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Am Ende einer längeren Studie zu den Filmen David Lynchs habe ich einmal behauptet: Sich einzugestehen, "Lost Highway" nicht zu verstehen ist der erste Schritt zum Verständnis von "Lost Highway". Das klingt paradox, ja, vielleicht sogar ein wenig esoterisch. Gemeint ist damit aber dreierlei. Erstens: Der Film "verbaut" uns den verstehenden Zugang über den Plot, weil er eine Reihe von Unwägbarkeiten und Hindernissen einfügt, die einander widersprechen und jede entstehende Theorie über die Handlungszusammenhänge und Bedeutung desavouieren. Zweitens meine ich, dass diese Hindernisse zu erkennen und sie bewusst "zu umfahren", also einen narrativen Zugang zum Film zu vermeiden, eine mögliche und ganz passable Art den Film zu verstehen sein kann. Und drittens bringt diese Aussage den Zuschauer als aktiven Part der Sinnproduktion ins Spiel – aber weit mehr, als es die Rezeptionstheorie denkt.
Eine unübersehbare Menge neuer Anglizismen findet über Fach- und Gruppensprachen Eingang in die deutsche Alltagssprache, in der ein Teil von ihnen inzwischen seinen festen Platz hat. […] Insbesondere in den Bereichen der Lautung und der Schreibung bleibt bei den neueren Entlehnungen oberflächlich eine große Nähe zu gebersprachlichen Strukturen erhalten. Diese Entwicklung wird von einigen Fachleuten und Politikern […] als Indiz für eine schleichende ‚Kolonialisierung’ der deutschen Sprache durch das Englische herangezogen. [...] Dieser Einschätzung widersprechen zahlreiche Organe […] und Autoren […] ausdrücklich. […] Im Kontext dieser Auseinandersetzung ist die vorliegende Arbeit verortet. Ihr Ziel ist es zu zeigen, daß die Sprecher des Deutschen Anglizismen sehr wohl phonologisch, graphematisch und morphologisch in die deutsche Sprache integrieren. Untersuchungsgegenstand sind mehrgliedrige Verben, die aus dem Englischen entlehnt wurden und überwiegend in Fach- und Gruppensprachen und/oder in informellem, vorwiegend mündlichem Text auftreten. Für das Problemfeld der verbalen Wortbildung wird dargelegt, daß morphologische Integration nicht unsystematisch erfolgt, sondern sich an den Flexionsmustern deutscher komplexer Verben orientiert. Der Integrationsgrad der einzelnen Lexeme ist dynamisch und sprecherabhängig.
"Im 100. Kabitel des Romans "Der Mann ohne Eigenschaften", das den resoluten Titel trägt "General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein und sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige Ordnung" [...], kommt es zu der Begegnung zwischen einem Bibliothekar, einem Bibliotheksdiener und General Stumm von Bordwehr in der Wiener Hofbibliothek. Der geistige Gewinn, den der ranghohe k.u.k.-Offizier daraus zieht, ist nicht unerheblich. Es seien der näheren Schilderung dieses denkwürdigen Bibliotheksbesuches, der im Mittelpunkt meiner Betrachtungen stehen soll, zunächst einige Bemerkungen zur Stellung des Kapitels im Roman und zur Person des Generals vorausgeschickt. [...]"
