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Wunsch
(2016)
Wünsche sind gedanklich-sprachliche Repräsentationen von abwesenden Dingen oder Zuständen, deren Anwesenheit für den Wünschenden erstrebenswert – 'wünschenswert, wünschbar' – ist. Dabei ergibt sich eine enge Verbindung von Wünschbarkeit und Zukünftigkeit: Es gehört zum Charakteristikum vieler Wünsche, dass in ihnen das Erwünschte als 'noch nicht' anwesend, aber als in Zukunft erreichbar vorgestellt wird. Ein solches Herbeiwünschen eines zukünftigen Zustands kann auf möglichst vollständige Befriedigung abzielen, etwa wenn das Aussprechen eines Geschenkwunsches – oder auch seine Niederschrift auf einem Wunschzettel – dafür sorgen soll, dass man später genau die gewünschte Gabe erhält. Am theoretisch namhaftesten findet sich diese Reduktion des Wünschens auf den Augenblick seiner Erfüllung in Sigmund Freuds Deutung des Traums als einer „Wunscherfüllung“, die „bequem“ und „vollkommen egoistisch“ gewährt werden könne.
Die Entdeckung von Johannes Rothes ‚Geistlicher Brustspange’ verdanken wir Conrad Borchling. Der Text ist in einer heute in Kopenhagen befindlichen Sammelhandschrift (...) überliefert (...). Die Tendenz zur allegorischen Summe und zur Anhäufung von Väterweisheiten [in der ‚Geistlichen Brustspange’] deutet immer auch in der Vielfalt der Bezüge auf eine das Klosterleben übersteigende Vielfalt der Lebensformen hin. Die allegorische Deutung in einer solchen Komplexität und Mannigfaltigkeit verbindet das ‚geistlich’ mit dem ‚wertlich mensche’ vor einem Horizont von zwar unterschiedlich verpflichtenden, aber im Prinzip gemeinsamen Tugenden. Der Text ist so gleichsam gegen den Willen seines Autors zu viel mehr als einer Klosterlehre geworden – zu einer ganz verschiedene Institutionen und Lebensformen verbindenden allegorischen Tugendsumme.
Zählen seit dem neunzehnten Jahrhundert angesichts einer sich beschleunigt industrialisierenden Gesellschaft die Sphäre der Industriearbeit und die Persona des Proletariats zu den festen Themenbeständen der Literatur, so wird diese Konstitution eines literarischen Diskurses "Arbeitswelt" in der Regel als Teil einer sich etablierenden Arbeiterkultur perspektiviert. [...] Um diesen Fragenkomplex zu erörtern, werde ich zunächst den Status zu klären versuchen, den Brecht der Sphäre der Arbeit und der sozialen Klasse des Proletariats für den gesellschaftlichen Prozess zuschreibt. In einem zweiten Schritt wird es mir darum gehen, die Funktion des Intellektuellen für das Proletariat zu skizzieren, wie Brecht sie in seiner Theaterästhetik programmatisch bestimmt; bevor ich schließlich eine Antwort auf die Frage zu geben versuche, welche Funktion dem Proletariat für die Identitätsbildung des Intellektuellen zukommt – oder besser gesagt: welche Funktion ihm zukam; denn aktuell scheinen die Intellektuellen ihr Interesse an der Arbeitswelt weitgehend eingebüßt zu haben.
Buchstäblich auf der Flucht rutschte Kurt Goldstein sein Hauptwerk aus der Feder. Im Frühjahr 1934, während eines Zwischenaufenthalts in Amsterdam, schrieb er binnen weniger Monate "Der Aufbau des Organismus: Einführung in die Biologie unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen am kranken Menschen". In diesem Buch entfaltete Goldstein seine auf der Basis von klinischen Erfahrungen gewonnenen physiologischen Anschauungen zu einer allgemeinen Theorie des Organismus. Zentraler Gedanke dieser Theorie war die These, dass sich die Leistungsvielfalt eines Organismus nicht als Summe möglichst exakt zu zergliedernder Einzelreaktionen beschreiben, sondern nur aus dem Gefüge ihres Zusammenwirkens erfassen lasse.
