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Am zweiten Wochenende des Oktobers 1913 versammelten sich weit über zweitausend junge Frauen und Männer auf dem Hohen Meißner in Hessen. Eingeladen zu diesem Treffen hatte eine lose Vereinigung von Jugendbünden, die den patriotischen Auswüchsen des Kaiserreichs etwas entgegensetzen wollten. Denn im gleichen Monat fanden die offiziellen Festakte zum hundertjährigen Jubiläum der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig statt, in der die napoleonischen Truppen ihre entscheidende Niederlage erlitten hatten. Anlässlich des Rückblicks auf dieses historische Ereignis sollte ein monumentales Denkmal eingeweiht werden. Zu den jugendlichen Gegnern der Reichspolitik gehörten Gruppierungen der Wandervögel und Lebensreformer, die sich für einen fundamentalen Wandel einsetzten. Ihr politisches Ziel war es, die Geschlossenheit einer Jugendbewegung zu demonstrieren, die nichts mehr mit den alten Feindschaften zu tun hatte. Die Alternativveranstaltung war als ein "Fest der Jugend" gedacht, das die Sehnsucht nach einem anderen Leben zum Ausdruck bringen sollte. Die Bewegung forderte unter anderem ein neues Naturverhältnis, das den Ausgangspunkt einer sozialen und ökologischen Gegenwelt zur modernen Gesellschaft mit ihren zerstörerischen Tendenzen bilden sollte. [...] Im Kontext der zweiten Umweltbewegung, die zeitgleich mit den neuen sozialen Bewegungen der Nachkriegszeit entstand, hat die Biologin Lynn Margulis in ihrem Buch "Symbiotic Planet" (1998) eine Sicht auf die Evolution entfaltet, bei der ebenfalls nicht die Konkurrenz der Lebewesen maßgeblich ist, sondern deren Verbundenheit.
Im ehemaligen Herrenhaus in der Jägerstraße in Ostberlin ging im Mai 1951 eine Denkschrift zu "Struktur und Ziel einer Arbeitsgemeinschaft für naturgemäße Lebensweise des Kulturbundes Plauen" ein. Ihr Verfasser, der Arzt Dr. Herwarth Burger aus der Stadt im Vogtland, hatte sie auf den Kopfbögen seiner Arztpraxis entwickelt, und zwar auf deren Rückseite, was nur heißen konnte, dass er sie nicht mehr brauchte. Papier war knapp, auch Behörden verwendeten Makulatur gewordene Formulare aus der NS-Zeit. In Burgers Fall hieß es aber wohl, dass er seine Praxis hatte aufgeben müssen. Und der Mann scheute sich also auch nicht, sich damit zu erkennen zu geben. Ja, der Adressat, die Zentrale des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, sollte offenbar wissen, dass der Arzt zu denen gehörte, die wegen ihrer NS-Vergangenheit ihre Approbation verloren hatten. Denn Kommunisten und Konservative, bürgerliche Wissenschaftler und Literaten hatten den Bund im Sommer 1945 gemeinsam gegründet, um gerade auch ehemalige Anhänger und Mitläufer der Nazis, eben Leute wie Burger, für den kulturellen Wiederaufbau des kriegszerstörten Landes zu gewinnen. Burger begann seine Denkschrift mit einer Diagnose der Zeit. Ihn besorgte eine "naturwidrig-überkippte Zivilisation", wofür ihm Indiz die Zahl der an Krebs Erkrankten und Gestorbenen war. Er sah "aus der Bahn geworfene Menschen", Opfer "größter Unordnung in allen Lebensabläufen".
Wohnen im eigenen kleinen Haus gilt mit seinen Versprechen von Individualität und Privatheit als Topos der Unabhängigkeit. Dergestalt selbstbezogenes Wohnen erscheint zunächst als unvereinbar mit konnexbewusstem ökologischem Engagement. Gleichwohl sind Bewohner von besonders konzipierten Eigenheimen der Ansicht, sie könnten mit ihren Häusern zur Verbesserung der herrschenden ökologischen Verhältnisse beitragen. Diese Meinung lässt sie von 'Öko-Eigenheime' sprechen. In den letzten Jahren forcierte die Politik deren Errichtung durch finanzielle Anreize. Gleichzeitig polarisieren Öko-Eigenheime durch unterschiedliche funktionale und formale Entwürfe. Zu Beginn meiner Untersuchungen, 2006, war das Feld um Öko-Eigenheime noch besonders 'warm'. Dies zeigte sich unter anderem in der Offenheit gegenüber 'Pionieren', sowohl im 'harten' Segment des stofflichen Gehäuses als auch im 'weichen' Segment der Wohnpraxis. Um den innovativen Gehalt des Umgangs mit diesen spezifischen Eigenheimen auszuloten, fragt die hier vorgestellte Studie im Kern nach den Lebensstilen ihrer Bewohner und ferner nach wesentlichen Feldbedingungen.
Überleben
(2016)
Der Begriff des Überlebens hat im 20. Jahrhundert eine steile Karriere erlebt, die es rechtfertigt, von ihm als einem neuen geschichtlichen Grundbegriff zu sprechen. Eine besondere Auffälligkeit ist dabei die Veränderung des Zeitsinns dieser Kategorie, die nicht mehr nur retrospektiv, sondern zunehmend auch prospektiv in Form der Antizipation drohender Gefahren verwendet wird. Der sachliche Grund für diese semantische Innovation liegt in der – im Zusammenhang mit neuen Formen politischer Herrschaft und technologischer Entwicklungen gemachten – Entdeckung von Neben- und Spätfolgen, die über den Horizont der Gegenwart hinausreichen. Die Futurisierung des Überlebensbegriffs zeigt ebenso wie das neue Schlagwort der 'Überlebensgesellschaft' an, dass am Eingang in die Spätmoderne das Verhältnis von Mensch und Natur, Vergangenheit und Zukunft, gegenwärtigen und kommenden Geschlechtern grundsätzlich prekär geworden ist.