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Das deutsche Rentensystem und der Generationenvertrag sind unter Druck geraten. Demografische Verschiebungen, anhaltende Massenarbeitslosigkeit sowie die Übertragung des westdeutschen Systems der Altersvorsorge auf die neuen Bundesländer führten zu einem Paradigmenwechsel in der Alterssicherungspolitik. Durch die mit der Riester-Förderung eingeführte private Altersvorsorge, das Alterseinkünftegesetz und die 2006 beschlossene sukzessive Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre im Jahre 2029 sind die rentenpolitischen Konsolidierungsmaßnahmen vorerst zu einem Abschluss gekommen. Der Generationenvertrag, nach dem »der Anspruch der Rentner auf Sicherung ihres Lebensstandards und der Anspruch der Beitragszahler auf Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit gleichermaßen beachtet werden müssen«/1/, wurde somit durch die Stärkung der privaten und betrieblichen Vorsorge und eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ergänzt. ...
In seinem unlängst erschienenen Buch „Citizen Science“ untersucht der Wissenschaftstheoretiker Peter Finke die Rolle von Laiinnen und Laien für die Wissenschaft. Sein Anliegen ist es, ihre Bedeutung für den Erkenntnisfortschritt wie auch für ein praxisbezogenes bürgerschaftliches Engagement darzulegen. Aus zahlreichen Blickwinkeln variiert Finke den Grundgedanken einer Kontinuität des Handelns von Laiinnen und Laien zu dem von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern, die durch die institutionalisierten Erscheinungsformen der Wissenschaft verschleiert wird. Demgegenüber sollen im vorliegenden Beitrag Aspekte der Diskontinuität hervorgehoben werden, die es zu berücksichtigen gilt, gerade wenn man von der Wichtigkeit einer Etablierung und Förderung von „Citizen Science“ überzeugt ist.
Je besser Forscher es verstehen, defekte Gene zu reparieren oder beliebige Körperzellen zu reprogrammieren, desto gefahrloser wird die Gen- und Stammzell-Therapie für Patienten, die an heute noch unheilbaren Krankheiten leiden. Gleichzeitig zeichnet sich damit die Möglichkeit ab, in ferner Zukunft vielleicht das Genom kommender Generationen zu verändern oder Menschen zu klonieren. Der Internist Prof. Hubert Serve und die Politikwissenschaftlerin Dr. Anja Karnein wagen im Gespräch mit den beiden Redakteurinnen des Wissenschaftsmagazins »Forschung Frankfurt« Dr. Anne Hardy und Ulrike Jaspers einen Ausblick jenseits aller aktuellen Debatten. Sie diskutieren aber auch über die Themen, die Patienten wie Wissenschaftler zurzeit unmittelbar berühren.
Ich würde sagen, dass Individuen mal die Contenance verlieren, sich im Ton vergreifen, das kann vorkommen. Und natürlich gibt es Frustrationspotenzial und Irritationen, die auch mal ausgesprochen werden müssen. Das kann die Ebene des sachorientierten Austauschs von Argumenten durchaus verlassen. Jede Demokratie sollte das aushalten können. Aber ich würde nicht behaupten, dass Hasstiraden gerade im Netz, Trolling und Ähnliches, eine Form des produktiven Streits wären, die Bindekraft erzeugen würde. Im Gegenteil: Wenn sich das ausbreitet und systematisch wird, wirkt es zersetzend für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. ...
In der Frauenarbeit liegt einer der wichtigsten Schlüssel zur Weltentwicklung. Frauen arbeiten – bezahlt und unbezahlt – sehr viel mehr als Männer. Weltweit sind 40 Prozent der Menschen in Beschäftigungsverhältnissen Frauen. Die unbezahlte Familien- und Fürsorgearbeit, wozu neben Versorgung, Erziehung, emotionaler und gesundheitlicher Pfl ege auch die unentlohnte Arbeit in der Landwirtschaft gehört, ist bekanntlich überwiegend Frauensache. Frauen sind somit zugleich zentrale Akteurinnen und Adressatinnen, wenn es um die Lösung der großen Probleme von Weltentwicklung wie Klimawandel, Ernährungskrise oder Bevölkerungsentwicklung geht. Auch die großen politischen Ziele wie die Sicherung von Frieden und Demokratie lassen sich nur erreichen, wenn Männer und Frauen wirklich gleichberechtigt sind.
