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FRAUEN.SCHREIBEN. So hieß das Thema des Symposiums, in dessen Zusammenhang dieser Text entstand. Die Frage, wie "Frau" in Texten von Schriftstellerinnen aus Österreich und China "geschrieben" wird, sollte dabei in den Blick genommen werden - Elfriede Jelinek stand dabei mit im Fokus der Analysen und ist auch meine Wahl im nachfolgenden Text. Diese Frage, nach dem "Wie-Frauen-Schreiben", die zunächst scheinbar recht simpel und unproblematisch gestellt werden kann, evoziert eine komplexe Auseinandersetzung mit Themen und Problemen, die der Literaturwissenschaft und Literaturtheorie konstitutiv zugrunde liegen - Fragen etwa nach einer potentiellen ('weiblichen') Autorschaft, einer 'weiblichen' Ästhetik, Fragen der Repräsentation 'von Frauen', hier im Besonderen 'in Texten von Frauen'.
‚Institutionalität’ als leitender Konzeptbegriff zielt in dem hier gemeinten Sinn nicht auf eine Analyse von ‚Institutionen’ als historische Entitäten im Sinne von einzelnen ‚Organisationen’, ‚Körperschaften’, ‚Anstalten’. Es geht vielmehr um etwas, das sich das ‚Institutionelle’ an gesellschaftliche Strukturen des Kommunizierens und Handelns analysieren läßt: Formen der Geltungssicherheit und Stabilisierung, die in sozialen Ordnungen auch gewissermaßen ‚unterhalb’ der Ebene von durchgebildeten Organisationen oder Institutionen (im traditionellen Wortsinne) wie Ehe, Kirche, Staat, Universität usw. begegnen. (...)
Wenn man (...) fragte, welche Mechanismen es sind, die im Gegenzug zu (...) institutionellen Ungesichertheiten das Gelingen literarischer Kommunikation und die Wiederholbarkeit ästhetischer Rede am Hof gleichwohl möglich oder wahrscheinlich gemacht haben mochte, dann könnten jene Momente der Texte in den Vordergrund treten, von denen die folgenden Untersuchungen gleichfalls handeln: (...) [D]as [also], was (...) [Strohschneider] einmal die ‚Formiertheit’ höfischer Texte zu nennen versuchte. Gemeint sind Textmerkmale wie Schemata oder Topiken, welche die Rede gegenüber der Kontigenzen des Okkasionellen stabilisieren, welche kommunikative Wiederholbarkeit und Wahrscheinlichkeit von Dichtung dort produzieren, wo entsprechende außertextliche Institutionen noch fehlen.
Wie Enzensberger […] verdeutlicht, eröffnen literarische Texte […] einen Raum, in dem unterschiedliche und kontroverse wissenschaftliche Theorien […] miteinander kollidieren, wodurch ihre Bedingtheit und Relativität erkennbar wird. Die modernistische […] Vorstellung, Literatur sei subversiv, stelle in Frage, was immer sich als absolute Wahrheit ausgebe, relativiere die Ordnungen des Wissens und insbesondere alle sich verbindlich gebenden Theorien über den Menschen und die natürliche Welt, hat an Aktualität nicht verloren. […] Philosophen und Literaturtheoretiker verschiedenster Denkrichtungen kommen […] darin überein, daß Literatur subversiv ist: Gegen falsche Sicherheiten und gegen die Illusion absoluter Wahrheit gerichtet, deutet sie auf die Vieldeutigkeit aller Dinge und die Vielzahl inkompatibler Betrachtungsperspektiven hin, indem sie selbst vieldeutige und multiple Welten erzeugt. In dieser Eigenschaft ist das literarische Schreiben durch keinen anderen Diskurs ersetzbar. Die ihr hier zugeschriebene subversive Rolle als Instanz kritischer Reflexion über Begriffe, Theoriebildungen und Wissenschaft kann die Literatur allerdings nur dann spielen, wenn sie in engem und dauerhaften Kontakt zu den Wissenschaften bleibt. Die Kritik an Wissensdiskursen setzt einen ständig zu aktualisierenden .Informationsstand voraus: über die jeweils dominanten wissenschaftlichen Paradigmen, Kernbegriffe und Moden, die Strategien wissenschaftlicher Konstruktion und Darstellung dessen, was ist.
