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Die naturwissenschaftlichen Diskurse des 19. Jahrhunderts sprachen neben den 'Bildern' von einer ganzen Reihe weiterer Dinge, welche Wissensgegenstände repräsentieren konnten, auch ohne Modelle im damaligen Sinn zu sein. Weite Verbreitung fanden im 19. Jahrhundert in dieser Funktion insbesondere die Begriffe der 'Analogien', 'Interpretationen' und der 'Systeme' von wirklichen oder gedachten Dingen. Die Beispiele, die mit solchen Begriffen verbunden waren, sind häufig für die Wissenschaftsentwicklung von substanzieller Bedeutung gewesen. Sie stehen aber, wie ich im Folgenden andeuten möchte, für ganz unterschiedliche Formen und Funktionen der abstrakten Repräsentation. Den Begriff 'abstrakte Repräsentation' verwende ich hierbei etwas vage und naiv als schlichten Oberbegriff für verschiedene Weisen, einen Komplex von wissenschaftlich interessierenden Dingen oder Sachverhalten durch etwas anderes darzustellen und für die wissenschaftliche Praxis zu thematisieren, ohne dabei auf materielle, anfassbare Dinge zurückzugreifen, wie dies die 'Modelle' in der Sprache des 19. Jahrhunderts taten. Zugleich soll dadurch ('pace' Wittgenstein und unangesehen der inflationären Verwendung des Modellbegriffs seit Mitte des 20. Jahrhunderts) vermieden werden, vorschnell von einem 'Denken in Modellen' zu reden. Wir werden noch sehen, dass die in Rede stehenden, abstrakten Repräsentationen bisweilen sehr konkrete epistemische Funktionen hatten. Das Wort 'abstrakt' sollte hier also nicht überbewertet werden. Insbesondere möchte ich im Folgenden jeweils die spezifische 'epistemische Situation' charakterisieren, d.h. die Besonderheiten der Wissensumstände, in welchen der Rückgriff auf eine Form der abstrakten Repräsentation geschah und den Beteiligten vielversprechend erschien.
Der Titel der Tagung lautet 'Erich Rothacker und die Begriffsgeschichte' – ihr eigentliches Thema aber ist 'Erich Rothacker, die Begriffsgeschichte und die Philosophische Anthropologie'. Tatsächlich handeln viele der Vorträge über Rothackers Anthropologie, und es scheint, auch im Lichte der bislang unveröffentlichten Dokumente, als wäre dies das zentrale Thema: Rothackers Begriffsgeschichtsschreibung und die philosophische Anthropologie, genauer: die Frage nach dem Verhältnis von Begriffsgeschichte und Anthropologie. Die Frage, einmal so zugespitzt, verlangt sogleich nach Erweiterung, und zwar mehrfacher: das begriffsgeschichtliche Projekt Rothackers steht erstens im Zusammenhang der Frage nach der Begründung der Geisteswissenschaften und ihrer Einheit. Insofern stellt sich die Frage nach der Verhältnisbestimmung von anthropologischem Ansatz und dem übergreifenden begriffsgeschichtlich-geistesgeschichtlichen Projekt. Konkurrieren in einem Oeuvre verschiedene Ansätze – und das ist für Rothackers Werk festzustellen –, so fragt sich zweitens, welche Funktion sie in werkgeschichtlicher Perspektive haben. Entsprechend ist im Falle Rothackers die Frage nach der Verhältnisbestimmung von philosophischer Anthropologie und Begriffsgeschichte zuzuspitzen zur Frage nach der 'systematischen Funktion' des anthropologischen Ansatzes für die konkurrierenden, hier: begriffsgeschichtlichen und geistesgeschichtlichen Ansätze.