Erfolgreiche Unternehmer wie SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp oder Microsoft-Gründer Bill Gates sind Pioniere von Corporate Social Responsibility (CSR). Regelmäßig erichten die Medien über ihre vielfältigen sozialen Aktivitäten und animieren damit andere Unternehmen, sich in ähnlicher Weise zu engagieren. Welche Motive stecken dahinter? Wollen diese Firmen etwas Gutes für die Gesellschaft tun oder bestimmen Strategien, die von negativen Folgen kapitalistischen Handelns ablenken sollen, ihr altruistisches Handeln? Fußen betriebliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie auf sozialem Engagement, oder macht der demografi sche Wandel die verstärkte Integration von Frauen erst notwendig?
Max Webers Beitrag zum "Grundriß der Sozialökonomik" ist uns in zwei verschiedenen Fassungen überliefert worden. Ihnen entsprechen zugleich zwei unterschiedliche Fassungen seiner soziologischen Grundbegriffe, die beide auf Ferdinand Tönnies' Hauptwerk "Gemeinschaft und Gesellschaft" Bezug nehmen. Ausgehend von dem bei Tönnies beschriebenen Gegensatz von Gemeinschaft und Gesellschaft wird zum einen Webers Gebrauch der Begriffe "Vergemeinschaftung" und "Vergesellschaftung" rekonstruiert, wie er sich in seinem Aufsatz "Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie" von 1913 und im älteren Teil von "Wirtschaft und Gesellschaft" niedergeschlagen hat. Zum anderen werden die Veränderungen aufgezeigt, die Weber an diesen Kategorien im Rahmen der Neufassung seiner soziologischen Grundbegriffe 1920 vorgenommen hat. Es wird dabei der Nachweis erbracht, daß es Weber erst mit der endgültigen Fassung seiner Grundbegriffe gelungen ist, die Marktvergesellschaftung und die anstaltsmäßige Vergesellschaftung im Rahmen einer einheitlichen Terminologie zu beschreiben.
In den zahlreichen Beiträgen zum "Jubeljahr der 1968er-Bewegung" kommen oft ehemalige Aktive, Historikerinnen und Experten zu Wort. Doch wie blicken eigentlich Aktivistinnen und Aktivisten des 21. Jahrhunderts auf diese Zeit zurück? Dieser Frage hat sich ein zweijähriges Forschungsprojekt am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität gewidmet.
Zentraler Gegenstand der Tagung waren die disziplinären Aneignungen der ethnografischen Herangehensweise in der Ethnologie und der Soziologie. Der Tagungsbericht sammelt die auf der Tagung debattierten Differenzen und Ähnlichkeiten und sichtet die tiefer liegenden, systematischen Unterschiede entlang der ethnografischen Trias von Feld, Site und Gegenstand. Mit Blick auf eine geplante Folgetagung identifizieren die Autoren Schlüsselthemen für die weitere Debatte.
The article analyses the 'post-secular turn' in critical theory by comparing Jürgen Habermas' late philosophy with the philosophy of his predecessor Theodor W. Adorno. It poses the question to what extent can Habermas be seen as a post-secular theorist when setting his work against that of Adorno? Following Birgitte Schepelern Johansen, the author develop a concept of post-secularism as a move beyond the strict division between religion and non-religion, and apply the concept to the work of the two critical theorists in question. Finally, Adorno’s work is identified as a 'religious secularism’ and Habermas’ work as a 'post-secular secularism’. Thus, the author points out the ambivalence, which the alleged 'post-secular turn’ breeds, and suggest a reconsideration of the religious motives discovered in Adorno’s work.
Das Haar ist mehr als nur profane Pracht oder Ausdruck des modischen Wandels. Mit dem Haupthaar definiert sich das Individuum selbst, gleichzeitig nehmen andere es wahr und verbinden damit ihre Einschätzung der Person. Wie Haut, Gestik und Mimik ist das Haar gleichermaßen natürlich wie kulturell domestiziert. Gestaltete Haare als Ort der Kommunikation – eine wahrhaft andere Perspektive auf das millionenfach in der Kopfhaut verwurzelte "fadenförmige Oberhautgebilde", eben eine soziologische, die Alltagsphänomene der Gegenwartsgesellschaft wissenschaftlich ergründet. Danach übernimmt die Frisur die Aufgabe, das Identitätsprojekt einer Person zu adeln, zu verklären und zu akzentuieren – das Individuum macht sich so gleichsam zum Porträtisten des eigenen Entwurfs.
