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Konservativ, feministisch, schuldig? : Genderkonzepte in zwei Gedichten von Marie Luise Kaschnitz
(2024)
Marie Luise Kaschnitz' Haltung in Bezug auf Genderkonventionen und -rollen ist ambivalent. Das untersuche ich an zwei Gedichten. Das frühe Gedicht "Grabstele" (1936) zeigt ein stereotypisierendes Genderdenken, das sich auf Oberflächlichkeiten beschränkt. Kaschnitz hat das Gedicht später kritisiert und sich Gedanken über ihre eigene Haltung gemacht. Trotzdem lässt sich auch in "Grabstele" eine subversive Tendenz festmachen, die Sprechinstanz ist nämlich in Bezug auf Gender unterdeterminiert. Kaschnitz imaginierte sie zwar später als weiblich, im Text ist das aber nicht so festgelegt. Der Aufruf zu Subversion und Ungehorsam der Frauen ist im zweiten untersuchten Gedicht "Frauenfunk" (1972) stärker und expliziter. Das liegt unter anderem am historischen Kontext, dieses Gedicht wurde durch den Feminismus geprägt. Beiden Gedichten gemeinsam ist ein essentialistisches Genderkonzept mit bürgerlichen Genderrollen, das sich durch Kaschnitz' Werk zieht.
This article reads Fred Moten's collection "B Jenkins" as literalizing the poetic appeal to the mother tongue to reveal its mediated essence. Approaching its first and last poems in terms of Friedrich Kittler's techno-psychological history of the family casts Moten's detuning of natural language in terms of cultural mastery streaked with affirmative disfluency. With the 'cant', slang slides towards a broader awareness of the limits of knowledge. There, language may emerge for perceiving the role of the technological mother tongue in our postnational age.
Poesie ermöglicht Zugänge : Potenziale deutschsprachig-muslimischer Lyrik für Unterricht und Praxis
(2023)
Lara Tarbuk widmet sich dem Gedichtband "dachbodenfund" von Nicolas Mahler, dessen Texte aus Spielzeugauktionskatalogen montiert werden. Ihre Lektüren ausgewählter Gedichte zeigen, wie, vermittelt über die montierten Texte, die Materialität des Bandes und seiner Texte selbst zum Gegenstand der Reflexion wird.
Das Projekt beschäftigt sich mit der visuellen Wirkungsdimension von Lyrik und der Möglichkeit ihrer analytischen Beschreibung. Dafür werden die Anordnung von Versen und Wörtern, Auszeichnungen und andere typographische Strukturen von nicht experimentellen Gedichten seit Ende des 18. Jahrhunderts im Rahmen von Modellanalysen untersucht.
Die hier vorgestellte Studie entwickelt eine Theorie 'lyrischer Selbstentwürfe' und leistet eine kritische Bestandsaufnahme und Evaluation diesbezüglicher Forschungspositionen. Entgegen verbreiteter literaturwissenschaftlicher Grundannahmen wird die These vertreten, dass lyrische Texte faktual sein und auf Autor:innen referieren können. Für solche Fälle liefert die Studie ein begriffliches Instrumentarium, das sie an Beispielanalysen erprobt.
Charles Cros, Erfinder technischer Reproduzierbarkeit von Wahrnehmung in Nachmärz und Moderne
(2023)
Charles Cros (1842-1888) verkörpert den Weg der französischen Lyrik von der Spätromantik über Parnass und Symbolismus zur Moderne in überraschender Dichte, anders, aber nicht weniger typisch als Verlaine, Rimbaud und Mallarmé. [...] Die naturwissenschaftlichen Erfindungen von Charles Cros sind durchweg kommunikativer Natur und zielen auf die Reproduzierbarkeit von Sinneseindrücken wie seine Poesie auf die "Wiederholbarkeit von Träumen". Der Zusammenhang von technischer Reproduzierbarkeit - hier durchaus im Sinne von Walter Benjamins einschlägigem Essay verstanden - und der lyrischen 'Chansons perpétuelles' von Cros ist indessen noch niemals untersucht worden.
Der Beitrag von Susi K. Frank zeigt anhand ukrainischer russischsprachiger Lyrik aus der Zeit vor und nach der 'Revolution der Würde', dass es gerade die Ideologisierung und Instrumentalisierung des Russischen im Ukraine-Konflikt ist, die Dichterinnen und Dichter wie Aleksandr Kabanov, Boris Chersonskij oder Anastasia Afanas'eva dazu nutzen, eine lyrische Reflexion über die 'postimperialen' Bedingungen ihres Schreibens zu initiieren.