Das Thema der Entstehung der modernen Welt steht im Zentrum des Interesses Reinhart Kosellecks, sowohl in Bezug auf die historische Semantik der politischen Begriffe, als auch bezüglich der sozialen Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen. Kosellecks Begriffsgeschichte geht es darum, den "Umwandlungsprozess zur Moderne" zu zeigen, wie er sich in der Verwendung der politischen Sprache ereignet. Mit der Theorie historischer Zeiten entwickelt Koselleck eine eigene Theorie der Entstehung der Neuzeit, die die Absicht hat, die spezifischen und charakteristischen Merkmale der modernen Welt und ihrer Zeitlichkeit durch die Darstellung der Beziehung zwischen den Erfahrungsräumen und den Erwartungen zu beschreiben. In seiner Doktorarbeit hat Koselleck die Diagnose über den Beginn der modernen Welt auf die Beziehung zwischen aufklärerischer Kritik und politischer Krise zurückgeführt; 1959 wurde die Doktorarbeit verbessert und veröffentlicht. Nun wird die Genese der modernen Welt zur "Pathogenese der bürgerlichen Welt", also vor allem im Sinne einer Krankheit verstanden: die Krise der Moderne entspricht also einer Pathologie. Der Horizont des strukturellen Verhältnisses zwischen der Neuzeit und der Krise bleibt auch in den folgenden Schriften das Thema Kosellecks, wenn er sich mit der historischen Zeitlichkeit beschäftigt. Das Ziel dieses Aufsatzes besteht darin, diese Beziehung zu rekonstruieren, und zwar darzustellen, wie Koselleck den auf den semantischen Raum der Krankheit und der Pathologie verweisenden Krisenbegriff als diagnostische und prognostische Kategorie verwendet, um die spezifische Natur der historischen Wandlung zur modernen Welt festzulegen.
Tagungsbericht: Internationale Tagung, Magdeburg, 20. bis 22. Juni 2013
Dem spezifischen Verhältnis der Romantiker zu Begriffen der Arbeit und der Nicht-Arbeit in seiner historischen wie aktuellen Dimension widmete sich die DFG-geförderte Tagung "Arbeit und Müßiggang in der Romantik", die von Thorsten Unger (Magdeburg) in Kooperation mit Franz-Josef Deiters (Melbourne), Claudia Lillge (Paderborn) und Johanna-Elisabeth Palm (Fritz-Hüser-Institut Dortmund) an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg veranstaltet wurde und internationale wie interdisziplinäre BeiträgerInnen versammelte.
Dieser Beitrag geht nun vor allem begrifflich-historischen Aspekten des Zusammenhangs von 'Sicherheit' und 'Unverfügbarkeit' nach, wobei ich historisch und konzeptuell vor allem an 'Sicherheit' interessiert bin. 'Unverfügbarkeit' oder 'Nichtverfügbarkeit' wird unterdessen in weiten Teilen heuristisch gebraucht, zum Zwecke der Zusammenschau bestimmter Phänomene.
Stephan Günzel, dem Herausgeber des hier anzuzeigenden 'Lexikons der Raumphilosophie', verdankt die kulturwissenschaftliche Forschung zu Begriff und Metapher des Raumes eine Reihe bedeutsamer Publikationen. Den Auftakt bildete der zusammen mit Jörg Dünne herausgegebene Band 'Raumtheorie' aus dem Jahre 2006, eine klug und umsichtig eingeleitete Auswahl gleichsam kanonischer Texte zu Raum und Räumlichkeit. Diesem Reader trat drei Jahre später ein 'Raumwissenschaften' überschriebener, nunmehr von Günzel alleine verantworteter Band zur Seite, der eine stattliche Anzahl von Einzelbeiträgen verschiedener Autoren unterschiedlichster Disziplinen zusammenbrachte. Der Sammelband gab Einblick in den damaligen Stand kulturwissenschaftlicher Arbeit am Raum; vor allem machte er deutlich, welch hohe Relevanz die Diskussion um Begriff und Metapher des Raumes für die einzelnen Disziplinen und deren aktuelle Forschungsarbeit beanspruchen kann. Auf die Dokumentation der Quellen und den Maßstäbe setzenden Sammelband folgt nun also ein Wörterbuch - zusammen mit den beiden Vorgängerveröffentlichungen bildet das jüngst erschienene 'Lexikon' eine Trilogie des 'spatial turn' im Bereich der deutschsprachigen Forschung.
