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Abschließend stellt Solvejg Nitzke in ihrem Aufsatz 'Apokalypse von innen' dar, wie traditionelle Narrative vom Ende der Menschheit in Debatten um das Verhältnis von Mensch und Natur aktualisiert und verschärft werden. Natur wird in diesen Narrativen (wieder) zum Subjekt, das sich gegen die sie bedrohende Menschheit zur Wehr setzt. Diese Umkehrung des (Natur-)Katastrophenbegriffs zurück zu einer intentional agierenden Kraft als ihrer Ursache, stellt die Frage wer die Macht besitzt zu entscheiden, wann und vor allem für wen Gefahr und Zerstörung zur Katastrophe werden.
Auf dem Weg zu Nicht-Flektierbaren : die Deflexion der deutschen Eigennamen diachron und synchron
(2012)
Im heutigen Deutsch sorgt die Flexion von Eigennamen im Genitiv für einen echten Zweifelsfall, mehr noch bei geographischen Namen als bei Personennamen, vgl. des Orinoko(s), des Iran(s), des vereinigten Deutschland(s), ebenso im Plural: die beiden Deutschland(s). Personennamen werden, wenn ihnen ein Artikel (mit oder ohne Adjektiv) vorangeht, in aller Regel schon nicht mehr flektiert, vgl. die 1. Auflage (1774) von "Die Leiden des jungen Werthers" mit Genitivendung mit der 2. Auflage (1787), wo diese Endung schon fehlt. Heute dominiert die Nichtflexion: der Geburtstag des kleinen Julian, des Helmut Kohl. Aus diachroner Sicht stellt dieses Stadium nur einen weiteren Schritt in Richtung onymische Deflexion dar. Dieser Deflexion und ihren Gründen soll in diesem Beitrag nachgegangen werden. Flektierten Eigennamen im Althochdeutschen noch ausgiebig (in mehreren Flexionsklassen), so haben sie im Laufe der Zeit ihre Flexion in zweierlei Hinsicht stark eingeschränkt: a) paradigmatisch durch den Abbau an Allomorphie und die Durchsetzung sog. überstabiler Marker, die oft erstes Indiz für den Beginn von Deflexion sind; b) syntagmatisch durch den sukzessiven Abbau von Flexiven am Wortkörper. Neben Kasus und Numerus haben sich auch bei Genus tiefgreifende Veränderungen vollzogen: Genus wird zunehmend pragmatisch "von außen" fixiert, d.h. immer mehr von Eigenschaften des Referenzobjekts gesteuert.
Das Theater ist für die Frage nach der Sakramentalen Repräsentation der Frühen Neuzeit schon aufgrund der schlichten Tatsache interessant, dass es als Verbund von Zeichen, Bildern und Gesten in größter denkbarer Nähe zur Liturgie steht. Die Nähe ist gefährlich und immer heikel, und so gehört es zu den Gemeinplätzen der protestantischen Kritik an der Messe, diese sei bloßes Theater. Umgekehrt benutzen aber auch die Reformatoren selbst immer wieder die Metaphorik des Theaters, etwa wenn Calvin die Welt als großes Theater der Herrlichkeit Gottes bezeichnet oder Luther sich selbst als Zuschauer der Heilsgeschichte imaginiert. An dieser schwierigen Grenze bildet sich eine kirchliche und insbesondere protestantische Theaterfeindschaft heraus, die den Anspruch des Theaters, Wirklichkeit darzustellen, aufs Schärfste bekämpft, aber gerade dadurch auch ein neues Verständnis von Theater gewinnt.
Der Begriff der 'Ausdrucksästhetik' entstammt nicht dem 18. Jahrhundert, das selbst nur die beiden Elemente des Kompositums, also 'Ausdruck' und 'Ästhetik' hervorbrachte. Die Genese des Begriffs ist in der Forschung bislang noch nicht aufgearbeitet worden. Das ist paradox, weil es der zentralen Bedeutung des Konzepts für die Ästhetikgeschichtsschreibung der Aufklärung entgegen läuft. 'Ausdrucksästhetik' scheint im wissenschaftlichen Sprachgebrauch eines jener Begriffsphantome zu sein, die zwar ständig benutzt, aber kaum je eingehender bestimmt worden sind.
