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Es sind weit mehr als jene sprichwörtlichen Siebensachen, die ein ghanaischer Oberschüler beim Eintritt in eines der zahlreichen Internate des Landes mitzubringen hat. Ein zuvor ausgehändigter "prospectus" verzeichnet so nützliche und notwendige Dinge wie Bügeleisen, Wassereimer, Buschmesser, Scheuerbürste, Schaumstoffmatratze und einiges andere mehr. Was die Bekleidung betrifft, so findet sich auf dieser Liste neben "white trousers for church service" und "khaki trousers" auch ein ausdrücklich mit dem Zusatz "school supply" versehenes "pair of khaki shorts": Bis heute identifizieren sich "school boys" in Ghana durch sowohl den klimatischen Bedingungen als auch einer impliziten sozialen Hierarchie genügende kurze Hosen, für die sich im informellen Idiom die Bezeichnung 'school knickers' durchgesetzt hat.
Musikalische Unterweisung hat einen festen Platz auf allen Stufen des mittelalterlichen Bildungssystems […]. Für die vielfältigen rhythmischen, mnemotechnischen und intensivierenden Beziehungen, die Musik mit lehrhaftem Sprechen eingeht, ist der lebenspraktische Hintergrund entscheidend. Vor allem im monastischen Kontext nahm die Vermittlung von Musik einen zentralen Platz ein, da Musikkenntnisse für die gemeinschaftlich gesungene Liturgie unabdingbar waren. […] Die Musiklehre ermöglichte die Aneignung theologischer Konzepte und übernommener Lehrinhalte; Singen und der mentalis iubilus auf den Seeleninstrumenten wurden von da aus zu einer zentralen Ausdrucksform der persönlichen Andacht. Das wird im 15. Jahrhundert in der von der devotio moderna inspirierten Reformbewegung von Bursfelde besonders sichtbar, da sich aus dieser Zeit nicht nur liturgische Handschriften, sondern auch Andachtsbücher und Berichte über den Umgang mit Musik innerhalb der Reformbewegung erhalten haben. […] Die Ebstorfer Schulhandschriften, die Liederbücher aus Wienhausen und Ebstorf und die Medinger Andachtsbücher bieten reiches Anschauungsmaterial für die Vermittlungsleistung spätmittelalterlicher geistlicher Musik. Ein besonderer Akzent wird dadurch gesetzt, dass volkssprachige Musikformen gleichberechtigt einbezogen und in das Liedrepertoire und die Andachtsübungen integriert werden. Im Folgenden frage ich daher danach, wie sich unter den Bedingungen der liturgischen Erneuerung Ende des 15. Jahrhunderts die Unterrichts- und Musizierpraxis der Nonnen in neue, musikalisch inspirierte Andachtsmodelle umsetzt.
In seinem frühen 16mm-Schwarzweiß-Film 'NICHT löschbares Feuer' von 1969 stellt Harun Farocki, der am 30. Juli 2014 plötzlich verstorbene Filmemacher und Künstler, in die Kamera blickend sich und seinem Publikum die Aufgabe, das Leid, das die vom US-Militär abgeworfenen Napalmbomben über Vietnam bringen, nicht nur zu zeigen, sondern spürbar werden zu lassen. Um genau diesen Unterschied soll es im Folgenden gehen: Unter welchen Voraussetzungen können Bilder nicht nur Informationsträger sein und ein distanziertes Wissen über Situationen oder Ereignisse darstellen, sondern ihre Betrachter in einer Weise mit dem, was sie zu sehen geben, verbinden, sie affizieren und involvieren, ähnlich so, wie es die direkte Erfahrung dessen, was gezeigt wird, täte?