Practices of rewriting and mouvance are central to medieval culture, but have been neglected by contemporary scholarship. This paper highlights how collaborative forms of writing such as religious song engage with complex theological thought, opening up a discourse from which the laity had previously been excluded. Using forms which defy conventional author-based aesthetic norms, these songs explore poetic practices which are both collective and inclusive.
Le texte part d'une réflexion sur le rapport immanent aux paroles entre les termes "local" et "global", puisque chaque mot occupe un lieu particulier dans une phrase tout en participant de la nature transmissive de la communication. De plus, chaque phrase dite véhicule un sens qui présuppose un dire en acte qui, lui, ne saurait être dit. L'attention qui réunit ces deux modalités linguistiques qualifie entre autres le langage poétique, lequel ouvre sur une temporalité non-chronologique et une spatialité qui rend compte de l'espace entre les langues, domaine propre à la traduction. Les technologies digitales, notamment l'internet, sont en mesure de réaliser le rêve utopique d'une communication immatérielle. Ainsi entrent-elles dans une certaine mesure en concurrence avec la poésie (voire p.ex. le mythe d'Orphée ou "la Divine Comédie"). Avant de procéder à une analyse d'un poème du poète autrichien Franz Josef Czernin, dans laquelle Baschera se penche sur la différence entre ces deux approches, il attire l'attention sur celle existant entre les termes de globalisation et mondialisation.
Der sizilianische Dichter und Romanautor Giuseppe Bonaviri - 1924 in Mineo bei Catania geboren und 2009 in Frosinone nahe Rom verstorben - gründete 1984 den öffentlichen Gedichtpark "Il libro di pietra" (dt. "Das Buch aus Stein") in Arpino, dem Geburtsort des berühmten Staatsmannes, Redners und Rhetorikers Marcus Tullius Cicero. Zu diesem Anlass schenkte der seit 1980 wiederholt für den Nobelpreis vorgeschlagene, sein Leben lang auch als Arzt tätige und schon früh nach Mittelitalien ausgewanderte Schriftsteller der Stadt Arpino das Gedicht "Il bianchissimo vento" (1984, dt. "Der weißeste Wind"), das dort noch heute als Gründungsgedicht in Stein gemeißelt im öffentlichen Raum permanent ausgestellt ist. Der vorliegende Beitrag untersucht Bonaviris europäisches, kollaborativ angelegtes Kulturprojekt als Blaupause eines literarischen Glokalisierungsformats unter den Aspekten seiner Transkulturalität, dekolonialisierten Literarizität, weltliterarischen Parametern und kommunikativen Transmedialität. Bonaviris lokal verwurzeltes und zugleich kosmopolitisch ausgerichtetes, postmodernes Kulturkonzept verweist durch seine vielfältigen Synergieeffekte nicht nur auf die zeitlose Relevanz von Literatur und Lyrik, sondern auch auf die Schlüsselrolle einer transkulturell wirkungsmächtigen Kreativität und zukunftsorientierten 'humanitas'.
Die Verbindung von postulierter metaphysischer Leere und einem radikal geleugneten und doch wieder herbeizitieren Gott, in deren Kontext der Gedanke erschreckender körperlicher Verstümmlung eine Rolle spielt, kennzeichnet in bewusst outrierter Weise einzelne Texte aus dem literarischen Werk, darunter der wenig bekannten Lyrik des Philosophen und Schriftstellers Georges Bataille, der wie kaum ein anderer Autor des 20. Jahrhunderts quasi unausgesetzt in immer neuen Anläufen eine Daseinserfahrung umkreist, die an Radikalität und Abgründigkeit ihresgleichen sucht. Bataille imaginiert die willentliche Selbstzerstörung des Ichs auf der Suche nach einem Absoluten, die sich speziell in rauschhaft-transgredierenden Erfahrungen von Leid, Versehrung, Obszönität und Ekel vollzieht. In einer Aufzeichnung aus der 1939-1943 entstandenen Sammlung "Le Coupable" (1944), welche zur gleichen Schaffensperiode wie die meisten seiner lyrischen Texte gehört, spricht Bataille in einer prägnanten Begriffsfügung von seiner Konzeption eines "anthropomorphisme déchiré". So wie es gelte, in jeglichem Sein "le lieu sacrificiel, la blessure" (OC V, S. 261) zu suchen, wird das in "Le Coupable" meditierende Ich (nur) in der Erfahrung des versehrten lebendigen Opfers eines Göttlichen habhaft: "Un être n'est touché qu'au point où il succombe, une femme sous la robe, un dieu à la gorge de l'animal du sacrifice" (OC V, S. 261). In der geistigen Auseinandersetzung mit einer christlichen Theologie, die "jusque dans la nuit du Golgotha" (OC V, S. 262) an der Vorstellung einer vollendeten Welt festhält, erkennt Bataille: "Il faut tuer Dieu pour apercevoir le monde dans l'infirmité de l'inachèvement" (OC V, S. 262). Die imaginierte Tötung Gottes lässt dann an die Stelle eines abwesenden Gottes einen versehrten Gott treten.
