt, bildet Goethes Antwort auf die den ästhetisch-poetologischen Diskurs seiner Zeit bestimmende Fragestellung nach dem Verhältnis von Kunst und Leben ab, von der aus sich schließlich auch eine Selbstbegründung der Gattung Geschichtsdrama ergibt. Dieser poetologischen Dimension des Egmont, die von der Forschung bislang kaum oder allenfalls nachrangig beachtet worden ist, soll im folgenden nachgegangen werden. Dabei gilt es zunächst, die Umformung der Titelfigur zur Symbolgestalt auf der Handlungsebene in ihrer final gerichteten Logik und Dynamik nachzuvollziehen.