Die Überfahrt von der Insel Scyros nach Troja stellt für Achills Leben eine Zäsur dar: Nachdem er vom Zentauren Chiron in Thessalien erzogen wurde und danach auf Scyros, in Mädchenkleider gehüllt, mit Deidamia seine erste Liebe erlebt hat, wird er nun von Ulixes und Diomedes an den Ort seiner Bestimmung gebracht. […] Diomedes und Ulixes befragen Achilles über seinen Werdegang, und seine Antwort offenbart schon den ganzen Unterschied zwischen Konrads von Würzburg Darstellung innerhalb seines ›Trojanerkriegs‹ (zwischen 1281 und 1287) und seiner Vorlage, der ›Achilleis‹ des Statius (1. Jh. n. Chr.). In der römischen Version nämlich schildert Achilles ausführlich seine harte Erziehung durch Chiron […]. Die Zeit bei Deidamia wirkt […] wie ein peinlicher Irrweg […]. Konrads Achilles hingegen erzählt zwar ebenfalls von der Zentauren-Ausbildung, dann aber auch "von den minnen,/die Dêîdamîe und er / mit innecliches herzen ger / getragen heten lange stunt." […] Er bezieht die Liebesgeschichte ausdrücklich in seinen Werdegang ein und bekennt sich damit zu ihr. Dieser Werdegang besteht also aus zwei Teilen, aus einem doppelten Erziehungsweg. […] Dies […] bedeutet eine ungeheure Aufwertung der Liebesgeschichte in der mittelalterlichen Version. Doch was macht den ‘erzieherischen’ Wert der Liebe aus? Inwiefern stellt die Deidamia-Episode nicht mehr nur einen besser zu verschweigenden (wenn auch erzählerisch um so reizvolleren) Irrweg dar in Achills Entwicklung zum größten Kämpfer vor Troja, sondern sogar eine – womöglich unentbehrliche – Entwicklungsstufe von eigenem Recht? Im Folgenden soll Konrads Bearbeitung der Episode im Vordergrund stehen, aber immer wieder auf Statius als kontrastierenden Hintergrund zurückbezogen werden.
Unmittelbar auf das fast friedensselig gestimmte Sterbegedicht der "Kleinen Passion" folgt ein seltsam derbkomisches, balladesk trotziges Klagelied einer Kröte, welche partout nicht sterben kann, ein offenkundiger Kontrapunkt oder satirischer Πάρωδος zum elegischen Passionsspiel über den Mückentod. Die beiden Gedichte stehen in Gottfried Kellers 'Gesammelten Gedichten' von 1888 in der zweitletzten Abteilung unter "Vermischte Gedichte" einander zugeordnet. Wie der Titel andeutet, findet sich hier ein recht buntes Allerlei von Texten unterschiedlichster Art und verschiedenster Entstehungszeit - die "Krötensage" wurde zwanzig Jahre vor "Kleine Passion" erstmals publiziert, nämlich 1852. Gleichwohl ist die gruppierende Hand Kellers unübersehbar, und dieser Ordnungswille wurde in der Keller-Forschung etwa von Emil Ermatinger oder Jonas Fränkel denn auch früh festgehalten. Konkret zu den beiden Gedichten sagt letzterer indessen lediglich: "Das Schicksal der Kreatur wird in zwei gegensätzlichen Gedichten abgewandelt." Der Bezüge sind freilich weit vielfältigere: Neben den jahreszeitlichen Kontrastparallelen - die "Kleine Passion" spielt im herbstlichen September, die "Krötensage" im Maienfrühling - und dem bedeutungsgeladenen Verhältnis von Leben, Körper und Hülle, dem "Futterale" - in der "Krötensage" der Stein, in der "Kleinen Passion" das dichterliche Buch - ist den beiden auch dasselbe Thema eingeschrieben: Letztlich geht es um die altehrwürdige 'ars moriendi' in ihrer dialektischen Verflochtenheit mit der 'ars vivendi'. Auch der satirische Grundklang erweist sich bei genauerem Hinschauen als gemeinsam.