Außenwelt und Organismus : Überlegungen zu einer begriffsgeschichtlichen Konstellation um 1800
(2012)
Denkt man im Rahmen der Geschichte der Lebenswissenschaften an den Außenwelt-Begriff, fällt einem sofort Georges Canguilhems Aufsatz 'Le vivant et son milieu' ein. Nachdem 'milieu' in einem Newtonisch geprägten Begriffsfeld einen Zwischenraum zwischen den Dingen bezeichnete, wird das 'milieu' in Canguilhems Rekonstruktion erst mit Auguste Comte um 1830 zu einem Raum, zu dem lebendige Körper in einem systematischen Verhältnis stehen und in dem sie existieren. Im Schatten dieser Rekonstruktion steht das Aufkommen des Außenwelt-Begriffs im deutschsprachigen Kontext im letzten Drittel des achtzehnten Jahrhunderts, der erstaunlicherweise mit dem des Organismus-Begriffs korreliert. Im Folgenden werde ich mich damit beschäftigen, warum beide Begriffswörter gemeinsam zu dieser Zeit Karriere machen. Hierfür stelle ich zunächst drei Thesen auf und werde sie anschließend mit einigen historischen Referenzen stützen.
Rahel Jaeggi und Tilo Wesche erstellen im Sammelband 'Was ist Kritik?' eine präzise Kartographie der historischen Hauptbedeutungen dieses Begriffes, wobei sie vier Formen unterscheiden: 1) Aufklärung oder Zeitalter der Kritik, 2) historische Kritik, 3) emanzipatorische Kritik oder intellektuelle Tugend und 4) philosophische Kritik. Alle vier Formen sind mit eigenen Nuancen im Werk von Reinhart Koselleck zu finden, der, wie bekannt, nicht im Bann der sogenannten Frankfurter Schule stand. Er hat sich mit der 'Aufklärung als Zeitalter der Kritik' auseinandergesetzt und sogar von der "Dialektik der Aufklärung" gesprochen, genauer gesagt von der Dialektik von Politik und Moral in der Neuzeit. In Form einer Metakritik bzw. einer "Aufklärung über die Aufklärung" unterzog er deren ideologische Pervertierung der Moral einer bissigen Kritik. Koselleck meinte, diese perfide Dialektik, die moralisierende Politik, sei nicht obsolet geworden, sondern sie habe zu den Weltanschauungskriegen des 20. Jahrhunderts geführt. Er kultivierte keine moralische Enthaltung oder Abstinenz, aber er war mit den Exzessen des Moralismus vertraut und misstraute ihnen deshalb.
Das wissenschaftliche Werk Brunners (1898–1982) ist wegen dessen zeitweiliger Nähe zum Nationalsozialismus bis heute umstritten. Allerdings haben sich die Phalanxen verschoben. Die früher von Brunner-Apologeten verfochtene These, Brunner habe mit dem Nationalsozialismus in keiner Beziehung gestanden und sein wissenschaftliches Werk der 1930/1940er Jahre sei lediglich dem konservativ-nationaldeutschen Geist der sog. "gesamtdeutschen Geschichtsauffassung" verpflichtet, ist durch die jüngere einschlägige Forschung widerlegt. Es lohnt daher nicht, auf diese Exkulpationsversuche hier näher einzugehen. Von nachhaltiger, bis heute reichender Wirkung ist dagegen die umgekehrte Behauptung, Brunner sei "ein radikaler Nazi" gewesen und dies in verkappter Form auch nach 1945 geblieben. Die Speerspitze dieser Argumentation stellt die Behauptung von Hans-Ulrich Wehler dar, Brunner habe, im Unterschied zu dessen Historikerkollegen Theodor Schieder und Werner Conze, denen Wehler politische und wissenschaftliche "glaubwürdige Lernbereitschaft und reflexive Lernfähigkeit nach der Zäsur 1945" attestiert, seine