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Seit Jahrhunderten zieht sich die stereotype Klage deutscher Schriftsteller, insbesondere deutscher Bühnenautoren, über zu Unrecht bevorzugte ausländische Konkurrenz durch Korrespondenzen und Publikationen. Ein Blick auf die Produktionszahlen des Buchgewerbes, die sich zwischen 1820 und 1845 explosionsartig von 3 772 Büchern auf 13 008 Bücher entwickeln, bestätigt zumindest die erhebliche Bedeutung der Übersetzungen für den deutschen Buchmarkt: 1845 waren ca. 48% der in Deutschland herausgebrachten Romane Übertragungen aus anderen Sprachen. Der Buchmarkt reagiert damit selbstverständlich nur auf die veränderte gesellschaftliche Situation. Einerseits wird das Bürgertum in immer stärkerem Maße zur Zielgruppe des literarischen Marktes, der so erst seine Dynamik entwickeln kann; andererseits ist diese Zielgruppe verstärkt an unterhaltsamer, spannender Literatur interessiert, die ihr vorrangig in Form der französischen und englischen Romanliteratur geboten wird. Im Bereich des Theaters ist die Entwicklung durchaus mit der auf dem Buchmarkt vergleichbar. Auch hier entwickeln sich die reinen Zahlen mit einer enormen Rasanz: Gab es 1836 kaum 50 Theater in Deutschland, so sind es 1840 bereits ca. 100, am Ende des Jahrhunderts dann weit über 300. Auch diese Entwicklung ist den Veränderungen im Publikum geschuldet.
Redensarten sind für die Deutsch als Fremdsprache Studierenden im hohen Grad interpretationsbedürftig. Auch der Muttersprachler braucht für sie häufig eine nähere Erklärung, die im vorliegenden Fall formal (Redensart veraltet und wegen antisemitischer Sicht nicht verwendbar) und inhaltlich (Zusammenhänge, die kaum einer ahnt) sein muss. Redensarten können einen weitreichenden kulturellen Hintergrund haben und sie sind selbst, entsprechend analysiert, Quelle zur Sprach- und Kulturgeschichte. Die Redensart "... wie in der Judenschule" verrät uns zudem überraschenderweise etwas über die Frühform literarischer Entwicklung im Kulturprozess von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit.
Mit etwa siebzig Liedern „nach“ den Minnesängern, darunter etwa die Hälfte nach Walther von der Vogelweide, ist Gleim der produktivste Rezipient mittelalterlicher Lyrik im 18. Jahrhundert, weit vor den Dichtern des Göttinger Hains. Seine erste Nachschöpfung erschien bereits im Jahre 1749 in ‚Lieder’ in Halberstadt (...) das Gedicht „Daphne“, das er dann in den „Petrarchischen Gedichten“ von 1764 unter dem neuen Titel „Ismene“ wieder aufnahm, jedoch als „Daphne“ im 1. Teil der „Sämtlichen Schriften“, Reutlingen 1779, S. 52f. wieder abdruckt.
Erstmals werden in dieser Magisterarbeit die handschriftlichen Widmungen, die sich in den umfangreichen und noch heute existierenden Beständen der Büchersammlung des Dichters Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803) befinden, einer systematischen Analyse unterzogen. Die Verfasserin verknüpft am Beispiel von bisher unbearbeiteten Texten Methoden der Gattungsforschung mit sozialgeschichtlichen Fragestellungen. Dies geschieht dankenswerter Weise unter der Berücksichtigung von medialen und mentalitätsgeschichtlichen Aspekten. Bevor die Detailuntersuchung der handschriftlichen Widmungen in Gleims Bibliothek einsetzt, definiert die Verf., was sie unter der literaturwissenschaftlichen Textsorte “Widmung“ versteht und gibt eine Präzisierung der zentralen Kategorie ihrer Untersuchung, dem nur unter sozialethischen Aspekten zu erfassendem Phänomen der Freundschaft. Von der sicheren Basis dieser beiden Grundsatzkapitel aus kann die Autorin nun die Analyse ihres eigentlichen Untersuchungsgegenstandes vornehmen. Zusammen mit den Passagen über den rituellen Charakter des Widmens bildet dieser Teil der Unter-suchung den Kern der Magisterarbeit. Einen wesentlichen Beitrag zur Forschung liefert der Katalog der Gleim zugeeigneten Werke und Widmungstexte. Abgeschlossen wird die Untersuchung durch eine höchst anschauliche Auswahl von Faksimiles und eine mit großer Sorgfalt erstellten Bibliographie. Wer über Gleims Bibliothek und seinen Freundschaftskult arbeitet, wird dankbar zu der Magisterarbeit von Frau Stört greifen, die im Gleimhaus archiviert ist und deren Ergebnisse es ver-dienen, einem größeren Fachpublikum zur Diskussion gestellt zu werden.