Der Schluss vom Bekannten auf das weniger Bekannte ist ein zentrales Grundprinzip der Didaxe. Ein mittelalterlicher Texttyp, der dieses Prinzip nicht nur beherzigt, sondern es durch seine Bauform regelrecht ausstellt, ist das spätestens seit 1230 literaturfähig gewordene Reimpaarbîspel, das zwei unterschiedliche Bereiche oder Sphären so aufeinander bezieht, dass der erste Teil des Textes, die eigentliche Beispielerzählung, ein allgemein akzeptiertes Modell einführt, das dann im zweiten Teil, in der Auslegung, auf eine andere Lebenssphäre übertragen wird, um mit diesem Akt der Analogisierung das zu Erklärende im Rückgriff auf bereits Etabliertes zu verdeutlichen. […] Hinzu kommt, dass gerade Texte dieser Art interessante Rückschlüsse auf die Etablierung, Durchsetzung und Veränderung von Diskursen ermöglichen, zeigt doch schon die Zweiteiligkeit der Bauform, die eine Redeordnung A mit einer Redeordnung B vergleicht, auf das deutlichste an, dass diese Texte gewissermaßen auf der Schwelle zwischen zwei argumentativen Kontexten angesiedelt sind, wobei das im ersten Teil Präsentierte stets als das bereits Eingeführte, Abgesicherte, Evidente erscheint, während das im zweiten Teil Vorgeführte immer als das relativ gesehen Neue wahrgenommen wird, das in seiner Geltung und in seiner Evidenz vom vorher Entwickelten abhängt.
"What characterizes the literature of the transition? ln the late medieval period the forms and aspirations of literary endeavor stood in clear continuity with those of the High Middle Ages; but they were also rapidly expanding in scope, with many innovations that would become important for the Renaissance and the Rcformation. [...] Bringing all these elements under a common denominator we may say that the intellectual life of the centuries of transition showed a great openness to new ideas - an openness that stands in contrast both to the more rigid cognitive hierarchies of the High Middle Ages and to the entrenched positions of the Reformation. The resulting diversification of German literature reveals itself in the new forms of writing pioneered by new classes of writers for ever-widening circles of readers. We shall observe this increased diversity in the traditional centers of literary production, the court and the cloister, but even more so in the new literary world of the cities. And we shall see the parallel rise of Iewish literary awareness as belonging in die same broad context."
Goethe und Schiller als "klassische Autoren" zu bezeichnen, wie im Titel dieses Vortrags geschehen, ist durchaus nicht selbstverständlich. Ebenso wie ihre Reklamation als "Nationalautoren" gehört ihre Einreihung unter die Klassiker der Wirkungsgeschichte ihres Werkes, und zwar speziell der deutschen Rezeption an. In England werden Goethe und Schiller unter die Romantiker gezählt, in Frankreich wird nahezu ausschließlich die mehr als hundert Jahre frühere französische Literatur von Corneille (1606-1684) bis Racine (1639-1699) als "klassisch" bezeichnet. [...] Der Begriff des "Klassischen" schwankt durch diese Rückbindung an die Antike zwischen stiltypologischer und historischer Bedeutung, d.h. zwischen der Bezeichnung mustergültiger und harmonisch proportionierter Literatur einerseits, und dem Bezug auf die griechische und römische Antike andererseits. Darin liegt das Problem jeder nachantiken Klassik, die sich zwar von den antiken Vorbildern lösen will, um selbst mustergültig werden zu können, zugleich aber an den antiken Autoren gemessen wird. Goethe selbst hat in seinem Aufsatz "literarischer Sansculottismus" während der Hochphase der "Weimarer Klassik" (1795) die Ansicht vertreten, in Deutschland seien die Voraussetzungen nicht gegeben, unter denen klassische Autoren entstehen könnten.