'Je-desto'-Sätze scheinen in struktureller Hinsicht Einzelgänger zu sein. Das Ungewöhnliche ist, dass sie wie eine obligatorische Verb-dritt-Konstruktion daherkommen: An erster Stelle steht scheinbar der durch je eingeleitete Nebensatz im linken Außenfeld bzw. Vor-vor-Feld, dann folgt die desto-Konstituente, die das Vorfeld einnimmt, und dann an dritter Stelle das finite Verb des Matrixsatzes. Angesichts der Semantik der involvierten Konstituenten ist diese Strukturbeschreibung ungewöhnlich und widerspricht plausiblen Erwartungen. Der Aufsatz bietet eine Analyse, nach der der 'je'-Satz und die 'desto'-Konstituente zusammen eine komplexe Konstituente bilden, die eine einzige, ganz reguläre Einheit konstituiert, was bedeutet, dass der Gesamtsatz eine ziemlich reguläre Verb-zweit-Struktur ist.
Der in Pamuks Memoiren zentrale Begriff 'hüzün' lässt sich nicht einfach mit Melancholie übersetzen. Im Gegensatz zu dem individuell erlebten Gefühl der Melancholie – im Türkischen verwendet Pamuk hier den dem Französischen entlehnten Begriff 'melankoli' – beschreibt 'hüzün' ein kollektives Gefühl, das die Stadt in ihren Bewohnern auslöst. 'Hüzün' ist die Reaktion auf die Schwarzweißatmosphäre der Stadt an einem grauen Wintertag, Ausdruck der Schicksalsergebenheit ihrer Bewohner und gleichzeitig ein Gefühl, das der Anblick der Ruinen der einstmaligen osmanischen Hauptstadt im Betrachter hervorruft. Pamuks Werk zeichnet das Bild der Istanbuler als eine affektive, durch 'hüzün' verbundene Gemeinschaft. [...] Die Memoiren veranschaulichen die Faszination, die für Pamuk mit den melancholischen Porträts der Stadt in der westeuropäischen wie der türkischen Literatur, Kunst und Fotografie verbunden ist. Sie verfolgen, wie der Autor sich 'hüzün' als Quelle literarischen Schaffens zu eigen macht. Ob und zu welchem Zweck Pamuk, wie Kemal und Tanpınar vor ihm, 'hüzün' zu einem kollektiven, nationalen Affekt stilisiert, soll im Folgenden untersucht werden.
Welche Signifikanz sich das über die 'Geistlichen Übungen' geregelte Bildliche bewahrt hat, möchte ich im Folgenden anhand einer Erzählung aus den 'Nachtstücken' E.T.A. Hoffmanns, der 'Jesuiterkirche in G.' aus dem Jahre 1816, skizzieren, die sich bei genauer Betrachtung als eine literarische Abhandlung über das jesuitische Bild- und Wahrnehmungsverständnis zu erkennen gibt.
Der vorliegende Essay möchte die Verbindung von Philosophie und Religion näher ausführen und sie exemplifizieren anhand der Exegese der Bibel im 'Stern der Erlösung'. Hierfür sollen zunächst ein paar einleitende Worte zur Biographie Rosenzweigs angeführt werden, da bei diesem Denker, wie bei kaum einem zweiten der jüdischen Moderne, Leben und Werk eng aufeinander bezogen sind. Daran anschließend konzentriere ich mich auf den 'Stern', um herauszuarbeiten, wie Rosenzweig die Bibel benutzt, um gewisse für sein Denken zentrale philosophische Sachverhalte anhand von Bibelstellen zu erläutern.
Zu beobachten ist die Karriere eines unreflektierten Essentialismus. Wurzeln sind Bestandteile von Pflanzen. Hier werden sie zu metaphorischen Bestandteilen von Menschen. Zu 'wurzeln' bedeutet, fest zu stecken, mit dem 'kulturellen Herkunftsraum' verwachsen zu sein und zu bleiben. Dieses konstruiert Pflanzliche betont eine letztliche Unverrückbarkeit – paradoxerweise bei Menschen, deren 'Migrationshintergrund' gleichzeitig auf ihre Mobilität fokussiert. Kern der Wurzel-Metapher ist dann auch die Behauptung, dass fremde und vorgeblich unveränderliche Eigenschaften mitgebracht werden.
