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Hans-Georg Soldat berichtet von seiner Zeit als Literaturredakteur beim RIAS: 'Für uns, die wir noch hoffen …' Literatur zwischen West und Ost - Fragmente einer unglaublichen Geschichte. Er umreißt vier Hauptfelder der Literatursendungen des RIAS: Erstens waren sie stellvertretendes Forum für Themen, die in der DDR nicht diskutiert werden konnten; zweitens stand weniger das Reden über Bücher oder Gedichtbände, sondern das Lesen daraus im Vordergrund; drittens wurden zunehmend Bücher von Autoren vorgestellt, die in der DDR lebten, aber dort nicht veröffentlichen durften; viertens ging man auf die aktuellen literatur- und kulturpolitischen Debatten in Ost und West ein. Soldat benennt nicht nur die Überlegungen und Skrupel seinerseits hinsichtlich der möglichen Gefährdung von Autoren, sondern auch die Schwierigkeit, "Balance zu halten zwischen Pflicht zur Information über einen neuen Zensurversuch und der Tatsache, dass der zugrunde liegende Text tatsächlich keine große literarische Bedeutung hatte". Zitiert nach: Gerd Dietrich: Rezension zu: Estermann, Monika; Lersch, Edgar (Hrsg.): Deutsch-deutscher Literaturaustausch in den 70er Jahren. Wiesbaden-Erbenheim 2007, in: H-Soz-u-Kult, 26.01.2009 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-065)
Celan hat sowohl Werke zugeeignet – neben einzelnen Gedichten sind auch zwei seiner Gedichtbände als Akt der symbolischen Schenkung Personen gewidmet – als auch Einzelexemplare mit handschriftlichen Widmungen versehen. Hinzu kommt der Sonderfall der widmungslosen Festschriftzugaben. Über die historisch-kritische Bonner Celan-Ausgabe und den sorgsamen Kommentar in Barbara Wiedemanns Gesamtausgabe der Celan-Gedichte sind die Zueignungen auch in den Fällen zu ermitteln, wo Celan sie für den Erstdruck oder nachfolgende Veröffentlichungen wieder entfernte. Abseits meiner eigenen Beschäftigung mit Celans Widmungslyrik in Vergleich zu Widmungsgedichten Ilse Aichingers existiert bisher keine Forschungsarbeit zu Celans Widmungspraxis. Dabei belegen Briefe, dass Celan selbst beim Vorabdruck einzelner Gedichte auf die vorangestellte Widmung bestand: Die Widmung ist für ihn als
"eigenständige poetologisch-relevante Aussage ernstzunehmen". Einige seiner Dedikationen finden sich nur in der Textgenese und werden wieder getilgt, andere entstehen erst in der Fassung letzter Hand, und manche Widmungsgedichte finden nie in den Druck. Was auf den ersten Blick unübersichtlich und uneinheitlich wirkt, enthüllt bei genauerer Analyse Züge einer ästhetischen Praxis, die grundlegende Maximen in Celans Poetik berührt.
Die Aufspaltung von Nietzsches Werk in ein literarisches Stilphänomen und ein Konglomerat widersprüchlicher Ideen bestimmte die Rezeption schon frühzeitig. Gewiss sprach aus solcher Spaltung ein Wunsch nach Eindeutigkeit, sicherlich auch nach Vereinnahmbarkeit, wovon keine Interpretation ganz frei sein kann. Andererseits schien seit je Nietzsches Werk stärker als andere auf gewisse Konjekturen seiner Entstehung zu verweisen. Von diesen ging ein unabweisbarer Anpassungsdruck aus. Die Nietzscheinterpreten literarischer wie philosophischer Provenienz, jedenfalls die prominentesten, suchten diesem Druck durch bestimmte geistige Attitüden zu entsprechen - durch Imitation oder durch Ideologisierung. Imitieren ließ sich Nietzsche, sofern man ihn primär als Stilisten, sein Schreiben eher nach der Haltung denn dem Gehalt betrachtete; ideologisieren konnte man sein Denken, indem man einigen dort nachweisbaren Versatzstücken aus der philosophischen Tradition den Vorzug vor anderen gab. Der Term 'Nietzscheanismus' stand auf lange Zeit für die Verführung zum Vereinheitlichen oder zumindest Vereinseitigen, die von diesem Werk auf seine Interpreten auszugehen und es schwer zu machen schien, eine autonome Sinnzone von Verfasserintentionen gegen ihre hermeneutische Überwölbung abzugrenzen. Die Ambition, gleichermaßen die Autonomie des Interpreten und die des Werkes zu garantieren, erfuhr einen mächtigen Aufschwung mit den philologisch-kritischen Bemühungen um Nietzsche nach 1945.
