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Im vorliegenden Aufsatz stellt die Verfasserin die Frage nach einer geschichtsphilosophischen Lesart von Toni Morrisons Roman "Beloved" (1987). Dafür vergleicht sie zunächst Friedrich Nietzsches "Zweite Unzeitgemäße Betrachtung: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben" (1874) mit Walter Benjamins "Thesen über den Begriff der Geschichte" (1940), indem sie dem nicht von ungefähr kommenden Zusammenhang von kritischer Historie und Kritischer Theorie nachspürt. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse, wie der Umgang mit Historie das (Er-)Leben in der Zukunft und für die Zukunft beeinflussen kann, wird Morrisons Roman nach den verschiedenen Entwürfen des Umgangs mit Geschichte untersucht: Anhand der Mutter Sethe und den beiden Töchtern Denver und Beloved wird anschaulich gemacht, wie sich ein 'Zuviel' an Geschichte negativ auf die Zukunft auswirken kann, aber auch, wie das Vergessen als Mittel der Ermöglichung von Zukunft fungiert.
How can the Armenian genocide be considered in terms of its ecological roots and remnants? Umut Yıldırım explores the more-than-human flora and fauna indigenous to the banks of the Tigris river in Upper Mesopotamia - in particular, centenarian mulberry trees - as resistant roots that register the evidentiary ecologies of the Armenian genocide through the Turkish state's denialist present and its ongoing war against the Kurds.
Das Projekt "Bibliothek der Alten" der Künstlerin Sigrid Sigurdson (Historisches Museum Frankfurt / Main) archiviert individuelle Erinnerungen, eingebunden in vielfältige Spuren, in Text-, Ton- und Bilddokumenten. Stöbert man in den zugänglichen Kartons, erkennt man, wie ein Erinnerungsgeflecht zu einem dynamischen Prozess wird, wie sich individuelle Erinnerungen mit anderen verbinden. Erinnerungen sind dabei trügerisch, selektiv, perspektivisch, fragmentarisch, labil. Wie die Kunst der "Spurensicherung", insbesondere die Archive Boltanskis, demonstriert,können sich Realität und Fiktion mischen und doch Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses sein. Bei aller Konstruktion und Unsicherheit: Erinnerungen bestimmen unser Leben ständig. Erinnern ist dabei ein vielschichtig grenzüberschreitender Prozess. Gerade die Kunst der Bildgeschichte hat den Konstruktionsprozess des Erinnerns auf unterschiedliche Weise aufgegriffen. In Miguelanxo Prados Bildroman 'Ardalén' (dt. 2013) wird Erinnerung zum grenzüberschreitenden Thema in mehrfacher Hinsicht, zwischen heute und früher, zwischen Realität und Wahn, zwischen den Persönlichkeiten. Wie die Kunst der Bildgeschichte ein prozessuales Erinnerungsgeflecht darstellbar und miterlebbar machen kann, wie sie mit einer grenzüberschreitenden intermedialen Ästhetik, die unterschiedliche Bildformen und Textsorten funktional einbindet, den Rezipienten in dieses Spiel emotional und reflexiv einbindet, soll – in vergleichende Kontexte gestellt – am Beispiel Prados sowie an Matthias Gnehms 'Der Maler der Ewigen Portrait Galerie', 2013, vorgestellt werden.
[...] wie die 'Berliner Kindheit' oft als eine 'Erinnerungspoetik' bezeichnet wird, deren treibende Kraft die "Ich-Konstitution" sei, ließe sich Hoppes 'Picknick der Friseure' als 'Ver(w)irrungspoetik' beschreiben. Der Prozess des Erinnerns und sich (Wieder)findens ist bei ihr noch verdichteter im Sinne eines 'Dickichts der Texte', als bei Benjamin. Die konsequente Verweigerung einer "homogenisierte[n] Ich- Bildung" rückt bei beiden Schriftstellern "die Frage nach den noch verbleibenden Formen der Identitätsbildung in den Mittelpunkt des Schreibens." Vor dem Hintergrund einer als desolat erfahrenen Wirklichkeit scheinen die 'Berliner Kindheit' und 'Picknick der Friseure' die "Wahrheit so behutsam aus der Dichtung hervor[zu]ziehen […] wie die Kinderhand den Strumpf aus 'Der Tasche'". Oder wie es in Hoppes Schlussgeschichte 'Not und Tugend' heißt: "[A]m Ende, beim Öffnen der Säcke, kam alles zum Vorschein, Feigheit und Gier und schlechte Gewohnheit und daß wir zu spät und mit Dreck an den Stecken ans Tageslicht gekrochen waren". Doch, und das ist das Wesentliche, "hier ist das Buch unserer Rettung", sodass wir „alt [werden können] in Würde". Damit birgt, wie Adorno es für Benjamin formuliert, die "Allegorie des eigenen Untergangs", das zersplitterte Geschichtswerk, auch bei Hoppe die Möglichkeit zur Selbstbehauptung.