Worst case
(2016)
Die Rede vom 'worst case' ist appellativ; sie tendiert zum Alarmismus und drängt zur Entscheidung. Die beschworene Möglichkeit katastrophaler zukünftiger Ereignisse erzeugt Handlungsdruck und Ordnungseffekte im Hier und Jetzt. Sie ist nie allein Warnung, sondern immer auch Aufforderung, dem drohenden 'worst case' um jeden Preis zuvorzukommen. Der Imperativ lautet, mit dem Hereinbrechen des Unerwarteten, Unvorstellbaren zu rechnen und ihm mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Genau hier liegt das Problem. Gezieltes präventives Handeln erfordert verlässliches Wissen; doch dieses ist für den 'worst case' prinzipiell nicht verfügbar. Der schlimmste vorstellbare (Un-)Fall ist präzedenzlos, eine drohende radikale Diskontinuität. In Ermangelung von Erfahrungswissen ist alles, was über ihn gewusst werden kann, Wissen im Konjunktiv.
Walter Benjamin spricht von 'wolkigen Stellen' in Kafkas Texten, die - stark vereinfacht gesagt - die Abkehr von 'unserer' bekannten, sinnlichen erfassbaren Welt und den Übergang in eine (wieder nach Benjamin) 'obrige' anzeigen. Diese 'wolkigen Stellen', an denen oft Kafkas 'Verwandlungen' stattfinden, sind sprachlich markiert: Hier endet der nach Kafka 'vergleichsweise' Gebrauch der Sprache, die ,empirische‘ Ebene wird verlassen und eine 'parabolische' (nach Fülleborn) erreicht.
Die Gralsthematik ist bei Wolfram, auch was die Geschichte des Grals angeht, wesentlich weiter ausgeführt als bei Chrétien: die Notwendigkeit einer Vorgeschichte, wie sie Robert de Boron wohl für Chrétien bieten will (...), war bei ihm daher nicht gegeben. Vergleichbares gilt für die Geschichte der Elterngeneration, die bei Wolfram (...) ebenfalls ausführlich berichtet ist.
Wolfram, Klopstock und Homer
(2009)
Jede Zeit führt ihren je eigenen Dialog mit dem Mittelalter; (...) je nach ihren Voraussetzungen und Bedingungen stellt sie ihre Fragen an die mittelalterlichen Relikte und findet eigene Antworten. Mein Beitrag geht der Frage nach, wie in der Mitte des 18. Jahrhunderts Wolframs „Parzival“ aufgenommen werden konnte und welche Dimensionen besonders faszinierten und irritierten. (...)
Zu den rätselhaftesten Werken des deutschen Mittelalters gehört Wolframs „Titurel“. Das beginnt bei der Bewegung der Überlieferung und endet bei der interpretierenden Einordnung in die Literatur- und Geistesgeschichte: eindeutige Antworten sind oft nicht möglich. Im Kontrast dazu steht die Faszination, die der Text ausgeübt hat und ausübt: immer wieder findet sich neben skeptischen Stimmen Hochschätzung, ja höchster Preis von Karl Müllenhoff (...) bis zu Hugo Kuhn (...). Eine Annäherung an den Text soll im Gang durch die verschiedenen Problemkreise unternommen werden.