Mitte des 18. Jahrhunderts versuchten Vertreter der französischen Kunstkritik und Ästhetik die Sprachen des visuellen Ausdrucks, die man aus dem vorausgegangenen Jahrhundert und insbesondere den durch Charles Le Brun (1619–1690) formulierten Prototypen des Ausdrucks übernommen hatte, zu modifizieren und umzuformulieren. Im Mittelpunkt dieses Prozesses der Umformulierung stand die zunehmend populärer werdende Idee des 'Natürlichen'. Der Begriff 'Ausdruck' bezieht sich hier besonders auf die Darstellung der Gesichter und Körper gemalter menschlicher Figuren, und dabei vor allem auf die Konfiguration der Gesichtszüge, der Körperhaltungen und Gebärden. Die Suche nach neuen oder modifizierten Ausdrucksformen trat besonders deutlich bei den Genrebildern zutage, also Gemälden, die Szenen aus dem zeitgenössischen Alltagsleben darstellten und traditionell mit der Erwartung eines stärkeren Naturalismus verbunden waren. Als Ort des visuellen Ausdrucks nahmen Genrebilder einen bestimmten Punkt innerhalb eines breiten Spektrums gegensätzlicher Konzepte im zeitgenössischen ästhetischen Diskurs ein, und ihr Verhältnis zu den rhetorischen Ausdrucksformen der Historienmalerei war häufig problematisch. Die einschlägigen Begriffe im zeitgenössischen ästhetischen Diskurs, zwischen denen die Genremaler ihre Werke zu positionieren versuchten, waren Manierismus und Natur, Unangemessenheit und Schicklichkeit, das Erhabene und das Pathetische, expliziter und suggestiver oder 'offener' Ausdruck. Es handelte sich um eine Frage des visuellen Tons oder Registers, die häufig durch die intellektuellen, moralischen und sozialen Ambitionen der präsentierten Genremalerei und durch die erwünschte Beziehung zum Betrachter geklärt wurde. Das Ausdrucksregister war weniger vielfältig bei Gemälden, die primär dem Ziel der Unterhaltung oder Verzierung dienten, weniger imposant oder explizit bei denjenigen, die eher den interpretatorischen und moralischen Fähigkeiten der Öffentlichkeit vertrauten, und wesentlich größer bei denjenigen, die versuchten eine anspruchsvolle moralische Botschaft zu vermitteln.
Um diese Suche nach einem angemessenen moralischen und ästhetischen Register zu veranschaulichen, werde ich mich auf die Salonkritiken Denis Diderots (1713–1784) aus der Mitte der 1760er Jahre, auf einige der von ihm besprochenen Genrebilder sowie auf das Schaffen und die theoretischen Schriften Michel François Dandré-Bardons (1700–1783) beziehen, dessen Ausdruckslehre die Académie royale in Paris in der Jahrhundertmitte (1752–1755) beherrschte.
Im ersten Teil der Publikation werden die Bedeutung von Bewegung und Prävention sowie präventionsbezogene Begriffe erläutert.
Im nächsten Abschnitt werden die Auswirkungen von Bewegungsmangel und von körperlicher Aktivität auf verschiedene Organsysteme dargelegt.
Es folgen die hieraus zu ziehenden Konsequenzen für ein präventiv nutzbares Training. Es werden dabei auch zur Motivierung Sporttreibender einsetzbare Faustregeln zur Leistungsfähigkeit und zur Trainierbarkeit (maximale Sauerstoffaufnahme, maximale ergometrische Leistungsfähigkeit und deren Veränderungen mit dem Alter und ihre Trainierbarkeit) erläutert.
Das Bild und das (Altar-)Sakrament stehen aus vielfältigen Gründen in einer engen Beziehung zueinander. Dies betrifft bereits ihre ursprüngliche Institutionalisierung bzw. Legitimation: Für beide ist die Inkarnation des Gottessohnes grundlegend. Während die Leibwerdung in der Eucharistie, d. h. die Verwandlung des Brotes und Weines zu Leib und Blut Christi, immer wieder analog zu der Fleischwerdung des Logos im Leib der Maria gesehen wurde, galt die Menschwerdung Christi als Argument für eine Aufhebung des alttestamentlichen Bilderverbots: Gott hatte sich selbst zum Bild auf Erden gemacht. Im Bilderstreit und in den Eucharistiedebatten des Mittelalters wird die enge Beziehung zwischen Bild und Sakrament an den gegenseitig entliehenen Begriffen und Argumentationen deutlich. Ihre engste Verbindung aber gehen Bild und Sakrament am Altar ein, wo der wahre Leib Christi (in der eucharistischen Gestalt der Hostie) und das anschauliche Bild Christi zusammentreffen, ihre jeweilige mediale Defizienz ausgleichend.