Wenn man die syntaktischen Eigenschaften des Hildebrandliedes betrachtet, so zeigen sich einerseits Eigenschaften, die auch für die Syntax des Nhd. charakteristisch sind: von Komplementierern eingeleitete Nebensätze, Deklarativsätze im Verb-Zweit-Format, Argumentstrukturen von Verben und Adjektiven, Attributions- bzw. Modifikationsverfahren. Andererseits werden Eigenschaften sichtbar, die im Nhd. verlorengegangen oder ausgedünnt worden sind: Deklarativsätze im Verb-End-Format, Pro-drop-Phänomene (in finiten Sätzen), nicht präpositional regierte Adverbiale (in Gestalt von NP mit reinen Kasus), artikellose Nominalphrasen (insbesondere solche mit definiter Interpretation). Die Betrachtung lehrt, dass auch über einen zeitlichen Abstand von mindestens zwölfhundert Jahren und trotz verschiedener Wandlungen, die zu syntaktischer Diskontinuität führen, syntaktische Kontinuität erkennbar bleibt, und zwar in einem Maße, das man angesichts der ungeheuer verfremdenden phonologischen, morphologischen und lexikalischen Veränderungen, die einem heutigen, sprachhistorisch nicht geschulten Muttersprachler das Hildebrandlied als einen Text von einem anderen Stern erscheinen lassen, nicht erwarten mag, in einem Maße, das allerdings denjenigen Linguisten nicht so sehr überraschen wird, dessen Blick durch universalgrammatische Einsichten der letzten Jahrzehnte geschärft worden ist für Invarianzen und Kontinuitäten.
"...indem die Tage rollen..." : Zeit, Recht und 'Klassik' in Goethes "Die Natürliche Tochter"
(2020)
Der Beitrag geht von der These aus, dass Goethes Arbeit an der 'klassischen' Dramenform sich einer tieferen Einsicht in die zeitliche wie rechtliche Problematik der 'tragédie classique' verdankt als allgemein angenommen. Dabei dürfte es maßgeblich die Französische Revolution gewesen sein, die eine neue Attraktivität der 'alten' Form bewirkte. Das zeigt sich vor allem an "Die Natürliche Tochter", einem Stück, in dessen Entstehungszeit nicht zufällig Goethes Übersetzungen zweier Dramen Voltaires fallen. Figurationen politischer Gründung und Legitimation bildeten das Zentrum des 'klassischen' Dramas bereits bei Corneille und stellten es zuverlässig auf eine um 1800 für konservative Autoren aktuelle Zerreißprobe. Die forciert gelassene Präsentation legitimer Herrschaft unter der Berufung auf Zeitkontinuität und lang währende 'Gewohnheiten' stand in der 'tragédie classique' nämlich in massiver Spannung zur normativen Forderung der 'Einheit' der Zeit, die das Drama auf eine disziplinierte Zeitökonomie und idealerweise sogar auf die Synchronisierung von dargestellter Zeit und Zeit der Darstellung verpflichtete. Dort, wo Corneille solche Spannungen entweder zu kaschieren oder politisch zu nutzen versuchte, reißt Goethe in "Die Natürliche Tochter" zwischen Figurenrede und Dramaturgie eine unüberwindbare Kluft und lässt ursprüngliche Funktionen der 'klassischen' Zeitökonomie konsequent leerlaufen. Sein Drama betreibt demnach keine restaurative Formpolitik, sondern führt die historische Uneinholbarkeit der 'klassischen' Form angesichts zeitgenössischer politischer Entwicklungen vor.
