Refine
Year of publication
- 2013 (104) (remove)
Document Type
- Part of a Book (69)
- Article (27)
- Review (3)
- Book (2)
- Part of Periodical (2)
- Conference Proceeding (1)
Language
- German (104) (remove)
Has Fulltext
- yes (104)
Is part of the Bibliography
- yes (104) (remove)
Keywords
- Benjamin, Walter (24)
- Ausdruck (8)
- Gesicht <Motiv> (7)
- Berliner Kindheit um neunzehnhundert (6)
- Musik (6)
- Phantastische Literatur (5)
- Rezeption (5)
- Bildnis (4)
- Deutsch (4)
- Geste (4)
Walter Benjamins Aufsatz "Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen" dient als Ausgangspunkt für mein Stück. Benjamin verbindet die Schöpfungsgeschichte der Genesis und die Geschichte des Turms von Babel, wobei er die einheitliche, reine Sprache, die vor Babel gesprochen wurde, auf den idealen Zustand im Garten Eden bezieht. Zefanjas Prophetie für das Ende aller Tage führt kreisförmig auf diesen Anfang zurück: "Dann aber will ich den Völkern reine Lippen geben, dass sie alle des HERRN Namen anrufen sollen und ihm einträchtig dienen." (Zef 3,9).
In Georg Büchners Jubiläumsjahr seines 200. Geburtstages sind die 1824-1826 in juristischen Fachzeitschriften publizierten, inzwischen längst vergessenen Gutachten von Georg Büchners Vater Ernst erneut unter dem Titel "Versuchter Selbstmord mit Stecknadeln" veröffentlicht worden. Die depressive Patientin des titelgebenden Berichts gab an, zunächst 30 und später dann 300 Stecknadeln in suizidaler Absicht verschluckt und unbeeinträchtigt wieder ausgeschieden zu haben. Ernst Büchner hielt das nicht für glaubhaft; zur experimentellen Überprüfung schaffte er einen großen Dachshund an, dem er Stecknadeln ins Futter mischte, um ihn dann zu töten, den Bauchraum zu eröffnen und die erhöhte Peristaltik des Darms zu beobachten [...]. Am 18. Dezember 1836 hatte der Vater die Übersendung eines Buchpaketes angekündigt, das auch Exemplare dieses Gutachtens enthielt; der inzwischen in theoretischer Medizin habilitierte Sohn sollte sie exemplarisch mit seinen Studenten in Zürich durchgehen. Georg Büchner, der seinem Woyzeck-Drama, mit dem er zu dieser Zeit intensiv beschäftigt war, medizinisch-psychiatrische Gutachten des Falles Woyzeck – u.a. von Johann Christian August Clarus - zugrundelegte, war durch die Sendung seines Vaters "[k]urz vor seinem Tod [...] noch einmal mit dem absurden Schrecken konfrontiert, der vom Nadelexperiment ausgeht. Woyzecks mörderische Erbsen-Diät ist mit diesem grotesken und in der sinnlosen Summierung der verschluckten und ausgeschiedenen Nadeln durchaus komischen Experiment wahrlich verwandt." Der Schwerpunkt des vorliegenden Beitrags wird jedoch nicht auf dem Vergleich des juristisch-moralischen Ansatzes des Vaters und des Sohnes bei der Beurteilung der zugrundliegenden Fallgeschichten liegen, sondern auf der grundsätzlichen Struktur einer Subjektivierung durch Disziplinierung, durch Strategien des Überwachens und Strafens, die Georg Büchner als grundsätzliche sozialpolitische, psychologische und moralische Erkenntnis diesen Fallgeschichten abgewinnt, um sie in eine dramatische Form zu überführen.