Kryotechnologien bezeichnen Verfahren des Kühlens und Einfrierens. Wie verändert deren Einsatz in immer mehr Feldern unser Verständnis von Lebensprozessen und gesellschaftliche Grundannahmen? Mit welchen Erwartungen werden Menschen heute durch verschiedene Nutzungsformen dieser Technologien konfrontiert? Fragen wie diese versucht das Projekt "Cryosocieties" des Soziologen Prof. Thomas Lemke an der Goethe-Universität zu beantworten. Im Fokus stehen die sozialen, kulturellen und moralischen Dimensionen der Sammlung, Lagerung und Nutzung von menschlichem und nichtmenschlichem organischem Material durch kryotechnologische Verfahren. Seit April 2019 wird das Projekt als ERC Advanced Investigator Grant des Europäischen Forschungsrats gefördert. Die Förderung ist auf fünf Jahre angelegt. ...
Ökonomische Schocks haben beträchtliche Folgen für die Gesellschaft. Armutsrisiko, Arbeitslosigkeit, Bildungsmangel, Scheidungsrisiken, Vertrauenskrisen – politisches Krisenmanagement kann diese Folgen positiv beeinflussen und zu gesellschaftlicher Resilienz beitragen. Lassen sich daraus Schlüsse für die Folgen der Pandemie ziehen?
Ausländische Pflegekräfte in deutschen Privathaushalten : ein Interview mit Prof. Dr. Helma Lutz
(2015)
Helma Lutz ist Professorin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Seit 15 Jahren beschäftigt sie sich in ihrer Forschung mit "neuen Dienstmädchen" – Migrantinnen, die Haus-, Erziehungs- und Versorgungsarbeit ("Care-Arbeit") in deutschen Haushalten verrichten. Die Redaktion von focus Migration hat sie zu diesem Thema befragt.
Gibt es so etwas wie "konservative Außenpolitik"? Die erste Antwort, die dazu einfällt, hat Joschka Fischer auf eine vergleichbare Frage gleich nach seinem Amtsantritt als neuer Außenminister gegeben. Nein, "eine grüne Außenpolitik gibt es nicht, nur eine deutsche". Klassische weltanschauliche Überzeugungen, die im innenpolitischen Wettstreit in Gegenbegriffen wie "konservativ" und "fortschrittlich" einsortiert werden, lassen sich nach dieser Auffassung nicht auf das Feld der Außenpolitik übertragen. Genau diese Position vertrat auch Kaiser Wilhelm als er kurz nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs ausrief: "Ich kenne keine Partei mehr, ich kenne nur Deutsche"...
Der Militär Chávez ist der Hoffnungsträger der sozialen Bewegung in Venezuela. Seine Rolle ist aber ambivalent. Einerseits stützt er die zunehmende Macht der Basisarbeit. Anderseits scheint Chávez ihr alleiniger Garant der Beteiligung und schwächt so die Selbstorganisation wieder. Klientelistische Strukturen, wachsende Korruption und das gescheiterte Verfassungsreferendum zeigen die Grenzen des jetzigen Transformationsprozesses auf.
Migranten werden in politischen Debatten oft als festgefügte Gemeinschaft betrachtet, die in ihrer eigenen nach außen abgeschotteten Welt leben – in einer Parallelgesellschaft. Doch ist das wirklich so? Wie gestalten insbesondere junge Leute mit Migrationshintergrund ihre sozialen Bindungen, wenn sie sich in der urbanen Clubszene europäischer Großstädte bewegen? Das Team um die Soziologin und Kulturanthropologin Kira Kosnick untersucht die Dynamiken dieser Prozesse.
Zwei traditionelle Wirkungsbereiche von Intellektuellen, die politische Medienöffentlichkeit und das akademische Feld, unterliegen seit über drei Jahrzehnten anhaltenden strukturellen Veränderungen. Diese gelten vielfach als Ursache einer tiefen Krise oder sogar des Verschwindens der Intellektuellen. Doch um welche Veränderungen geht es dabei genau, und wie restrukturieren sie die gegenwärtige Rolle und Funktion von Intellektuellen? Zur Beantwortung dieser Fragen entwickelt der Beitrag einen Ansatz, der die struktur- und erfahrungsbezogenen Bedingungen intellektueller Praxis fokussiert und historisch vergleichend analysiert. Um eine Vergleichsfolie zu gewinnen, wird die intellektuelle Praxis Theodor W. Adornos analysiert. Dabei zeigt sich, dass Adorno die charakteristischen Widersprüche öffentlichen und akademischen intellektuellen Engagements methodisch aufrechterhielt, indem er eine Position des „Dazwischen“ reklamierte. Vor diesem Hintergrund werden seit den 1970er-Jahren forcierte strukturelle Veränderungen der Medienöffentlichkeit und des akademischen Feldes als Prozesse der „Vereindeutigung“ interpretiert, die eine widerspruchsaffine intellektuelle Praxis erschweren. In der Folge lassen sich eine ausgeweitete kommerzielle sowie eine eingeschränkte akademische Intellektuellenpraxis beobachten, die jeweils politisch wirksame Interventionen begrenzen.