Wilhelm Voßkamp (University of Cologne) was visiting professor of German Literature at the University of Säo Paulo during the first semestre of 1997. This interview, given to Willi Bolle (USP), focuses on the following questions: 1. His most important professional and historical experiences; 2. the concept of formation (Bildung); 3. comparison of trends in Philosophy and the Humanities in Germany and France in the last decades; 4. the crisis cf education in the 60s, its causes and attempted solutions; 5. the history and tradition of Literary Studies and the Humanities; 6. modernization and interdisciplinarity; 7. scientific language: English v German; 8. deutsche Germanistik and German Studies; 9. Estudos Germánicos in Brazil; 10. utopia and tradition in Brazil and Germany; 11. institutional utopias; 12. Transformation of the humanities in Germany after unification.
"Übersetzt", "eingeleitet", "herausgegeben von Marie Herzfeld" - so oder ähnlich steht es auf zahlreichen Titelblättern der Jahrhundertwende. Was sich dahinter verbirgt, ist eine kleine Bibliothek literarischer und kulturhistorischer Texte aus verschiedenen Sprachen, welche die Schriftstellerin Marie Herzfeld (1855-1940) einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; vornehmlich skandinavische Literatur und Texte der italienischen Renaissance. Wenn der Name Jacob Burckhardts für eine "große Erzählung" der Renaissance steht, so betreibt Herzfeld mit ihren "Quellentexten zur Geschichte der italienischen Kultur", zwischen 1910 und 1927 im Eugen Diederichs Verlag erschienen, eine Art kleine kulturgeschichtliche Archäologie. Sie präsentiert frühneuzeitliche Originale und bietet den Lesern einen unverstellten Blick auf deren Fremdheit; andererseits gibt sie Verständnishilfen, holt das Vergangene gleichsam zoomartig heran und "verlebendigt" es durch ihren Kommentar. Ihr Focus ist ein kulturwissenschaftlicher - auch im heutigen Sprachgebrauch. Die Spurensicherung dieser Imellektuellen ohne akademische Ausbildung im engeren Sinn und ohne institutionellen Status wirft die Frage auf, wie kulturwissenschaftliche Gegenstände von Positionen der Randständigkeit entstehen können. So gefragt, ist es weder naiv noch vermessen, Marie Herzfeld für die Anfänge der Kulturwissenschaften in den Dienst zu nehmen. Allerdings bleibt das Problem, mit einem Begriff hantieren zu müssen, der nicht nur unscharf ist, sondern auch oder gerade deswegen gegenwärtig beinahe inflationär gebraucht wird – ein Schicksal, das er mit dem der "Cultur" im "fin de siècle" teilt.
Warten auf das Begehrenswerte – der eine bekommt es jeden Sonntag, der andere wartet, bis er alt und faltig ist. Springer veranlasste eine aufwändige Kampagne, um mit "BamS" neben der alltäglichen "Bild" einen zusätzlichen sonntäglichen Lesegenuss zu versprechen – immer unter dem gleichen Motto "Jeder sollte etwas haben, auf das er gerne wartet", aber mit wechselnden Motiven.
Für Aristoteles gleicht das Drama einem 'zóon', einem Lebewesen mit Anfang, Mitte und Ende. Gemeint sind Entstehung, Ausgestaltung und Abschluss der Handlungsstruktur, und zwar als 'psyché', als Seele, des Dramas. Aus einem Blickwinkel, der weniger am 'dráma' und mehr an den körperlichen Dimensionen des Theaters orientiert ist, ließe sich Aristoteles’ Vergleich auch zur Frage nach einer Organologie des Theaters und ihrer politischen und sinnesphysiologischen Implikationen wenden. Darum geht es mir im Folgenden – für ein unterschätztes Organ: für die Füße.
Jeanette Winterson's newest novel "Frankissstein: A Love Story" revolves around technological innovation and its effects on human development. The book's examinations feature trans* character Ry Shelley and transhumanist Victor Stein who interprets Ry's transitioned body as a metaphor for his ideal transhumanist future. This metaphor is based on three main textually conceptualized similarities between trans* identity and transhumanism: a hybridity in Ry's gender identity and embodiment as well as in a transhumanist vision of future human identity, the dissolution of biological determinism and the autonomy to change one's body, associated with recent technological advancement. The novel characterizes this metaphorization process as questionable, positing it with a character who represents not just the Frankenstein archetype but a possibly metaphysical, non-human entity. However, despite this inherent critique of harmful practices of objectification and exploitation of trans* people, "Frankissstein" ultimately reproduces similar practices in other aspects of its trans* representation.
