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Bei der Schlussszene in 'Nathan der Weise', in der auf Lessings Regieanweisung hin "Unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen" der Vorhang fällt, wird das Toleranzpostulat der Ringparabel als wirksam besiegelt, obwohl die Erwartung an eine konventionelle Auflösung im Liebesglück enttäuscht wird. Die allseitige Umarmung erscheint manchem_r irritierend oder gar befremdend. Es stellt sich leicht ein Unbehagen ein. Doch unterliegt dem so tolerant gelösten Religionsstreit ein ethnographisches Tableau, auf dessen Basis die Differenz durch Transkulturalität bewältigt wird. Lessing klärt die in der Aufklärung aufkommende ethnografische Konstruktion von Differenz auf, indem er die religiöse und kulturelle Grenzziehung durch die Erzählung zweier Vorgeschichten ihrer essentiellen Grundlage beraubt. Zwar enden diese beide tragisch, denn Nathans Familie wird von antisemitischen Kreuzzugshorden ermordet und die Eltern des Geschwisterpaares sterben im Kreuzzug, doch die Kinder der transkulturellen Familiengründung, Recha/Blanda und der Tempelherr, überleben. Recha, die als Pfand der Tugend von Hand zu Hand geht, wird nicht nur aus den Flammen, sondern auch aus dem Zwiespalt der Loyalitäten gerettet. In Recha wird Transkulturalität zur Gestalt. Nicht nur auf ihrem Körper sondern auch in ihrem Geist oszilliert die Kommunikation und wird die Blockade zwischen den Kulturen überwunden. Dabei bleibt sie jedoch als machtlose weibliche Figur das zirkulierende Objekt der Begierde. Der Tempelherr - wie Recha ein Waise - durchläuft einen Bildungsprozess, in dem er seine Position ständig neu finden muss und Fragen der Transkulturalität ausgehandelt werden. Das happy-end, in dem sich Recha und der Tempelherr als Geschwister und verwaiste Kinder einer Deutschritterin und eines Bruders des Sultans in den Armen Nathans, des Sultans und dessen Schwester wiederfinden, entspricht weder dem romantischem Muster noch der Erwartung eines tragischen Verlusts. Nein, 'Nathan der Weise' ist nicht als Trauerspiel, auch nicht als Lustspiel angelegt. Das dramatische Gedicht in fünf Aufzügen setzt dagegen zwei Erzählungen ins Verhältnis - die über Toleranz und die über Transkulturalität. Während Toleranz als Gebot in der Ringparabel ausgegeben wird, wird Transkulturalität in Lessings multikulturellem Jerusalem des 11. Jahrhunderts, wenn auch unter klaren Machtverhältnissen, gelebt. Glücklich ausgehen kann das Drama nur, weil Lessing so der Transkulturalität durch Blutsbande eine tragfähige Basis schafft. Meine These ist, dass Lessing einen solchen Schluss schreiben musste, wenn er das in der Ringparabel entwickelte Gebot der Toleranz als reale Chance verwirklicht sehen wollte. Aus postkolonialer Sicht stellt sich für die heutige Rezeption die Frage, wie notwendig das Konzept der Kreolisierung für die Entwicklung einer toleranten Gesellschaft ist.
Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit dem im Westen noch weitgehend unbekannten Genre des chinesischen Kriminalromans "gongàn xiaoshuo", sowie dessen produktiver Rezeption durch den niederländischen Diplomaten und Schriftsteller Robert H. van Gulik (*09.08.1910, †24.09.1967). Als Verständnisgrundlage sollen dabei zunächst einige grundsätzliche Ausführungen und Erläuterungen zu besagtem Genre getätigt werden. Danach wird sich der Text van Guliks "Richter Di" zuwenden, jener Romanreihe, der der Sinologe seine bis heute anhaltende Bekanntheit, auch über wissenschaftliche Kreise hinaus, verdankt. Um den Rahmen dieser Aufsatzes nicht zu sprengen, soll sich jedoch vorwiegend auf die durch van Gulik angefertigte und veröffentlichte Übersetzung des ursprünglichen chinesischen Originals, 'Wǔ Zétian sì dà qí àn' ( 武則天四大奇案 , "Vier außerordentlich seltsame Fälle in der Regierungszeit der Kaiserin Wu") (auch: 'Dee Goong An' ( 狄公案, "Richter Dis Fälle")), sowie den dritten Roman der Reihe, 'Geisterspuk in Peng-lai', konzentriert werden, da in diesem der Beginn der Karriere Richter Dis beschrieben wird. Auf diese Weise kann sowohl die besondere Form des chinesischen Kriminalromans - die van Gulik in seinen übrigen "Richter Di"- Romanen übernimmt -, wie auch das tradierte China-Bild und die Anklänge konfuzianischer Philosophie in angemessenem Umfang bearbeitet werden. Die in den Romanen dargestellten Formen des Alltagslebens, die Regierungsstrukturen, die politischen Verschwörungen und die Angriffe von außen, sind historisch korrekt beschrieben und gewähren somit einen faszinierenden Einblick in die Welt des historischen Chinas.
