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Das Klangtal
(2003)
Die Worte Österreich, England, Europa, London, Wien habe ich das erste Mal im Jahr 1962 gehört, bei einem unserer Ausflüge zu den Hügeln draußen vor der Stadt und zu den Wäldern und Tieren. Ich hörte sie das erste Mal im Zusammenhang mit einem Brief, den die Mutter vorgelesen hat, laut gelesen hat, weil sie die Sprache in diesem Brief gerne hörte, laut, weil es ein englischer Brief war, der nicht auf Englisch geschrieben war, weil sie vielleicht dieses Aber-Englisch hören wollte, laut vielleicht, dass ich zuhören konnte. Es sei ein Brief, der von einem Kind namens Katharina erzählt und von einem Fisch. "Ich lese den englischen Brief vor", sagte die Mutter, dann las sie auf Deutsch. So hatte das Kind die Gewissheit, dass das Englische und Deutsche eins sind.
...
Auf einem der Hügel auf dem Festland standen im Halbkreis Hütten, dort zogen englische Ferienfamilien ein, spielten Fußball und Tennis und Badminton, Leser saßen dazwischen und lasen The Times und The Daily Mirror und Kriminalromane und malaysischenglische Wörterbücher. "Achte einmal darauf, ich lese dir stückerlweise den Brief aus Österreich vor." Österreich? Österreich? "Ja, das ist ein Land, das weit weg in der Mitte von Europa liegt." Europa? Europa? "Ja, das ist eine Sammlung von Ländern, eine Art Asien wie hier, wo wir sind." Wer hat dir den Brief geschickt? "Den Brief hat mir niemand geschickt. Der Brief ist an Francis Bacon in England gerichtet worden, vor vielen hundert Jahren." Wer hat ihn geschrieben? "Das weiß ich nicht. Ein Mann namens Philipp Chandos, ich weiß nicht, wer der war. Ich weiß nur von einem anderen Chandos namens Grey, 5th Baron Chandos. ...
Brief an Lord Chandos
(2003)
Brief an Lord Chandos ...
... mit groszer Anteilnahme habe ich Ihre Klagen aufgenommen und möchte zu Ihrer Tröstung bekennen, dasz es mir vor einiger Zeit ähnlich ergangen ist: ich hatte in dieser meiner Krise aller Welt vorgemacht, ich sei an der Arbeit, muszte mir jedoch eingestehen, dasz ich in Wahrheit völlig ausgebrannt war, ja, dasz die Vorstellung mich verfolgte, ich hätte noch nie auch nur I Wort aufgeschrieben, ich würde nie wieder Pläne oder Ahnungen von Gedanken empfangen können, am allerwenigsten jene so wundertätigen Verbalträume, die mich jederzeit mitten hinein in die Produktion katapultiert hatten. Aber dann versuchte ich mich selbst aufzufangen, indem ich den Gründen meines Versagens nachzuforschen begann, und ich entdeckte, warum es mir so elend erging. …
"Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen." Wohl kein Leser hat es versäumt, den Widerspruch zu bemerken, daß der berühmte Satz einer Erfahrung gilt, die Lord Chandos macht oder erleidet, nicht aber den Sätzen, in denen er diese Erfahrung formuliert und mitteilt. Um die Paradoxie zu erklären, möchte ich vorschlagen, den Chandos-Brief als poetologisches Experiment zu lesen. Hofmannsthal zerstört - oder setzt für die Dauer eines Textes außer Kraft - , was man die Spielregel der kreativen Reproduktion nennen könnte. Seit der Goethezeit und das 19. Jahrhundert hindurch stellte sie eine unantastbare Einheit dar: als jene persönliche Instanz, die Welt vernimmt oder wahrnimmt und dem Vernommenen oder Wahrgenommenen wiederum Ausdruck gibt. Diese Instanz entfällt; nicht nur die Sprache, auch Lord Chandos selber zerfällt in Teile, in eine erlebende und in eine erzählende Person. Eine Anregung hierfür, das wäre mein zweiter Vorschlag, konnte Hofmannsthal den Schriften Ernst Machs entnehmen, zumal dem ebenso berühmt gewordenen Satz "Das Ich ist unrettbar". Was geschieht, wenn man diesen Satz auf die Autorschaft anwendet? Schließlich und drittens wäre zu bedenken, ob nicht die Erlebnisse eines Autors, dem sich der Ausdruck versagt, gleichwohl Manifestationen von Kreativität sein könnten. In diesem Sinne möchte ich besonders die "guten Augenblicke" (S. 50) des Lord Chandos erörtern. ...