Fragestellung und Auffassungen "nach 1945 nie korrigiert". Ob diese massive These in der Sache plausibel begründet werden kann, soll hier zunächst offenbleiben, wenngleich ich dies nachdrücklich bestreite. Überraschender ist, dass Wehler nicht ansatzweise versucht, sachliche Argumente für seine Behauptung anzuführen, über die sich dann immerhin streiten ließe. Seine These beruht stattdessen im Wesentlichen auf Ressentiment. "Vollmundige Attacken" und "verblüffende Unkenntnis" hatte Wehler zuvor Götz Aly vorgeworfen, um dessen Kritik an dem in die NS-Wissenschaftsorganisation verstrickten Theodor Schieder (Wehlers Doktorvater) abzuwehren. Im Falle Brunners schlägt Wehlers Polemik gegen ihn selbst zurück: "Vollmundige Attacken" und "verblüffende Unkenntnis" des Brunnerschen Gesamtwerks charakterisieren seine Kritik. Eine besondere Pointe erhält Wehlers Kritik zudem durch dessen nachdrückliche Berufung auf Hans Rosenberg, den er als einen der Gründerväter der westdeutschen Sozialgeschichtsschreibung gegen Brunner auszuspielen versucht. Ausgerechnet der als sog. "Halbjude" eingestufte, 1935 vor den Nazis in die USA geflohene Rosenberg (1904–1988), dem Brunners Verstrickungen in den Nationalsozialismus selbstverständlich bekannt waren, hat diesen jedoch im Jahre 1972 als den "allerbedeutendste[n] Historiker unseres Jahrhunderts" bezeichnet. Ob dieses Urteil des liberalen Brunner-Kritikers, der Rosenberg ohne Zweifel war, heute noch Bestand hat, darf bezweifelt werden. Immerhin weist es darauf hin, dass wir es bei Brunner mit einem herausragenden Historiker und politischen Gelehrten zu tun haben, dem mit dem intellektuell dürftigen Argument "einmal Nazi – immer Nazi" nicht beizukommen ist. Das Problem, das sich bei dem Versuch einer Deutung des Brunnerschen Gesamtwerks stellt, ist dasselbe wie bei vielen anderen seiner Generation, die Frage nämlich nach Kontinuitäten und Brüchen über das Jahr 1945 hinweg. Bereits diese Schwelle greift allerdings zu kurz, denn tatsächlich ist zunächst einmal nicht danach zu fragen, ob und wie Brunner sich nach 1945 vom Nationalsozialismus distanziert, sondern ob und wie er sich im Vorfeld von 1933/1938 auf ihn zubewegt. Es sind also drei Perioden und zwei Schwellen, die mit Blick auf diese Generation von Gelehrten – und dies gilt nicht zuletzt für Brunner ebenso wie für Rothacker –, unterschieden werden müssen: zunächst das Werk vor 1933 bzw. 1938 ("Anschluss" Österreichs ans Deutsche Reich); sodann die Frage nach den Motiven und Umständen, die Brunner auf die Seite des Nationalsozialismus geführt haben sowie die Intensität und das Ausmaß seiner politischen Verstrickung; und schließlich die Frage, ob, und wenn ja, wie Brunner sich nach 1945 kritisch zu seinem wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Engagement während der NS-Zeit verhält. Hierauf näher einzugehen, ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Ich muss es hier bei dem Hinweis auf meine an anderen Orten dargelegte und untermauerte allgemeine These belassen, dass sich das wissenschaftliche Gesamtwerk ebenso wie Brunners politische Haltungen tatsächlich nach diesem Periodenmuster sortieren lassen. Und dies trifft exemplarisch auch auf Brunners "Begriffsgeschichte" bzw. präziser im Plural formuliert: auf seine "Begriffsgeschichten" zu.