Während des Ersten Weltkriegs sollen allein in Deutschland 28 Milliarden Feldpostbriefe zwischen Front und Heimat gewechselt worden sein. Erhalten und für die historische Forschung zugänglich ist jedoch nur ein Bruchteil dieser riesigen Menge an Ego-Dokumenten, die Aufschluss über Mentalitäten und deren Wandel in Zeiten des Krieges geben können. Einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, dass Historiker nun 1800 Briefe, die das Hamburger Ärzteehepaar Anna und Lorenz Treplin von 1914 bis 1918 schrieb, umfassend analysieren und somit einen Beitrag zur bürgerlichen Briefkultur leisten konnten.
"An die Grenzen des Erzählbaren", so wird es gedeutet, gelangt Josef Winkler in seinem Roman "Friedhof der bitteren Orangen" (Harig 144-45). Mit drastischen Formulierungen wie "Horrortrip" und ''Höllenfahrt'' wird diesem Text die bittere Note in der Lektüre und Interpretation immer wieder neu zu- und eingeschrieben. Zur bitteren Note des Geschriebenen gesellt sich in den Lesarten signifikant der biografische Bezug auf die sexuelle Orientierung und wird mit dieser intrinsisch korreliert. Tendenziell ist von einem Text die Rede, indem sich "der Homosexuelle [in heiliger Obszönität] zu seinem Kreuzweg [bekennt]" (145). In der hier angebotenen Lektüre Winklers werden jedoch Fragen der Repräsentation eines schwulen Lebensentwurfs oder schwuler Erfahrungen keine Rolle spielen. Auch die Beziehung von Homosexualität und Literatur, also die Beziehung zwischen der sexuellen Orientierung Winklers und seinem Text, liegt nicht im Fokus des Interesses – was allerdings nicht bedeutet, dass jegliche Form von Wirkkraft aus dieser Orientierung komplett verneint werden soll; sie wird aber nicht Teil des hier angebotenen Arguments sein.
Argumentiert wird hier aus dem theoretischen Horizont der Queer Studies – präziser noch der Postcolonial Queer Studies – heraus, wobei die vorliegende Analyse "quer" zu einer solchen Interpretation steht. Queere und postkoloniale Terminologie überschneiden sich in diesem Unterfangen. Sowohl das queere als auch das postkoloniale Projekt zielen darauf ab, binäre Oppositionsstrukturen zu unterlaufen und zu entkräften, für Offenheit, Hybridität und Polyvalenz zu plädieren und Räume zu eröffnen, in denen vielfältige, prozesshafte Identitätskonzepte denkbar und lebbar werden.
“WAR IS PEACE, FREEDOM IS SLAVERY, AND IGNORANCE IS STRENGTH”. The slogan from George Orwell’s “1984” dystopia appears to capture the state of Russia’s 2014 official discourse quite accurately. This has not gone unnoticed by public and academic spectators in and outside Russia: while Bild magazine is counting Putin’s lies in his recent ARD interview, a Zeit article declares Russia itself to be a post-modern “lie”...
An den im Vorjahr mit großem Erfolg durchgeführten "2. GEO-Tag der Artenvielfalt" anknüpfend, beteiligte sich der Naturkundliche Verein Egge-Weser e.V. in Zusammenarbeit mit der Landschaftsstation Diemel-Weser-Egge e.V. auch 2001 wieder an der "Inventur in Sachen Natur". Etwa 30 Spezialisten für Flechten, Moose, Gefäßpflanzen, verschiedene Insektengruppen (Tagfalter, Schwebfliegen, Hautflügler), Amphibien und Vögel, unterstützt durch zahlreiche Naturliebhaber, durchkämmten zu diesem Zweck einen Tag lang das Nethetal bei Bruchhausen sowie den Wingelstein nordwestlich von Ottbergen und inventarisierten die Flora und Fauna des Gebietes.
Genel Edebiyat Biliminin bir dalı olan "Karşılaştırmalı Edebiyat", farklı dillerde yazılmış edebi eserlerin, benzerlik ve farklılıklar yönünden karşılaştırılmasıdır. Karşılaştırmaya dayalı analizlerdeki amaç, iki ya da daha fazla eserin, biçim, üslup, motif ve ya tema gibi edebi unsurlar açısından ortak ve ya farklı öğelerini belirlemektir. Edebi metinlerde kullanılan dilsel öğeleri inceleme alanı olan "Biçembilim", okuyucunun metinleri anlamasını sağlayan en önemli araçlardan biridir. Karşılaştırmalı Edebiyat bilimi kapsamında çevirinin önemi yadsınamaz ve bir metin ile çevirisi, mukayeseli çalışma alanlarından biridir. Bu araştırmanın özünü, kaynak metin ve erek metin arasındaki benzerlik ve farklılıkları örneklendirmek adına karşılaştırmalı edebi çeviri örneği oluşturmaktadır. Bu bağlamda, bu çalışmada, William Shakespeare'in "Sonnet 66" şiirinin Türk edebiyatçı Can Yücel tarafından "66. Sone" olarak çevirisinin, Katharina Reiss'in "içerik odaklı" çeviri modeline dayanarak nasıl yorumlandığı incelenmiştir.
