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Das Thema der Tagung soll die Frage nach dem Subjekt, seiner Konstitution, seinem Handlungsraum, seiner Fähigkeit zu handeln und dem traditionell und aktuell gegebenen Fundus von Verantwortlichkeit sein. Die Frage ist angesichts einer so ausgebauten Diktatur wie der nationalsozialistischen von großer Relevanz, ist jedoch ebenso peinlich wie unerläßlich. Sie war peinigend für alle, die in jenem Reich nicht ganz so funktionieren konnten oder wollten wie von den Führern erwartet, und sie bleibt peinlich bei jedem Rückblick auf das, was damals überhaupt möglich war und was getan und unterlassen wurde. Vielleicht ist die Frage aber auch zu heroisch gestellt. Vielleicht enthält sie schon eine Vorannahme über das Verhältnis des einzelnen zu dem Geschehen in seiner Gegenwart, die historisch überholt oder zu modifizieren ist. Gerade in diesem Arbeitskreis geht es nicht an, nach einer irgendwoher abgeleiteten festen Größe "handlungsfähiges Subjekt" zu suchen, sondern muß die Kategorie selbst analysiert, auf ihre Tauglichkeit hin befragt werden. Die Frage wird sich bestenfalls annäherungsweise beantworten lassen. Es gibt weder statistisches noch analytisches Material, aus dem sich irgend etwas über die Verfassung der handelnden und duldenden Subjekte direkt ablesen ließe. Die Beteiligten mit Ausnahme der striktesten Mitläufer hatten, solange das "Dritte Reich" währte, allen Grund, ihre Einstellungen, Motivationen, ihre Willensbekundungen und Handlungen im Dunkeln zu lassen. Je weniger darüber geredet werden durfte, um so weniger machten sie auch sich selbst klar, wie es um ihre Verantwortung oder Mitverantwortung stand. Die nachträgliche Reflexion darüber ist voll von Zuschreibungen und Hypothesen. Die ehrlichsten autobiographischen Zeugnisse aus dem Abstand von Jahren oder Jahrzehnten enthalten meist ein Eingeständnis, daß man sich das damals Miterlebte gerade in seinem subjektiven Faktor von später aus nicht mehr authentisch vorstellen konnte. Als Notbehelf wähle ich hier ein Verfahren, weitgehend Zitate von damals aus vielen Bereichen zusammenzutragen: einzelne Beobachtungen, Selbst- und Fremdeinschätzungen aus einer ganzen Skala zwischen NS-Loyalen und strikt oppositionellen. Die Projektion und Weiterdeutung suche ich dadurch wenigstens durchsichtig zu machen, daß ich den verschiedenen Ebenen der Selbststilisierung und Fiktionalisierung nachgehe. Um der unvermeidlichen Unsauberkeit der Kontamination von eigentlich weit getrennten Positionen wenigstens tendenziell entgegenzuwirken, möchte ich einzelne von ihnen in ihrem Umfeld genauer betrachten.
Aus den Elementen schuf die Göttin der Liebe, Aphrodite, unsere "unermüdlichen Augen", lehrt Empedokles. Und "das das Herz umströmende Blut ist dem Menschen die Denkkraft". Wie der Körper beschaffen ist, so wächst dem Menschen das Denken. Aristoteles berichtet, daß die alten Philosophen, ausdrücklich Empedokles, Denken und Wahrnehmen für dasselbe gehalten hätten. Aus Elementen sind wir gemischt wie die Dinge, und so nehmen wir die Dinge wahr im Maß, wie sie auf Verwandtes in uns treffen. Im Inneren des Auges ist Feuer, umgeben von Wasser, Erde, Luft. Aus dem Auge wird das Feuer als Sehstrahl auf die Dinge entsandt, und so entsteht das Sehen. Umgekehrt fließen von den Dingen feine Abdrücke ab: wenn sie auf die Poren der Sinnesorgane passen, so werden sie wahrgenommen; passen sie nicht, wird nichts wahrgenommen. So fließt zwischen Leib und Dingen nach der Passung der Poren ein ständiger Strom des Gleichen zum Gleichen. "Denn mit der Erde (in uns) sehen wir die Erde, mit dem Wasser das Wasser, mit der Luft die göttliche Luft, aber mit dem Feuer das vernichtende Feuer, mit der Liebe die Liebe, den Streit mit dem traurigen Streite." (Capelle, 236) Einem solchen Denken ist Personalität, Identität des Subjekts fremd. Zwischen Natur und Mensch besteht kein Bruch, sondern ein Strömen des Gleichen und Verwandten. Kein qualitativer Sprung zwischen Leib und Geist. "Denn wisse nur: alles hat Vernunft und Anteil am Denken" (Capelle, 239) - denn zwischen Göttern, Menschen und den "vernunftlosen" Tieren besteht eine "Gemeinschaft des Lebens und der gleichen Elemente", Verwandtschaft folglich durch jenen umfassend einzigen "Lebenshauch, der die ganze Welt durchdringe". ...
Natur und Subjekt
(1988)
Natur und Subjekt sind Erzeugnis und Leistung, historisch zu entschlüsseln, aber nicht durch die Magie des Ursprungs zu zitieren. Die hier vorgelegten Aufsätze versuchen, dieser Ausgangslage zu entsprechen. Zwischen den Bezauberungen der Ursprungsmythologien Natur als Schöpfung; Subjektivität als "Wesen" des Menschen- und den Hypertrophien der Subiekt-Philosophie, die in verkürzte Rationalität ihr Zentrum setzt und von dort das Ganze der Natur als ihr Reich wie den Besitztitel eines Souveräns aufschlägt: zwischen diesen ebenso falschen wie wirkungsmächtigen Traditionen war dem historischen (Maulwurfs)-Gang des Subjekts und der Natur nachzugehen. Dieser Wendung zurück in die Geschichte entspricht, daß vorderhand keine Chance darin gesehen wird, Spielräume auf kleinstem gemeinsamem Nenner für die kommunikativen Fähigkeiten des Menschen zu suchen unter den Bedingungen zunehmend perfekterer Technisierung und Medialisierung der sprachlichen und vor allem visuellen Austauschprozesse. Es gibt diese Spielräume, sie sollten auch verteidigt werden, auch wenn sie, beim Stand der Dinge, Luxus einer Minderheit sind Ebensowenig wird in den Hohlräumen und Widerspruchszonen, den Relais- und Steuerräumen der sozialen Systeme nach Bedingungen funktionaler Innovationen, Differenzierungen und Optimierungen geforscht. Darin will jemand, der von der Kunst und Kulturgeschichte her sich der Philosophie nähert, seine Aufgabe nicht sehen.