Aerosolteilchen agieren als Kondensationskeime für Wolkentröpfchen (engl. Cloud Condensation Nuclei, CCN) oder Eiskristalle und sind deswegen für die Wolken- und Niederschlagsbildung entscheidend. Sowohl die Aerosolpartikel als auch die Wolken können Sonnenlicht effizient streuen, wodurch ein kühlender Effekt auf das Klima ausgeübt wird. Einige der Teilchen, wie z. B. aufgewirbelter Staub oder Seesalz, werden direkt in die Atmosphäre injiziert; der größte Anteil der Teilchen und etwa die Hälfte der CCN werden allerdings durch die Kondensation gasförmiger Substanzen gebildet. Dieser Prozess wird als Nukleation oder Partikelneubildung (engl. New Particle Formation, NPF) bezeichnet. Trotz intensiver Forschung ist die NPF noch nicht vollständig verstanden, was an der Komplexität der chemischen Abläufe in der Atmosphäre und an der Schwierigkeit liegt, die relevanten Substanzen bei extrem geringen Mischungsverhältnissen (etwa ein Molekül oder Cluster per 1012 bis 1015 Moleküle) zu identifizieren und zu quantifizieren. Neben der Frage nach den bei der Nukleation beteiligten Substanzen ist außerdem noch unklar, ob Ionen-induzierte Nukleation ein wichtiger Prozess für das Klima ist. Das CLOUD-Projekt (Cosmics Leaving OUtdoor Droplets) am CERN soll diesen Fragen nachgehen, indem dort die Partikelbildung in einem Kammer-Experiment unter extrem gut kontrollierten Bedingungen simuliert wird. Die chemischen Systeme, die in dieser Schrift diskutiert werden, umfassen das binäre (H2SO4-H2O), das ternäre Ammoniak (H2SO4-H2O-NH3) und das ternäre Dimethylamin (H2SO4-H2O-(CH3)2NH)-System.
Einige der wesentlichen Ergebnisse von Experimenten an der CLOUD-Kammer werden diskutiert. Diese zeigen, dass das binäre und das ternäre Ammoniak System die atmosphärische Nukleation bei niedrigen Temperaturen erklären können, wohingegen das ternäre Dimethylamin System prinzipiell in der Lage ist, die hohen bodennahen Nukleationsraten bei atmosphärisch relevanten Schwefelsäure-Konzentrationen zu beschreiben. Des Weiteren werden zwei für Nukleationsstudien wesentliche Messmethoden vorgestellt. Das Chemical Ionization Mass Spectrometer (CIMS) wird zur Messung von gasförmiger Schwefelsäure verwendet, da H2SO4 vermutlich die wichtigste Substanz bei der atmosphärischen Nukleation ist. Das Chemical Ionization-Atmospheric Pressure interface-Time Of Flight (CI-APi-TOF) Massenspektrometer misst Schwefelsäure und neutrale Cluster. Beide Geräte wurden für den Einsatz bei CLOUD optimiert und instrumentelle Entwicklungen wurden in Bezug auf die Ionenquelle vorgenommen, die eine Korona-Entladung verwendet. Außerdem wurden eine Kalibrationseinheit zur Bereitstellung definierter Schwefelsäure-Konzentrationen entwickelt und das CI-APi-TOF aufgebaut. In Bezug auf das ternäre Dimethylamin System werden Nukleationsraten und die ersten Messungen von gro en nukleierenden neutralen Clustern präsentiert. Monomer- und Dimer-Konzentrationen der Schwefelsäure, die mit dem CIMS bei tiefen Temperaturen gemessen wurden, dienten der Ableitung der thermodynamischen Eigenschaften bei der Dimer-Bildung im binären und ternären Ammoniak System. Um möglichst exakte Nukleationsraten zu bestimmen, wurde eine neue Methode entwickelt, die es erlaubt, den Effekt der Selbst-Koagulation bei der Nukleation miteinzubeziehen.
Die zusammengefassten Studien tragen signifikant zum Verständnis der Partikelneubildung bei.