Hans-Georg Soldat berichtet von seiner Zeit als Literaturredakteur beim RIAS: 'Für uns, die wir noch hoffen …' Literatur zwischen West und Ost - Fragmente einer unglaublichen Geschichte. Er umreißt vier Hauptfelder der Literatursendungen des RIAS: Erstens waren sie stellvertretendes Forum für Themen, die in der DDR nicht diskutiert werden konnten; zweitens stand weniger das Reden über Bücher oder Gedichtbände, sondern das Lesen daraus im Vordergrund; drittens wurden zunehmend Bücher von Autoren vorgestellt, die in der DDR lebten, aber dort nicht veröffentlichen durften; viertens ging man auf die aktuellen literatur- und kulturpolitischen Debatten in Ost und West ein. Soldat benennt nicht nur die Überlegungen und Skrupel seinerseits hinsichtlich der möglichen Gefährdung von Autoren, sondern auch die Schwierigkeit, "Balance zu halten zwischen Pflicht zur Information über einen neuen Zensurversuch und der Tatsache, dass der zugrunde liegende Text tatsächlich keine große literarische Bedeutung hatte". Zitiert nach: Gerd Dietrich: Rezension zu: Estermann, Monika; Lersch, Edgar (Hrsg.): Deutsch-deutscher Literaturaustausch in den 70er Jahren. Wiesbaden-Erbenheim 2007, in: H-Soz-u-Kult, 26.01.2009 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-065)
"Elisabeth II." gehört zu denjenigen Theaterstücken Thomas Bernhards, die weder "eine besonders große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben" noch im akademischen wissenschaftlichen Betrieb eingehend behandelt worden sind. War das fehlende Interesse für "Elisabeth II." anfangs durch das geringe wissenschaftliche Interesse an Bernhards Theaterstücken schlechthin zu erklären, so verlor diese Erklärung mit dem Erscheinen der lediglich dem Bühnenwerk Bernhards gewidmeten Untersuchungen ihre Plausibilität. "Elisabeth II." ist, abgesehen von der gelegentlichen Erwähnung im Kontext anderer Theaterstücke bzw. anderer Werke, außerhalb des fachlichen Diskurses geblieben und scheint sich bis dato mit ihrer germanistischen Randexistenz zu begnügen.
Kleist erzählt in seiner 1808 erstmals erschienenen Novelle „Marquise von O….“ die Geschichte einer Frau, die unwissentlich vergewaltigt wird, per Zeitungsannonce den Kindsvater sucht und am Ende den Geständigen heiratet. Kleist legt in seiner Erzählung zahlreiche Fährten, eine davon führt zum christlichen Mythos der Heiligen Familie und somit zum Urbild der bürgerlichen Familienstruktur. Das zentrale Motiv der unerklärlichen Schwangerschaft rückt die Marquise in die Nähe der Gottesmutter Maria. Als sie die Hebamme fragt, ob denn »die Möglichkeit einer unwissentlichen Empfängnis sei«, erhält sie die Antwort, »dass dies, außer der heiligen Jungfrau, noch keinem Weibe auf Erden zugestoßen wäre«. Wenn Kleist seiner Novelle die Figurenkonstellation der Heiligen Familie zugrunde legt – wie sind dann die weiteren Rollen verteilt? Die Heilige Familie beschreibt zwei Figurendreiecke, ein göttliches und ein menschliches. Das göttliche Dreieck umfasst Gottesmutter, Gottvater und Gottessohn, das menschliche Dreieck Maria, Joseph und das Jesuskind. Letzteres hat somit zwei Väter: einen göttlichen, der es zeugt, und einen irdischen, der es legitimiert.
Das im Titel aufgerissene Problemfeld des Projekts hat drei Dimensionen, (1) ästhetisch-poetologische Aspekte, (2) Funktionsformen der Grenze in den Sprachen der Kunst, (3) Grenzerfahrung und das Problem der Sprache der Grenzerfahrung. Von dieser Problemstellung aus werden verschiedene literarische Erscheinungen untersucht – die Werke von Franz Grillparzer, Thomas Mann, Hermann Broch, Ernst Jünger, Ernst Jandl, Johannes Bobrowski, Wolfgang Borchert, Thomas Bernhard, Peter Handke, Elfriede Jelinek, auch die Sprachen der Musik – von Bach, Mozart, Beethoven, Liszt, Wagner. Obwohl alle drei Dimensionen miteinander innerlich verbunden sind, werden sie im Rahmen dieses Forschungsberichtes der Reihe nach knapp erläutert.
In dem folgenden werkgenetischen und forschungskritischen Beitrag geht es um das sonderbare und revisionsbedürftige Schicksal, das eine von Mozart nach dessen Rückkehr aus Mannheim in Salzburg ohne Auftrag begonnene und bis Sommer 1780 fast vollendete Oper durch ihre Rezeption bei der Nachwelt bis heute erlitten hat. Für meine Hypothese, bei Mozarts Zaïde handele es sich um eine ernste (nicht-komische), höchstwahrscheinlich einaktig konzipierte Kurzoper ("Operette", W. A. M.) ohne glücklichen Ausgang, ist es ebenso unmöglich, einen "Nachweis" zu erbringen, wie für die bisher geltende, als einzig denkbare Wahrheit auftretende These, sie sei ein stark fragmentarisches, höchstwahrscheinlich dreiaktiges Singspiel, dem nicht nur die Ouvertüre und die meisten Dialoge fehlten, sondern auch die entweder in mehreren fehlenden Schlussnummern eines zweiten oder in einem dritten Akt sich vollziehen sollende glückliche Wende. Darum wird hier nicht versucht, gegen eine bestehende beanspruchte "Deutungshoheit" eine andere zu setzen, sondern lediglich angezeigt und begründet, warum es ratsam ist, eine andere Interpretationsmöglichkeit bekannter Quellen, von denen einige bisher berücksichtigt, andere vernachlässigt wurden, ins Auge zu fassen. Es kann lediglich anhand von Indizien, welche die Quellen und Teile der bisherigen Forschung aufweisen, eine neue, bisher verworfene Möglichkeit von dem über sie verhängten Verdikt befreit werden. ...
