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Das Mittelalter fordert heraus – und zwar in ganz unterschiedlicher Hinsicht: Wie der vor Kurzem verstorbene Otto Gerhard Oexle aufzeigte, sehen sich gerade die Deutschen mit einem "entzweiten Mittelalter" konfrontiert. Darüber hinaus aber, so Oexle, sei die Moderne insgesamt in ihrer Genese nicht ohne ihre ambivalenten Bezüge auf die ferne Epoche zu verstehen. Diese Tragweite der Mittelalterbezüge verdeutlicht auch das zu besprechende Werk, das im italienischen Original bereits 2011 erschien und nun in einer insgesamt gelungenen, aktualisierten französischen Übersetzung vorliegt: Denn wie Benoît Grévin in seinem Begleitwort (S. 7f.) unterstreicht, erschließen sich die politischen Implikationen, die mit den Verweisen auf das Mittelalter verbunden sind, so recht erst bei einer international ausgreifenden Betrachtung. Dass für den in Urbino mittelalterliche Geschichte lehrenden di Carpegna Falconieri italienische Beispiele eine besondere Rolle spielen, tut dem Wert seiner Studie keinen Abbruch, machten die politischen Entwicklungen auf der Halbinsel diese doch zu einem wahren Labor des "Mediävalismus", dessen Untersuchung auch wertvolle Blicke auf die Nachbarn ermöglicht (S. 8). ...
Der von den schwedischen Rechtshistorikern Kjell Å. Modéer und Martin Sunnqvist herausgegebene Band geht zurück auf ein 2006 veranstaltetes, gleichnamiges Symposium. Die in vier thematischen Gruppen angeordneten 14 Beiträge stammen aus der Feder von Rechtshistorikern bzw. Juristinnen, Literaturwissenschaftlern und Kunsthistorikerinnen überwiegend skandinavischer Provenienz und beschränken sich mit zwei Ausnahmen auf Entwicklungen des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts. Die auf dem Umschlag abgebildete Gerichtsszene vom Beginn des 17. Jahrhunderts täuscht also etwas, allerdings hätte manche Analyse in der Tat auf der viel früher an derartigen Fragen interessierten Frühneuzeitforschung aufbauen können, was kaum der Fall ist. Der Band scheint ein weiteres Beispiel für die im Zuge des steigenden Publikationsoutputs feststellbare Tendenz, dass Disziplinen und Forschungskontexte aneinander vorbei argumentieren können, auch wenn sie ähnliche Fragestellungen verfolgen. An dieser Stelle können nur einige Beiträge exemplarisch besprochen werden. ...
Inter arma enim silent leges – im Krieg schweigen die Gesetze, so lautet ein berühmtes Zitat von Cicero, das über die Jahrtausende hinweg in Diskursen der Gewaltlegitimation bedeutsam geblieben ist. Thomas Hobbes und Immanuel Kant haben es übernommen, wobei Letzterer der Rechtfertigung von Krieg die Konzeption eines dreigliedrigen, "ewigen" Rechtszustandes entgegengestellt hat. Zwischen der von "Realisten" angenommenen Anarchie und der von "Idealisten" angestrebten Rechtsherrschaft in grenzübergreifenden politischen Beziehungen hat sich die moderne Völkerrechtswissenschaft insbesondere mit dem schwierigen, zuweilen paradoxen Verhältnis von Krieg und Recht beschäftigt: Das Kriegsrecht limitiert den Gebrauch von Gewalt (als violentia) nicht allein, es legitimiert ihn auch, indem es die Gewalt (als potestas) normativ ordnet und sie damit wiederum zur Rechtfertigungsressource macht. Mit dem Wiedererstarken der Völkerrechtsgeschichte sowie der aktuellen Brisanz kriegsrechtlicher Fragen (etwa angesichts des "war on terror") gehen erneut Forschungen zur Rolle des Rechts in Zeiten des Krieges, zu seiner Rechtfertigung und seiner rechtlichen Aufarbeitung einher. Isabel V. Hull und die AutorInnen im von Martin Löhnig, Mareike Preisner und Thomas Schlemmer herausgegebenen Sammelband leisten hierzu zwei sehr unterschiedliche Beiträge. ...