Eines der zentralen Konzepte, auf das sich die Sowjetunion in ihrem Selbstverständnis als neue Zivilisation berief, war das Konzept der "Völkerfreundschaft" (družba narodov). Über den naheliegenden Zusammenhang mit der sowjetischen Nationalitätenpolitik (insbesondere stalinscher Prägung) hinaus verweist es auf die propagierte sowjetische Ethik – die Gleichheit aller Sowjetbürger nach der Abschaffung der Klassengesellschaft. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wird dieses Modell des gemeinschaftlichen Zusammenlebens bezogen auf den Raum der Sowjetkultur vor allem als machtpolitische Strategie bzw. in seiner mythenhaften Dimension betrachtet. Anliegen des Workshops ist es, ausgehend vom sowjetischen Freundschaftsbegriff unterschiedliche Facetten und Implikationen der Freundschaft im interkulturellen Vergleich zu diskutieren. So haben Länder und Regionen im Süden und Osten Europas (wie Georgien) beispielsweise die Gastfreundschaft als kulturelle Praktik zu ihrem "Markenzeichen" erklärt. Die Art und Weise, wie die Gastfreundschaft in Literatur und Kunst verhandelt bzw. repräsentiert wird, ist ein Indiz für die nachhaltige Bedeutung des Paradigmas, das bis in aktuelle Konflikte und juristische Diskurse (wie etwa die Frage nach dem Gastrecht oder das ethnisch begründete Restitutionsgesetz im heutigen Abchasien) hineinreicht. Gefragt wird u.a. nach den politischen Implikationen des Freundschaftsbegriffs, nach der Übertragung des interpersonellen Konzepts Freundschaft auf Völker im (sowjetischen) Konzept der Völkerfreundschaft, nach Politisierungsstrategien, nach unterschiedlichen Praktiken der (Gast-)Freundschaft (u.a. im Kontext der Derridaschen Ethik oder der Positionen von C. Schmitt, P. Klossowski oder M. Mauss) oder etwa nach der Bildung formeller und informeller Netzwerke in unterschiedlichen kulturellen und historischen Kontexten. Schwerpunktmäßig im 20. und 21. Jahrhundert angesiedelt, wird im Rahmen des Workshops auch die Genese der (sowjetischen) Konzepte und Praktiken der Freundschaft aus der Antike bzw. der Vormoderne thematisiert.
Das Thema "Fremde Menschen sprechen mir aus der Seele." ist ein freies Zitat eines Kommentars zur Ballade "Ausser Dir" der Rockgruppe "Wir sind Helden", der auf der Internetplattform YouTube zu finden ist. Die sehr persönliche Äußerung dieses Hörers bezieht sich auf die musikalische Darstellung von Liebe in diesem Stück, mit der er sich wohl emotional sehr stark identifizieren konnte. Dieses Zitat aus dem Internet, ein Beispiel aus einer Fülle ähnlicher dort existierender Äußerungen, zeigt deutlich die Intensität emotionaler Wirkung von Musik und deren zentrale Stellung im Musikerleben von Menschen. Lassen sich diesbezüglich Unterschiede zwischen Laien- und professionellen Musikern feststellen und welche Bedeutung erreicht hierbei das gemeinsame Musikerleben? In diesem Kontext erfolgt die Erhebung neuer Daten mittels stichprobenartiger Befragung der beiden exemplarischen Personenkreise. Die mit dem induktiven Verfahren erzielten Ergebnisse veranschaulichen die Bedeutung emotionalen Erlebens bei beiden Probandengruppen als Stimulus vielfältiger musikalischer Betätigung, bei der das künstlerische Niveau nicht ausschlaggebend ist. Gemeinsames Musizieren stärkt somit Menschen, unabhängig vom künstlerischen Anspruch, und kann damit in allen Altersgruppen essentiell zu positiver Lebensgestaltung beitragen.