Der Sakramentalen Repräsentation und ihren Diskursen ist zu eigen, dass die (Un-)Möglichkeit von Repräsentation, ihre Paradoxe und ihr Scheitern genauso verhandelt werden wie ihre Überdeterminiertheit und Übersteigerung. In den sakramentalen Zeichenoperationen ist es der Begriff der Repräsentation selbst, der immer wieder auf dem Prüfstand steht. Gerade im Fall der Bilder wird eine anschauliche und materielle Wirklichkeit geschaffen, in der es zwar eine Referenzbeziehung zu etwas Abwesendem gibt, die aber von dem Moment ihrer Erschaffung selbst durch eine ganz eigene dingliche Existenz und substantielle Dynamik in Handlungszusammenhängen gekennzeichnet und somit nicht auf die Beziehung zu dem Signifikat bzw. Referenten des Bildes zu reduzieren ist. Dies gilt auch für die Eigenmaterialität und den Eigenwert der Farbe des Bildes, deren Substanz nicht von ungefähr gerade zu dargestellten liquiden Stoffen in ein besonderes Spannungsverhältnis treten kann.
Die leitende Prämisse der folgenden Überlegungen besteht auch in der These, dass Hegel mit dem Ende der Kunst eine Einsicht formuliert hat, die für die literarische Moderne konstitutiv ist. Mit der vordergründigen Wiedereinsetzung Hegels verbindet sich allerdings ein kritischer Einwand, der sich wiederum von Hölderlin her formulieren lässt. Wie die Auseinandersetzung mit Hegels Ästhetik deutlich macht, lässt die Verschränkung von Gattungspoetik und Geschichtsphilosophie, den Ort der modernen Literatur auf eigentümliche Weise unbestimmt. In dem Maße, in dem Hegels einseitiger Blick auf die seiner Meinung nach vorbildliche Kunst der Antike an der Eigengesetzlichkeit der Poesie in der Moderne vorbeigeht, erscheint Hölderlins Poetik als ein Korrektiv, das die negative These vom Ende der Kunst erst produktiv werden lässt. Das Ziel der folgenden Ausführungen liegt dementsprechend darin, ausgehend von der gattungspoetischen und geschichtsphilosophischen Bestimmung von Tragödie und Lyrik bei Hegel und Hölderlin einen Begriff der Poetik zur Geltung zu bringen, der die These vom Ende der Kunst ernst nimmt und es dennoch erlaubt, eine Poetik der Moderne zu entwickeln. Damit ist zugleich das methodische Vorgehen der Arbeit gekennzeichnet. In einem ersten Schritt geht es darum, Hegels These vom Ende der Kunst in einem kritischen Durchgang durch seine Ästhetik noch einmal eine bestimmte Plausibilität abzugewinnen. Die Diskussion der Verschränkung von Geschichtsphilosophie und Gattungspoetik, die Hegels Ästhetik auszeichnet, führt in einem zweiten Schritt zu einer kritischen Rekonstruktion seiner umstrittenen Lektüre der Sophokleischen "Antigone", die zugleich zu Hölderlins Poetik als einer Alternative zu Hegels Ästhetik überleitet, in deren Zentrum die Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Recht steht.
München und Bayern; Leipzig und Dresden; Graz und Bratislava: Vor dem Hintergrund des Deutschen Kriegs und seiner Koalitionen bezeichnen alle Ortsnamen die vom preußischen Standpunkt aus Feindliche und damit auch den „Orient“ in dem Sinn eines „großen Anderen“, den Edward Said an den „westlichen“ Diskurspraktiken herauspräpariert hat. Unter diese Funktion, als „Synonym des Exotischen, Weiblichen und Geheimnisvollen“ zu dienen, sind natürlich auch die Sexualisierungen des Orients zu verrechnen, die ihren Ausdruck im Topos von der Hure Babylon gefunden haben, wie ihn Johannes der Täufer schon bei Wilde gegen Salome richtet. Wildes bzw. Strauss' Salome gibt ein case study nicht nur für den Orientalismus, sondern auch für die Erste Frauenbewegung her. Salome, die sich schon in den Evangelien mit ihrer Mutter erfolgreich gegen einen Patri- und Tetrarchen verbindet, usurpiert hier, bei Wilde und Strauss, eine männliche Rolle, die bis in die Macht- und Sexualsymbolik des Blicks reicht. Solch eine Entmächtigung des männlichen Blcks durch die Frau taucht im Doktor Faustus in einer anderen, obendrein noch französischen „Judenoper“ wieder auf […].