Ausdruck und Verkörperung : Fritz Kortners Überlegungen zu Stimme und Geste in Film und Theater
(2013)
Bertolt Brecht hat in seinem 'Arbeitsjournal' aus dem kalifornischen Exil die Schwierigkeiten eines seiner Bekannten, des Schauspielers Fritz Kortner (1892−1971), in den Filmstudios von Hollywood beschrieben: "Kortner kann keine rolle bekommen. eisler erzählt, daß die leute in RKO [Radio Keith Orpheum, eine amerikanische Radio- und Filmgesellschaft] bei der Vorführung von Probeaufnahmen laut gelacht hätten: er habe mit den augen gerollt. nun ist eigentliches spiel hier verpönt, man gestattet es nur den negern. die stars spielen nicht rollen, sondern kommen in "situationen". Ihre filme bilden eine art von comics (abenteurerroman in fortsetzungen), welche einen typ in vielen bedrängnissen zeigen (selbst die wiedergabe der story in der presse sagt etwa: gable haßt garbo, hat aber als reporter … usw.). aber gerade seine arbeitslosigkeit veranlaßt k[Kortner], sogar im privatleben sehr viel mehr zu spielen, als er es je auf der bühne tat. ich sehe ihn mit einem gemisch von heiterkeit und entsetzen eine einfache erzählung unbedeutender vorgänge mit einem unmaß von gestik und "ausdruck" vortragen." Diese Eintragung Brechts aus dem Jahre 1942 ist über den anekdotischen Anlass hinaus aufschlussreich. Brecht notiert die unterschiedlichen Auffassungen bei europäischen Emigranten und den Gewaltigen der amerikanischen Filmindustrie hinsichtlich dessen, was es heißt, eine Rolle zu spielen. Fritz Kortner verfügt über die vokalen und mimisch-gestischen Ausdrucksmittel der expressionistischen Schauspieler-Generation vor und nach dem Ersten Weltkrieg, er weiß, wie man etwas 'mit Ausdruck' vorträgt. Doch erscheint eben dieser von ihm so virtuos verkörperte Schauspielertypus im amerikanischen Filmgeschäft der 40er Jahre nur noch als exotisch. Allenfalls wird dergleichen bei 'Negern', also den Verlachfiguren des Hollywood-Films, toleriert. Von weißen Schauspielern wird etwas anderes erwartet: Nicht die Verwandlung ist das Ziel, sondern die Wiedererkennbarkeit der Stars in unterschiedlichen Kontexten. Und gefragt ist eine unterkühlte und - gemessen an europäischen Maßstäben - anti-theatralische Art des Schauspielens mit herabgesetztem Einsatz von Mimik, Gestik und vokalen Mitteln.
Die Obsession für das menschliche Antlitz ist dem 20. Jahrhundert ins Gesicht geschrieben. So produzieren die modernen Bildmedien Fotografie, Film und Fernsehen in zuvor ungekanntem Ausmaß endlose Serien menschlicher Porträts, so erzeugen sie gänzlich neue Perspektiven auf das Gesicht und bringen allgegenwärtige faciale Schemata in Umlauf. Dabei wird das Gesicht zu einem maßgeblichen Vehikel gesellschaftlicher Normierung und zugleich zu einem Paradigma, an dem grundlegende Fragen der Subjektivität, der Kommunikation und der Ästhetik verhandelt werden. Dass nicht nur theoretische Diskurse die Funktionen des medialisierten Gesichts reflektieren, sondern auch die Medien selbst, lässt sich an Georges Franjus Les Yeux sans visage (1959) zeigen. Vermag der Film – ein Klassiker des Horrorgenres – es doch wie kaum ein anderer, die Potentiale des menschlichen Gesichts als Medium der Subjektivität und seine Bedeutung als Sujet des modernen Films auszuloten – und zwar gerade, indem er dessen Verlust in Szene setzt.