Die Studie der Frankfurter Historikerin ruht auf ihren früheren Arbeiten über frühneuzeitliche politische Predigten, vor allem in den Forschungsbibliotheken Gotha und Wolfenbüttel, sowie auf einem Projekt im Exzellenzcluster "Die Herausbildung normativer Ordnungen". Ein Forschungskonzept "Politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit" lag bereits seit 2007 vor. Daraus ist nun ein Buch geworden, an dem man aus mehreren Gründen die innere Balance vermisst und das viel enger zugeschnitten ist, als der weite Titel verheißt. Die Autorin möchte in der vielstimmigen religiös-politischen Semantik des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts jene Position besonders herausheben, die als "politica christiana", "Christliche Politik" oder "Christen-Staat" bezeichnet wurde. Sie unterstreicht, im Einklang mit der neueren Forschung, dass solche christlichen und naturrechtlichen Begründungen eines Widerstandsrechts und die Betonung der Frömmigkeit für Herrschende und Beherrschte keine Außenseiterpositionen und keine Spezialität des Luthertums waren, sondern in Europa konfessionsübergreifend diskutiert und weitgehend akzeptiert wurden. Das Thema eines möglichen Widerstands gegen eine religiös-konfessionell unterdrückerische Obrigkeit ist nur ein Aspekt jener weiter gefassten "christlichen Politik". Dass auch die Lutheraner über das Widerstandsrecht diskutierten, vor allem im 16. Jahrhundert, ist unbestreitbar. Sie taten dies ebenso wie Katholiken oder Calvinisten, wenn sie konfessionspolitisch in Bedrängnis waren. Das war naheliegend. Aber genügt es, um den vielfach bestätigten Gesamtbefund, das Luthertum habe aufgrund seiner an die weltliche Obrigkeit angelehnten Struktur auch stärker obrigkeitlich gedacht, zum Vorurteil zu erklären? ...
Die 18 Beiträge des Sammelbands behandeln das auch rechtshistorisch interessierende Thema der "religiösen Devianz", die zwischen schweren Delikten wie Gottlosigkeit, Hexerei oder Blasphemie und nonkonformistischen Glaubenspraktiken, Dissimulation und Eigensinn verortet wird. Dieses breite Spektrum, zu dessen einzelnen Erscheinungsformen bereits ergiebige Forschungen existieren, soll mit neueren sozialwissenschaftlichen und kriminalitätshistorischen Ansätzen, Methoden und Fragestellungen durchleuchtet werden: Nicht mehr Kirche und Staat, sondern der Herstellungsprozess religiöser Abweichung, deren Zuschreibung und die Sanktionierung/Stigmatisierung und damit die Praxis des Umgangs mit religiöser Devianz stehen im Mittelpunkt des Forschungsfeldes. Dessen Dimensionen legen die Herausgeber in der Einleitung systematisch und überzeugend dar und betonen als zentrale Forschungsleitlinien die stärkere Berücksichtigung von religiöser Pluralität, gruppenbezogener und konfessionsübergreifender Devianzen bzw. übergreifender Deliktfelder sowie das Zusammenwirken von religiösen, sozialen und rechtlichen Normen und Praktiken. Vollständigkeit kann freilich nicht erzielt werden und daher beschränkt sich der Band auf exemplarische Fallstudien zum konfessionellen Zeitalter, welche die variantenreiche religiös-konfessionelle Landschaft Europas ausreichend abdecken. ...
Der Einsatz von computergestützten Methoden der Digital Humanities (DH) ist in den Geisteswissenschaften oft mit dem Mythos der digitalen Objektivität oder Objektivierung verbunden. Eine Motivation für den Einsatz dieser Verfahren bei Geschichtswissenschaftlerinnen ist die Suche nach dem objektiven Urteil oder nach der Objektivierung ihrer eigenen Interpretationsleistungen. Aber schafft der Computer Objektivität? Kann diese Maschine den hermeneutischen Zirkel durchbrechen helfen? Können wir mit quantifizierenden Methoden, mit der Logik der Zahlen, mehr über vergangene Epochen aussagen als mit der schlichten Hermeneutik unseres Fachs? ...
Nur eine Institution, die sich verändern kann, kann auch bestehen – das gilt mit Sicherheit im besonderen Maße für Bildungseinrichtungen. Veränderungen können jedoch in unterschiedlichem Gewand daherkommen. Manche geschehen unerwartet und verursachen dadurch vielleicht Probleme, andere hingegen bahnen sich so langsam an, dass ihre Effekte geradezu überraschend wirken können. Die in ihrer Geschwindigkeit unerwartete Einführung des Praxissemesters in der ersten, universitären Phase der Lehrerausbildung in Hessen ist eine solche problematische Veränderung für die Hessische Schülerakademie (Oberstufe), weil sie deren bisher gültige Integration in die schulpraktischen Studienanteile der studentischen BetreuerInnen nicht mehr vorsieht – ein Umstand, der Akademieleitung und Kuratorium ebenso wie unsere Kooperationspartner an der Universität und im Kultusministerium jetzt schon seit über zwei Jahren intensiv beschäftigt.