Kein literarisches Plagiat geschieht ohne ausreichenden Grund. Wenn Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen (1622–1676) das Szenario aus Johann Michael Moscheroschs (1601–1669) "Schergen-Teuffel", dem ersten der Wunderlichen und Wahrhafftigen Gesichte Philanders von Sittewald", in ein Kapitel des Simplicissimus überführt, dann animiert ihn dazu der vielsinnige Überraschungseffekt, dass ein böser Geist die Rolle des guten Helden einnimmt. Bei Moscherosch erklärt nämlich dieser 'genius malignus' einem exorzierenden Pater und den Umstehenden, dass nicht der vor ihnen stehende Mensch von ihm besessen sei, wie es vielleicht den Anschein habe, sondern andersherum; er, der böse Geist, sei von diesem Menschen besessen [...]
Gilles Deleuze und Félix Guattari haben ein polemisches Buch geschrieben, das seinen Gegner im Titel benennt: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie. Man fände kein Ende, wenn man allen seinen Bezügen zur Psychoanalyse nachgehen wollte. Als es 1972 herauskommt, wird es als Rück fall hinter deren Errungenschaften kritisiert. André Green zieht einen Vergleich mit Sigmunds Freuds voranalytischen Schriften: [...] Worauf der Vergleich aus ist, ist ein Tertium comparationis, das in der Rolle der Naturwissenschaften für die Theorie des Unbewussten liegt. Obwohl der Anti-Ödipus keinen unmittelbaren Verweis auf die voranalytischen Schriften enthält, scheint der Vergleich gerechtfertigt, weil Deleuze und Guattari in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Biochemie und Molekularbiologie eine neuartige Konzeption des Unbewussten vorschlagen. Green sieht in der Attacke gegen den Ödipus-Komplex einen Angriff auf das Kernstück der Psychoanalyse: Ohne Ödipus gibt es nur mehr einen diffusen Nexus zwischen biologischem und psychischem Geschehen. Während Green oder Leopold Szondi versuchen, neuere biologische Forschungen in die Psychoanalyse zu integrieren, aber hierbei am Ödipus-Komplex festhalten, verfolgen Deleuze und Guattari einen »vagen Monismus«, indem an die Stelle eines durch den ödipalen Konflikt gebildeten Unbewussten ein molekulares Unbewusstes tritt.
Wie die Religion überhaupt in der bürgerlichen Gesellschaft wird auch die Sakramentale Repräsentation ein Nachleben führen. Denn auch wo sie ihre Hegemonie verloren hat, wo sie nicht mehr im Vollsinn die Matrix der kulturellen Repräsentation ist, wo ihre lineare, mächtige, lebendige Geschichte vorbei ist, werden Figuren und Ideen der Sakramentalen Repräsentation doch aufrufbar bleiben und aufgerufen werden. Dieses Nachleben hat – wie überhaupt das Nachleben der Religionen, wie jener gespenstische und schwer zu verortende Schatten des toten Gottes – eine doppelte Zeitlichkeit: Es ist ein Fortleben, eine andauernde Präsenz oder Wirkung, es ist aber auch ein paradoxes Leben nach dem Leben, das eher den Charakter einer unheimlichen Wiederkehr hat. Auf der einen Seite zeigt sich, dass Momente der Sakramentalen Repräsentation auch dort fortbestehen, wo sie nicht mehr zwingend von den Differenzen in der Auffassung vom Wesen des Sakraments bestimmt werden, sondern sich von der allgemeinen Rolle und Wirkkraft des Sakramentes als Leitfiguration speisen. Auf der anderen Seite gibt es immer wieder auch Reste, Überlebsel, vielleicht auch Wiedergänger jener konfessionellen Debatten, die an den Rändern und im kulturell Unbewussten jener neuen Ordnung auftauchen, welche diejenige der Sakramentalen Repräsentation ablöst. Die umfassende Untersuchung dieses Nachlebens der Sakramentalen Repräsentation muss anderen Zusammenhängen vorbehalten sein, bereits einige Hinweise zeigen jedoch auf eindrucksvolle Weise, wie bedeutend die Sakramentale Repräsentation auch nach dem konfessionellen Zeitalter noch ist.