"Writing Worlds" – ich möchte den Titel der Jahrestagung der Gesellschaft für Fantastikforschung 2013 absichtlich anders verstehen als die naheliegende Bedeutung und ihn mit "schreibende Welten" übersetzen, um mich so einer nicht schreibenden Welt zuwenden zu können: François Truffauts "Fahrenheit 451". In seiner Verfilmung von Ray Bradburys Roman verabsolutiert Truffaut die Quintessenz der Vorlage und präsentiert dem Rezipienten eine Welt, in der nicht nur bestimmte Bücher dem Zensus zum Opfer fallen, sondern die Schrift an sich verboten ist. Dabei wird das Buch durch drei Elemente als Bewahrer der Menschlichkeit und Kultur inszeniert:
1. Der Film affiziert die Bildwand mit negativen Attributen und stellt sie als gekünstelt, kalt und unmenschlich dar. Darüber hinaus fungiert sie als Sprachrohr des herrschenden totalitären Regimes.
2. Auf der Ebene der Story erleben wir als Rezipienten den Wandel der Hauptperson Montag mit. Dieser wandelt sich vom systemtreuen Feuerwehrmann zum Systemgegner. Sein Weg zur Freiheit ist dabei unmittelbar mit einer Hinwendung zum "Buch" und der Emanzipation gegenüber der Bildwand verbunden.
3. Die Bücher, die im Film verbrannt werden, sind überwiegend Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses, wodurch das Verbot dieser Bücher wie eine Agitation gegen die Kultur erscheint.
In dem fast schon nietzscheanisch anmutenden Gestus der Umwertung aller Werte bzw. der kaiserschnittlichen Geburt neuer Erkenntnisse aus dem Geiste der Wende revidiert die polnische Geschichtsschreibung nach 1989 die bisher geltenden, ideologisch offenbarten Wahrheiten. Ihre politisch dekretierte, jahrzehntelang dauernde weltanschauliche Monolithizität bekommt infolgedessen immer mehr Sprünge und Risse, an deren Erweiterung und Vertiefung nun emsig gearbeitet wird. Das Movens hinter diesen "reformatorischen" Aktivitäten, die nun die noch vor Kurzem in Forschung und Lehre allgemein verbindlichen Geschichtsinterpretationen dementieren und auf den Müllhaufen der Geschichte befördern, sorgt coram publico für nicht selten heftig ausgefochtene, medien- und publikumswirksame Debatten.
Ein Teil der Historikerzunft entaxiomatisiertdie bisherigen geschichtshermeneutischen Dogmen im Akt expiatorischer Selbstgeißelung, die ihn – trotz früherer freiwilliger Involvierung in die ideologisch tendenziöse wahrheitsverzerrende Faktendeutung – in den Genuss eines "Persilscheins" für die demokratische Zeit kommen helfen soll. Das von den einen nur vorgespielte, von den anderen aber tatsächlich tief empfundene Schuldbewusstsein angesichts ihrer Servilität gegenüber dem volksdemokratischen Ancien Régime lässt sie allesamt in das Lager der exaltierten Huldigung des magisch-mythisch gefärbten polnischen Patriotismus migrieren, der sich, das konstituierende thanateische Element von der englischen Hochromantik (Byron, Keats, Shelley) übernehmend, schon seit ca. zwei Jahrhunderten kaum aus dem Identitätsgründungswiderspruch zwischen der hegelianischen Apotheose des Staates, mit dem insbesondere in der Teilungszeit von 1795-1918 die Nation gleichgesetzt worden ist, und der herderschen Volksseele, deren Konkretisierung als Volkskultur das Fundament zur Bildung der Nation lege, befreien kann.
In der Benjaminforschung hat der Name Ernst Schoen einen guten, wenn auch nur einen marginalen Klang. Schoen, der zwei Jahre jüngere Schulfreund Walter Benjamins, der distanzierte Beobachter in jugendbewegter Zeit, Mitspieler in der erotisch aufgeladenen Atmosphäre wechselnder Freundschaften und später der wichtige Mann beim Rundfunk – damit ist auch schon die Rolle, die er in diesem Forschungszusammenhang bisher spielte, umrissen. Dass er Komponist und Schriftsteller war, wird seinem Namen zwar gern erklärend hinzugefügt, aber selten hat jemand etwas von ihm gelesen, geschweige denn eine Komposition gehört. Noch weniger bekannt ist, dass er am Ende verletzt und resigniert zu jenen Heimgekehrten gehörte, deren Remigration als gescheiter t angesehen werden muss.