Im Folgenden soll daher, mit Schwerpunkt auf dem Roman 'Paradiese, Übersee', die Struktur von Hoppes Texten vor dem Hintergrund ihrer literaturhistorischen Kontexte aufgeschlüsselt werden. Diese, von der Kritik als irritierend wahrgenommene Struktur basiert auf der Abkehr von üblichen chronologischen und kausallogischen Ordnungsschemata und der gleichzeitigen Hinwendung zu einer Erzählstruktur, die ihren Sinn über variierende Verbindungen einzelner Elemente generiert. In der vorliegenden Untersuchung wird dieses Narrationsschema auf seine historischen Vorbilder hin untersucht, um das schöpferisch 'Neue', die innovative Formensprache des Hoppe'schen Erzählens fassbar zu machen.
Am Nachdruck, wie er bei Johann Christoph Gottsched, Johann Jacob Bodmer, Johann Jacob Breitinger, Johann Georg Sulzer und Johann Gottfried Herder diskutiert wird, lässt sich exemplarisch beobachten, wie eine Gruppe von rhetorischen Verfahren zur Kennzeichnung von nationalen Kollektivstilen ausgebaut wird. Eine wichtige Voraussetzung für die Ausweitung des Nachdrucks von einer Stilfigur zu einem 'nachdrücklichen Stil', so die hier verfolgte These, ist der über physikalische Leitvorstellungen von Druck, Stoß und Wurf geleistete metaphorische Anschluss an ästhetische Kraftvorstellungen.
Ernst Müller beschäftigt sich mit der "Umcodierung der europäischkonfessionellen in eine national-säkulare Bestimmung der Universität" im Werk Friedrich Schleiermachers. Da eine sprachliche Verfasstheit des Wissens für Schleiermacher außer Frage stehe und er deren Vermittlung in der "verschriftliche[n] Mündlichkeit" seiner Vorlesungen auch durchaus Rechnung zu tragen versuche, wolle er den Gebrauch des Lateinischen auf den einer akademischen Festsprache reserviert wissen. Ferner führe die neue Verbindung von Philosophie, Wissenschaft und Bildung bei Schleiermacher beinahe zwangsläufig zu einer Gegenüberstellung von deutscher Universität und französischer Spezialschule, da Letztere sich dem staatlichen Nutzen und der Berufsausbildung verschrieben habe. Die deutsche Universität binde Schleiermacher dabei zwar an die Nation, mitnichten aber an den Nationalstaat.
Das Zentrum und den Ausgangspunkt von Katja Diefenbachs Beitrag "'Conatus' versus 'cogito'" bildet, wie der Untertitel anzeigt, "der Streit um Spinozas spekulativen Materialismus in der postmarxistischen Philosophie". Sie stellt die kritischen Positionen Badious und Žižeks vor und diskutiert die unterschiedlichen Anknüpfungen an Spinoza in der postmarxistischen Philosophie bei Negri und Agamben, macht aber zugleich deutlich, dass sich ihre eigene Auslegung der Philosophie von Spinoza und des Conatusprinzips an Deleuze orientiert. So geht sie mit Deleuze davon aus, dass Spinoza das Sein als unendliche Potentialitätsdifferenz begreift, in dem der Mensch nichts anderes ist als "Handelnd-Werden, Vermögend-Werden, Verursachend-Werden, das eine Reihe kritischer Wendepunkte umfasst." Sie betont, dass die Struktur des Conatusprinzips anarchisch und nichtvorschreibend ist und genau deswegen einen Primat der Politik begründe, in dem es nicht um den Sprung in die Freuden des Denkens gehe, sondern um die Ungarantiertheit dieses Sprungs.