Canada’s geographic centre lies in the Territory Nunavut. From here the distance to the geographic North Pole is as far as to the US border. Nunavut takes up about 1/5 of the Canadian land mass but has by far the smallest population with currently about 38,000 residents. 85% of its population are Inuit whose culture dramatically changed within the last 70 years.
As a result, the territory is dealing with several generations of Inuit that are traumatized or at least severely affected by cultural and economic changes that started after World War 2 with the resettlement from the land into permanent communities. No matter if we are talking about the actual elders, mid-age adults or pre-teenagers, each of this generation experienced and still experiences various personal and cultural challenges of identity, financial and housing insecurity, food insecurity, substance abuse education, change of social values ranging from inter-generational and gender relationships to the introduction of a foreign political and legal system.
On the other side, a lot of the traditional societal values are still being practiced in Inuit families. Despite all the tragedies that several generations of Inuit have experienced by now, the society keeps generating the strength and cultural pride that allows many Inuit both, as individuals and as a collective under the umbrella of either Inuit Land Claims or not for profit organizations to advocate on behalf of Inuit culture, to fight for more acknowledgement of Inuit culture and to enhance pride in the historic and present day cultural achievements of Nunavut’s indigenous population.
The social issues, inter- and intra-cultural processes described in my thesis are not exclusive to the situation in Nunavut or to Inuit. Studies from other regions, in Canada or from around the world (LaPrairie 1987; Jensen 1986; Nunatsiaq News 6/30/2010) reveal similar challenges.
Though many structural similarities can be identified by comparing these studies with each other, e.g. marginalization of the indigenous local population, colonization, paternalism and resulting issues like personal and cultural identity loss, it is important to have a more in depth look into the single cases to determine which individual events and developments causes and maybe still cause such a devastating social situation as it is found among many indigenous peoples across the world. From my perspective effective improvements of the situation of a group, a respective community or region can only happen when particularities of socialization, communication and philosophy in the single cultural entities are being considered.
That is why my thesis will exclusively focus on developments in Nunavut and use various case studies of communities. The case studies shall help to identify local differences in historic and recent developments and thus provide starting points for explanations of different developments in different Nunavut communities.
The thesis is looking at both, historic and recent root causes for the many issues in Nunavut.
The data that my my thesis is based on are a combination of literature and about 60 formal and informal interviews that I conducted in three Nunavut communities (Iqaluit, Whale Cove, Kugluktuk) during my 18 months of field work between October 2008 and March 2010. Many more spontaneous unstructured conversations between me and community members added to the pool of first-hand information that I gathered.
Since my field work is limited to those three communities it has a very strong qualitative character. The quantitative side, which allows me to confidently apply my research analyses to entire Nunavut, comes from literature research as well as many informal conversations and a few formal interviews that I conducted with people who had some experience in other communities than Iqaluit, Kugluktuk and Whale Cove.
Furthermore, while I was living at the old residence of the Nunavut Arctic College in Iqaluit, I spend time with college students from across Nunavut. Through them, I obtained „case studies “from following communities: Iqaluit, Qikiqtarjuaq, Kimmirut, Pangnirtung, Clyde River, Pond Inlet, Igloolik, Repulse Bay, Cape Dorset, Chesterfield Inlet, Baker Lake, Rankin Inlet, Whale Cove, Arviat, Taloyoak, Kugluktuk.
My general categorization of “early contact period”, “contact”, “1st generation” and “2nd generation” is very similar to Damas’ terms of “early contact phase”, “contact – traditional”, “resettlement” that he uses to create a timeline that describes the major phases of impact for Inuit society (Damas 2002: 7, 17).