Das Thema 'Unternehmensgründung/ berufliche Selbstständigkeit an deutschen Hochschulen' hat seit Mitte der 1990er Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen, denn es wird beabsichtigt, eine Kultur der Unternehmensgründung an den Hochschulen zu etablieren und die Studierenden auf eine berufliche Selbstständigkeit als potenzielle Zukunftsperspektive vorzubereiten. Auch der Gesetzgeber integrierte in den letzten Jahren die Gründungsfrage in den Handlungsauftrag der Universitäten, z.B. im neuen hessischen Hochschulgesetz. Der vorliegende Aufsatz berichtet über eine Untersuchung am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Frankfurt am Main mit dem Titel 'Gründung als Option für Sozialwissenschaften: Zur Integration des Gründungsthemas in der Lehre der Sozialwissenschaften'. Es wurde danach gefragt, in welcher Weise Studierende und Promovierende der Gesellschaftswissenschaften (Soziologie und Politikwissenschaft) im Rahmen ihres Studiums auf mögliche Tätigkeitsfelder einer selbstständigen Beschäftigung hingewiesen werden können und wie sie selbst solche Angebote beurteilen. Es werden einige Sichtweisen zur Gründung als persönliches Motiv und zur Berufsorientierung in den Sozialwissenschaften vorgestellt, die spezifischen Qualifikationsmerkmale des sozialwissenschaftlichen Studiums umrissen und einige Empfehlungen zur Beschäftigungsoption 'Selbständigkeit' gegeben. (ICI2)
Der vorliegende Aufsatz analysiert die Bildungsreformen, die in Venezuela seit Antritt der Regierung unter Hugo Chávez im Februar 1999 in die Wege geleitet wurden. Nach einem kurzen historischen Überblick bis 1999 folgt eine Erörterung der grundlegenden Linien der Bildungspolitik. Daran schließt die Darstellung des neuen Modells der Escuelas Bolivarianas (Bolivarianische Schulen) an sowie der Misiones (Missionen) genannten Sonderprogramme im Bildungssektor, welche einen Schwerpunkt der Umsetzung des Anspruchs „Bildung für alle“ darstellen: Die Misión Robinson I, II und III für die Alphabetisierung und den Grundschulabschluss und die Misión Ribas für die weiterführende Schule. Darauf folgt die Beschreibung der Umsetzung der in der 1999 verabschiedeten Verfassung garantierten kostenlosen „Höheren Bildung für alle“ mittels der Misión Sucre und der Universidad Bolivariana de Venezuela (Bolivarianische Universität Venezuelas, UBV) sowie des Berufsbildungsprogramms Misión Vuelvan Caras. ...
Nach ihrer angeblichen Demobilisierung in Kolumbien im Jahr 2003 begannen die Paramilitärs, massiv nach Venezuela einzusickern. Von den Grenzgebieten aus hatten sie sich zunächst im Gebiet des Andenkorridors im Nordwesten Venezuelas ausgebreitet. Sogar logistische Zentren zur Unterstützung der konterrevolutionären Aktivitäten einschließlich der Anwesenheit ausländischer Spezialisten soll es in der Region geben. Militärstrategischer Logik folgend wird nach dem Andenkorridor die Paramilitärpräsenz im Zentrum, also in Caracas und dem angrenzenden Bundesstaat Miranda, gestärkt. Als letztes wird der Aufbau einer »Ostfront« entlang der Achse Sucre-Delta/Amacuro/Bolívar, den drei östlichsten Bundesstaaten, sichtbar. (...)