Die Frage, wie sich 'Bibel' und 'Literatur' zueinander verhalten und ob es notwendig und sachgemäß ist, die Größe 'Bibel' der Größe 'Literatur' eigenständig gegenüberzustellen, präsentiert sich zunächst als ein Teilgebiet des weiten Themenfeldes 'Religion und Literatur'. Dieser Zusammenhang wird in den letzten Jahren sowohl in den Fachbereichen der Theologie, im Besonderen in der Praktischen Theologie, als auch in den Literaturwissenschaften verstärkt diskutiert. Nicht von ungefähr, denn das Thema 'Religion' hat in den Medien und im Feuilleton, wie bereits hinreichend bemerkt wurde, Konjunktur. Dies nimmt zunächst nicht wunder, denn Themen haben eben Konjunktur; sie scheinen in der öffentlichen Diskussion auf, dokumentieren Zeitstimmungen, finden ihren Niederschlag in der zeitgenössischen Kunst und Literatur und verschwinden wieder. Vertreter der Theologie zeigen sich dennoch einerseits erfreut über das neu erwachte Interesse an ihrem Fach, stellen eine "Renaissance des Religiösen" fest und begeben sich auf das Terrain der Gegenwartsliteratur, um dort den "religious turn" aufzuspüren. Andererseits kommentiert man, was man dort vorfindet, aus der Warte des 'Theologen' oder dem persönlichen religiösen Gefühl heraus. Diese Perspektive muss der Literaturwissenschaft, zumal derjenigen, die sich der Gegenwartsliteratur widmet, befremdlich erscheinen. Dementsprechend übersieht ein Teil ihrer Fachvertreter das scheinbare "Megathema" entweder, indem unter den "neuen Paradigmen der Gegenwartsliteratur" die Auseinandersetzung mit den Biowissenschaften, der Popkultur und den 'Neuen Medien' namhaft gemacht wird, 'Religion' aber nicht einmal dem Komplex der "Remythisierungen" eingliedert werden mag; oder das Erkenntnisinteresse verlagert sich auf eine gemeinsame Textgruppe 'Bibel und Literatur', wobei man zum einen nach Verarbeitungen von 'Bibel in der Literatur' fragt und zum anderen die Qualität von 'Bibel als Literatur' untersucht.
Wortformen wie Berliner und Potsdamer treten in pränominaler attributiver Funktion auf: eine Position, in der sowohl Adjektive als auch Substantive stehen können. Substantive kommen in der Position vor als sächsische Genitive (Leos Auto), als vorangestellte Genitivattribute (des Vaters Pflicht) oder als Bestandteile einer engen Apposition (Bundeskanzler Schröder). Adjektive stehen an dieser Stelle als adjektivische Attribute (rotes Auto). Gegen jede dieser Interpretationen von Berliner sprechen jeweils formale Argumente, die im wesentlichen darauf hinauslaufen, daß Berliner in Berliner Ballen niemals flektiert wird - weder wie ein Substantiv noch wie ein Adjektiv.
Welcher Wortart sind Wortformen wie Berliner in Berliner Ballen also zuzuordnen? Zur Beantwortung dieser Frage folgen zunächst einige (kommentierte) Literaturstellen, anschließend werde ich die Bezeichnung 'Stadtadjektive' einführen, ich nehme also zum Zwecke der Benennung eine Entscheidung vorweg. Darauf folgt die Untersuchung: das Verhalten der Stadtadjektive in Bezug auf Flexion, Derivation, Komposition und Syntax.