Biologen gehören in den Schriften Erich Rothackers zu den viel zitierten Autoren. Darunter befinden sich die Hauptvertreter des Holismus in Deutschland, der Begründer der biologischen Systemtheorie, sowie die Väter der Philosophischen Anthropologie und der Vergleichenden Verhaltensforschung. Auffallend ist allerdings das Fehlen von Evolutionsbiologen. Es erscheint kaum ein Bezug auf Darwin oder Haeckel, geschweige denn auf die zeitgenössischen Gründerväter der Synthetischen Theorie der Evolution, und daneben auch nicht auf experimentell in der Genetik oder Entwicklungsbiologie verankerte Biologen. Kennzeichnend für die Biologierezeption Rothackers ist eine auf Individuen zentrierte Sicht biologischer Theorien. Die großen Revolutionen der Biologie in der Genetik und Evolutionsbiologie, die auf anderen Untersuchungsebenen beruhen, nämlich der subindividuellen Ebene der Gene und der supraindividuellen Ebene der Populationen, kommen damit nicht in den Blick.
Erich Rothackers Vortrag von 1927 nimmt gegenüber den anderen Vorträgen in der KBW eine Sonderstellung ein: zum einen, weil es ein privatissime, also ein nicht öffentlicher, nur vor einem ausgewählten Publikum gehaltener und von vornherein nicht zum Druck geplanter Vortrag war; zum anderen, weil an diesem Tag mehrere Vorträge gehalten wurden, die offenbar in einem thematischen Zusammenhang standen. Aus dem Tagebuch der KBW geht hervor, dass Warburg um diese Zeit die Form der regulären Vorträge und deren Publikation als erschöpft ansah und mit neuen Formen experimentieren wollte. Vielleicht zeigt sich in der konstellativen Anordnung verschiedener Vorträge an einem Tag ein solches experimentelles Herangehen. Deswegen werde ich mich in meinen Ausführungen nicht allein auf Rothackers Vortrag, sondern auf den gesamten Vortragstag, den 16. Juli 1927, und die beiden anderen Vorträge dieses Tages beziehen.
Wie kommen Begriffe in die Welt? Auf diese Frage gibt es mehr als eine Antwort; eine davon aber verweist mit Sicherheit auf die akademische Welt. Ständig mit (vermeintlich) neuartigen Sachverhalten konfrontiert, erfindet diese unermüdlich neue Benennungen, um die zu analysierenden Phänomene beschreib- und fassbar zu machen. Dabei hat sich im Laufe der Zeit ein noch immer nicht abgeschlossener Katalog an Fachwörtern angesammelt. Dieser mag den Eindruck erwecken, die wissenschaftliche Begriffsbildung sei nur in den seltensten Fällen um besonders poetische oder eingängige Fachbegriffe bemüht. Doch es gibt eine unliebsame Verwandte der Wissenschaft, die Neologismen sehr zugetan ist, und deren sprachliche Welt von einem Hauch von Poesie belebt wird, die Science-Fiction. Sie steht zwischen Forschung und Fiktion, übernimmt Termini aus der Wissenschaftssprache, verfremdet sie, kombiniert sie neu, und trägt zu ihrer Popularisierung bei. Auch der Begriff "Klon" ist in diesem Kontext zu verorten, allerdings weicht er in seiner Charakteristik und Entwicklung von anderen Fachtermini ab. Gerade seine Besonderheiten machen ihn aber für die begriffsgeschichtliche Arbeit so interessant. Wie die Wissenschaftshistorikerin Christina Brandt zeigt, muss der "Klon" als "hybride Konstellation" historisch unterschiedlich gelagerter Bedeutungsebenen verstanden werden, in der die biowissenschaftliche Definition und wesentlich ältere religiöse, naturphilosophische Denkfiguren und kulturhistorische Narrative zueinander in Spannung geraten sind. Auch dieser Beitrag skizziert den "Klon" als einen Begriff, der in verschiedenen Diskursen und Disziplinen verortet ist und auf der Grundlage kulturhistorisch wesentlich älterer Narrative und Denkfiguren neue Bedeutungen generiert. Das nicht enden wollende Hin und Her um seine Auslegung und Verwendung kann aber auch als Hinweis auf bestimmte irrationale Elemente gelesen werden, die in diesem Streit um die Deutungshoheit eine Rolle zu spielen scheinen. So lässt sich nicht leugnen, dass von bestimmten Begriffen eine besondere Faszination ausgeht. Dies wird vor allem deutlich, wenn ein wissenschaftlicher Begriff in den allgemeinen Sprachgebrauch übergeht. Die Transferbewegung des "Klons" in den öffentlichenRaum der Alltagssprache ist – dies gilt es zu zeigen – zweifellos auch, wenn nicht gar in entscheidendem Maße, den meist äußerst phantasievollen visuellen Eindrücken zu verdanken, die in der populären Vorstellung an den Begriff gekoppelt wurden. Denn es sind vor allem Bilder, die eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben, die Imagination beflügeln und vermeintlich leere Begriffe in einem einzigen Augenblick mit neuem Inhalt füllen. Im Unterschied zu bisherigen begriffsgeschichtlichen Arbeiten soll deshalb hier das Augenmerk auf dem Moment der Faszination und auf dem Visuellen liegen, um so die Korrespondenz historischer Denkfiguren, Mythen und Narrative zu ikonischen Semantiken und visuellen Bildkomplexen aufzuzeigen.