Spätestens seit dem spektakulären Kannibalismus-Fall von 2001, bei dem der mittlerweile inhaftierte Armin Meiwes aus Rotenburg den Berliner Ingenieur Bernd Jürgen Brandes, den er über das Internet kennen gelernt hatte, mit dessen Einverständnis tötete und teilweise verspeiste, ist das Thema "Kannibalismus" wieder in aller Munde. Die Art und Weise des Umgangs mit dem Tabu offenbart ein "kannibalisches Verlangen" nach solchen Geschichten.
"Ich mag so Wasserpfeifeladen" : the interaction of grammar and information structure in Kiezdeutsch
(2008)
Der Rekonstruktionsversuch der Werkgenese und der Editionsgeschichte des ersten in Druck erschienenen deutschsprachigen Schriftstellerlexikons der siebenbürger Sachsen mag angesichts des derzeitigen Forschungsstandes gewagt erscheinen, ist jedoch mehr als notwendig. Das 18. Jahrhundert ist – was Siebenbürgen betrifft – keine bevorzugte Epoche der Literaturgeschichtsschreibung, stellt Stefan Sienerth in der Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert resigniert fest. Als beinahe unüberwindbares Hindernis tut sich die Gattungs-, Formund Gehaltvielfalt der Texte aus der Zeit des Pietismus und der Aufklärung auf, infolge dessen meistens nicht die Literaturwissenschaft, sondern die verwandten Disziplinen mit den schriftlichen Zeugnissen des 18. Jahrhunderts sich auseinandersetzen; aber auch das fehlende, da unerforschte und unedierte Quellenmaterial erschwert die (literatur)wissenschaftliche Erforschung der Epoche. Besonders deutlich manifestiert sich dies am Beispiel des Johann Seivert.
"Ich soll nicht zu mir selbst kommen" : Werther, Goethe und die Formung des Subjekts in der Moderne
(2006)
Die Leiden des jungen Werther: Sie gehen aus einem neuen Reflexions- uns Ausgleichungsbedürfnis hervor, aus der Suche nach einem konsistenten Ich. Werther erlebt die kognitiven und affektiven Veränderungen, die die Moderne heraufführt, und aus diesen Erfahrungen geht sein Verlangen nach Einheit hervor (...). Die Suche nach dem einheitlichen, festen, verläßlichen Ich hält den Briefroman zusammen, und die Gattungswahl korrespondiert mit der Fragestellung, denn das Medium des Briefes hat im 18. Jahrhundert seine rasante Ausbreitung erfahren, weil ein historischneuer Individualitätstyp aufgetreten ist und das Bedürfnis nach einem entsprechenden anthropologischen Diskurs vorhanden war. Die übergreifende Frage nach der Identität verbindet auch die scheinbar so verschiedenen Themen im ‚Werther’: Natur, Liebe und Gesellschaft.
Hans-Georg Soldat rezensiert den 1999 von Eberhard Fahlke und Raimund Fellinger bei Suhrkamp herausgegebenen Briefwechsel von Uwe Johnsen und Siegfried Unseld. Die Korrespondenz zwischen Uwe Johnsen und seinem Verleger Siegfried Unseld, geführt vom ersten Tag, an dem Uwe Johnsen 1959 im damaligen West-Berlin ankam, bis wenige Tage vor seinem Tod 1984, ist ein großartiges, literarisch gewichtiges Dokument der Freundschaft, der Zeit- und Kulturgeschichte.