[Erhard Schütz skizziert vier Phasen:] 1. Das Doppel von sozialdemokratischer Selbstbildproduktion und bildungsbürgerlicher Einhegungsbeschwörung (ca. 1850–1917) 2. Das Doppel von Hegemonial-Konkurrenz in der Arbeiterbewegung und neusachlicher Funktionalitätsfaszination (ca. 1917–1933) 3. Das Doppel von Produktionsverherrlichung als politischer Systemfeier und industriepopularisierender Sachliteratur (ca. 1933–1961) 4. Das Doppel von industrieweltlichem Sozialrealismus und politischer Systemagitation. (ca. 1961–1987) Arbeiterliteratur im engeren Sinne fundiert sich zunächst entscheidend in einer vom Industrieproletariat ausgehenden, gesellschaftlichen Zukunftsperspektive. Sie ist in diesem strikteren Sinne Teil von Arbeiterkultur. Arbeiterkultur war – zugespitzt – geprägt durch Arbeitsplatz, Familie und Verein. Als solches ist sie natürlich auch Gegenstand von Arbeiterliteratur gewesen. Aber Arbeiterliteratur ist darüber hinaus durch die Arbeiterkultur formbestimmt. Sie ist in diesem Sinne weder ein Ausdruck der sozialen Lage der Arbeiter noch der Reflex eines Klassenbewußtseins. Ihre Spezifik besteht zunächst vielmehr darin, den, wie Klaus-Michael Bogdal es ausdrückt, "Prozeß der Subjektkonstituierung der Arbeiter" zu verstärken und zu sichern, "indem sie einen wirksamen Code der Ich-Rede zur Verfügung stellt". Arbeiter-Schriftsteller bedienten sich mit der Literatur eines Bereichs, der traditionell als besonders intensi-ver und höchster Ausdruck von Subjektivität galt, um darin ein "kollektives Arbeiter-Subjekt" zu imaginieren. Oder anders gesagt: In der historischen Arbeiterliteratur konstituierte sich in Literatur, im Medium emphatischer Subjektivität, ein Schreiben in transindividuell-sozietärer Perspektive. Das prägt vor allem die frühe Phase der Arbeiterliteratur im 19. Jahrhundert.
Annes Interesse richtete sich, wie wir dem Tagebuch entnehmen können, besonders auf die zeitgenössische niederländische Literatur. Der Wille des Vaters, den Kindern die Dramen Goethes und Schillers näher zu bringen, ist zwar durch den zitierten Eintrag belegt, welche Bedeutung diese Lektüre für Anne selbst hatte, darüber lässt sich jedoch nur spekulieren. Wir wissen aber aus anderen Quellen, dass viele der von den Nationalsozialisten Verfolgten, Vertriebenen, Eingesperrten und Gequälten aus den Werken der „Klassiker“ und ihrer humanistischen Botschaft Hoffnung schöpften und darin Trost fanden. Gleichzeitig jedoch vereinnahmten die Machthaber dieses kulturelle Erbe propagandistisch für ihre nationalistischen und rassistischen Zwecke. Dass die Ausstellung „Anne Frank – Eine Geschichte für heute“ jetzt in der „Klassikerstadt“ Weimar gezeigt wird, in deren unmittelbarer Umgebung sich mit dem Konzentrationslager Buchenwald ein Ort befindet, dessen Name zu einem Synonym für den nationalsozialistischen Terror geworden ist, kann daher durchaus auch zum Anlass genommen werden, diesen beiden so gegensätzlichen Strängen der Rezeptionsgeschichte der „Weimarer Klassik“ und insbesondere der Werke Goethes und Schillers in den Jahren von 1933 bis 1945 einmal etwas genauer nachzugehen. Das vorliegende Arbeitsmaterial stellt dafür in kommentierter Form exemplarische Texte zur Verfügung.