Im spanischsprachigen Raum wird immer noch oft zwischen philosophischer und historiographischer Begriffsgeschichte unterschieden. Allerdings führen beide Richtungen seit einigen Jahren einen fruchtbaren Dialog miteinander. Damit schließen sie in gewisser Weise an eine Forderung Reinhart Kosellecks an. Nach seiner Einschätzung kann die "Fortführung oder Revision der Begriffsgeschichte" von "deren philosophiegeschichtlichen Wurzeln und Varianten" nicht absehen. Die von Koselleck benannte Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, damals noch umstritten, ist zu einer Art Evidenz geworden. Daher kann ein kleiner Exkurs zur editorischen Wirkungsgeschichte Kosellecks in Spanien und Iberoamerika aufschlussreich sein.
Die Begriffsgeschichte befindet sich seit einigen Jahren in der Phase einer grundlegenden Transformation, die sich vor allem in ihrer zunehmenden Internationalisierung und Interdisziplinarisierung sowie in ihrer Verbindung mit der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte dokumentiert. Eine besondere Herausforderung bildet dabei die Erschließung der naturwissenschaftlichen Semantik. Referenzpunkte für die gegenwärtige inhaltliche und methodische Neuausrichtung bilden unter anderem die Ansätze zu einer Historischen Epistemologie (Gaston Bachelard, Ludwik Fleck) sowie Georges Canguilhems methodische Fundierung der Wissenschaftsgeschichte in der Begriffsgeschichte. In diesem Aufsatz möchte ich einige Aspekte einer interdisziplinären Begriffs- und Wissenschaftsgeschichte anhand der Analyse der Entstehungsphase des Konzepts vom 'Survival of the fittest' diskutieren. Dieses Konzept hat sich im Zeitraum der 1860er bis 1870er Jahre zu einem Deutungsmuster entwickelt, das mit eminent politischen Folgen im Spannungsfeld biologischer, philosophischer, soziologischer, ethnologischer und ökonomischer Theoriebildung sowie zwischen verschiedenen nationalen Wissenschaftskulturen zirkulierte. Ich möchte betonen, dass die von mir fokussierte wissenshistorische Konstellation nur einen kleinen Ausschnitt aus der komplexen und weit verzweigten Geschichte des Überlebensbegriffs bildet. Insbesondere seit den 1970er Jahren im Zusammenhang der ökologischen Krise und als Effekt der Diskursmacht der von Foucault entwickelten Konzepte der Biopolitik bzw. Biomacht lässt sich eine neue Konjunktur des Überlebensbegriffs ausmachen, die bis in unsere Gegenwart reicht und die überhaupt die Voraussetzung für das Bedürfnis bildet, die Bedeutungs- und Gebrauchsgeschichte des Überlebensbegriffs, oder einzelne Etappen und Knotenpunkte derselben, zu rekonstruieren.
