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Nach Charles de Gaulle sind die Zehn Gebote deshalb so knapp und einleuchtend, weil sie ohne Mitwirkung von Juristen zustande kamen. Analoges scheint cum grano salis auch für vorliegenden Tagungsband im Blick auf Kirchengeschichtsschreibung zu gelten: Als einziger Ordinarius dieser Zunft war Thomas K. Kuhn 2015 beim Symposion in Gera vertreten, welches vom Forschungsprojekt "Thüringen im Jahrhundert der Reformation" an der Schiller-Universität Jena in Kooperation mit dem Institut "Deutsche Presseforschung" der Universität Bremen ausgerichtet wurde. Sein Beitrag "Reformierte Aufklärung. Die Reformation bei Georg Joachim Zollikhofer" behandelt den Schweizer Prediger an der Leipziger Hugenottengemeinde. Dieser war nicht an reformatorischer Hagiographie noch an dogmatischer Fixierung reformatorischer Lehrinhalte interessiert, sondern begriff Reformation als emanzipatorischen Initialprozeß. Über Fragen nach Rechtsbindung, Befreiung von kirchlichen und staatlichen Hierarchien und Vernunftgebrauch bei Prüfung von Schrift und Bekenntnis kam es zu Spannungen mit der lutherischen Spätorthodoxie, aber auch zum überkonfessionellen Dialog mit Aufklärern wie Basedow, Campe, Garve, Gedike, Resewitz, Semler, Spalding und Weiße, ja, sogar zum Wunsch und zur Denkbarkeit einer protestantischen Union, wie sie erst nach dem Reformationsjubiläum von 1817 in Preußen realisiert wurde.
"Reformation als Aufklärung" - so eine Kapitelüberschrift Kuhns – war kein reformiertes Spezifikum Zollikhofers, sondern zieht sich als roter Faden durch den Tagungsband.
Friedrich Feuerbach (1806-1880), einer der Brüder des berühmten Philosophen Ludwig Feuerbach, aus dessen Schatten er zeitlebens nie treten konnte, verfasste zwischen 1843 und 1845 eine Schriftenreihe unter dem Titel "Die Religion der Zukunft", die in pädagogischer Absicht ein zentrales Argument Ludwig Feuerbachs wiederaufnimmt, dass die neue Philosophie des Menschen und für den Menschen zur Religion werden müsse. Nicht zufällig paraphrasiert Friedrich Feuerbach mit seiner dreibändigen Schriftenreihe, dessen erster Band im gleichen Jahr erschien wie Ludwig Feuerbachs "Grundsätze der Philosophie der Zukunft", deren Titel. Offensichtlich versteht er seinen Entwurf einer Religion der Zukunft als die konsequente und praktische Fortsetzung der in den "Grundsätzen" geleisteten theoretischen Auflösung der spekulativen Philosophie Hegels, die als "letzte rationelle Stütze der Theologie" galt. Jedenfalls schließt Friedrich Feuerbach sich der Forderung der Grundsätze an, dass die neue Philosophie nicht nur an die Stelle der alten Philosophie treten müsse, welche die ethischen Fragen der Theologie überlassen habe. Vielmehr müsse die neue Philosophie selbst zur Religion werden, also wie die Religion ein ethisches Gerüst stiften, nur eben in Form einer an der realen menschlichen Natur orientierten, säkularen Ethik.
Durch das Intelligenzblatt wurden Angebot und Nachfrage in direkten Kontakt zueinander gebracht: eine einfache, aber geniale Idee. [...] Wurden 1722 noch jährlich 440 Seiten ausgegeben, so waren es ein Jahrhundert später bereits 4.200 Seiten, der zehnfache Umfang also. Schnell fanden sich Nachahmer, mehr als zweihundert Intelligenzblätter zählen wir am Ende des 18. Jahrhunderts. Es bedurfte nur eines kurzen Zeitraumes, daß diese wöchentlich erscheinenden Blätter zu einem festen Bestandteil des Lebens wurden.