Hans-Georg Soldat (Berlin) arbeitete als Literatur-Redakteur beim RIAS in West-Berlin und referierte "Zur Rolle von Westpresse und Rundfunk". Er berichtete, dass DDR-Autoren im RIAS-Literaturprogramm stark vertreten waren. In der DDR unzugängliche Bücher wurden in den RIAS-Besprechungen ausgiebig zitiert, um auf diese Weise die Literatursperre zu unterlaufen. Ein Indiz für die Wirkung dieser Vorgehensweise lieferte die Vorstellung einer DDR-Ausgabe einer sowjetischen Anthologie. Kurz nach der RIAS-Sendung avancierte das Buch vom Ladenhüter zur Bückware. Insgesamt sank jedoch der Stellenwert des Radios. Zitiert nach: Tagungsbericht "Der heimliche Leser in der DDR". 26.09.2007-28.09.2007, Leipzig, in: H-Soz-u-Kult, 14.11.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1747>.
Literatur gilt trotz vielfältiger neuer Medienangebote als bedeutende kulturelle Praxis. Diese wurde und wird wissenschaftlich erforscht, wobei in den letzten Jahrzehnten gendertheoretischen Ansätzen wachsende Bedeutsamkeit zugemessen wurde. Gendertheoretisch orientierte Forschung kann und soll die Literaturwissenschaften unterstützen und begleiten. Sie kann zum Beispiel darüber nachdenken, wie literarische Texte funktionieren und wie geschlechtliche Identitäten in diesen konstruiert werden bzw. organisiert sind. Diese Untersuchung erfolgt theoriegeleitet, wobei Theorie und Praxis nicht als starre Oppositionen gefasst werden, sondern als in Wechselwirkung stehende verwobene dynamische Konzepte.
Queertheorie bestimmt sich über Vorläufigkeit, die sich nicht als fixiertes System versteht, sondern als eines, das lediglich ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, um die Logik der Spezifität von Machtbeziehungen und Machtkämpfen, etwa in literarischen Texten, zu analysieren. Insofern jeder kritischen Theorie die Verpflichtung aufgegeben ist, kritisch gegen sich selbst gewendet, auch die Möglichkeit zu denken, dass sie nicht immer da sein wird, gilt es, sich nicht im eigenen Moment einzurichten. So möchte ich im Sinne einer vorläufigen und zugleich einer strategischen Kanonisierung vorschlagen: Die germanistische Literaturwissenschaft sowohl mit postkolonialen Theorien als auch mit Gender- und Queertheorien momenthaft und gleichsam verschränkt zu perspektivieren, um dadurch neue Realisationen von Texten zum Entstehen zu bringen.
Was Wende ist, hat in der Literatur eine enorme Spanne. Wende als Aufhebung geographischer Trennungen (bei Christa Schmidt in "Rauhnächten") und noch mehr örtlicher Einschränkungen (Irina Liebmann in ihrem Roman "In Berlin"). Wende weiter als gewissermaßen "Vorher-Nacherher"-Betrachtungen, als Räsonnement, als verbale Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Geflecht der früheren DDR. Volker Braun hat diese Form in der >Unterhaltung< (wie er es selbst nennt) "Der Wendehals" vielleicht am reinsten dargestellt. Daniela Dahn wählt in ihren Essays eine Mischform aus beiden. Auch Marion Titze wäre zu nennen, die mit "Unbekannter Verlust" ebenfalls in diese Kategorie gehört. Natürlich ist es völlig unmöglich, die Fülle jener Bücher auch nur andeutungsweise zu behandeln, die sich unterdessen zum Thema Wende angehäuft haben. Hier kann es eigentlich nur darum gehen, ein paar Schneisen zu schlagen, ein paar Autoren zu Wort kommen zu lassen, die sich mit unterschiedlichsten Intentionen dem Thema genähert haben.