Nachdem das letzte sowjetische Staatsoberhaupt Michail Gorbatschow 1986 die Perestroika und die Glasnost, d.h. die Meinungsfreiheit in der UdSSR, verkündete, wurde der gesamte Sowjetstaat innerhalb weniger Jahre zum Schauplatz ethnischer und nationaler Spannungen. Den Untergang des multinationalen Imperiums war von Konflikten und militärischen Auseinandersetzungen zwischen den einst 'brüderlich' miteinander lebenden und für den Kommunismus aufbauenden Völkern begleitet. Nun kämpften sie sogar mit aller Brutalität gegeneinander. Die einstigen Nachbarn und Freunde erhoben sich gegeneinander, als ob sie auf den Moment gewartet hätten, ihren Hass freizusetzen. Der ethnisch motivierte Hass war nicht selten der erste Ausdruck der Meinungsfreiheit. Die Sowjetunion, die sich 70 Jahre lang als festgefügte Union "freier" und "brüderlicher" Völker inszenierte, zerbrach genau an dieser Stelle - am Konzept der Völkerfreundschaft. Besonders schwer betroffen war der gesamte Kaukasus, wo in Berg-Karabach auch der erste bewaffnete Konflikt ausbrach. Die ethnisch-kulturelle Vielfalt dieser Region wurde den dort lebenden Völkern zum Verhängnis. Die Situation ließe sich treffend mit den folgenden Worten Primo Levis beschreiben: "Viele, ob Individuen oder Völker, können mehr oder minder bewusst dem Glauben anheimfallen, dass 'jeder Fremde ein Feind ist'". Die Feindschaft, die der Entfremdung entsprang, ent-fremdete die Menschen voneinander vor allem hinsichtlich ihrer Herkunft und ihrer ethnischen Zugehörigkeit. In den ehemaligen Teilrepubliken betrachtete man nun die autonomen Republiken oder Gebiete als tickende Minen im Körper eines nach Unabhängigkeit strebenden Landes, die man daher als erstes unschädlich machen sollte. Diejenigen "nationalen Minderheiten", die über keine administrativ-territorialen Gebilde innerhalb der Republiken verfügten, ursprünglich aus anderen Sowjetrepubliken stammten oder die sich auf Grund ihrer Abstammung einem anderen, jetzt eigenständigen Land zuordnen ließen, wurden nun zu 'Gästen' erklärt.
Im Rahmen einer Verständigung über Freundschaftskonzepte und -praktiken unter den komplexen Bedingungen sowjetischer und postsowjetischer Kulturpolitik - sowie ihrer russisch-imperialen Vorläufer und besonders ihrer georgischen Neben- und Gegengeschichte - scheint der vorliegende Beitrag auf den ersten Blick nicht ganz zum Thema zu gehören. Er behandelt die sehr spezifische Vorstellung von Gastfreundschaft, wie sie sich bei Pierre Klossowski findet, einem französischen Autor mit deutsch-schweizerischem biographischen Hintergrund. Die Verbindung zum Diskussionszusammenhang des hier dokumentierten Symposiums ergibt sich in der Tat nicht auf der Ebene des kulturhistorischen Kontakts, wohl aber auf dem von Klossowskis konzeptueller Reflexion: einer Reflexion, die das Imperativische der Gastfreundschaft, ihre 'Gesetzmäßigkeit', mit einer gewissen hartnäckigen Konsequenz und zugleich auf verspielt-fantastische Weise zuende denkt.
"Die Gesetze der Gastfreundschaft" - "Les lois de l’hospitalité" -, so lautet die Überschrift eines der ersten Abschnitte in Klossowskis 1953 erschienenem Roman "Roberte ce soir". Dieselbe Überschrift, "Les lois de l’hospitalité", wählte Klossowski einige Jahre später auch für den Zyklus, zu dem er den "Roberte"-Roman mit seinen beiden folgenden Romanen, "La révocation de l’Édit de Nantes" (1959) und "Le souffleur" (1960), zusammenfasste. Nicht um den Zyklus als ganzen, sondern nur um den kurzen Text soll es hier gehen, der als eine Art von Traktat in die Anfangspassagen des "Roberte"-Romans eingelassen ist. Dieser Text ist schwierig und sonderbar. Er behandelt Gastfreundschaft als ein Problem zugleich dialektischer und erotischer Natur, kaum jedoch als kulturelle Praxis. Daher versteht sich mein Beitrag als eine Art Zwischenruf, als Intervention von Klossowskis voraussetzungsreichem Denken und Schreiben in die Theoretisierung kultureller Praktiken. In diesem Zusammenhang kann die Beschäftigung mit Klossowski womöglich eine produktive Irritation bewirken.
