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Rezension zu: Julian Millie: Splashed by the saint. Ritual reading and islamic sanctity in West Java
(2011)
"Vom Heiligen bespritzt. Rituelle Lesung und muslimische Heiligkeit in Westjava" ist der aus dem Englischen wörtlich übersetzte Titel einer modernen Ethnografie zum Sunda-Gebiet. Wie in einer klassischen Ethnografie wird ein bestimmtes Ritual ins Zentrum der Untersuchung gerückt. Es handelt sich dabei um eine Lesung, die sich auf "Heiligkeit" bezieht und deshalb vom Autor als karamat-Lesung (Arab.: karamat - charismatische und/oder mystische Kraft) bezeichnet wird. Die Lesungen finden entweder im privaten, häuslichen Umfeld oder in einem Pesantren (muslimisches Internat) statt, wo sie von jedem Interessenten besucht werden können. Kern des Rituals sind Texte über Abd al-Qadir al-Jaelani, den die Ritualteilnehmer als Mittler zu Allah verstehen, und an dessen Heiligkeit sie Anteil haben können. Interessant ist dabei, dass Abd al Qadir kein autochthoner Urahn ist. Der Legende nach wurde er 1088 n. Chr. in Gilan im Iran geboren und in Bagdad beerdigt, wo sein Grabmal zu einer Pilgerstätte von Muslimen aus aller Welt geworden ist. Erklärtes Ziel des Autors ist es, zu untersuchen, was ritualisiertes Lesen und die Rezitation sakraler Erzählungen über Islamische Frömmigkeit und über den Raum, den die Texte in der muslimischen Gesellschaft einnehmen, aussagen.
Angesichts des Schicksals ihrer Imame ist es kaum überraschend, dass die Schia den frühesten und expressivsten Märtyrerkult im Islam entwickelte: Die mutmaßlichen Gräber des zum Herrn der Märtyrer ('sayyid al-schuhada') verklärten Husain und seiner Gefährten bei Karbala entwickelten sich schon bald zu Anlaufstätten für Trauer- und Gedächtnisrituale ihrer Anhänger. Gemeinsam mit den Grabstätten der nachfolgenden Imame sowie denen vieler weiterer, männlicher und weiblicher, Nachkommen der Familie Alis wuchs hier im Lauf der Jahrhunderte ein regional weit verzweigter Märtyrer- und Heiligenkult heran, der an den schon in vorislamischer Zeit im Nahen Osten weit verbreiteten Totenkult anknüpfen konnte und maßgeblich dazu beitrug, die Oppositionsbewegungen der Schia in der lokalen 'Volkskultur' zu verankern. Die Tatsache, dass 'Frauen', vor allem durch rituelles Weinen, gerade beim Trauerkult eine herausgehobene öffentliche Rolle spielen konnten, scheint die Breitenwirkung dieser Bewegungen ebenso begünstigt zu haben wie die bedeutende Rolle Fatimas in der Legitimitätsstruktur der Schia. Obwohl die Figur Alis der zentrale politisch-theologische Angelpunkt der Schia ist und obwohl auch sein Tod alle Ingredienzien eines Märtyrertods enthält und mehrere schiitische Feiertage das Andenken des Herrschers der Gläubigen ('amir al-mu’minin') pflegen, sind die wichtigsten Rituale der Schia dennoch auf seinen jüngeren Sohn Husain ausgerichtet, dessen heroischer Untergang bei Karbala im Irak mit 72 seiner Verwandten und Gefährten gegen eine Übermacht von mehreren tausend Soldaten des Kalifen Yazid I. (reg. 680–683) bis heute mit ausgedehnten Gedächtnis- und Trauerfeiern begangen wird. Nicht zufällig wurden die religiösen Versammlungsräume der Schia unter dem Namen "Husainiya" bekannt.
Dem Islam ist die Neigung zu einer problematischen Glaubenshaltung des verantwortungslosen Fatalismus, der die Fatalität indes forciert, zuletzt so häufig vorgeworfen worden, dass man zunächst (unter anderem mit Bischof Manfred Scheuer) betonen muss, der Islam sei wohl nicht prinzipiell "gewaltanfälliger als andere Religionen". Der Islamismus, der wohl zu Recht mit Brachialgewalt und autoritärem Gehabe assoziiert werden kann, ist schließlich, so könnte man in Anspielung an den Konflikt rund um (so schäbige wie dilettantische) Karikaturen Mohammeds in einer dänischen Zeitung sagen, doch von allen verzerrten Bildern dieses Glaubens das schlimmste, blasphemischer als all das, wogegen er sich aus Frömmigkeit terroristisch wendet. Vor diesem Hintergrund ist freilich noch immer nicht mit Salman Rushdie zu schließen, es brauche "noch mehr Cartoons wie die in Dänemark." Dies abgesehen von anderem übrigens schon dadurch, dass der Islam einen Humor-lmport, wie ihn Rushdie andeutet, auch insofern nicht nötig hat, als es eine Tradition des Humors hier sehr wohl gibt, "auch der Prophet sei - allen fanatischen Imamen und heuchlerischen Mullahs zum Trotz - zum Scherzen aufgelegt gewesen", wie etwa Ulrich Marzolph darlegte, bis heute ist "im arabischen Raum [...] der schwarze Humor durchaus präsent", der sich besonders schlecht mit Fanatismus vertragen dürfte.