Chapters 2 is meant to provide an inventory of the key aspects of current social issues in Nunavut. In this context I am looking at the four major aspects that in my opinion shape Nunavut’s society:
1) violence and other forms of social dysfunctions
2) the associated services and delivering agencies that try to address those matters
3) Education
4) Inuit cultural particularities in communication and socialization
Those four areas are forming the foundation for the rest of my work. The following chapters will guide the reader through the historic transformation process of Inuit pre-colonial semi-nomadic society to a society that is living in permanent settlements, strongly influenced if not in many ways dominated by Euro-Canadian culture. Each of those chapters will be referring to the social and cultural changes that happened in the different time periods that I labeled with “Pre-settlement, First, Second, and Third Generation”. The relevance of violence and other social dysfunctions, their context and strategies how each generation dealt with those matters will be analyzed while I will be also referring to the impacts that non-Inuit, primarily Euro-Canadians and Euro-Americans had and have on Inuit society.
...
Johann Gottwerth Müller (1743-1828), erfolgreicher Romancier der Spätaufklärung, arbeitet zwischen 1770 und 1808 mit dreizehn Verlegern zusammen, darunter den Verlagsbuchhändlern Johann Christian Dieterich und Friedrich Nicolai. Während der Freundschafts- und Geschäftsbeziehung zu Dieterich von 1782/83 bis 1800 veröffentlicht Müller zwischen 1783 und 1791 bei ihm drei mehrbändige Romane und einen Kommentar. Die Edition der nicht komplett überlieferten Korrespondenz umfaßt dreizehn Schreiben Müllers. Inhaltlich handelt es sich um Texte, die – paradigmatisch für die Autor-/Verleger-Beziehung der Zeit – geschäftliche Aspekte wie Buchprojekte, Ausstattungs-, Druck- und Distributionsfragen behandeln, grundsätzliche Fragen der freien Schriftstellerexistenz und Verlegerabhängigkeit erörtern, aber auch private Anliegen der Freundschaft, Familien und Krankheit erwähnen.
Armut erscheint – zumindest seit der Spät-Moderne, die dem 'armen Poeten' der Romantik einen ausdifferenzierten Literatur- und Kulturbetrieb entgegengesetzt hat – in ihrer medialen Repräsentation oftmals als ein defizitärer Zustand: Im Sinne einer quantifizierbaren kapitalistischen Logik wird der Mangel an ökonomischen Kapital als ein generelles Lebensdefizit verbucht, aus dem eine affektive Reaktion des Rezipienten, die von Mitleid bis Abscheu reichen kann, generiert werden kann. Die Konzentration auf das ökonomische Kapital – im Sinne Bourdieus – scheint aber zu kurz gegriffen, da durch die Abblendung des kulturellen und symbolischen Kapitals zwei für die Identitätsbildung eben so bedeutsame Kapitalarten nicht berücksichtigt werden und Lebensentwürfe, die nicht auf eine Konzentration des ökonomischen Kapitals ausgelegt sind und ihren Fokus auf die Generierung des kulturellen oder symbolischen Kapitals setzen, im Sinne der ökonomischen Logik fälschlicherweise als defizitär verbucht werden müssen.
Im Folgenden soll anhand der Texte von Clemens Meyer gezeigt werden, dass Armut nicht nur als ökonomischer Mangel definiert werden kann, der die Lebensentwürfe der Protagonisten bestimmt, sondern auch als Ausweis einer authentischen, avantgardistischen und antibürgerlichen Gegenströmung umcodiert werden kann. Nach einem kontrastierenden Einstieg, der die Erzählung der Armut bzw. des Reichtums in der Literatur ab 1968 und in der Pop-Literatur skizziert, soll ausgehend von der spezifischen 'Ästhetik der Straße' eine Poetologie der Armut und eine Poetologie des Wartens entwickelt werden; Clemens Meyers Erzählung "Warten auf Südamerika" wird hier den Schwerpunkt der Überlegungen darstellen.
