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Vorliegender Beitrag ist die etwas erweiterte Fassung meiner öffentlichen Antrittsvorlesung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main vom 24. Mai 1989. JOHANNES HALLER zählt zu den meislgelesenen deutschsprachigen Historikern unseres Jahrhunderts; seine Bücher, vor allem die bis in unsere Tage vielaufgelegten "Epochen der deutschen Geschichte", aber auch die ",Tausend Jahre deutsch-französischer Beziehungen", haben über Historikerzunft und akademisches Burgertum hinaus weite Kreise erreicht. Sie waren meinungsbildend und -prägend, zumal Haller über eine glänzende Formulierungsgabe verfügte und seine Meinung mit geradezu suggestiver Wortmächtigkeit vorzubringen verstand. Letzteres gilt besonders für seine Tätigkeit als Universitätslehrer vor großem Auditorium, wie Hörer von Theodor Eschenburg bis zu Kurt Georg Kiesinger immer wieder übereinstimmend betonten. Auch vom Katheder formte Johannes Haller also uber Jahrzehnte bis zu seiner Emeritierung 1932 in Deutschland sehr wesentlich die Vorstellungen von Frankreich und französischer Geschichte. Und die bekanntesten seiner - überraschend wenigen - Schüler: Heinrich Dannenbauer, Reinhard Wittram und Fritz Ernst sollten später ihrerseits allesamt Themen aus der französischen Geschichte in der Tradition ihres Lehrers aufgreifen. Dessen Frankreichbild hat also auch in der deutschen Geschichtswissenschaft Spuren hinterlassen - in Rezeption wie Ablehnung noch bis hin zu Karl Ferdinand Werner, einem Schüler von Fritz Ernst. Der Universalhistoriker Johannes Haller mit seiner großen thematischen Spannweite handelte über fränkische und französische Geschichte durch fast alle Epochen von der Völkerwanderung bis in unser Jahrhundert. Neben den ihn persönlich bewegenden Ereignissen der eigenen Zeit war es vor allem das Mittelalter, dem sein Interesse galt; er schrieb und lehrte nicht nur, doch vornehmlich als Mediävist. Und schon innerhalb des ersten großen Forschungsunternehmens - seine Dissertation kann hier vorerst außer Betracht bleiben -, nämlich der Herausgabe der Akten des Basler Konzils, hat Haller sich denn auch als Mittelalierhistoriker mit französischer Geschichte beschäftigt. Die Art und Weise, mit der er in diesein Rahmen ein scheinbar spezielles Problem traktierte, darf generelle Aufmerksamkeit beanspruchen, läßt sich doch daran exemplarisch zeigen, in welchem Maße persönliche Erfahrungen und zeitbedingte Stimmungen das Urteil des Historikers prägen und trüben können.
Überarbeitete Fassung eines Vortrags, der im Rahmen des Jubiläums "1200 Jahre Oberursel" am 18.XI.1991 im Ferdinand-Balzer-Haus gehalten wurde. 791, vor genau 1200 Jahren also, ließ ein gewisser Suicger dem Kloster Lorsch eine Schenkung in "Ursella" und im benachbarten Stierstadt zukommen; er tat dies mithin, wie im Codex der Abtei ausdrücklich vermerkt ist, zur Zeit des Königs Karl und des Abtes Richbold. So fallen die Anfange Oberursels, von denen vor fast vier Jahrzehnten Ferdinand Neuroth in seiner "Geschichte der Stadt Oberursel und der Hohemark" gehandelt hat und auf die auch in diesem Band eingegangen wird, in eine Epoche, da unter eben diesem Karl dem Großen das Frankenreich zur Vormacht im lateinischen Europa aufstieg. Die Grundlagen hierfür waren aber bereits von seinen Vorfahren geschaffen worden. Es ist an Pippin den Mittleren zu erinnern, der 687 die Hausmeierämter in allen drei Teilreichen des "regnum Francorum" in seiner Hand vereinigt hatte; an Karl Martell, der die fränkische Macht nach erfolgreicher Abwehr der Araber in den Süden Galliens vorangetragen und diese Gebiete erstmals wirklich an das Frankenreich angebunden hatte. Schließlich verfügte Pippin der Jüngere über solche Macht, daß er, gestützt auf die Autorität des Papstes, wagen konnte, 750/751 die Merowinger als Herrschergeschlecht abzusetzen und das fränkische Königtum