Unter der aus dem deutschen Feuilleton stammenden Bezeichnung "literarisches Fräuleinwunder" wurden Ende der Neunziger Jahre deutsche Autorinnen nach außerliterarischen Faktoren unter einem Etikett zusammengefasst. Judith Hermann war eine der ersten, die vom Kritiker Volker Hage im Zuge der Veröffentlichung ihres Debüts "Sommerhaus, später" mit dem Begriff in Verbindung gebracht wurde. Charlotte Roches Debüt "Feuchtgebiete" bedeutete für Dirk Knipphals knapp zehn Jahre später das Ende des literarischen Fräuleinwunders. Einige der Autorinnen, die mit der Bezeichnung in Berührung kamen, hatten mit ihren Werken große kommerzielle Erfolge und wurden in mehrere Sprachen übertragen. Ihre literarischen Texte wurden auch für den amerikanischen Markt übersetzt und fanden Beachtung in der Presse, auch wenn die Etikettierung hier keine Rolle spielte, sondern diese unabhängig voneinander rezipiert und kontextualisiert worden sind – wie in diesem Aufsatz, der dafür in einigen Fällen auch vergleichende Seitenblicke auf die deutsche Rezeption wirft, dargestellt wird.
Philip Guston (1913−1980) beginnt seine Karriere als figurativer Zeichner und Maler in Los Angeles. In den 1930er Jahren lernt er den Muralismus kennen und arbeitet als Gehilfe von David Alfaro Siqueiros bei der Ausführung von Wandmalereien in Mexiko. In den 1940er Jahren entstehen die ersten abstrakten Gemälde. Keinem Anliegen verpflichtet, das außerhalb des Malens angesiedelt ist, sind die Bilder allein in der Malerei gegeben. Die Bedingungen, denen sich diese Malerei unterwirft, sind in sie selbst hineingenommen und zu etwas Innerbildlichem geworden. Die Wahl von Malmaterial, Pinsel, Format, die Art und Weise, wie die Leinwand gespannt ist, die Grundierung und das Bindemittel sind schon malerische Entscheidungen: Sie spannen die Triebfeder der Malerei und entwinden sie zugleich dem Determinismus, den die materiellen und technischen Bedingungen ausüben. Guston setzt weder eine anderswo formulierte Bildidee um, noch steht diese in einer nachholenden oder illustrierenden Beziehung zum Begriff. Er gebraucht keinen vorgängigen Code von Farben und Formen: Statt distinkter Farbformen gibt es übergängige Zonen und Blöcke mit einer Tendenz zur losen Gruppierung. Die Farben sind aus der Arretierung in Formen gelöst und bilden Zonen, die durch eine Beziehung der Kontiguität verbunden sind; ihr Übergang und Zusammenspiel ist der Malweise selbst, nicht aber einer übergreifenden Komposition von Farbformen überantwortet.
Jeder gesunde Mensch als ein biologischer Organismus träumt in der Nacht. Träume sind also ein unentbehrlicher Teil unseres Lebens, infolgedessen sind ihnen sehr viele Forschungen im Bereich der Psychologie und Philosophie gewidmet. Ich als Literaturwissenschaftlerin möchte in diesem Beitrag den Traum als ein Element des literarischen Werks behandeln, unter Beachtung von dessen physiologischen und psychologischen Charakteristika. Besonders ausführlich sollen die Funktionen des Traums in dem Roman "Ypsilon Minus" von Herbert W. Franke analysiert werden, da in diesem Werk ganz neue Rollen des Traums und neue Mechanismen von dessen Aufkommen zu sehen sind. In das skizzierte Forschungsfeld sind aber auch andere deutschsprachige dystopische Romane einzubeziehen, die uns für dieses Thema interessant scheinen.