Zeitzeugen sind nicht immer gute Historiker, und Historiker geben nicht notwendig gute Zeitzeugen ab. Für den zweiten Sachverhalt war seit den 1990er Jahren unter anderem aufschlussreich, wie sehr es erst der Anstöße aus den Reihen einer Enkelgeneration deutscher Historiker bedurfte, bevor die Rolle ihrer akademischen "Großväter" im "Dritten Reich" kritisch und ohne jede Scheu vor persönlichen Bekanntschaften untersucht wurde. Gewiss muss man im Blick darauf sorgfältig zwischen Skandalisierung und wissenschaftlicher Erkenntnis unterscheiden, aber dieses Problem kann hiernach ohnehin nicht weiter vertieft werden. Vielmehr richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Frühgeschichte der Deutsch-Tschechoslowakischen Historikerkommission, der der deutsche Osteuropa-Historiker Detlef Brandes seit der Gründung im Jahr 1990 angehörte. ...
Dies ist eine Festschrift für Detlef Brandes zum 75. Geburtstag. Ein Vorwort für sie zu verfassen, ist kein leichtes Unterfangen, denn die beeindruckende wissenschaftliche Arbeit und die Tätigkeit von Detlef Brandes sind schon vor zehn Jahren in der Festschrift zum 65. Geburtstag ausführlich gewürdigt worden. Der inzwischen leider verstorbene Hans Lemberg zeichnete damals den wissenschaftlichen Lebensweg des Jubilars in bewegender Weise nach, von den Archivstudien des jungen Doktoranden in der Tschechoslowakei der 1960er Jahre über die Tätigkeit am Collegium Carolinum in München, an der Freien Universität Berlin und die internationalen Wanderjahre, die ihn nach Florenz, New York, Stanford und Sapporo geführt hatten, bis er nach einem kurzen Intermezzo in Oldenburg 1991 auf die Stiftungsprofessur für "Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa" an die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf berufen wurde. ...
Vom 25. bis 26. September 2015 fand die von Christoph Cornelißen (Frankfurt am Main), Martin Pekár (Košice) sowie Miloš Řezník (Warschau) organisierte Jahrestagung der Deutsch-Tschechischen und Deutsch-Slowakischen Historikerkommission in Košice (Slowakei) zu Krieg und Stadt im 20. Jahrhundert statt. Sie stand unter der Schirmherrschaft des Ministerpräsidenten der Slowakischen Republik Robert Fico.
Zu Beginn führte CHRISTOPH CORNELISSEN (Frankfurt am Main) mit einigen Vorbemerkungen zu "Krieg und Stadt im 20. Jahrhundert" in das Thema der Tagung ein. ...
Rimski novčići u ženskim srednjovekovnim grobovima sa teritorije Srbije: mogućnosti interpretacije
(2016)
U ovom radu istražuje se fenomen sekundarne upotrebe rimskih novčića (II–IV vek) u srednjovekovnim nekropolama (X–XV vek) sa teritorije Srbije. U fokusu istraživanja su grobovi u kojima su rimski novčići upotrebljeni kao dekorativni elementi pokojnikove odeće – najčešće preoblikovani u priveske. Ovakav tip sekundarne upotrebe rimskog novca konstatovan je samo u ženskim grobovima. Cilj rada je da predloži interpretaciju ove pojave kroz analizu vrednosti i značaja sekundarno upotrebljenih novčića u stvaranju porodičnih dragocenosti koje se definišu u važnim i kritičnim momentima društvenog života zajednice. Posebno se ispituje mogućnost interpretacije ovih nalaza kao primera grobova u kojima su sahranjene ženske osobe sa delovima svog miraza. Analizira se konstrukcija značenja i vrednosti ovih predmeta kroz njihovu razmenu u običajima vezanim za sklapanje braka, i, naposletku, u funerarnim praksama. Budući da je rimski novac iz ovih grobova malobrojan, i da se uvek radi o bronzanim denominacijama, možemo pretpostaviti da je definisanje njihove vrednosti i značaja zasnovano na simboličkom i reprezentativnom nivou. Polazna tačka ovog rada je korpus radova koji istražuju fenomen ponovne upotrebe stvari u prošlosti, da bi se dalje u radu dublje istražila veza između srednjovekovne društvene strukture i evaluacije novčića u seoskim zajednicama centralnog Balkana.