In den letzten Jahren geriet das Themenfeld 'Literatur und Religion' wieder vermehrt in den Fokus der Forschung. Obgleich im Zuge dessen die Relevanz konfessioneller Identitäten für die im 18. Jahrhundert vorgenommene Umgestaltung des Verhältnisses von Sinn und Sinnlichem zum Thema wurde, lässt sich doch ein Forschungsdesiderat konstatieren: Die katholische Konfession ist erstaunlich selten Gegenstand der dem 18. Jahrhundert gewidmeten ästhetikgeschichtlichen Untersuchungen, obwohl die Forschung ihre Bedeutung für die Formulierung der frühromantischen Kunstreligion allgemein anerkannt hat. [...] Erst in jüngster Zeit hat Jonathan Blake Fine in einem Aufsatz auf dieses Forschungsdesiderat hingewiesen. [...] Fine verbindet Lavaters Werk explizit mit der frühromantischen Ästhetik, allerdings wird in seinem Aufsatz die konkrete ästhetische Erscheinungsweise des Katholischen, die ja Ausgangspunkt für die romantische Kunstreligion sein soll, nicht analysiert. Mein Beitrag nimmt Fines überzeugenden Hinweis auf und will einen Beitrag dazu leisten, die Umrisse der protestantisch-spätaufklärerischen Wahrnehmung katholischer Praktiken - und damit die Konstruktion einer 'katholischen Ästhetik' aus protestantischer Perspektive - exakter zu fassen. Dazu setze ich einerseits bei Lavaters "Wenn nur Christus verkündigt wird! oder Empfindungen eines Protestanten in einer katholischen Kirche" an, andererseits bei den polemischen Reaktionen, die dieses provozierte. Das 1781 erstmals gedruckte Gedicht schildert, wie der Titel ankündigt, eine katholische Messe und die diese begleitenden Empfindungen des lyrischen Subjekts. Im Zusammenhang mit der Nicolai-Lavater-Polemik wurde das Gedicht den (Berliner) Spätaufklärern zum Beleg für die 'kryptokatholischen' Tendenzen Lavaters. In meinem Aufsatz geht es mir nicht um die ausführlich aufgearbeitete 'Jesuitenriecherei' Nicolais, sondern um das katholisch-ästhetische Programm, welches Lavater in seiner lyrischen Messeschilderung darstellt und das den protestantischen Spätaufklärern zum Ärgernis wurde. [...] Lavaters Gedicht und die drei derb-polemisch kommentierten Nachdrucke gewähren einen Einblick in die protestantisch-spätaufklärerische Konstruktion eines katholischen Verständnisses von Sinn und Sinnlichkeit. Mit anderen Worten: Die zweifache reformatorische Perspektivierung - einerseits die poetisierte Darstellung der katholischen Messe durch den Zürcher Theologen Lavater, andererseits die Rezeption seiner Gedicht gewordenen Schilderung durch die Spätaufklärer - macht es möglich, die Besonderheit einer als katholisch markierten (und damit eben dezidiert nicht-aufklärerischen, nichtprotestantischen) Ästhetik wahrzunehmen und zu analysieren. Davon ausgehend kann die von Fine konstatierte Faszination, die frühromantisch-kunstreligiöse Entwürfe für den Katholizismus empfanden, genauer an als katholisch markierten Praktiken und Sinnlichkeitsvorstellungen festgemacht werden. Dazu will ich im Folgenden in drei Schritten vorgehen. Den ersten Schritt stellt die Analyse von Lavaters Gedicht "Wenn nur Christus verkündigt wird" dar, insbesondere in Hinblick auf die dort thematisierten Besonderheiten katholischer Sinnlichkeit und ihrer Wirkung auf das lyrische Subjekt. Der zeitgenössischen Kritik dieser Besonderheiten widme ich mich im zweiten Schritt: Anhand von Nicolais 1787 publiziertem Gedichtkommentar und der anonym erschienenen Ausgabe aus demselben Jahr will ich analysieren, was an Lavaters Schilderung dem protestantischen Blick zum Ärgernis gereichte und wie sich eine spätaufklärerische Ästhetik implizit gegen ein als katholisch konstruiertes Sinnlichkeitsverständnis konturierte. Abschließend und zusammenfassend werde ich skizzieren, wie sich das durch die protestantische Polemik sichtbar gewordene katholische Sinnlichkeitsverständnis zu den Ästhetik-Entwürfen des 18. Jahrhunderts verhält.