Dabei meinen wir, dass der literarische Traum als ein besonderer Chronotop betrachtet werden kann. Es hat einen spezifischen Raum (Oneiroraum) und spezifische Zeit (Oneirozeit). Es ist sehr interessant, dass H. W. Franke, der kein Literaturtheoretiker ist, bei der Beschreibung des Zustandes seines Helden unbewusst diesen Begriff definiert: "Als befände er sich in einer imaginären Zeit, in einem imaginären Raum, der das Reich der Träume von der Realität trennt".
Die Darstellung des Traums in der Literatur ist eine verbreitete Erscheinung, dessen Rolle und Funktionen ändern sich indessen, und zwar je nach der schöngeistigen Richtung, historischen Epoche, herrschenden Weltanschauung und konkreten Aufgabe des Autors. Im Altertum waren Träume eine Art von Orakel und wurden als Botschaften von den Göttern wahrgenommen. Wissenschaftler, die sich mit der Forschung der Träume in der Antike befassen (z. B. T. Teperik) teilen alle Träume in drei Gruppen: Wahrsagungen, Tröstungen und Erinnerungen.
Bei der Forschung des literarischen Traums werden auch Gattungsmerkmale des Textes beachtet. Z. B. haben die Träume nach Meinung von Michail Bachtin die Bedeutungen des Wahrsagens, der Ermunterung und der Ermahnung, und zwar nur in der Literatur, die auf der Karnevalbasis beruht; er schreibt, dass "solche Träume epische und tragische Ganzheit des Menschen und seines Schicksals zerstören", und sie erfüllen auf solche Weise psychologische Funktionen.
Der Türke als Schreckensbild
(2013)
Wie müsste ein filmisches Gegenstück zur klassischen Utopie aussehen? Dass ein Spielfilm in vielerlei Hinsicht ungeeignet ist für einen Gesellschaftsentwurf in der Tradition der morusschen "Utopia" (1516), ist im Grunde unbestritten. Es gibt denn auch kein Beispiel eines fiktionalen Films, der diesem Typus auch nur halbwegs nahe käme. Die Schlussfolgerung, dass positive Utopien im Film generell unmöglich sind, wäre allerdings voreilig, denn es existieren durchaus Spielarten des Mediums, in denen die klassische Tradition lebendig ist. So paradox es auf den ersten Blick auch scheinen mag – ausgerechnet im nichtfiktionalen Film findet die Utopie, die per definitionem von (noch) Nicht-Existierendem berichtet, einen fruchtbaren Boden.
Den grundlegenden Gedanken, dass das filmische Gegenstück zur klassischen utopischen Literatur im Dokumentarfilm zu suchen ist, habe ich bereits in meinem Beitrag zum Tagungsband der dritten GFF-Jahrestagung ausgeführt. Hier soll diese These nun genauer ausgearbeitet werden. Der Fokus liegt dabei auf dem bereits angedeuteten Widerspruch, dass eine Gattung, die sich just durch die Abbildung des Realen definiert, geeignet sein soll, um die Nicht-Orte der Utopie darzustellen. Nach einer kurzen Zusammenfassung meiner bisherigen Überlegungen wird der Schwerpunkt des Artikels deshalb auf der Theorie des Dokumentarfilms liegen.
"Nosferatu – Tönt dies Wort Dich nicht an wie der mitternächtige Ruf eines Totenvogels. Hüte Dich es zu sagen, sonst verblassen die Bilder des Lebens zu Schatten, spukhafte Träume steigen aus dem Herzen und nähren sich von Deinem Blut."