Die Frage, ob und in welcher Hinsicht ADORNO als Vorbereiter eines Paradigmas qualitativer Sozialforschung verstanden werden kann, wird diskutiert anhand zweier Briefe ADORNOs an Paul LAZARSFELD aus dem Jahre 1938, als er in dessen "Radio Research Project" an der Universität Princeton mitzuarbeiten begann. ADORNO musste sich hier erstmals mit empirischer Sozialforschung amerikanischer Prägung ins Verhältnis setzen, wobei er in Ermangelung praktischer Erfahrung auf diesem Gebiet zunächst ganz auf seine Bordmittel als Philosoph und Künstler angewiesen war. In der Korrespondenz mit LAZARSFELD artikulierten sich erstmals Überlegungen, die in ADORNOs Schriften zur Sozialforschung aus der Nachkriegszeit ihre kanonische Gestalt fanden. Die quantifizierenden Verfahren kritisierend, entwickelte er gleichsam naturwüchsig ein Modell qualitativer Forschung, das aber zugleich bestimmten, auch später nicht überwundenen Restriktionen unterlag, die ihren Grund vor allem in Vorbehalten gegenüber methodisch geregelten Vorgehen überhaupt hatten.
Das Bild unter der Schneedecke : visuelle Soziologie: Erforschung des Sozialen mit anderen Mitteln
(2010)
"Unter der Fotografie eines Menschen ist seine Geschichte wie unter einer Schneedecke vergraben", schrieb Siegfried Kracauer 1927 in seinem Essay "Das Ornament der Masse". Visuelle Soziologie nennt sich heute eine relativ junge Fachrichtung, die versucht, diese Schneedecke mit soziologischen Methoden beiseite zu räumen. Dann wird der Hintergrund sichtbar, auf dem die Geschichte des Bildes sich abspielt, das soziale Beziehungsgeflecht, dem die Fotografie ihre Existenz verdankt. Ist doch dieses Bild die Manifestation verschiedener Beziehungen, die sich etwa zwischen Fotograf und Fotografiertem, zwischen Betrachter und Betrachtetem, zwischen Auftraggeber und Nutzer entwickeln und in die ideologische Weltsichten ebenso eingehen wie die sozialen Lagen der Akteure. Visuelle Soziologie fragt also nach der Produktion, Distribution und Konsumtion von Bildern und stellt sie in Beziehung zur Sozialstruktur der Gesellschaft. ...
Schon früh im 19. Jahrhundert wurde der Treibhauseffekt entdeckt. Doch bis sich die Menschheit ihres Einflusses auf das globale Klima bewusst wurde, hat es noch viele Jahrzehnte gedauert. Ein Rückblick auf das zähe Ringen darum, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen die richtigen politischen Schritte abzuleiten.
Das Private ist politisch! – 68 war der Slogan eine auf Ganze gerichtete Perspektive der Kritik und ein Impuls für die Revolutionierung des Alltagslebens: Es ging bei den Diskussionen und Analysen um die "Weltherrschaft des Kapitals" und den Zusammenhang von Faschismus und Kapitalismus immer zugleich um die Manifestationen von Herrschaft und Unterdrückung in den Kapillaren des Alltäg lichen. In den Blick gerieten dabei nicht zuletzt die Autoritätsstrukturen der bürgerlichen Familie und damit die (im Sinne marxistischer Gesellschaftsanalyse) sogenannte "Nebenwidersprüche" des Privaten: das Verhältnis der Geschlechter, Fragen von Liebe und Sexualität, Kindererziehung, Eigentumsfragen und Besitzdenken. Der Slogan wurde darüber hinaus zum Leitspruch der Frauenbewegung, die vor Augen führt, wie politisch das Private gerade in Fragen von Nachwuchs und Alltagsorganisation ist. ...
Das Unbehagen mit den Gender Studies. Ein Gespräch zum Verhältnis von Wissenschaft und Politik
(2020)
Der Beitrag ist ein Gespräch zweiter Sozialwissenschaftlerinnen im Feld der Gender Studies. Es kreist um den Vermittlungszusammenhang zwischen Wissenschaft und (politischer oder aktivistischer) Praxis am Beispiel der Geschlechterforschung. Wie politisch kann, darf Forschung (nicht) sein? Wie, wenn überhaupt, lassen sich Kritik, Normativität, Forschung, politische Praxis und Ethik einerseits trennen, andererseits produktiv aufeinander beziehen? Er plädiert für die Anerkennung der Eigenlogiken von Wissenschaft und Politik und für deren Vermittlung im Sinne reflexiver Übersetzungen sowie gegen einen positionalen Fundamentalismus, der soziale Position(-ierung) mit inhaltlichen Positionen gleichsetzt. Schließlich artikuliert der Beitrag eine reflexive Ethik des Zuhörens, die sich im Forschungsprozess als Anerkennung von systematisch bedingten blinden Flecken sowie in den Mühen um deren Überwindung realisieren sollte.