"Ja, Goethe über alles und immer!" : Benns "Doppelleben" in den Briefen an F. W. Oelze (1932-1956)
(2016)
"Goethe über alles"! Das will heißen, mit einer kaum versteckten Anspielung auf die deutsche Nationalhymne: Goethe vor allem über Deutschland! Diese emphatische Parole Gottfried Benns findet sich in seinem Brief vom 8. November 1950 an Friedrich Wilhelm Oelze.1 Zu dieser Zeit stand der Briefwechsel zwischen den beiden Männern schon in seinem achtzehnten Jahr, ausgelöst durch das Goethe-Jahr 1932, zu dem Benn seinen Essay "Goethe und die Naturwissenschaften" beigesteuert hatte. Er erschien in der "Neuen Rundschau" in einem "Sonderheft zum hundertsten Todestag Goethes" und enthielt u. a. Beiträge von Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Hermann Hesse, André Gide und Ortega y Gasset. Benn war zeitlebens stolz auf diese Leistung und ihre illustre Autoren-Nachbarschaft.
Mit Erstaunen stellen LinguistInnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz immer wieder fest, dass sich in der "kleinen" Schweiz der geschlechtergerechte Sprachgebrauch in Öffentlichkeit und Alltag weit stärker durchgesetzt hat als in den anderen deutschsprachigen Ländern. Diese Einschätzung gilt es hier zu überprüfen und, falls sie zutrifft, zu belegen. Ausserdem werden - als erster Schritt fur weitere Untersuchungen - Thesen formuliert, die Erklärungen liefern, worauf diese Entwicklung zurückgeführt werden kann. Mit diesem Artikel geben wir anband von ausgewählten, konkreten Beispielen einen Einblick in die Situation, wie sie sich zur Zeit in der Schweiz präsentiert. Wir konzentrieren uns - unter sprachsoziologischer Perspektive - auf eine erste Bestandesaufnahme mit dem Blick auf die Diskussion in den Medien, die Institutionalisierung und die Einstellungen, die die spezifische sprachliche Situation in der Deutschschweiz prägen. Einen Rahmen fur unsere Untersuchung bilden die Überlegungen von Schräpel (SCHRÄPEL 1986), die die Auseinandersetzung um nichtsexistische Sprache als ein besonderes Sprachwandelphänomen untersucht. Sprachwandel im Vollzug ist einerseits einfacher zu erfassen als einer, der weiter zurückliegt, andererseits erschwert die Fülle des greifbaren Materials auch den Durchblick und das klare Erkennen von Tendenzen. Aus diesem Grund werten wir unser Datenmaterial nicht quantitativ aus, sondern konzentrieren uns darauf, für verschiedene Aspekte typische Beispiele zu geben und so den Stand der öffentlichen Diskussion und die Breite der vertretenen Meinungen darzustellen. Es wäre verlockend, das hier vorliegende Material auch allgemeinerer Form unter der Thematik "Sprachkritik" oder "Einstellungen" zu analysieren. Dies ist jedoch nicht im Zentrum unserer Fragestellung, weshalb wir bei einigen Beispielen auf entsprechende Untersuchungen (z.B. BLAUBERGS 1980, SCHOENTHAL 1989) verweisen.
"Jede Form ist abnorm."
(2008)
Herbert Achtenbusch gilt als das enfant terrible des deutschen Nachkriegskinos. Zwischen 1970 und 2002 hat er 30 Filme gedreht, das diesjährige Münchner Filmfest widmete ihm eine Retrospektive und anlässlich seines 70. Geburtstags soll sein filmisches Werk endlich auf DVD erscheinen. Beste Gelegenheit für einen Rückblick, eine Gratulation und ein Dankeschön.
Zwischen 1970 und 1977 entsteht in fünfjähriger Dreharbeit mit Unterbrechungen und unter extrem schwierigen Produktionsbedingungen David Lynchs erster Spielfilm "Eraserhead". Vorbereitet wurde er in mehrfacher Hinsicht durch das Frühwerk des noch jungen Regisseurs. Seine kinetische Skulptur "Six Men getting sick", sowie seine Kurzfilme "The Alphabet" und "The Grandmother" verhalfen ihm nicht nur zu Stipendien (etwa der AFI für "The Grandmother"), sondern etablierten auch ein Motivinventar, auf das Lynch in Zukunft immer wieder zurückgreifen und es ausbauen würde.