Im Folgenden wird […] [z]unächst […] an Daniel Cramers Emblemata sacra die dem Emblem eignende sakramentale Prägekraft als Einprägung des Wortes Gottes in die Seele des Rezipienten erläutert. Dieses der Emblematik zugesprochene Vermögen thematisiert Cramer nicht nur in einem metareflexiven Emblem, er legt es seinem Emblembuch auch konzeptionell als ein Element des Heilsweges zu göttlicher Gnade zugrunde. Diese meditative Funktion der Emblematik wird vor allem durch den Status des Wortes als göttliches Wort gewährleistet, das durch die Pictura, das äußere Bild, der Seele des Gläubigen, gleichsam als inneres Bild (imago), eingeprägt werden kann. Insbesondere in den Schriften der Sprachtheoretiker Justus Georg Schottelius und Georg Philipp Harsdörffer lassen sich Zusammenhänge zwischen den göttlichen Zeichen der Hieroglyphik als Grundlage der Emblematik und einer ontologischen Zeichentheorie festmachen, die sich auf die unmittelbare Verbindung von Sache und Wort vor der Folie der lingua adamica beruft. Beide Konzepte, die Präsenzwerdung des absenten göttlichen Predigtwortes durch die Prägekraft der Pictura in Cramers heiligen Emblemen sowie der sprachpatriotische Status des göttlichen Wortes, finden eine messtheologische Synthese in Johann Michael Dilherrs Predigtsammlung der Heiligen Sonn- und Festtags-Arbeit. Abschließend wird hier der emblematische Vollzug des Sakramentalen exemplarisch zu rekonstruieren sein.
Die Frühe Neuzeit gilt oft als das rhetorische Zeitalter: Viel stärker als durch das Konzept des Zeichens und durch die Semiotik wird sie von der Kunst der Rede und der elaborierten Disziplin der Rhetorik bestimmt, die nicht nur bei der Produktion sprachlicher Äußerungen, sondern auch bei jener von Bildern und von Wissen eine konstitutive Rolle spielt. Seit die Rhetorik mit der Reformation ins Zentrum der Ausbildung der Gelehrsamkeit gerückt ist – bei den Protestanten vor allem durch Melanchthon, bei den Katholiken besonders durch die Jesuiten – bestimmt sie die Wissensproduktion, so dass die Frühe Neuzeit insgesamt und das 17. Jahrhundert im Besonderen wohl mit höherem Recht als Episteme der Rhetorik denn als Episteme der Repräsentation bezeichnet werden könnten. Ganz besonders bestimmt die Rhetorik naturgemäß die Dichtung: Wie die Forschung der letzten Jahrzehnte immer wieder gezeigt hat, kann die barocke Dichtung nicht am Modell der Erlebnislyrik oder des lyrischen 'Ausdrucks' gemessen werden, weil die Texte nichts Innerliches ausdrücken und auch nicht originell sein wollen; ihre rhetorische Oberfläche oder Machart ist keine äußerliche Einkleidung von Gehalten, sondern ihnen wesentlich: Dichtung ist eigentlich angewandte Rhetorik und die poetische Praxis lässt sich meist mehr oder weniger klar auf rhetorisches Lehrbuchwissen zurückführen. Dabei hat die Forschung dieses Wissen oft eher auf die humanistische und antike Tradition zurückgeführt und seine säkulare und technische Natur betont – gerade aufgrund dieser Natur sei das rhetorische Wissen letztlich wichtiger als die Absichten, die einzelne Autoren mit ihrer Dichtung zu verfolgen behaupten.
Rippoldsau ist nicht nur biographisch bedeutungsvoll als einer der vielen Orte, an denen Rilke Erholung suchte. Das Kurbad im Schwarzwald zählt auch zu jenen Fluchtpunkten einer räumlichen Ordnung, die die Forschung als 'innere Geographie' namhaft gemacht hat. Im Folgenden soll diese Topographie von Fluchtlinien unter dem Aspekt ihrer Modellhaftigkeit in den Blick genommen werden - allerdings nicht im Hinblick auf poetologische Aspekte, auf die vieldiskutierte, komplexe Verräumlichung in Rilkes lyrischen Szenarien. Am Leitfaden von Rilkes 'innerer Geographie' lässt sich auch sein Konzept von Autorschaft erschliessen. Denn Rilke ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ für ein bestimmtes Autorschaftsmodell; ein Modell, das so erfolgreich ist, dass es nicht nur die klassische Moderne über weite Strecken prägt, sondern auch den unüberschaubaren Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts.