Die besondere sprachliche und gesellschaftliche Situation in der Türkei bedingt, dass sich dort die Voraussetzungen für die Beschäftigung mit Begriffsgeschichte grundlegend von denen in anderen Ländern unterscheiden. In den Atatürk'schen Reformen seit den späten 1920er Jahren wurde auch die Sprache zum Ziel staatlicher Eingriffe: Der arabische und persische Wortschatz sowie Fremdwörter aus europäischen Sprachen sollten durch "genuin türkische" ('Öz Türkçe', etwa: 'das eigentliche, reine Türkisch') Wörter ersetzt werden, die entweder aus anderen Turksprachen entlehnt oder neu geschaffen werden sollten. Über Jahrzehnte hinweg wurde über Wörter und ihre Gestalt heftig gestritten, und die politische Gesinnung eines Menschen konnte lange Zeit auch an dem Wortschatz festgemacht werden, den er gebrauchte. Dies hatte und hat auch Konsequenzen für Begriffe und ihre Geschichte in der Türkei. So ist es im akademischen Diskurs der Türkei gängige Praxis, Begriffe aus den europäischen Sprachen ins Türkische zu übersetzen, wobei die türkischen Begriffe sowohl von den Autoren als auch von den Lesern als Übersetzungen der entsprechenden Begriffe in den Originalsprachen wahrgenommen werden. Kommen begriffsgeschichtliche Fragen ins Spiel, so interessiert man sich dann meist nicht für die Geschichte der türkischen Übersetzung, sondern für die des ursprünglichen Begriffs. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass "Klassiker" der sozialwissenschaftlichen und philosophischen deutsch-, englisch- und französischsprachigen Literatur relativ schnell auch ins Türkische übersetzt werden, wobei sich begriffliche Fragen gewissermaßen von selbst einstellen.
Die stetig wachsende Menge an digital verfügbarem, zeitgenössischem wie historischem Textmaterial bietet für die begriffsgeschichtliche Forschung Chancen und Herausforderungen: Während die fortschreitende Digitalisierung die Verfügbarkeit erforschbaren Materials deutlich erhöht, resultiert aus der verbesserten Auffindbarkeit potentieller Quellen eine schwindende Übersicht dessen, was für begriffsgeschichtliche Studien überhaupt in Betracht zu ziehen ist. Am Beispiel der Begriffe Netz, Netzwerk und Vernetzung erproben wir quantitative, semi-automatische Ansätze für eine digitale Begriffsgeschichte. Dafür identifizieren wir zunächst die Beschränkungen des Tools Google Ngrams, das weder für die Analyse von Wortbedeutungen noch für die Bestimmung der Kontexte von Wortverwendungen geeignet ist. Demgegenüber erörtern wir die Vorzüge einer hier erstmals im Kontext begriffsgeschichtlicher Forschung vorgestellten Methode der vorwissensfreien Bedeutungsinduktion, die semantische Aspekte gesuchter Begriffsworte automatisch ermittelt, deren typische und untypische Verwendungskontexte aggregiert, Wortfelder kartiert und durch einen geeigneten Index die Möglichkeit bietet, Belegstellen zu betrachten sowie die Veränderung von Wortbedeutungen im Laufe eines gegebenen Zeitraums zu analysieren. Mittels dieser interaktiven, semi-automatischen Methode lässt sich für den deutschen Sprachraum nachweisen, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Problemdiskurs über Netzwerke entwickelt, mit dem sich ein Wandel der Semantik des Begriffswortes erklären lässt. Mit dem vorgestellten Verfahren lässt sich auch die Bedeutung komplexer metaphorischer Prozesse für den zu erklärenden Begriffswandel erschließen.