Die Zeit von etwa 1911 bis 1961 ist zugleich von einer intensiven Auseinandersetzung darüber begleitet gewesen, wie das Industriegebiet als Lebensraum zu definieren sei. Vorschläge dazu beschränkten sich nicht auf literarische Texte oder heimatselige Gedichte, sondern fanden ihre Entsprechung auch in einer Vielzahl konkreter Versuche, planend und gestaltend in diese meist als unförmig empfundene Landschaft einzugreifen. Dennoch standen sich, so wird zu zeigen sein, literarische und konkret-politische Auseinandersetzungen mit dem Ruhrgebiet gerade dort besonders nah, wo letztere erfolglos blieben. Ob sich nun ein traditionsloses Bürgertum in Ordnungsphantasien hineindachte, weil es realer politischer Handlungsfähigkeit ermangelte, oder ob sich Arbeiter in ein sozialer orientiertes Milieu phantasierten - fast immer hat die Literatur des Ruhrgebiets etwas mit Kompensation zu tun. Fast immer auch mit Zuständen, die in anderen Gegenden Deutschlands entweder nicht so akut oder aber längst selbstverständlich waren. So sehr sich im Verlauf dieses halben Jahrhunderts die Frage nach der Zukunft des Ruhrgebiets immer wieder stellte - die rückbezogene Selbstbeschau sowie die Benennung einer spezifischen Umwelterfahrung des Reviers sind zu Leitmotiven dieser Literatur geworden.
Suchen Sie auch den Schlüssel zum besseren Verständnis von Mythologie, Kunst und Literatur? Dann sollten Sie das Weltbild des Impurismus studieren. Es wird Ihnen die Augen öffnen für bislang hermetische Zusammenhänge, und Sie werden erkennen, was der Chorus mysticus (Faust II Ende) meint, wenn er sagt: "Alles Vergängliche Ist nur ein Gleichnis." Erde und Himmel, alles Materielle und alle Geistgebilde, der Kosmos und alle Lebewesen --- ein Gleichnis wofür? Wenn Sie die Antwort finden, werden Sie verstehen, warum die Wissenden unsere Kulturszene dominieren. Sie brauchen keine Forschungsnische zu suchen, wenn Sie das weite Feld des Impurismus mit Literatur- und Sprachwissenschaft beackern; denn "Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts" (Hamann: Aestetica in nuce).
In Rückblicken auf die Germanistik der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in denen das Fach expandierte und so viele Studierende anzog wie kein anderes geisteswissenschaftliches, ist dennoch meist von "Krise" die Rede. Von der Bildungsöffentlichkeit wurde die Germanistik und das von ihr verbreitete Wissen als antiquiert wahrgenommen und mit einem Verfallsstempel versehen. Nicht nur der von der Literaturwissenschaft favorisierte Kanon literarischer Werke geriet in die Kritik, sondern ebenso das als gesichert geltende Fachwissen. Der Germanistik gegenüber wurden die Vorwürfe erhoben, eine Disziplin ohne ein Objekt im Sinne moderner Wissenschaft zu sein, das Wissen anderer Fächer nicht zur Kenntnis zu nehmen und die zeitgenössische Literatur zu ignorieren. Das Fach wurde so weit destabilisiert, dass seine Einheit zu zerbrechen drohte.
Der bürgerliche Kalender des 19. Jahrhunderts schafft eine eigene Zeitordnung. Wer 25 Jahre sein Unternehmen durch den Zeitenwechsel bringt, darf diesen Zeitraum mit goldenem Lorbeer umrahmen, ebenso derjenige, der dem Staat als Beamter ein Vierteljahrhunderts gedient hat. Eine goldene Uhr wird ihn fortan daran erinnern. Für die Ehe gleicher Dauer muß man sich mit Silber begnügen, das Goldene Zeitalter beginnt in diesem Fall erst nach fünfzig Jahren. Nicht nur das Ereignis, auch der Zeitraum selbst wird, skaliert von 25 bis 1000, kulturell erinnerungswürdig und -fähig. Wer die Jahre zählt, läßt die Verbindung zum Vergangenen nicht abreißen. Vergangenheit erhält ihren Ort und ihren Tag im Alltag der Gegenwart. Die Erinnerung der Individuen wird an Jubel- und Gedenktagen durch ein kollektives Gedächtnis abgelöst. Der 1. Mai z.B will an etwas erinnern und läßt sich dennoch auf kein ursprüngliches Ereignis zurückführen. ‘Denkmal’ kann im 19. Jahrhundert fast alles werden, nicht nur Gebilde aus Stein und Bronze, auch Profanes wie Bierkrüge, Gläser, Teller, Zigarrenkisten, Hüte: das kollektive Gedächtnis muß an ihnen nur ausreichende Flächenhaftung finden oder sich eingravieren lassen.