Die Erinnerungsikonen sind datierbare Erinnerungsakte in der Geschichte, doch erzählen sie selbst keine Geschichte. Die vielen besonderen Geschichten, die sich einst um jedes konkrete Leben rankten und nach dem Tode der Person auch noch eine Weile im kommunikativen Gedächtnis der Familie, der Nachbarschaft und des Dorfes erzählt wurden, sind alle längst vergessen. Dieses Schicksal trifft über 90 Prozent unserer materiellen Hinterlassenschaften, von denen sich die Gesellschaft in periodischen Ausscheidungsprozessen trennt, ohne dabei je zu einem Thema zu machen, „wie wenig wir festhalten können, was alles und wie viel ständig in Vergessenheit gerät, mit jedem ausgelöschten Leben, wie die Welt sich sozusagen von selber ausleert, indem die Geschichten, die an ungezählten Orten und Gegenständen haften, von niemandem je gehört, aufgezeichnet oder weitererzählt werden (…).“ Dieses Universalgesetz des Vergessens gilt aber nicht nur für Hausrat und beiläufig Angesammeltes, sondern paradoxerweise auch für die Erinnerungsikonen, deren liebevolle und kostbare materielle Ausformung ihren Gedächtniswert noch eigens ausstellt. Ohne eine Sammlerin, die diesen Gegenständen nachträglich einen neuen historischen Wert zuschreibt, und ein Museum, das sie unter ihr schützendes Dach aufnimmt, würde die Nachwelt von dem Brauchtum, auf das diese stummen Zeugen verweisen, heute nichts mehr wissen.
Im Folgenden soll am Beispiel der deutschen Erinnerungsgeschichte nach 1945 der lange, aber doch eindeutige und wohl auch irreversible Weg vom Vergessen zum Erinnern nachgezeichnet werden. Im Mittelpunkt dieser Entwicklungslinie steht das Thema Auschwitz, das Meier ja als Ausnahme seiner Regel aus seiner Darstellung herausgenommen hatte. [In] Abweichung von dieser These soll hier gezeigt werden, dass die Erinnerung an Auschwitz auch auf andere historische Ereignisse abgefärbt hat und deshalb nicht als ein abgesonderter Ausnahmefall anzusehen ist, sondern als Anstoß einer erinnerungskulturellen Wende. Diese Folgeerscheinungen, die zu einem Erinnerungsanspruch auch für andere historische Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie die Sklaverei oder die Ausrottung indigener Urbevölkerungen geführt hat, sind inzwischen gut dokumentiert.
The concept of the “magic circle” (Johan Huizinga) defines the stage and the specific performative conditions for magic to work. This concept which was applied by Huizinga to spaces such as the courtroom, the church or the theatre is extended in this essay to the page of the literary text. It is argued that something of the age-old magic of oral poetry is preserved in contemporary German memory fiction that stages an encounter with dead family members. In novels by Peter Härtling (Nachgetragene Liebe) and Uwe Timm (Am Beispiel meines Bruders) a repressed past is emotionally revisited and at the same time exposed to new reflection in the light of hindsight. The therapeutic setting of “family constellation” is introduced as another manifestation of the magic circle in our contemporary world in which latent traumas are acted out and worked through in a cathartic process.
Jüngst wurde die These vertreten, was in den 60er und 70er Jahren der Begriff der Entfremdung und Utopie bedeutet habe, sei heute der der Erinnerung und des Gedächtnisses. Mit dem Rückgang einer ausschließlich futuristisch ausgerichteten Utopieforschung und einer die Vergangenheit häufig instrumentalisierenden Rezeptions-und Erbeforschung hat sich im Gegenzug Erinnerung als ein Schlüsselbegriff der Kulturwissenschaften etablieren können. In drei Kürzeln lässt sich diese Konjunktur skizzenhaft plausibilisieren. Erinnerung ist erstens theoriefähig und empirisch, zweitens aktuell und tief in die Geschichte oder die Geschichten zurückreichend und drittens interdisziplinärfähig und die einzelnen Disziplinen neben den Literaturwissenschaften die Soziologie, Philosophie, Kunstgeschichte herausfordernd. Erinnerung avancierte zum Faszinationstyp, weil sie - um auch hier wiederum die Dreizahl beizubehalten - in drei Arbeitsfeldern besondere Schwerpunkte zu setzen erlaubt: ersten im Bereich komplexer Modalisierung von Zeiten, zweitens im Bereich der Kulturalität und drittens in der Komparatistik länderspezifischer Erinnerungsmodi.