Dass Celans Gedichte schwer zugänglich sind, ist bekannt und hat vielfache Gründe, von denen einige bereits zur Sprache kamen und die er besonders im Meridian dargelegt hat, worin er schließlich auf das, was er als ein "Gegenwort" bezeichnet, zu sprechen kommt, etwas, was zu Recht als ein "dichterischer Ausbruch aus verschlissenen Metaphern und banalisiertem Vokabular" aufgefasst werden kann. So gesehen ist gerade auch das Fremde und Unzugängliche dem Gedicht eigen und gehört mit zu seiner besonderen poetischen Sprache. Vor allem auch die hebräischen Worte lassen sich in diesem Kontext als 'Gegenworte' auffassen, die die Hermetik des Gedichts zunächst noch zu verstärken scheinen. Bei genauerer Analyse erweist sich jedoch, dass diese 'Schibboleths', wie man jene in der deutschen Sprache fremden und vielleicht befremdlich wirkenden Worte auch nennen könnte, zwar die Zugänglichkeit des Gedichts erschweren und die Herausforderung an den Rezipienten erhöhen. Werden diese jedoch als Losungsworte erkannt, so sind sie zugleich auch wichtige Erkennungsmale, die einen besonderen Übergang, einen ungeahnten Zugang, mithin eine Öffnung in ein Unbekanntes und Anderes ermöglichen. Zwei Gedichte sollen nun im Folgenden genauer vorgestellt werden. Zunächst wird es um das Gedicht "Schibboleth" gehen, in dessen Titel zum ersten Mal bei Celan ein hebräisches Wort auftaucht. [...] Abschließend soll es um ein Gedicht gehen, dessen letzte Verse in diesem Fall von zwei hebräischen Worten gebildet werden. Am 3. Dezember 1967 schreibt Paul Celan ein eher kurzes Gedicht, das jedoch von einer außergewöhnlichen, zeitlichen wie sprachlichen Vielschichtigkeit ist, und das gern auch als ein 'Jerusalemgedicht' bezeichnet wird.
What if one thinks not in terms of shared meanings or contents, but rather in terms of iterable gestures available for reenactment in different times and places in order to conceive of a cross-cultural world of literature? This essay sets out to explore, within the discursive mode of the lyric, whether the notion of gesture could be more helpful than meaning-based translation to account for the transferability of literary texts and for envisioning a form of community based on the shareability of certain gestures. To do so, it will look at how the act-event of reading described by Derek Attridge is processed in two cases in which poems are transferred from an earlier authoritative tradition into a new one.
Este artigo apresenta o "Réquiem a uma Amiga" (tradução no final do artigo) com algumas reflexões ensaísticas sobre o lugar desse poema na obra do poeta R. M. Rilke. Iniciaremos com observações biográficas (os encontros do poeta com a escultora Clara Westhoff e sua amiga Paula em Paris em 1900) que ocasionaram o estudo da pintura de paisagem e um pequeno livro de ocasião de Rilke sobre a colônia de artistas de Worpswede, no norte da Alemanha. O forte impacto que esses encontros - e em particular a análise das telas de Paula Modersohn-Becker em 1905 - tiveram sobre a sensibilidade poética de Rilke contribuíram para a nova forma estilística ('Dingwendung') que se manifesta na obra madura de Rilke. Apresentamos assim um momento de vida e um aspecto específico do desenvolvimento da relação do poeta e de sua obra com as artes plásticas, que ilumina o papel da poesia como trabalho de luto do poeta e como prefiguração das obras da fase madura dos Sonetos e das Elegias.