Mit diesen einleitenden Worten, geschrieben auf einer aufgeschlagenen Buchseite, beginnt der Stummfilm "Nosferatu – eine Symphonie des Grauens" von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahre 1922. Worte, die nicht nur auf den im Film fokussierten Vampirismus, sondern – etwa mit der Formulierung "Totenvogel" – vielmehr auf dessen kultur- und kunsthistorische Bezüge zu jahrhundertealten Vorstellungen von satanischen Biestern verweisen. Letztere treten, im Gegensatz zu der dem Film zugrunde liegenden Romanvorlage von Bram Stoker, in Murnaus Inszenierung deutlich hervor. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Figur des Vampirs Graf Orlok weder – wie Siegfried Kracauer postuliert – auf die gesellschaftskritische Interpretation als faschistischer Tyrann noch – im Sinne Lotte Eisners – auf ein Phantasma der deutschen Romantik reduzieren. Vielmehr verkörpert Graf Orlok den Versuch, ein filmisches Wesen zu kreieren, das – wie die seit Jahrhunderten überlieferten Bestien – die Menschen fasziniert und affiziert. So wird mit Graf Orlok, wie Thomas Elsässer anhand des Weimarer Autorenkinos herausarbeitet, ein 'Designkonzept' visualisiert, in dem sich hochkulturelle Kunst und populäre Unterhaltung verbinden. Auf diese Weise soll ein breites Publikum angesprochen und das noch junge Medium Film als eine alle Bevölkerungsschichten erfassende massenmediale Kunstform etabliert werden. Hierzu greift Murnau, wie der Titel des im Filmverlauf gezeigten Vampirbuches deutlich macht, unter anderem auf die christliche Ikonografie der Sieben Todsünden zurück.
Die Heldenfigur Batman wird in diesem Jahr nicht nur 75 Jahre alt, sondern hat in all ihren medialen Erscheinungsformen vom Comic bis zum Film, seit der Entstehung 1939 beständige Wandlungs- und Umdeutungsprozesse durchlaufen und dadurch ihre Aktualität erhalten. Dies beinhaltet sowohl die unterschiedliche Inszenierung des Helden, als auch die damit einhergehende differierende Konstruktion seines Heldentums.
Exemplarisch untersuchen, festhalten und nachzeichnen möchte ich diese Entwicklung entlang der Filme "Batman hält die Welt in Atem" von Leslie H. Martinson (1966) und der Batman-Trilogie von Christopher Nolan (2005–2012), wobei insbesondere der erste Teil "Batman Begins" (2005) herangezogen wird. Ausgespart werden in der Analyse die dazwischen entstandenen Filme von Tim Burton und Joel Schumacher. Dies ist einerseits des begrenzten Rahmens des Artikels, andererseits der bereits recht ausführlichen Betrachtung in der Forschung geschuldet.
Ich nähere mich dem Thema Gesicht in einer spezifischen Darstellungsform. Zum einen geht es um die visuelle Formation von Gesicht mit Hilfe der Fotografie. Zum zweiten spreche ich von einem toten Gesicht, und zwar in doppeltem Sinn: auf medialer Ebene, weil fotografierte Gesichter im Moment der Aufnahme gemäß Roland Barthes immer schon "Gewesene" sind, und auf symbolischer Ebene, weil das von mir vorgestellte Gesicht zu einer Person gehört, die uns in einer Aufbahrungsszenerie als Verstorbener gezeigt wird. Damit ist es in ein konventionelles Zeichensystem des Totengesichts eingefügt, dem der lebendige Blick fehlt. Mit Jean Cocteau habe ich eine künstlerische Figur gewählt, die mit diesen beiden Prämissen spielerisch und reflexiv umgeht. Er versucht dabei ein Ding der Unmöglichkeit: nämlich das eigene Totengesicht als Angesicht zu konstruieren, insofern er uns als Betrachterinnen und Betrachter in einen unendlichen Prozess des vis-à-vis verstrickt. Anders als etwa Emmanuel Levinas ging es Cocteau in seiner Versuchsanordnung eines 'Von Angesicht zu Angesicht' jedoch weniger um eine ethische als um eine poetische Frage, und mit einem Augenzwinkern, um im Bild zu bleiben, nicht zuletzt auch um seine eigene Apotheose als genialer Künstler.