Der Beitrag ordnet die "Sagenbücher" von Alfred von Reumont (1808-1887) - Aachens Liederkranz und Sagenwelt (1829, Neubearbeitung 1873: Aachener Liederchronik) und Rheinlands Sagen, Geschichten und Legenden (1837) - in den Sagen-Diskurs ihrer Zeit ein, der im Rheinland vor allem durch die Rheinromantik geprägt wurde. Der Aufsatz schließt mit Bemerkungen zur Wahrnehmung des Verhältnisses von Sage und Geschichte im 19. Jahrhundert.
Der Aufsatz schlägt die Verbindung und Erweiterung von Analysen des (neoliberalen) Regierens mit nicht-subjektzentrierten und affekttheoretischen Ansätzen vor. Anhand einer Analyse des sozialpolitischen und sozialarbeiterischen Umgangs mit Wohnungslosen wird nachvollzogen, welcher Gewinn sich aus der Verbindung von gouvernementalen und affekttheoretischen Perspektiven ergeben kann. Aus einer gouvernementalen Perspektive wird zunächst nachgezeichnet, wie Affekte und Emotionen in Räumen des betreuten Wohnens für Wohnungslose zum Gegenstand fürsorglicher Intervention werden. Im betreuten Wohnen kommen Mikrotechniken zum Einsatz, die auf eine "ausgewogene" emotionale Bindung an Wohnräume und ihr Inventar hinarbeiten. Das betreute Wohnen ist von Problematisierungen durchzogen, die Wohnungslosigkeit als emotionale Haltung der Rastlosigkeit und Unruhe, als einen Mangel an Verbundenheit mit Orten und Dingen deuten. Gleichzeitig wird den Untergebrachten häufig auch eine übersteigerte affektive Bindung an Dinge unterstellt, die sogenannte "Horder" und "Messies" an einer sozial unauffälligen Haushaltsführung hindere. Eine gouvernementale Analyse kann die therapeutische Rationalität sichtbar machen, die diesen Problematisierungen zugrunde liegt. Eine gouvernementale Analyse allein bietet gleichwohl keine Möglichkeit, alternative Erzählungen über die Bedeutung affektiver Beziehungen für das Wohnen zu entwickeln. Mithilfe unterschiedlicher affekttheoretischer Ansätze geht der Aufsatz daher auch der Frage nach, wie sich jenseits therapeutisierender Perspektiven über das Wohnen und die Bedeutung von Bindungen an Orte und Dinge nachdenken lässt. Nicht-subjektzentrierte Konzepte von Affektivität ermöglichen solche alternativen Erzählungen und eröffnen neue Fluchtlinien der Kritik: Wohnen wir sichtbar als immer schon "betreut", eingelassen in ein Netz von intersubjektiven und interobjektiven Beziehungen.
Angaben aus der Verlagsmeldung:
Ob beim Aufrufen einer Webseite, beim Versenden einer E-Mail oder beim Hochfrequenzhandel an der Börse: Auf ihrem Weg durch die Weiten digitaler Netze durchqueren Bits zahlreiche Knoten, an denen eine Reihe von Mikroentscheidungen getroffen werden. Diese Entscheidungen betreffen den besten Pfad zum Ziel, die Verarbeitungsgeschwindigkeit oder die Priorität zwischen den ankommenden Paketen.
In ihrer vielschichtigen Gestalt bilden solche Mikroentscheidungen eine bislang nur marginal beachtete Dimension von Kontrolle und Überwachung im 21. Jahrhundert. Sie sind sowohl die kleinste Einheit als auch die technische Voraussetzung einer gegenwärtigen Politik digitaler Netzwerke – und des Widerstands gegen sie. Die aktuellen Debatten um Netzneutralität und Edward Snowdens Enthüllung der NSA-Überwachung bilden dabei lediglich die Spitze des Eisbergs. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Zukunft des Internets, wie wir es kennen.
Anleihen werden in der Regel in zahlreiche Teilschuldverschreibungen aufgespalten und diese an verschiedene Investoren verkauft. Dies begründet, der Zahl der umlaufenden Teilschuldverschreibungen entsprechend, jeweils unterschiedliche Schuldverhältnisse zwischen dem Emittenten und dem jeweiligen Investor. Hält ein Investor mehrere Teilschuldverschreibungen, so entstehen dementsprechend mehrere rechtlich voneinander zu unterscheidende Schuldverhältnisse mit gleichem Inhalt.1 Diese können jeweils ein unterschiedliches rechtliches Schicksal haben, z. B. getrennt voneinander übertragen werden. Sie können auch, von atypischen Gestaltungen abgesehen, je einzeln vom Gläubiger gekündigt werden, wenn die Anleihebedingungen insoweit keine Vorkehrungen treffen. Die folgenden Bemerkungen dazu befassen sich zunächst mit der umstrittenen Frage, ob auch eine Kündigung aus wichtigem Grund seitens eines Gläubigers gemäß §§ 490 Abs. 1, 314 BGB in Betracht kommt (im Folgenden I. - VII.)