Neste artigo, proponho a aproximação do poema "Engführung" (1958), do poeta Paul Celan, com o ensaio "Cascas" (2011 [2017]), do historiador de arte francês Georges Didi-Huberman, tomando como ponto de partida a ideia de percurso que atravessa ambas as obras. Para tanto, baseio-me nas leituras que Joachim Seng faz do poema de Celan (1992; 1998), nas quais lê "Engführung" como um trajeto do eu-poético pelo campo de concentração (Auschwitz) que é, ao mesmo tempo, campo da memória e linguagem. Em "Cascas", Didi-Huberman relata o percurso da sua visita a Auschwitz, enfocando o papel do olhar na realização do trabalho da memória. Nesse sentido, ao posicionar lado a lado o poema e o ensaio, estes parecem apontar para modos de olhar e dizer Auschwitz que colocam para o leitor as tensões inerentes a este movimento, não se omitem desta tarefa ética e refletem criticamente a postura individual e coletiva diante da lacuna do testemunho e do que resta do campo de concentração.
In den Literaturwissenschaften ist der Begriff des Digitalen bislang vor allem dort in Erscheinung getreten, wo jüngere literarische Phänomene der letzten ca. 30 Jahre verhandelt werden - Phänomene also, wie sie im Zuge der elektronischen Textverarbeitung am PC und der Nutzung des Internets entstanden sind. Zu denken ist hier etwa an die Diskussionen um neue narrative Strukturen im Kontext von 'hypertext fiction', um die multimediale Zusammenführung von Bild, Ton und Schrift im Rahmen von sogenannter 'net poetry' oder um die Transformation von Leser-Text-Beziehungen durch die (interaktiven) Rezeptionsbedingungen des 'reading on screen'. Auch wo Literatur- und Medienhistoriker eine archäologische Rekonstruktion der Vorläufer bzw. historischen Wurzeln von (heute so bezeichneter) "digitaler Literatur" unternommen haben, galt das Interesse vornehmlich früheren Formen von "Computer-Dichtkunst" oder "Maschinenpoesie", die sich ab den späten 1950er Jahren zu entwickeln begannen.
In der Forschung findet die Gattung Spam zumeist als linguistisches Phänomen wissenschaftliche Berücksichtigung; insbesondere die sprachlichen Merkmale und rhetorischen Strategien der Vorschussbetrugs-E-Mails werden in diesem Zusammenhang untersucht. Der großen Bandbreite an künstlerischen Versuchen, den digitalen Müll ästhetisch zu verwerten, zu imitieren oder zu thematisieren, wurde bisher kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Vor allem während des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends lassen sich kreative Auseinandersetzungen mit den Werbemails beobachten; hier wirkt zum einen die zunehmende Kommerzialisierung des Internets im Zuge der Einführung des World Wide Web und zum anderen die durch die Installation von Anti-Spam-Filtern hervorgerufene Weiterentwicklung der Textform als schöpferischer Impetus. Der erste Teil der Darstellung widmet sich im Besonderen der lyrischen Verarbeitung des Spams, der zweite Teil befasst sich dann primär mit verschiedenen Formen und Funktionen einer narrativen Aneignung.
Si, dans l'opinion publique, l'oeuvre littéraire de Carl Spitteler a été reléguée au second plan par rapport à ses essais et à ses discours, sa poésie lyrique n'est pas encore reconnue à sa juste valeur. Spitteler lui-même en porte une part de responsabilité, puisqu'il a dévalorisé son oeuvre lyrique en tant qu'étude préliminaire à son oeuvre épique. Contrairement au jugement généralisé selon lequel la poésie de Spitteler ne serait pas lyrique, nous voudrions montrer ici le caractère unique de son oeuvre. Spitteler rejette la 'Erlebnislyrik' romantisante et critique la connaissance éloignée de l'expérience ('Alexanderinertum') en littérature. Ces attitudes se concrétisent dans sa collection "Schmetterlinge" par des représentations exceptionnellement fictives et anthropomorphes de variétés spécifiques de papillons, basées sur une observation botanique minutieuse. Enfin, il convient de souligner la volonté de publier des poèmes selon un principe de collection supérieur. En ce qui concerne les "Schmetterlinge", il est proposé ici d'aborder un plan atmosphérique suivant le plan d'un roman d'artiste.