Die labyrinthische Organisation des Erzählraums, die bisweilen dem Prinzip der Assoziation durch Josef K. zu folgen scheint, korrespondiert historisch mit der desorientierten Wirklichkeitserfahrung der Moderne - einem "Gefühl der 'Ohnmacht' und der 'Entfremdung' des 'modernen Menschen'". Nicht ohne Grund wird "Der Proceß" so in der verbreiteten sozialgeschichtlichen (und vor allem sozialkritischen) Lesart zur literarischen "Gestaltung der verwalteten Welt, der vielfältigen Einengungen und Bedrohungen, die das Individuum heute durch anonyme Mächte erfährt, zur Anklage des Kapitalismus, zur prophetischen Vorwegnahme der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts oder, aktueller und à la Foucault, zur Verbildlichung der das Begehren unterdrückenden 'Macht'". Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, diese sozialgeschichtliche Lesart unter Hinzunahme des in der Kafka-Forschung bislang nur randläufig berücksichtigten Paradigmas der 'Biopolitik' bzw. 'Biomacht', wie es insbesondere von Michel Foucault analysiert wurde, noch einmal produktiv zu erweitern. [...] Franz Kafkas literarisches Werk befasst sich zweifellos immer wieder mit modernen Machtverhältnissen und Normierungsprozessen sowie auch mit den Individuen, die vor der (scheinbaren) Wahl stehen, sich zu assimilieren oder von eben jenen verschüttet zu werden. Dieser Beitrag wird erstens zu zeigen versuchen, wie das Gericht in Der Proceß durch seine Raumordnung als Metapher für eine breitere Machtökonomie der diegetischen Gesellschaftsordnung lesbar wird. Zweitens wird er der Frage nachgehen, inwieweit die Kategorie des Angeklagten als Schnittpunkt gelesen werden kann, der zwar intradiegetisch einen eigenen institutionellen und epistemologischen Stellenwert hat, auf der Metaebene allerdings der Logik des modernen Zusammenspiels bio- und disziplinarpolitischer Interventionen und Prozesse nachspürt.
Selten findet man am Ausgangspunkt einer Handlung ein defizitäreres Ich, als dies bei Kaschnitz' "Aufzeichnungen" "Wohin denn ich" der Fall ist; und zwar sowohl mental als auch körperlich. Seit drei Jahren ist dieses Ich bemüht, einem geliebten Du in den Tod zu folgen, und führt ein dumpfes Schattendasein. Als der symbolische Herr "Welte oder Welter" eingreift, der das Ich für eine Schriftstellerin hält und diese auf Vortragsreisen schickt, muss erst das Terrain "Diesseits" erkämpft werden: Alles ist fremd, alles ist bedroht, am meisten das "Waisenhaus Erde". – Der vorliegende Beitrag soll zeigen, wie Kaschnitz in diesem Buch zuerst die Grenze zwischen Leben und Tod aufrichtet, um das eigene Ich im Ersteren einzufangen. Damit daraufhin auch das Du an diesem Reich teilhaben kann, wird eine Art "Zwischenraum" etabliert, schließlich aber die Welt zu "eine[m] Ort der Lebendigen und der Toten"(GW II: 489) erklärt, was die Grenze zwischen Leben und Tod wiederum aufhebt. Erst diese erweiterte Welt hat die Aussicht auf ein Weiterbestehen.
In Matthias Däumers Beitrag zum altjüdischen "Wächterbuch" (dem ersten Teil des äthiopischen Henoch-Pentateuchs) werden die Bedingungen untersucht, unter welchen ein Jenseitsreisender zum Zeugen werden kann. In der dargestellten Konstellation wird Henoch Zeuge einer schwer vermittelbaren Erfahrung, der des Sheol, bei der er von einem Engel als Zeugenschaftshelfer geleitet wird. Es erweist sich, dass die Konstellation 'Jenseitsreise mit begleitendem Zeugenschaftshelfer' später zum Modell für weitaus literarischere Jenseitsbegegnungen wird, wie zum Beispiel jener in Dantes "Commedia". Aus diesem Wandel vom religiösen zum literarischen Text ergibt sich aber auch rückwirkend und damit systematisch, dass die spezifische Zeugenschaftskonstellation der Jenseitsreisen generell als Reflexion (profan-)medialer Bedingungen gesehen werden kann. Der Zeugenschaftshelfer ist nicht nur eine authentifizierende, dem bereisten Ort immanente Figur, sondern Mittlerfigur des mit dem Ort verbundenen Wissens, das in der Jenseitsreise entweder nicht direkt sichtbar oder nicht direkt verstehbar ist. Damit aber wird der Engel zum Kristallisationspunkt der allgemeinen medialen Bedingungen von Zeugenschaft - und Literatur.