Markus Färbers 'Reprobus' aus dem Jahr 2012 ist im Genette’schen Sinne ein Palimpsest der mittelalterlichen Legende des Heiligen Christophorus, angesiedelt in einer dystopischen Welt, in der eine geographisch reale 'Welt der Legenden und Mythen' durch Erosion zu verschwinden droht. Westlich davon liegt, durch einen Fluss abgegrenzt, eine düstere von Menschen bewohnte Megastadt. Dorthin zurückgekehrt, versucht Christus, sich und Christophorus / Reprobus wieder in das Gedächtnis der Bewohner_innen zu bringen. Die Missionarstätigkeit und das Martyrium der alten Version fehlen. Stattdessen versucht Reprobus mehrfach vergeblich über den Grenzfluss aus der Welt der Menschen wieder in die der Legenden zu gelangen. Dieser Grenze zwischen Logos und Mythos, die immer unüberwindbarer wird, gilt es in ihrer allegorischen Konstellation Beachtung zu schenken. Denn an die Stelle der traditionellen Moralisatio ist in diesem Buch folgende Frage getreten: „If the myths have gone away, will the stories ever stay in our time?“ In Färbers Werk spiegelt sich eine Hoffnung, von der Benjamin in seiner Allegorietheorie spricht: das Aufgreifen von verschwindenden Dingen, ob materieller oder geistiger Natur, und deren Besetzen mit neuen Bedeutungen könnte sie über die Grenze, vor dem Vergessen, für die jeweilige Gegenwart der Künstler_innen, die damit zu Allegoriker_innen werden, retten.
Wie Hashtags bei Twitter als Teile von Komposita verwendet werden, zeigt Markus Majewski in seinem Beitrag #Erdogan-Diktatur - Hashtags als Elemente von Substantivkomposita in politischen Tweets. Als Grundlage dient ihm das Korpus aus Tweets von SpitzenpolitikerInnen der großen Parteien während des Wahlkampfs, in dem er alle Substantivkomposita mit einem Hashtag als Bestandteil wie #Energiewende auf funktionale, graphematische und strukturelle Aspekte untersucht. Insbesondere bei der Schreibung der Komposita zeigt sich eine große Kreativität. Zudem lassen sich Twitter-spezifische Kommunikationsfunktionen der Hashtag-Erstglieder beobachten.
Neben Goethes – hier freilich nur sehr grob umrissener – nüchterner Bewertung der historischen Rolle Deutschlands und Europas nimmt sich der "Europa" überschriebene, im Herbst 1799 entstandene Aufsatz Friedrich von Hardenbergs, genannt Novalis, geradezu als das andere Ende eines Spektrums von Standpunkten aus, die das Thema »Europa in Weimar« um 1800 ausmessen. Der Text hat bei den zeitge-nössischen Lesern in Novalis’ romantischem Jenaer Freundeskreis, besonders aber bei Schelling, für Irritation gesorgt. Goethe, der von August Wilhelm Schlegel um eine Stellungnahme gebeten worden war, sprach sich gegen die Absicht der Herausgeber aus, die "Europa"-Rede aus romantischer »Philironie« heraus zusammen mit Schellings polemischer Entgegnung "Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens" im "Athenäum" abzudrucken; eine Begründung seiner Entscheidung ist freilich nicht überliefert. Auch die spätere Rezeption der "Europa" blieb nicht selten von Verständ-nislosigkeit und Befremden geprägt.
Das Hauptinteresse dieses Beitrags gilt - nach einer biographischen Einbettung - dem brieflichen Austausch zwischen Catherine Pozzi und Rilke, der bis heute nur in französischer Sprache vorliegt. Im Anschluß daran wird ein wichtiger Aspekt des Verhältnisses Rilke-Valéry wenigstens kurz berührt. Angeregt wurde der Beitrag durch eine Bemerkung des Dichters und Übersetzers Philippe Jaccottet, wonach es sich bei Rilkes schrankenloser Bewunderung für Paul Valéry um einen gewissen Mangel an Klarsicht ('lucidité') handle; er, Rilke, habe den Abgrund übersehen, der ihn, im Wesentlichen, vom französischen Dichter trenne. Dies kann man auch anders sehen.