an sich und seine Familie übergehen zu lassen. Doch der entscheidende politische und militärische Aufstieg vollzog sich dann unter seinem Sohn Karl, der namengebend für die gesamte Dynastie - eben der Kar(o)linger - werden sollte und selber in allen Sprachen den Beinamen "der Große" erhielt. Zu den wichtigsten politischen und militärischen Aktionen seiner fast fünf Jahrzehnte währenden Regierung (768-814) zählte die Liquidation des Langobardenreichs in Italien; seit 774 war er in Personalunion ,,rex Francorum atque Langobardorum" und trat als Schutzherr der römischen Kirche in enge Verbindung zum Papsttum, das allen Autonomiebekundungen zum Trotz seine staatsrechtliche Zugehörigkeit zum fernen Byzanz mit zunehmender Abhängigkeit von den Franken vertauschte. Des weiteren zwang Karl in langjährigen, blutigen Auseinandersetzungen die Sachsen in sein Reich, was mit der - teilweise gegen erbitterten Widerstand durchgesetzten - Einführung des christlichen Glaubens und der fränkischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung verbunden war. Krieg und Mission gingen ebenfalls Hand in Hand bei den gegen die Awaren gerichteten Unternehmen, welche sich an die Beseitigung des bairischen Herzogtums Tassilos III. anschlossen. Erfolgreich - wenn auch vorerst folgenlos - waren Feldzüge gegen westslawische Stämme; die erstmals als Feinde auftauchenden Normannen und Sarazenen stellten noch keine ernstliche Bedrohung dar. Solcher Expansion entsprach im Innern ein nicht minder energischer Auf- und Ausbau der Verwaltung und Kirchenorganisation sowie des Bildungswesens. Auch dieser, uns hier vorrangig interessierende Bereich war gleich den anderen entscheidend von Vorstellungen und Absichten Karls geprägt. Ohne Geschichte unzulässig auf Haupt- und Staatsaktionen "großer Männer" verengen zu wollen, ist in diesem Fall die HerrscherPersönlichkeit sicher besonders prägend und bestimmend gewesen, deren Wille sich allerdings erst dank konkret vorgegebener (und hier noch zu erörtender) Konstellationen und Traditionen erfolgreich in die Tat umsetzen ließ. ...
Der Name Kunibert steht am Anfang jener langen und eindrucksvollen Liste von Vorstehern der Kölner Kirche des Mittelalters, die sich über Jahrhunderte aus dem Adel des näheren und weiteren Umlands rekrutierten und die durch ihre Tätigkeit als Erzieher und Berater von Königen und Kaisern zugleich das Bistum eng mit Hof und Reich verbanden. So wurde durch Kuniberts Pontifikat der Außen- und Vorposten Köln fest in den von Chlothar II. und Dagobert I. konsolidierten fränkischen Staatsverband einbezogen. Obendrein aber erlaubte gerade diese Lage eine ausgreifende missionarische Tätigkeit, die wiederum ihre politischen Implikationen hatte. Und die Stätte, welche die Erinnerung an Kunibert bis in unsere Tage lebendig hielt, die Grabeskirche des Heiligen am Kölner Rheinufer, auch sie steht wohl - wie noch zu zeigen ist - für seine über Stadt und Bistum hinausreichenden Aktivitäten.
Wem der Untertitel dieses Beitrags merkwürdig vorkommt: Er bezieht sich auf ein Buch, von dem im Folgenden die Rede sein soll. Wenn die Besprechung ausführlicher als gemeinhin ausgefallen ist , obwohl der Band keinerlei wissenschaftlichen Anspruch erhebt, so mag sich das am Ende des Beitrags von selbst erklärt haben. Es geht um die: Chronik zur Geschichte der Stadt Köln, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1400. Herausgeber Peter FUCHS. Köh: Greven Verlag 1990,384 S., DM 56,-
Rezensionen zu: Georg Denzler, Die verbotene Lust. 2000 Jahre christliche Sexualmoral. München - Zürich, Piper, 1988, 378 S. Aline Rousselle, Der Ursprung der Keuschheit. Aus dem Französischen übersetzt von Ronald Vouillie, hrsg. von Peter Dinzelbacher. Stuttgart, Kreuz-Verlag, 1989, 298 S. Jacques Rossiaud, Dame Venus. Prostitution im Mittelalter. Aus dem Italienischen übersetzt von Ernst Voltmer. München, C. H. Beck, 1989, 239 S.