Die Forderung nach mehr und besserer Bildung zu stellen, hieß im Neuhumanismus um 1800 bekanntlich, auf eine Veränderung des Verhältnisses zwischen Sinnlichkeit und Vernunft zu drängen. Weniger bekannt ist indessen, mit welchem Nachdruck zur Zeit der Weimarer Klassik Bildungsfragen in Anknüpfung an Schriften Platons als ein im Kern erotisches Problem erörtert wurden. Obgleich meist sorgfältig camoufliert, läßt sich die Thematisierung des Eros als Bildungstrieb von Winckelmanns "Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Wercke" über Arbeiten Wilhelm von Humboldts bis hin zu Goethes "Faust"-Tragödie rekonstruieren. In diesem Zusammenhang erweist sich letztere als eine fundamentale Kritik am „klassischen“ Bildungskonzept: Während von Humboldt im Eros eine schöpferische Urkraft und fortschrittstiftende Dynamik sieht, von der schon die Griechen geahnt hätten, daß sie das Chaos zum Kosmos ordne, präsentiert Goethe den Eros als eine Macht, welche zu vermeintlich Großem drängend ins Chaos zurücktreibt. Ebenso wie das sich bildende Individuum bei von Humboldt streben auch Faust und seine Parallelfiguren eine Ganzheit ihrer individuellen Vermögen an, wobei es auch ihnen im Kern darum geht, sich mit autonomen Geburtsakten den Traum der Unsterblichkeit zu erfüllen. Goethe allerdings deckt mit seinem Trauerspiel die Nachtseite solchen Ganzheitsanspruches auf, indem er zeigt, daß die Aneignung der Lebenserzeugung durch den Mann einhergeht mit einer Verleugnung des Lebenserzeugenden in der Frau sowie einem – in der Moderne zunehmend zerstörungsmächtigen – Menschenhaß überhaupt.
In diesem Beitrag wird der Sprach(en)gebrauch der venezianischen Juden im 16./17. Jhd. untersucht. Dabei geht es um die Sprachen der verschiedenen jüdischen Gruppen, die gemeinsam im neu eingerichteten Ghetto wohnten. Insbesondere wird der Frage nachgegangen, welchen Gebrauch sie von unterschiedlichen Sprachen/Varietäten in unterschiedlichen kommunikativen Situationen und zu unterschiedlichen Zwecken gemacht haben. Dabei traten selbstverständlich auch Sprachmischungen auf, die von unbewussten Interferenzen über Entlehnungen (aus dem Hebräischen/Aramäischen, aber auch aus dem Venezianischen und den anderen von Juden gesprochenen Sprachen), bis hin zu ganz bewusst verwendeter Zwei- und Mehrsprachigkeit in literarischen Texten z. B. mit sprachspielerischer Absicht reichen. Die verschiedenen Textsorten, die hierzu analysiert werden (etwa Texte religiösen Inhalts, Testamente, Grabinschriften und Gedichte), spiegeln auf vielfältige Weise zugleich das Sprach- und Sprachenbewusstsein der venezianischen Juden jener Zeit wider.
Der Beitrag macht Polyglossie als wesentliche Komponente der kunstvoll literarisch gestalteten Redevielfalt deutlich, die allgemein als Kennzeichen von Fontanes Gesellschaftsromanen gilt. Polyglotte Rede umfasst in Fontanes Texten fremdsprachige Elemente, Dialekt und Soziolekt und betont so die soziale Funktion von Sprache. An konkreten Textbeispielen, insbesondere aus den Romanen Irrungen, Wirrungen, Frau Jenny Treibel und Quitt, wird gezeigt, wie variabel Fontane Sprachenvielfalt einsetzt: als Polyphonie der sozialen Stimmen und als Spiegel einer komplexen modernen Realität, die in vielfältige soziale, kulturelle und geographische Teilräume zerfallen ist.
Para Vilém Flusser as imagens técnicas são como "aspiradores de pó" que sugam toda a história: elas aceleram o tempo e transformam o todo em imagens congeladas. Trata-se para ele de uma imagem que contém a realização de uma redenção judaico-cristã. As imagens técnicas permitem a superação do que ele via como a clausura do mundo histórico, marcado pela textolatria. Elas permitem remontar ludicamente o universo a partir de sua decomposição imagética, como se as imagens (constituídas de "calculi", pixels) fossem pedras de lego. O trabalho apresenta essa escatologia mística judaica de Flusser sobre as imagens mágicas redentoras, levando em conta também o seu credo (que ele também considerava judaico), segundo o qual, ao invés de pensarmos na imortalidade das almas deveríamos apostar que "sobreviveremos na memória dos outros". Que memória seria essa e o que significaria sobreviver em um mundo pós-histórico, esvaziado de sua visão temporal, são algumas das questões que o texto desenvolve. Comparando com algumas ideias e conceitos de Walter Benjamin, o texto procura mostrar como Flusser procurou responder à demanda benjaminiana segundo a qual o surgimento de novas técnicas impõe-nos repensar o que a morte e o amor seriam hoje em dia.