Sehr geehrte Freunde des Varietés,
sehr geehrte Artisten und Claqueure,
es freut mich, daß Sie so zahlreich erschienen sind zu dieser Versammlung, und daß ein jeder von ihnen seinen Zehnt abgibt von seinem Herz, womit wir die Kosten des Mitleids mit Herrn Chandos tragen wollen. Von den Reden meiner zahlreichen Vorgänger kam viel Mitgefühl für sein Schicksal, daß der Tag davon nun bereits bis an den Rand gefüllt ist, und nur ein Seufzer noch fehlte, und schon schwappte etwas davon über und tropfte in mein Gemüt, und dann besitze auch ich ein paar Tränen. Damit will ich aber nun lieber mein Unglück beweinen. Es ist nicht so elegant gekleidet wie das des Herrn Chandos, der seinen Traum wie einen viel zu großen Anzug auf sich zurechtschneidern ließ, damit er ihm am Ende dann auch paßte. ...
Der als Sprachkrise inszeniertea "mystische Weg", den Hofmannsthal rückblickend als Weg des Lord Chandos beschworen hat, bezeichnet weniger den "Anstand des Schweigens", als vielmehr eine literarisch äußerst produktive und semiotisch folgenreiche Poetologie des inneren Sehens, der endogenen Bilder des Bewußtseins.
Die rhetorische Bravour des "Briefes" – eine Bravour, die bekanntlich ihr eigenes Dementi voraussetzt und damit zur glanzvollsten Präteritio ihrer selbst gerät –, diese Bravour also findet sich exemplarisch in einem seiner Sätze:
Es begegnete mir, daß ich meiner vierjährigen Tochter Katharina Pompilia eine kindische Lüge, deren sie sich schuldig gemacht hatte, verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so ineinander überflossen, daß ich den Satz, so gut es ging, zu Ende haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der einsamen Hutweide einen guten Galopp nehmend, wieder einigermaßen herstellte.
Den berühmten Text, um den es hier geht, schrieb Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1902 und veröffentlichte ihn im selben Jahr in zwei Folgen in der Berliner Zeitschrift "Der Tag". Aus demselben Sommer sind viele persönliche Briefe Hofmannsthals erhalten, die dasselbe Thema der Sprach- und Schreibkrise behandeln. Hofmannsthal erlebte in dieser Zeit längere unproduktive Phasen, die mit einem Vertauensschwund in das Wort als künstlerisches Medium und Ausdruck von Realität zusammenhingen. Im OEuvre des Autors markiert der Brief eine Zäsur zwischen den Jugendwerken und denen des reiferen Alters, die zugleich auf einen Wechsel der Gattungen verweist. Hofmannsthal verkündet hier, so schreibt Gotthart Wunberg, "seine große Absage an die lyrische Produktion seiner frühen Jahre, an die Werke, die ihn berühmt gemacht haben." Es ist der Abschied von der Magie des lyrischen Worts und die Hinwendung zu einer Prosa, die er ebenfalls als als 'reine Form' zu binden erhofft. Das Prinzip der Form - wie immer wieder bemerkt worden ist, wurde dieser Essay über das Verstummen in einer meisterhaften Prosa artikuliert - überbrückt nicht nur den Abstand zwischen Lyrik und Prosa, sondern auch den zwischen den biographischen Briefen und dem literarischen Brief.
Hofmannsthals "Gespräch über Gedichte", nur ein Jahr nach dem Chandos-Brief konzipiert und 1904 erstmals, mit dem Titel "Über Gedichte", veröffentlicht, leidet unter einer fatalen Anschuldigung. "Hofmannsthal sucht im Georgedialog das ästhetische Symbol als Opferritual zu fassen", erklärt Theodor W. Adorno in einem Essay von 1939. Er zitiert dann die berühmte Erzählung Gabriels vom ersten Opferer, mit ein paar Auslassungszeichen allerdings, und kommt zu dem Schluß: "Diese blutrünstige Theorie des Symbols, welche die finsteren politischen Möglichkeiten der Neuromantik einbegreift, spricht etwas von ihren eigentlichen Motiven aus. Angst zwingt den Dichter, die feindlichen Lebensmächte anzubeten: mit ihr rechtfertigt Hofmannsthal den symbolischen Vollzug. Im Namen der Schönheit weiht er sich der übermächtigen Dingwelt als Opfer." Blutrünstig und politisch finster, Angst und Selbstopfer - da öffnet sich ein ästhetischer und gleich auch politischer Abgrund. Denn umstandslos setzt dieser Begriffswirbel Symbol (also auch Poesie) und Blutopfer, den Dichter und den Opferer gleich.
Nachfolgende Beobachtungen zum Chandos-Brief Hofmannsthals haben die im letzten Drittel des Briefes beschriebenen "guten Augenblicke" zum Thema, die als exemplarische Darstellungen einer ästhetischen bzw. poetischen Erlebnisweise ausgewiesen werden sollen. Getragen ist also die Lektüre von der vielleicht kontroversen Voraussetzung, daß in die Schilderung der guten Augenblicke ein poetologischer Vorstellungskreis eingeht, der auch über die Grenzen des Chandos-Briefs hinaus für Hofmannsthals Schreiben bestimmend bleibt. So wird sich die Argumentation auch auf spätere Texte beziehen, zumal auf solche wie "Das Gespräch über Gedichte" oder den Vortrag "Der Dichter und diese Zeit", deren Anliegen ein explizit poetologisches ist.