Erwähnte Festschrift: Person und Gemeinschaft im Mittelalter. Karl Schmid zum fünfundsechzigsten Geburtstag. Hrsg. von Gerd Althoff, Dieter Geuenich, Otto Gerhard Oexle und Joachim Wollasch. Sigmaringen: Jan Thorbecke Verlag 1988. 651 S. Leinen. DM 116,-. Arbeiten und Verdienste von Karl Schmid sind gerade mit dieser Zeitschrift eng verbunden; von seiner wegweisenden und vielzitierten Untersuchung „zur Problematik von Familie, Sippe und Geschlecht, Haus und Dynastie beim mittelalterlichen Adel" (1957) spannt sich in weitem Bogen eine Vielzahl von Publikationen bis hin zu den Ausfuhrungen über „Entstehung und Erforschung von Geschlechterbewußtsein" (1986). Programm, Themen und Methodik in Tradition und Weiterfiihrung der „Teilenbach-Schule: ausgerechnet an dieser Stelle nochmals erläutern zu wollen, wäre überflüssig, doch hingewiesen sei auf das immer stärkere europäische Echo auf diese Forschungen'. Es liegt in der Natur der Sache, daß sich auch zahlreiche Beiträge von Kollegen, Freunden und Schülern, die in der hier anzuzeigenden Festschrift vereinigt sind, in diesem Rahmen bewegen. Wenn ihre Besprechung dennoch ausführlicher gerät als bei Rezensionen üblich, dann weil viele der Aufsätze vonüberdurchschnittlicher wissenschaftlicher Qualität sind, die wiederum dem Rang des Jubilars entspricht und sich schließlich auch in der Redaktion und Gestaltung des von Herausgebern und Verlag vorzüglich besorgten Bandes spiegelt. (Im selben Verlag erschienen unter dem Titel "Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter" fünf Jahre zuvor anläßlich seines 60. Geburtstags ausgewählte Aufsätze von Karl Schmid. Dies schein tübrigens in der Zunft Brauch zu werden und mag im Fall entlegener Publikationsorte auch seinen Sinn haben.) Wenn der Titel der Festschrift trefflich die mittelalterlichem Bewußtsein so adäquate Sicht des Menschen weniger als individueller Persönlichkeit denn als Glied einer Gemeinschaft charakterisiert, so zeigen Zahl und Namen der Autoren, welch dichten Personalverbund mit den Zentren Freiburg und Münster inzwischen ihrerseits die ,,Tellenbach-Schmid-Schule" bildet. ...
Rezensionen zu:
Haus und Familie in der spätmittelalterlichen Stadt, hg. von Alfred HAVERKAMP (= Städteforschung. Veröffentlichungen des Instituts für vergleichende Städtegeschichte in Münster - Reihe A: Darstellungen, Bd.181, Köln-Wien 1984: Böhlau-Verlag, 364 S., 12 Abb., DM 52.--.
Hartmut BOOCKMANN, Die Stadt des späten Mittelalters. München, 1986: Beck, 357 S., 521 Abb., DM 98.
Wenn der Name Kunibert über die Jahrhunderte an seinem Kölner Sitz nie in Vergessenbeit geriet, so hat daran vor allem die Grabeskirche des Heiligen am Rhein ihren Anteil. Und jeder, der sich näher mit der allgemeinen Geschichte des 7. Jahrhunderts beschäftigt hat, weiß, wie sehr über Köln hinaus Kunibert die Geschicke des späten Merowingerreichs mitprägte; wird F. Steinbach beipflichten, daß er "politisch eine hervorragende Rolle spielte". Dennoch - und das mag zunächst verwundern - war Kunibert nie Gegenstand biographischen Interesses, sieht man einmal von zwei kurzen und wenig ergiebigen Skizzen des 19. Jahrhunderts ab. Diese Diskrepanz zwischen historischer Bedeutung und wissenschaftlicher Erforschung hat ihren Grund in einer desolaten Quellenlage. Nicht nur, daß der Zeugnisse recht wenige sind - wir bewegen uns schließlich im "notorisch quellenarmen 7. Jahrhundert" -, die wichtigsten Dokumente stammen überdies aus späterer Zeit oder stellen das Werk von Fälschern dar. Die Kunibertvita ist nicht vor dem 9. Jahrhundert entstanden, und ihren recht eingeschränkten Wert hat der Editor M. Coens eher noch zurückhaltend kommentiert: „Par malheur, les temoignages trop brefs des annales et des chartes, qui ne peuvent suffire a tracer le dessin precis d'une telle personnalite, n'ont recu qu'un assez mediocre complement litteraire dans les Vies de S. Cunibert ...". Unter den Urkunden, die für Kunibert von Belang sind, findet sich manche Fälschung, und schließlich hat gerade die wichtigste zeitgenössische Quelle, das vierte Buch des sogenannten Fredegar, besonders in den Kunibert betreffenden Passagen als tendenziös zu gelten. Mithin ist jede Annäherung an seine Person mit einem Grad an Unsicherheit verbunden, der jenes frühmittelalterlicher Forschung