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Nach Günter Thomas, der sich mit verschiedenen Formen religiöser Zeugenschaft befasst und kritisch in Frage stellt, ob es sich ausgerechnet beim Märtyrer um den paradigmatischen religiösen Zeugen handelt, ereignet sich Zeugenschaft in Situationen und Konstellationen. Stärker als um eine Suche nach einem Grundmodell von Zeugenschaft geht es Thomas um eine Untersuchung der "spezifischen Differenzen und Differenzierungen" in verschiedenen sozialen Sphären. Eine genauere Untersuchung der religiösen Zeugenschaft erlaubt es, unterschiedliche "Modi der Gewissheit" und "Techniken der Überzeugung" zu differenzieren und die der religiösen Zeugenschaft eigenen "originären Konstellationen" herauszustellen. Dabei thematisiert er vier Typen des religiösen Zeugnisprozesses: den Auferstehungszeugen, den Märtyrer, das diakonische Zeugnis und die Zeugniskette. Das Zeugnis des Märtyrers wird als Tatzeugnis dargestellt, das von einem weiteren Zeugen (mündlich oder vor allem schriftlich) beglaubigt werden muss. Ein unsichtbares Martyrium kann nicht Zeugnis sein; "[d]ie Gewissheit der Märtyrer ist so eine diskursive Konstruktion von Beobachtern". Auch hier findet sich die doppelte Struktur des Zeugnisses. Thomas weist darauf hin, dass es gerade im Bereich der religiösen Zeugenschaft nicht nur natürlich-sprachige Zeugnisse, sondern - wie am Beispiel der Diakonie zu beobachten - Handlungen gibt, die als Tatzeugnisse Ereignisse mit performativer Dimension sind. Da diese Handlungen selbst Medien der Kommunikation sind und im sozialen Kontext Dynamiken entfalten, ist auch hier von einer hohen Komplexität der jeweiligen Konstellationen zu sprechen.
Die Figur des Heiligen, so wie sie das Christentum hervorbrachte, gehört zum Kernbestand des Religiösen. Das Fortleben dieses Kernelements in der Welt der Moderne bedeutet, dass die durch Aufklärung und Säkularisierung freigesetzte religiöse Aura aufgehoben und auf 'große Männer', auf die "Helden der Neuzeit" übertragen wurde. Diese These [Ernst] Cassirers behauptet eine Genealogie des Mythos vom außergewöhnlichen Menschen, der gemäß der historischen Zeitlage ideologiekonform seine Gestalt wechseln kann, wobei die Antriebskraft der kultischen Verehrung bestehen bleibt. Wenn der neue "Held der Moderne", der in [Thomas] Carlyles Figur des Kulturheros seinen Ursprung hat, ein Geschöpf des säkularen Zeitalters - ein "verweltlichter Heiliger" - ist, so lässt sich Cassirers These dahingehend ergänzen, dass der christliche Heilige als dessen Präfiguration betrachtet werden kann. Das bedeutet jedoch nicht, die Figur der Kulturheroen direkt von der des Heiligen herzuleiten. Vielmehr kann der Heilige im Kulturheros in vielerlei Hinsicht als Präfiguration wiedererkannt werden. Der Heilige wiederum weist seinerseits nicht nur historisch, sondern auch genealogisch Verbindungen mit einer anderen Figur auf, und zwar dem vorchristlichen Heros, welcher zwar kein göttliches, aber ein über den Menschen stehendes Wesen ist. In diesem Sinne kann man den Heiligen als eine genealogische Stufe zwischen den mythischen Heroen der Antike und den 'großen Männern' der Moderne betrachten, welcher Eigenschaften sowohl seiner Vorläufer als auch seiner Nachfolger aufweist. Die Absicht des vorliegenden Beitrages liegt darin, diese genealogischen Linien zu verfolgen und sowohl Ähnlichkeiten als auch Differenzen aufzuzeigen.