Hofmannsthal 11/2003
(2003)
Vorliegende Ausgabe der 'Mitteilungen der Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft' enthält:
Zum Tod von Renate Böschenstein-Schäfer / Karl Pestalozzi
Andreas Zimmer (14. Mai 1930 – 21. Juni 2003) / Elsbeth Dangel-Pelloquin
Tagung der Hugo vom Hofmannsthal-Gesellschaft in Wien 12. –15. September 2002 / Juliane Vogel
Jedem von uns ist das schon begegnet: ich will ein Wort verwenden. Es fällt mir einfach nicht ein. Mein Hirn macht sich auf die Suche und legt erst einmal alles andere lahm. Meine ganze Aufmerksamkeit peilt dieses eine Wort an, das sich entzieht. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren. Ja, ich kann nicht einmal einschlafen, weil dieses unauffindbare Wort alle Funktionen, sogar vegetative, stört. Es hat sich mit dem ganzen Wortfeld eingekapselt, abgeschottet.
Wenn ich wenigstens ein Synonym finden könnte, irgendein Wort, das sinngemäß eine Richtung weist, ich könnte mich daran weiterhangeln, auch wenn mir der Boden unter den Wörtern abhanden gekommen ist. Grad noch das Wort davor ist verfügbar, ich klammere mich dran fest. Der Wortfluß, bisher moderat, schwemmt alles weg - und wo grad noch ein Meer von Wörtern war, nichts als eine wortlose Dürre. Nichts mehr da.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Hofmannsthal 12/2004
(2004)
Über Assimilation, deutsch-jüdische "Symbiose" und politischen Antisemitismus in Wien und Österreich während der k.u.k. Monarchie und der Ersten Republik gibt es umfangreiches Material, das Interessierten sowohl mentalitätsgeschichtlich als auch soziologisch und statistisch über die damaligen Verhältnisse gründlich Auskunft erteilt. Und seit Carl Schorskes vieldiskutierter Darstellung des "Fin de siècle" ist auch Hofmannsthal mehrfach in diese Untersuchungen einbezogen worden, eindrücklich von Jens Rieckmann. Debattiert wurde einerseits, ob – und in welcher Form – Hofmannsthals jüdisches Erbe in seinem Werk erkennbar sei, aber ebenso, ob er, insbesondere mit seiner heftigen Reaktion auf Dichtungen von Schnitzler und Beer-Hofmann, dabei einer Art von "jüdischem Selbsthaß" erlegen sei, der abgelehnte Ichanteile nach außen und auf andere projizierte. Und mehrfach besprochen wurde auch, wie abweisend Hofmannsthal in den 20er Jahren auf Versuche antwortete, ihn - durchaus lobend - in Publikationen zusammen mit jüdischen Autoren darzustellen.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
"Vor einem Bild", so Arthur Schopenhauer, "hat Jeder sich hinzustellen, wie vor einem Fürsten, abwartend, ob und was es zu ihm sprechen werde; und, wie jenen, auch dieses nicht selbst anzureden: denn da würde er nur sich selbst vernehmen." Es ist, als hätte Günter Eich eben diese Aufforderung ernst genommen und in ein subversives Sprachspiel verwandelt. Sein Gedicht "Munch, Konsul Sandberg" aus dem Jahre 1963 erweist sich dabei als ebenso bemerkenswerter wie eigenwilliger Beitrag zum Thema "Text und Bild". [...]Wenn Günter Eichs Gedicht aus dem Band "Zu den Akten" von 1964 etwas aus dem Bild übemimmt, was gleichsam ins Auge springt, so ist es jene genannte Ambiguität zwischen Präsenz und Entzug, zwischen Flächigkeit und Plastizität der Gestalt, die der Text nun seinerseits, in einer Art "overkill" gleichsam, radikalisiert. Eich besingt nicht das Bild, er kokettiert nicht mit der Tradition des Bildgedichtes, er treibt und hintertreibt vielmehr die Erwartung des Lesers durch die Konstruktion eines provozierenden Sprechers. Einer solchen Konstruktion scheinen Fragen vorausgegangen zu sein, wie: Kann ein Text etwas von der Spannung und Energie, die das Gemälde ausstrahlt, "übersetzen"? Läßt sich etwas von der (Nach-)Wirkung dieses Bildes fassen, ohne in gängige Register zu verfallen, mit denen Bilder in der Regel kommuniziert werden? Kann, mit anderen Worten, das Verhältnis von Text und Bild anders artikuliert werden als im Modus der Beschreibung, eines Narrativs oder einer hermeneutischen Belehrung - Modi allesamt der Bemächtigung, der Rivalität oder der Unterwerfung?