Eine Nation ohne "Volk" ist nicht denkbar. Nationale Identität stellt sich nur her, wenn ein entsprechendes Bewußtsein sich über die oberen und gebildeten Stände hinaus auch bei den unteren Bevölkerungsschichten verankert. [...] Die Herausbildung patriotischen Engagements und (in dessen zeitlicher Folge) nationaler Identität vollzieht sich im Deutschland des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Phasen und Formen. Im Folgenden soll zunächst nach der Entstehung des Patriotismus, soweit er für die Volksaufklärung wichtig ist, gefragt und auf seine spezifischen Ausformungen und praktischen Konsequenzen gesehen werden, um sodann einen Blick auf die aus der gemeinnützig-patriotischen Reformbewegung entstehende Volksaufklärung selbst zu werfen. Welche Bedeutung hatte sie für die Vermittlung von Denkweisen und Haltungen, die sich bei deutschen Gebildeten bereits durchgesetzt hatten, welchen Einfluß nahm sie auf die beim „Volk“ verankerten Vorstellungen vom Funktionieren staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen, welche Rolle spielte sie bei der Popularisierung patriotischen Denkens und für die Entstehung einer nationalen Identität? Die eigentliche Bedeutung der Volksaufklärung, dieses vorweg, dürfte darin liegen, daß hier in einem mehr als ein Jahrhundert dauerndem Prozeß die unteren Schichten der Bevölkerung überhaupt erst in die Nation mit einbezogen wurden und auch bei ihnen die Vorstellung von einer modernen Staatsbürgernation Fuß fassen konnte.
Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts setzt [ein Auffassungswandel ein]: Die alltägliche Arbeit der großen Mehrheit der Bevölkerung gerät ins Blickfeld; Fragen der Land- und Hauswirtschaft rücken ins allgemeine Interesse und finden die Aufmerksamkeit der Gelehrten. Die Geringschätzung, mit der vormals die alltäglichen Verrichtungen der Menschen bedacht worden sind, jetzt wird sie beklagt; und schließlich wird die Polemik gegen die Mißachtung der praktischen Dinge des Lebens zum Topos, und das heißt: der Alltag zieht, als ein Hauptthema, in die öffentliche Diskussion ein. Wie sind die Anfänge, was sind die Anstöße und Anlässe, was die Formen und Medien dieses Prozesses, der die Probleme des Alltags und besonders die alltägliche Arbeit der unteren Stände in eine breite Auseinandersetzung zieht, die dann in der 2. Hälfte des aufgeklärten Säkulums im Vordergrund stehen wird? Die Debatte erhält um die Mitte des Jahrhunderts eine neue, vorher nicht gekannte Qualität. Welche Antriebskräfte und Interessen, so meine Frage, tragen zur Entstehung einer öffentlichen Diskussion bei, inder mit Eifer und Engagement Dinge erörtert werden, an denen die Gelehrten und Gebildeten in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts noch kaum Interesse zeigten?
Volksaufklärung im 19. Jahrhundert? Der Autor dieser monumentalen vierbändigen Teilausgabe - die das betreffende "Biobibliographische Handbuch" nunmehr für das 19. Jahrhundert fortschreibt - stellt sich selbst programmatisch diese Frage und verweist auf die Widerstände, die sich ergaben, als an die bisher erbrachten Forschungsleistungen zur Volksaufklärung im 18. Jahrhundert für diesen Zeitraum angeknüpft werden sollte. Aber allen Vorbehalten zum Trotz erwies sich, dass die Volksaufklärung nach den zwei Jahrzehnten ihres Höhepunkts - und zwar 1780-1800 - keinesfalls abbrach. Die anfängliche Befürchtung, "Rückgang, Verfall", gar "ein Dahinsiechen der Aufklärung“ beobachten zu müssen, wich, so der Autor, einer "Riesenüberraschung" (Bd. 3.1, S. XLIII). Am Ende erscheint zumindest anhand der Literatur, die als "Volksaufklärung" klassifiziert werden kann (und in der Einleitung zu den Bänden findet sich nochmals ein präzisierender Eingrenzungs- und Definitionsversuch), die Epochenschwelle 1800 als hinfällig. Denn mit Blick auf diese Textgattung war "Aufklärung" keinesfalls an ein Ende gelangt. Es gab bemerkenswerte Kontinuitäten, aber auch Diskontinuitäten, und teilweise veränderten sich Inhalte und Themen.
Vor allem erfolgte Volksaufklärung nunmehr, so der Autor nicht ohne einen sichtlich kämpferischen Duktus, der angesichts der vorliegenden und eher in eine andere Richtung weisenden Resultate vielleicht als etwas ideologisch eingeübt erscheint, "meist ohne staatliche Unterstützung und oft gegen massive staatliche und ultramontane Repression" (Bd. 3.1, S. LXIX).