Gedenkrituale für Kriegsgefallene ebenso wie die Erinnerung an vergangene Kriege befinden sich in einem Zustand fortwährenden Wandels und passen sich an die jeweiligen sozialen und politischen Begebenheiten an. Dies gilt besonders für jene Gedenkrituale, mit denen an die Gefallenen in Grenzkonflikten erinnert wird: Da es derartige Situationen immer wieder gibt, werden die Gedenkrituale dazu genutzt, um im Hinblick auf neuere Konflikte die Erinnerung zu bewahren. Dies wird im Folgenden am repräsentativen Beispiel Spartas untersucht. In der ersten Hälfte des 7. Jh.s. v. Chr. wurde dort das Gymnopaidiai-Fest eingeführt, das in Verbindung zu den argivisch-spartanischen Feindseligkeiten stand. Dabei lassen sich drei Ereignisse in den Auseinandersetzungen zwischen Argos und Sparta ausmachen, die sich auf die Rituale in den Gymnopaidiai ausgewirkt haben – alle drei betreffen Thyrea. Der erste Fall greift die spartanisch-argivischen Zusammenstöße im 8. bzw. 7. Jh. v. Chr. auf, die in Thyrea stattgefunden haben dürften. Die zweite Auseinandersetzung, etwa in der Mitte des 6. Jh.s. v. Chr., war der Kampf der Dreihundert. Der dritte Konflikt lässt sich auf den Anfang des zweiten Viertels des 4. Jh.s. v. Chr. datieren, als Argos der Überlieferung nach wieder die Kontrolle über die Thyreatis erlangte. In den Quellen lassen sich hingegen keine Belege für die Einführung der Gymnopaidiai finden, die auf einen Kampf zwischen Sparta und Argos, sei es in der Thyreatis oder in Hysiai, hinweisen.
Die Deutschen traten »sich selbst immer ein wenig fremd gegenüber «, schreibt der Frankfurter Mittelalter-Historiker Johannes Fried in seinem Buch »Die Anfänge der Deutschen«, das deren »ethnische Taufe« vom späten 8. bis zum 12. Jahrhundert in den Blick nimmt. Das viel beachtete Werk, das nach 20 Jahren in einer überarbeiteten Neuausgabe vorliegt, lässt sich mittlerweile auch als Kommentar zur aktuellen Diskussion um eine angebliche Bedrohung »eigener« Werte lesen. Bernd Frye sprach mit Prof. Dr. Johannes Fried über ein Volk, das seinerseits aus fremden Elementen und Einwanderungsprozessen erwachsen ist.
L’auteur est parti du constat qu’à la suite de la monographie de Jean Rupp, toutes les études portant sur le terme christianitas cherchent à saisir le concept de chrétienté, au détriment des autres significations possibles. Geelhaar a donc décidé de reprendre le dossier en partant de l’histoire du mot lui-même, de ce qu’il signifiait pour les hommes de l’Antiquité tardive jusqu’à l’époque carolingienne, quels sens ils lui donnaient et dans quels contextes ils l’utilisaient. Le but de sa recherche est de vérifier les études publiées jusqu’à présent, quitte à les remettre en cause, mais également de contribuer à la recherche sur le langage politique du tournant entre Antiquité et Moyen Âge, à savoir si et comment le terme christianitas participe à la communication politique. ...
In ihrer 2015 veröffentlichten Studie zum römischen Bindungswesen "Was die römische Welt zusammenhält" analysiert Angela Ganter cliens-patronus-Beziehungen in der Zeit zwischen Cicero und Cyprian. Ihr Ansinnen ist es dabei, "das Wechselverhältnis von patronalen Haltungen und politischem Einfluss neu zu reflektieren" (S. 23). Im Fokus ihrer Untersuchungen stehen Verhaltensweisen und Wertvorstellungen von Patronen und Klienten gerade auch im Hinblick auf politisch-gesellschaftliche Veränderungen und Verwerfungen zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 3. Jahrhundert n. Chr. Diese lange Zeitdauer strukturiert Ganter durch einzelne Fallstudien, die sie als "Tiefenstudien" (S. 25) bezeichnet. ...