zwangsläufig eigene Maß an Vermutung und Hypothese noch übersteigt. "Die faktischen Kenntnisse über das 7. und 8. Jahrhundert sind recht begrenzt; wir müssen das wenige Sichere in immer neuen Kombinationen zu Reihen ordnen und zusehen, wie sie zueinanderpassen" - diese Einsicht von A. Borst zu befolgen, ist im Falle Kunibert also ein schwieriges Unterfangen. Manche Unklarheit wird sich nicht durch stimmige, eben "zueinanderpassende" Interpretation erhellen lassen, manche Frage wird unbeantwortet bleiben, manches Problem weiterer Diskussion bedürfen. Doch auch unter solch ungünstigen Vorzeichen scheint ein Versuch lohnend. Neues Licht fallt auf die Kirche des Kölner Frühmittelalters, die durch den Hofbischof Kunibert erstmals fest in den fränkischen Staatsverband zu einer Zeit einbezogen wurde, da das regnum Francorum letzte Machtentfaltung des Königtums unter Chlothar II. und Dagobert I. erlebte, sich danach aber auch die austrasische Sonderheit unter den Arnulfingern-Pippiniden immer stärker ausbildete. So erfordert die Position Kuniberts zu Chlothar und Dagobert wie zu Pippin dem Älteren und Grimoald besondere Aufmerksamkeit. Läßt sich seine Stellung als Rat und Erzieher der Könige wie als Bundesgenosse der frühen Karolinger, zwischen "Reichseinheit" und "Partikularismus" eindeutig bestimmen? Und wird dieser Gegensatz der Wirklichkeit des Frankenreichs im 7. Jahrhundert überhaupt gerecht? Fragen über die Person zur Zeit.
Die Kirche von Lyon im Karolingerreich : Studien zur Bischofsliste des 8. und 9. Jahrhunderts
(1987)
In der Geschichte der Kirche von Lyon, die zu den ältesten Gemeinden der westlichen Christenheit gehört, markieren die Pontifikate von Leidrad und Agobard einen besonderen Höhepunkt. Auf einer Bischofsliste, die über 1800 Jahre eine Vielzahl berühmter Namen verzeichnet, stehen sie für die Restauration des materiellen und geistlichen Lebens zu Zeiten Karls des Großen und Ludwigs des Frommen. Lyon sollte nach ihren Vorstellungen zur norma rectitudinis für ein karolingisches Bistum werden; vor allem Agobard erhob damals mit seiner Theologie der Reichseinheit Anspruch auf geistige Führerschaft im fränkischen Imperium. Von hier aus wurde das Ideal einer Eingliederung aller Gläubigen in das Corpus Christi, in eine Concorporatio propagiert, die ihre Entsprechung auf Erden im karolingischen Reich finden sollte. Doch scheint Agobards theologisch-politisches Werk, vor einigen Jahren von E. Boshof unter diesem Leitaspekt eindrucksvoll dargestellt und durch L. van Acker in einer modernen Edition erschlossen, auch von konkreten Erfahrungen in seiner Heimat und besonders in Lyon geprägt; ja der Gedanke der Reichseinheit erst recht verständlich vor dem Hintergrund der Geschichte des Lyoner Bistums im 7. und 8. Jahrhundert. Vermutlich aus Septimanien stammend und von westgotischer Herkunft, lebte Agobard schon seit 792 in Lyon und hatte mithin in den Jahrzehnten vor seinem Pontifikatsantritt die Diözese. teilweise im Amt des Chorbischofs, sehr gut kennengelernt - ebendieser, von Boshof bereits skizzierte Rahmen soll hier nun näher untersucht und in größere Zusammenhänge gerückt werden: Ein Versuch, durch Rückschau auf das spätmerowingische und frühkarolin ische Zeitalter wie im Ausgriff auf das weitere 9. Jahrhundert im Zeichen der Spätkarolinger und Bosonen das markante Profil eines Zentralbistums in Zänkischer Randprovinz hervortreten zu lassen, jene unverwechselbare Eigenart zu verdeutlichen, welche die Kirche von Lyon zwischen Reich und Krone bis ins Hochmittelalter zu behaupten vermochte und die Regierung eines Leidrad und Agobard wiederum zur Ausnahme steigert, zugleich aber auch in ihrer Bedeutung reduziert. Damit betritt diese Studie, die sich auch als Vorarbeit zur Liste der Bischöfe von Lyon im Rahmen der Series episcoporum ecclesiae catholicae occidentalis versteht, gewisses Neuland. Denn in den materialreichen »Recherches sur l'histoire de Lyon du Ve sikcle au IX' siecle« von A. Coville und in den stadt- und kirchengeschichtlichen Darstellungen von A. Steyert, A. Kleinclausz und R. Fidou steht dieser Aspekt ebensowenig im Vordergrund wie in dem - thematisch ja anders akzentuierten - Werk von E. Boshof oder der Bonner Dissertation von H. Gerner über das frühmittelalterliche Lyon. ...