Im elften Buch seines Adelsspiegels (1591) kommt Cyriacus Spangenberg der Wigalois des Wirnt von Grafenberg in den Sinn, weil darin etlicher Ritter von der Tafelrunde gedacht werde, insbesondere des Herren Gwy von Galois, "sonst Ritter Wiglois vom Rade genandt", und eines "Grauen Hoiers von Manßfeldt des roten". Das alte Buch, das einst Herzog Albrecht von Braunschweig in Auftrag gegeben hatte, habe er von einer adeligen Witwe erhalten, später aber an die Grafen von Mansfeld weitergegeben, die sich sehr für die Rolle ihres Vorfahren in diesem Roman interessiert gezeigt hätten.
Machen wir uns nichts vor. Auch wenn "Event" zum "PR-Wort der letzten Jahre" gekürt worden ist, wenn "Events auf die Besucher wie eine moderne Konsumdroge" wirken, wenn gar vom "Trend zum Event" gesprochen wird, von dem alle Bereiche der Gesellschaft längst so stark erfaßt sind, daß sich ihm nichts und niemand mehr entziehen kann – es bleibt dabei: Wann auch immer davon in Verbindung mit Kultur die Rede ist, da hat man es mit einem bösen Kampfbegriff zu tun. Mit "Eventisierung der Kultur" ist ihr steter Verfall gemeint. Und das Label "Eventkultur" gibt den Zustandsbegriff für eine Gesellschaft, die antrat, mit Kunst und Literatur die höchsten Höhen des Menschenmöglichen zu erreichen, und die nun ihr Bestes, Schönstes und Wahrstes bei einem Schaustellerwettbewerb auf dem Jahrmarkt verhökert. Event, das ist das "zur Sensation hoch inszenierte Nichtereignis, und die größte Kunst im Medienspiel ist das lauteste Krähen". Hier wird, so scheint es, "die Kunst zum bloßen Anlaß für den Konsum (...), zum Alibi", weil sie "in sonderbarer Perversion der alten Horazischen Ästhetik des 'utile cum dulci' und des 'prodesse et delectare', Zucker auf eine Sache streut, die sonst keinem mehr schmeckt." Und das passiert en masse: "Anschwellende Programmhefte, ausufernde Veranstaltungskalender, zunehmender Festivaltourismus, Boom der Multiplex-Kinos, Expo, Millenium Dome – was ist", so fragt sich da der kritische Betrachter mit Blick aufs Literarische, "was ist aus dem Erzählen geworden?" ...
Ein Plädoyer für das Stolpern, wie es der Titel dieses Beitrags ankündigt, ist prekär, da es die Gefahr des Stürzens in Kauf nimmt. Die schlimmeren Unfälle allerdings gehen oft auf das Fehlen von Grenzhindernissen zurück. Erinnert sei nur an den hinterlistigen Schwellenabbau, den der amerikanische Physiker Alan Sokal an der Demarkationslinie der two cultures betrieb – und damit die Herausgeber der bis dato hochangesehenen Zeitschrift Social Text tüchtig blamierte, die nicht bemerkten, daß der Artikel Transgressing the Boundaries voller Absurditäten steckte. Sokals offensive Beseitigung der Barrikaden zwischen Geistes- und Naturwissenschaften paßte so gut ins postmoderne editorische Konzept, daß man gar nicht mehr darauf reflektierte, ob die Transgressionen im Einzelnen Sinn machten – etwa die dekonstruktivistische Überwindung der Schwerkraft oder die feministische Liberalisierung der mathematischen Axiomatik. Die transliminalen Verheißungen klangen zu verführerisch, als daß man über sie gestolpert – und damit der kompromittierenden Falle entgangen – wäre. ...