In einem vielbeachteten Aufsatz hat die in Berkeley lehrende Rechtshistorikerin Karen M. Tani 2012 die Aufmerksamkeit auf "rights as a language of the state" gerichtet. Konträr zur gängigen These, nach der welfare rights erst in den 1960er Jahren in die politisch-soziale Sprache Eingang fanden, weist Tani nach, dass schon in den Jahren des New Deal und der Präsidentschaft Franklin Delano Roosevelts (1933–1945) von rights im Feld der public assistance die Rede war. Freilich richtete sich dieser Wortgebrauch nicht eigentlich an die Klientel und spielte auch vor den Gerichten keine Rolle, vielmehr entstand der Diskurs um ein Recht auf öffentliche Fürsorge in der rasch wachsenden staatlichen Wohlfahrtsbürokratie und hatte hier die Funktion, die social workers vor Ort mit einer einheitstiftenden und motivierenden Sprache auszustatten. Darüber hinaus half die Rede von den rights den Aktivisten in den Arbeiterorganisationen und den Organisationen der racial minorities dabei, das hergebrachte Denkmuster, nach dem Staatshilfe zu einer degradierenden Abhängigkeit führe, zu durchbrechen: Wer Rechte in Anspruch nimmt, sieht sich als Bürger ernst genommen und nicht als Bittsteller, der seine Unabhängigkeit verliert. Rights language konnte von der New Deal-Bürokratie zudem auch eingesetzt werden, um den dual federalism, der den Zentralstaat und die Einzelstaaten in einem latenten Gegensatz zueinander sah, in einen cooperative federalism zu verwandeln – wobei der Zentralstaat als Hauptfinanzier des entstehenden Wohlfahrtsstaates natürlich in der Vorhand war: Die Rede von den rights war zuallererst "the language of an ambitious national state". ...
Vor einigen Jahren hat sich eine Gruppe jüngerer französischer und tschechischer Historiker zwar nicht gleich zum Kreuzzug, so doch zur Widerlegung der Doktrin von Gralshütern des reinen Kreuzzugs zusammengetan, nach der das Ende der Bewegung mit dem Tunisunternehmen Ludwigs des Heiligen und dem Fall Akkons 1291 besiegelt gewesen sei. Die Aktivitäten dieses Kreises haben ihren Niederschlag in bislang vier Bänden einer Reihe gefunden, die sich mit ironischem Seitenblick auf besagte Gralshüter "Croisades tardives" nennt (vgl. S. 5). Hatten eigentlich bereits die Arbeiten von Nicolae Iorga, Aziz Atiya und Kenneth Setton den Nachweis erbracht, dass es sich bei jenen "späten" Unternehmen keineswegs um einen sinnentleert-kostümierten "Triumph der Dekadenz" (Hans Eberhard Mayer) handelt, so gebührt in unseren Tagen u. a. Norman Housley und Jacques Paviot – einem der Initiatoren der Forschergruppe – das Verdienst, die natürlich sich ändernde, so doch fortwährende Wirkkraft und die vielfältigen Facetten der Kreuzzugsidee bis in die frühe Neuzeit hinein aufgezeigt zu haben. Und ebendies bestätigen jetzt erneut die von Finanz- und Organisationsfragen handelnden Beiträge des vorliegenden Bands. Wenn es um so handfest Konkretes wie Planung und Ausrüstung und vor allem um den pekuniären nervus rerum ging, blieb für vage Ritterromantik und nostalgische Mythenbeschwörung kein Platz. ...
Agincourt/Azincourt 1415 – und 600 Jahre später eine neue Schlacht, diesmal der Publikationen, Tagungen und Veranstaltungen bis zur Nachstellung des Kampfs am Ort wie auch mit Playmobil-Figuren, ja bis zum Poesiewettbewerb und Rollstuhlfechten unter der Ägide eines "Agincourt 600 Comittee". Aus solch überbordender Fülle ragt der vorliegende Band indes heraus: kein Jubiläumsschnellschuss, sondern eine parallel zur Londoner Ausstellung "The Battle of Agincourt" mit Sorgfalt und Bedacht erstellte Sammlung von Beiträgen aus der Feder von Kennern der Materie unter drei Leitthemen "The Road to War – The Battle – Aftermath and Legacy". Was aber schon vor der Lektüre auf den ersten Blick besticht, ist die durchgängig farbige, z. T. großformatige Bebilderung in vorzüglicher Qualität und deren nicht minder vorzügliche Kommentierung; angesichts dessen und einer bis ins Layout ansprechenden Aufmachung hat der Preis des Bands fast als günstig zu gelten. ...