Für fantastische Literatur werden neue Welten durch Autor_innen erdacht, neue Räume eröffnet. Fremdes wird dargestellt und beschrieben. Dabei sind es selten komplett "neue Welten". Es wird nichts oder nur wenig beschrieben, was uns absolut "fremd" ist. Häufig werden Symbole und Darstellungen verwendet, die auch in der primären Welt als "fremd" konstruiert werden und damit für "Fremdes" stehen, ohne uns tatsächlich fremd zu sein. Denn das, was als "fremd" gilt, wird nicht nur in oder besser für fiktive Welten konstruiert, sondern vor allen Dingen in gesellschaftlichen Diskursen. Das Fremde ist uns also – so paradox das auch zunächst klingen mag – häufig bekannt.
So wurden die verschiedenen "Anderen" in der europäischen Kulturlandschaft so häufig beschrieben, dass sich ganze Beschreibungsgebäude aufgebaut haben. Das reicht von Rosseaus "edlem Wilden" über die Darstellungen von Native Americans in sogenannten "Indianer"- oder "Wild-West-Filmen" sowie Darstellungen in Kinderbüchern wie z.B. Pippi Langstrumpf über ethnologische und biologische Abhandlungen über "die Anderen" bis hin zu Darstellungen der kolonisierten Menschen auf Keksdosen oder Schokoladenverpackungen. Diese Stereotype sind nicht in einem ahistorischen oder gar machtfreien Raum entstanden. Sie sind durch Schlagwörter wie "Verallgemeinerung" oder "historisch gewachsen" nicht ausreichend beschrieben. Diese gängigen Stereotype, die sich auch heute noch in vielen Publikationen wiederfinden, suggerieren ein "Wissen" über "die Anderen" und werden in der ideologiekritischen Rassismusforschung als Bestandteil einer Ideologie bzw. eines machtvollen "Ideensystem[s]" begriffen – nämlich des Ideensystems Rassismus.
Die Großstadt als apokalyptischer Raum in der frühexpressionistischen Lyrik und Bildenden Kunst
(2013)
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Apokalypse eine prominente Form der künstlerischen Artikulation. Ihre immanente Zerstörungsgewalt schlägt sich nicht nur sozial und politisch nieder, sondern auch ideengeschichtlich und ästhetisch, wobei Negation, Abkehr von mimetischen Darstellungen sowie Abstraktion und Destruktion gängige Darstellungsmittel sind. Besonders in der Zeit um den Ersten Weltkrieg lässt sich dabei eine "Hochkonjunktur apokalyptischer Bildlichkeit und Tonlagen" erkennen.
Doch was verstehen wir eigentlich unter Apokalypse? Im allgemeinen Sprachgebrauch wie auch in den Künsten operieren wir mit einem Begriff, der aus dem letzten Buch der Bibel stammt, welches seinen Namen aus dem ersten Wort im griech. Original erhielt: άποκάλυψις, was mit Enthüllung oder Offenbarung übersetzt wird. Als Gattungsbezeichnung Apokalyptik wird der Begriff auf religiöse Schriften angewandt, die geheimes Wissen über die Geschichte und Zukunft der Welt und deren Ende offenbaren. Obwohl sich apokalyptische Schriften schon im Alten Testament finden, ist die Johannesoffenbarung aus dem Neuen Testament Namensgeberin dieser literarischen Gattung und hat die europäische Geisteshaltung maßgeblich beeinflusst.
Die Johannesoffenbarung ist geprägt durch ein dichtes Handlungs- und Bildgeflecht. Mit einer Fülle an Bildfolgen werden die Schrecken der kommenden Endzeit, das Weltgericht und die Errichtung eines kommenden Heils dargestellt. Die Apokalypse enthält Motive, die zum kulturellen Gemeingut avancierten. So verbinden wir mit apokalyptischen Szenarien beispielsweise folgende Beschreibung aus der Offenbarung: "da ward ein großes Erdbeben, und die Sonne ward schwarz wie ein härener Sack, und der Mond ward wie Blut, und die Sterne des Himmels fielen auf die Erde" (Offb 6,12–13).
Ferner sind die apokalyptischen Reiter sowie Plagen, Sintflut und Finsternis Motive, die wir mit Zerstörung und Weltuntergang assoziieren. Zudem findet sich in der Apokalypse ein steter Dualismus zwischen Alt und Neu, Ende und Anfang, Gut und Böse, den wir auf qualitativer, moralischer sowie personaler und bildlicher Ebene auch in der expressionistischen Kunst finden.