Die sog. Business Judgment Rule wurde durch Art. 1 Nr. 1a des UMAG1 auf entsprechende Vorschläge im Schrifttum2 als neuer § 93 Abs. 1 Satz 2 in das Aktiengesetz eingefügt. Der Sache nach war sie bereits zuvor in Rechtsprechung3 und Lehre4 anerkannt. Nach gängigem Verständnis soll die Business Judgment Rule einen „sicheren Hafen“ bieten, der Organmitglieder davor schützt, dass unternehmerische Misserfolge auf der Grundlage nachträglicher besserer Erkenntnis als Sorgfaltspflichtverstöße sanktioniert werden. Nach ganz überwiegen-der Auffassung beschränkt sich die Bedeutung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht darauf, durch ausdrückliche Regelung von Elementen der Sorgfaltspflicht klarzustellen, dass das Gesetz mit dem strengen Sorgfaltsmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftslei-ters nicht etwa eine Erfolgshaftung statuiert. Die Business Judgment Rule wird vielmehr als Privilegierung gegenüber dem ansonsten geltenden Haftungsmaßstab des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG verstanden. Ausdrückliche Stellungnahmen zur Wirkungsweise dieses Privilegs reichen von der Annahme eines der richterlichen Nachprüfung entzogenen unternehmerischen Ermes-sensspielraums5 über die Einordnung als unwiderlegliche Vermutung objektiv rechtmäßigen Verhaltens6 bis hin zu der Annahme, dass im Anwendungsbereich der Business Judgment Rule eine Haftung gegenüber der Gesellschaft nur ab der Grenze der groben Fahrlässigkeit in Betracht komme.7 Aber auch die zahlreichen Stellungnahmen, die sich nicht ausdrücklich zur Frage der Haftungserleichterung äußern, setzen eine privilegierende Wirkung der Business Judgment Rule voraus. Anderenfalls hätten die eingehenden Überlegungen zur Abgrenzung unternehmerischer von anderen, insbesondere rechtlich gebundenen Entscheidungen, für die offenbar ein strengerer Sorgfalts- und Haftungsmaßstab gelten soll, keinerlei praktische Bedeutung.
1.Hinsichtlich der Haftung von Organmitgliedern gegenüber der Gesellschaft für Fehlein-schätzungen der Rechtslage gilt kein anderer Maßstab als hinsichtlich der Haftung für Fehler bei unternehmerischen Entscheidungen (dazu sogleich, II).
2.Die Business Judgment Rule des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG enthält kein Haftungsprivileg; insbesondere stellt sie Organmitglieder nicht grundsätzlich von der Haftung für grobe Fahr-lässigkeit frei. Sie konkretisiert vielmehr lediglich die Sorgfaltsanforderungen an einen or-dentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter und stellt klar, dass dessen Haftung nicht mit nachträglicher besserer Erkenntnis begründet werden kann. Aus diesem Grund ist es unbe-denklich, dass sich die Haftung für unternehmerische, rechtliche und sonstige Fehler nach einheitlichen Haftungsgrundsätzen richtet (dazu unten, III.).
In seinem unlängst erschienenen Buch „Citizen Science“ untersucht der Wissenschaftstheoretiker Peter Finke die Rolle von Laiinnen und Laien für die Wissenschaft. Sein Anliegen ist es, ihre Bedeutung für den Erkenntnisfortschritt wie auch für ein praxisbezogenes bürgerschaftliches Engagement darzulegen. Aus zahlreichen Blickwinkeln variiert Finke den Grundgedanken einer Kontinuität des Handelns von Laiinnen und Laien zu dem von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern, die durch die institutionalisierten Erscheinungsformen der Wissenschaft verschleiert wird. Demgegenüber sollen im vorliegenden Beitrag Aspekte der Diskontinuität hervorgehoben werden, die es zu berücksichtigen gilt, gerade wenn man von der Wichtigkeit einer Etablierung und Förderung von „Citizen Science“ überzeugt ist.
Im Rahmen des Kongresses „Literaturwissenschaften in Frankfurt, 1914 – 1945“, der von Bernd Zegowitz (Germanistik) und Frank Estelmann (Romanistik) am 20. und 21. Juni 2014 an der Universität Frankfurt am Main organisiert wurde, gaben 13 Vortragende an zwei Tagen Einblicke sowohl in die Geschichte als auch in exemplarische Werke von Literaturwissenschaftlern, die in der Zeit zwischen der Universitätsgründung im Jahr 1914 und dem Ende des Nationalsozialismus 1945 an der Universität Frankfurt lehrten und forschten.