Souvenir und Andenken
(2006)
Souvenir und Andenken sind [...] Mediatoren einer Umwegerinnerung: und dies, weil sie "mit dem ursprünglichen Sinneseindruck" metonymisch, d.h. als Fragment zusammenhängen. Charakteristisch für Souvenir und Andenken ist, dass sie, als Reststücke einer Person, eines Ortes, einer Situation, eines Erlebnisses, ein Versprechen enthalten, nämlich eine bislang im Rest-Fragment nur angedeutete Geschichte ganz zu erzählen, wiederzubeleben, wiederzuinszenieren. Dass dieses Versprechen nur sehr schwer und selten eingelöst werden kann, ist der Zwischenzeit geschuldet.
Der Beginn der literarischen Karriere des Andenkens lässt sich in der
empfindsamen Literatur ausmachen. Dort finden sich auch Hinweise auf die Genese des Alltagsphänomens, die auf eine besondere Beziehung von Andacht und Andenken deuten. Im Folgenden soll die historische Konstellation der beiden Kulturpraktiken Andacht und Andenken skizziert werden. Den Ausgangspunkt bildet die begriffsgeschichtlich bezeugte Verbindung von Andacht und Andenken. Danach soll diese Beziehung mediengeschichtlich, erinnerungstheoretisch und ästhetisch erhellt werden.
Wenn die Beschäftigung mit dem Thema Erinnerung heutzutage als Mode erscheint, so indiziert das nichts anderes, als dass das Erinnern in ein Stadium der Selbstreflexion eingetreten ist, das das Vergessen nicht vergessen lässt. Zugleich erscheint das Erinnern durch den Bezug auf das Vergessen in einer dynamisierten Form, insofern es nicht mehr über einen einzelnen Term, sondern über das Wechselspiel zweier Terme erklärt wird. Dieses dynamisierende Spiel mit zwei Termen beschränkt sich in der aktuellen Memoriaforschung keineswegs auf das Erinnern und Vergessen. Vielmehr erscheint es als Effekt des mittlerweile erreichten selbstreflexiven Niveaus der Erinnerung und bestimmt auch, wie im Folgenden angedeutet werden soll, den Gegensatz von außerwissenschaftlicher Erinnerungsarbeit und wissenschaftlicher Erinnerungsforschung; da Nebeneinander von transdisziplinärer und interdisziplinärer Erinnerungsforschung, das Verhältnis von raum- und zeitorientierten Erinnerungsmodellen, den Zusammenhang von individuellem und kollektivem Gedächtnis, sowie die Spannung zwischen einer national bzw. lokal verorteten und einer global entorteten Erinnerung.
Schon bei seiner Einführung in die wissenschaftliche Literatur meinte der Begriff Déjà vu anderes als er besagt. Die beiden Primärquellen, auf die sich Ludovic Dugas in seinem terminologisch grundlegenden Artikel von 1894 bezog, verwenden bezeichnenderweise auch gar nicht diesen Ausdruck, sondern einen allgemeineren ...
Der Garten : zur Einführung
(2000)
Goethes Lebens-Erinnerungen
(1996)
Wenige Wochen nach seinem sechzigsten Geburtstag entwirft Goethe ein Schema seiner Biographie. Offenbar hält er die Zeit für gekommen, Rückschau zu halten. Das erscheint verfrüht, wenn man bedenkt, daß er seine Hauptwerke, den Diwan, die Wanderjahre, den Faust II noch vor sich hat. Doch das eine hängt mit dem anderen zusammen: Goethe schreibt seine Lebenserinnerungen nicht obwohl, sondern weil er große Projekte vor sich hat. Er vollzieht die Retrospektive nicht im Interesse einer abschließenden Bilanz, sondern des Aufspürens kreativer Impulse. Im folgenden soll gezeigt werden, daß Goethe dieses Aufspüren schöpferischer Quellen durch eine Erinnerungstechnik vollzieht, die den faktischen Gang des äußeren Lebens in bestimmter Weise transzendiert. Erinnerung der eigenen "Vita" heißt bei ihm: Innewerden der lebendigen Naturproduktivität – nicht im abstrakten Zugriff auf das "große Ganze", sondern durch Bewußtmachung der Bedingtheit des kulturellen Gedächtnisses. ...