Das Wachsen im Nachhall
(2013)
Nach Benjamins Aufsatz "Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen" von 1916 gibt es Verständigung nicht nur in der Wortsprache, sondern auch in allen anderen Kommunikationsmedien, zu denen Benjamin auch die Musik zählt. Diese vielfältigen Mitteilungsformen der Dinge, Tiere und Menschen lassen sich ineinander übersetzen, wenn man Übersetzung als Leistung des Vermögens versteht, mimetisch nicht nur sinnliche, sondern auch unsinnliche Ähnlichkeiten zu erzeugen, wie z. B. Kinder Gegenstände zu imitieren vermögen, ohne ihrer Entscheidung ähnlich zu werden. Die drei Teile des Stücks versuchen, dieses von Benjamin mehrfach erörterte mimetische Vermögen musikalisch in Anspruch zu nehmen und dabei klangliche Korrespondenzen für Erinnerungsvorgänge aus der Berliner Kindheit um neunzehnhundert zu finden.
Der kulturelle und wissenschaftliche Austausch zwischen Israel und Deutschland ist in seiner Lebendigkeit beeindruckend. [...] Wenig allerdings weiß man in Israel und Deutschland noch von der zeitgenössischen Musik aus dem jeweils anderen Land. Daher setzte sich die Berliner Komponistenvereinigung Klangnetz e. V. das Ziel, die gegenseitige Neugier mit einem Austauschprojekt zwischen jungen israelischen und deutschen Komponisten zu wecken und dabei möglichst dauerhafte Verbindungen zwischen Musikern, Komponisten, Wissenschaftlern und einem interessierten Publikum herzustellen. Im Juni 2010 fanden Konzerte und Workshops in Tel Aviv und Jerusalem statt, auf die Konzerte und Workshops in Frankfurt am Main und Berlin folgten. Den Abschluss bildete das internationale Symposium »Klang und Musik im Werk Walter Benjamins – Benjamin in der Musik«, das vom Zentrum für Literatur- und Kulturforschung und von Klangnetz e. V. in Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin, veranstaltet wurde.
Die abgelauschte Stadt und der Rhythmus des Glücks : über das Musikalische in Benjamins Denken
(2013)
Im Folgenden sollen die Dimensionen des Musikalischen und Akustischen bei Benjamin betrachtet werden. Zunächst wird das musiktheoretische Vokabular, das Benjamin auf nicht-musikalische Phänomene und Medien anwendet, Gegenstand der Untersuchung sein. Es handelt sich dabei um erkenntnistheoretische und medienphilosophische Überlegungen, die sich an der Form des Musikalischen, besonders am Rhythmus, orientieren. Danach wird das auditiv sensible Schreiben Benjamins am Beispiel der Berliner Kindheit um neunzehnhundert auf die Funktion akustischer und musikalischer Phänomene hin überprüft und mit Benjamins Überlegungen zum Hören verknüpft. Das Ohr zeigt sich hier als das Organ, das über akustische Reize in Klangmedien und die mit ihnen verbundenen Gefühle die Aufmerksamkeit für die in Bildern und Worten fortlebende Geschichte erzeugt. Schließlich wird nach der Funktion der Musik in Benjamins Werk gefragt. Mit Blick auf die Sprache weist er der Musik als der hörbaren Kunst eine Rolle zu, die Bilder und Sprache auf ihre Verbindung und auf die Möglichkeit der Erlösung von der durch sie bedingten Ausdruckshemmung bezieht. Es zeigt sich, dass die Musik bei Benjamin die Sphäre des semiotisch (noch) Unbestimmten bildet und in einer Spannung zwischen Übersinnlichem und Leiblichem steht, die sie mit der Transzendenz ebenso verbindet wie mit den Gefühlen und propriozeptiv wahrnehmbaren Impulsen.