Ermuntert durch die zahlreichen "Finessen", die Fontane in seinen Romanen hinterlassen hat, läuft die Interpretation also grundsätzlich Gefahr, den Fundus der Prätexte ständig zu erweitern und intertextuelle Bezüge zu unterstellen, die womöglich gar keine sind. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, ist die methodische Absicherung durch den Analyseaspekt der 'Markierung' intertextueller Verweise im Text also ebenso geboten wie schwierig einzulösen.
Im Falle der Bibel als Prätext dagegen scheint der intertextualitätsanalytische Befund zunächst eindeutig und unstrittig zu sein: Fast durchgängig finden wir in den Romanen Fontanes biblische Zitate und Anspielungen. Das ist bruchstückhaft schon erforscht worden, gemessen an den übrigen Prätexten wie literarischen Klassikern jedoch in auffällig zurückhaltender Weise, was exemplarisch an der Monographie von Plett Die Kunst der Allusion deutlich wird, in der Bibelbezüge nur am Rande behandelt werden. Die wissenschaftsgeschichtlichen Gründe für diese auffällige Zurückhaltung gilt es noch zu reflektieren und dabei die Frage zu stellen, inwieweit das Forschungsfeld der Bibelallusionen von der germanistischen Literaturwissenschaft als der Theologie zugehörig erklärt und aus diesem Grund gemieden wurde.
Es lassen sich also zwei Desiderate in der Fontane-Forschung ausfindig machen: Methodisch fehlt bislang eine angemessene Operationalisierung von intertextualitätstheoretischen Konzepten für Fontanes Texte. Zum anderen steht eine systematische Herausarbeitung von Bibelbezügen aus seinem Werk noch aus.
Wie ein Voyeur habe, so Lynn Margulis, der Harvard-Biologe Lemuel Roscoe Cleveland seit den 30er Jahren die Einzeller und ihr Sexualleben mikroskopiert und auch gefilmt. [...] Da sah er das Sensationelle: Diese Einzeller fressen sich gegenseitig auf. Aber nicht nur das: "Die verschluckte Hypermastigiden-Zelle wurde [...] nicht bis zu Ende verdaut. Vom Hunger ganz benommen, hielt der gierig schluckende Protist die noch halb lebendige Nahrung in seinem Innern offenbar für einen Teil seiner selbst. Nach kurzer Zeit nämlich verschmolzen die beiden kämpfenden Protisten: ihre Zellkerne fusionierten." Der Vorfall habe Cleveland zeitlebens nicht mehr losgelassen. Denn er vermutete, dass, was er soeben das gesehen habe, genau das sei, was "vor einer Milliarde Jahren zur ersten Befruchtung geführt hatte". Der schlichte Grund: Nahrungsmangel und vor allem Mangel an Feuchtigkeit, Austrocknung treibt die Einzeller, sich gegenseitig aufzufressen.
Clevelands Szenerie aus, so Margulis, "Komödie und Terror" spricht also nur von einem: Es gab eine Zeit, in der "Fressen und Paaren" das gleiche waren. "Unterlassene mikrobielle Verdauung als Quelle menschlichen Sexualtriebs: Das ist wohl ziemlich unromantisch."
Was nicht hindert, dass auch die große Bakterienforscherin ihre Frage nach Sex und Ritual, nach täusch enden Körpern und tanzenden Chromosomen meist genau vor diesem Hintergrund inszeniert: der sogenannten "Verschmelzung" von Einzellern, sei es als Auffressen, sei es dann als Symbiose.
Sie ist nicht die einzige. (Nur ist sie vielleicht besonders interessant, weil wohl kaum eine andere amerikanische Biologin mit Wissen und ohne Scheu auch aus Lacan, Derrida, Bataille heraus argumentiert.) Die Verschmelzung der Einzeller ist der biologische Diskurs schlechthin über die Sexualität und nicht nur über sie. Der Tag könnte kommen, an dem wir unsere Stellung in der Evolution, unsere Stellung im Wissen von der Evolution in den Augen der Biologie nicht mehr über Zellen bestimmen werden, sondern über Einzeller: die ohne Kern, alias Bakterien, und die mit Zellkern alias "Protoctisten" (von griech isch ktísis: Schöpfung oder Stadt-Gründung). Haeckel sprach sie als "Protisten" an und manche noch heute als "Protozoa".
Das Folgende stellt eben darum der Szene aus Harvard zwei andere, alteuropäische gegenüber.