Ulrich Oevermann, Begründer der Objektiven Hermeneutik, ist Professor für Soziologie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Am Rande seines traditionellen Blockseminars am Berner Institut für Soziologie bot sich für soz:mag die Gelegenheit, den Professionalisierungs- und Sozialisationstheoretiker zu treffen. Bei einer Portion Fisch mit feinen Salzkartoffeln und Salat im Restaurant "Mappamondo" kam es zum Gespräch über die Hochschulreform, die Logik der Forschung, das Problem von Uni-Rankings, die Konkurrenz um den guten Studenten und die Vorteile der Zwiebel.
Das "Office for Strategic Studies" (OSS) wurde erst 1942, ein Jahr nach Kriegseintritt der USA geschaffen, es war ein Vorläufer des CIA. Seine Aufgaben bestanden nicht allein in der Beschaffung von Informationen über den Zustand der feindlichen Streitkräfte in Europa und Asien, sondern unter anderem auch in der Entwicklung von Möglichkeiten und Vorstellungen für die – nach erfolgreicher Beendigung der Kämpfe – einsetzende Aufbauarbeit in den zu besetzenden Ländern. Dieser Aufgabe diente auch die Beauftragung Carl Zuckmayers mit einem informativen Bericht über die politische und moralische Zuverlässigkeit, oder wenigstens "Brauchbarkeit" von Angehörigen der künstlerischen Elite, soweit sie im Deutschen Reich geblieben war; brauchbar nämlich für Beteiligung am kulturellen Leben in einem neuen, demokratischen Deutschland. An dieser Aufgabe arbeiteten in der Zentrale des OSS unter anderen HerbertMarcuse und Franz Neumann, die beide dem nach den USA ausgewanderten Frankfurter Institut für Sozialforschung angehört hatten. Diese linken Wissenschaftler legten in ihren Arbeiten für das OSS mehr Wert auf die Entmachtung der in Nazideutschland einflussreichen und besitzenden Eliten und auf eine von den Alliierten zu initiierende "re-education". Im Unterschied dazu dienen die Berichte Zuckmayers lediglich der differenzierten Beurteilung von Autoren, Regisseuren und vor allem Schauspielern, die in Deutschland geblieben waren und sich –mehr oder weniger – dem Regime angepasst hatten. ...
Der „demokratische Frieden“ und seine außenpolitischen Konsequenzen Demokratien führen gegeneinander keine Kriege; oder jedenfalls „fast“ keine. Dieser statistische Befund ist ziemlich robust gegenüber Veränderungen in der Definition von „Demokratie“ und von „Krieg“. Demokratien erfreuen sich überdies im Durchschnitt größeren Wohlstands, vermeiden erfolgreich Hungersnöte, bieten ihren Bürgerinnen und Bürgern mehr Freiheit und lassen sich eher auf internationale Organisationen und auf die Rechtsbindung in internationalen Verträgen ein als Staaten mit anderen Regierungsformen; dies sind natürlich Durchschnittswerte, von denen es Abweichungen gibt. Aber die Nachricht ist ziemlich klar: Demokratien bieten eine vergleichsweise bessere Form von „Good Governance“ als andere Systeme.
In den letzten Jahren konnte eine starke Zunahme der Bedeutung von multinationalen Unternehmen von außerhalb der traditionellen Triade der Weltökonomie (Japan, Nordamerika und Westeuropa sowie Australien) beobachtet werden. Auffällig ist dabei, dass eine besonders enge Beziehung mit dem Heimatstaat ein typisches Merkmal vieler multinationaler Unternehmen aus Schwellenländern ist. Zum einen geht es dabei um binnenstaatliche Maßnahmen, die das Wachstum dieser Unternehmen in ihren Heimatländern befördert haben, z.B. durch finanzielle Unterstützung oder regulatorische Maßnahmen, die gezielt auf die Bedürfnisse dieser Unternehmen ausgerichtet waren. Zum anderen geht es um die Unterstützung durch den Staat bei der Multinationalisierung dieser Unternehmen, beispielsweise in Form von diplomatischer Unterstützung für den Zugang zu natürlichen Ressourcen in anderen Ländern oder durch die Aushandlung bilateraler oder multilateraler Abkommen. Abschließend wird kurz zusammengefasst, welches Konfliktpotential zwischen den großen Schwellenländern und den etablierten Wirtschaftsmächten sich aus diesem besonders engen Verhältnis von Staat und großen Unternehmen in Schwellenländern in den nächsten Jahrzehnten ergeben kann.