Das Spiel der Authentizität mit Erzähler, Figuren und dem biografisch faßbaren Autor wird immer wieder gespielt und wirkt immer wieder neu, selbst wenn der Text, wie der von (...) [Volker Mertens] behandelte, etwa fünfhundert Jahre älter ist als der von Jean Paul. Ob es legitim ist, die narratologischen Analysemodelle, die vor allem an der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt wurden, auf den Roman des Mittelalters zu übertragen, soll (...) [Mertens Beitrag] erweisen und damit zu einem besseren Verständnis der Poetik von Albrechts Werk beitragen. 'Der Jüngere Titurel' (...) eines sonst unbekannten Autors Albrecht integriert die in drei Handschriften uneinheitlich überlieferten beiden 'Titurel'-Fragmente Wolframs in einen weitdimensionierten Erzählzusammenhang um die Queste nach dem Brackenseil und die Gralsuche, der vor allem aus dem 'Parzival' entwickelt ist. Da im Verlauf des Textes ,mehrfach die Erzählperson 'Wolfram' bzw. 'der von Eschenbach' oder 'Freund von Blienfelden' angesprochen wird und der Erzähler Albrecht sich nur einmal kurz vor Schluß nennt, galt das Werk schon eine Generation nach seinem Abschluß um 1270 als von Wolfram von Eschenbach verfaßt. (...) [Mertens untersucht] im folgenden die Erzählerfiktion 'Wolfram' an ausgewählten Textbeispielen und (...) [fragt] nach der jeweils spezifischen Aussage. (...) [Seine] These ist, daß es dem Autor nicht um ein tatsächliches Allonym für sich selbst ging, sondern (Jean Paul vergleichbar) um einen poetologischen Diskurs in konnotativer Form, der sich einerseits auf die Tradition und die zeitgenössischen narratologische Position bezieht, andererseits die spezifischen Probleme und Zielsetzungen des unternommenen Werkes thematisiert.
Mit der mittelhochdeutschen Nebensilbenabschwächung beschäftigt sich Tanja Stevanovićs Beitrag "Wo sind die vollen Vokale geblieben? Eine Untersuchung möglicher Einflussfaktoren auf die Nebensilbenabschwächung". Dafür hat sie in einer Korpusuntersuchung im Referenzkorpus Mittelhochdeutsch schwache Verben analysiert, die trotz der fortschreitenden Nebensilbenabschwächung noch im Mittelhochdeutschen Vollvokale in Endsilben aufweisen.
Mit dem vorliegenden Beitrag sollte gezeigt werden, dass Untersuchungen zur Sprache von Minderheitenblättern nicht nur die Forschungen zur Pressesprache bereichern können, sondern gleichermaßen den Erkenntnisstand über verschiedene andere Sondersprachen. Infolge des besonderen sprachlich-kommunikativen Kontextes der lebensweltlichen Mehrsprachigkeit und des spezifischen soziokulturellen Umfelds der erlebten Interkulturalität vermögen solche Forschungen - die künftig in größerer Zahl und auf breiterer Basis wünschenswert wären - Blickwinkel, Instrumentarien und Ergebnisse der traditionellen Forschungsaktivitäten im binnendeutschen Sprachraum durch qualitativ neue Aspekte zu ergänzen und dadurch auch in vielerlei Hinsicht zu relativieren.
Wenn man etwas lernt oder lernen will, geht es immer besser, wenn es Spaß macht. Dieser Beitrag möchte zeigen, dass eine witzige Situation oder Witze als Textsorte nicht nur als Motivation zum Lernen, sondern auch als ein fester Bestandteil des DaF-Unterrichts dienen können. Als ein Argument, das sich wie ein roter Faden durch diesen Text zieht und das diese Behauptung unterstützt, bietet sich die pragmatisch verankerte Perspektive an. Der Beitrag stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die Witze beim Vermitteln der pragmatischen Kompetenz im Rahmen des DaF-Unterrichts behilflich sein können und ob diese daher von der Peripherie näher ins Zentrum des DaF-Unterrichts geraten sollten. Auch wenn die Argumentationslinie dieses Beitrags die Rolle der Witze im Unterricht unterstützen will, wird hier diese Richtung keinesfalls überschätzt. So wie die pragmatische Kompetenz sollte auch der Witz ein Teilchen des sprachdidaktischen Mosaiks darstellen, das nicht unbedingt in dessen Zentrum liegen muss.
Wissenspopularisierung
(2013)
In Rückblicken auf die Germanistik der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, in denen das Fach expandierte und so viele Studierende anzog wie kein anderes geisteswissenschaftliches, ist dennoch meist von "Krise" die Rede. Von der Bildungsöffentlichkeit wurde die Germanistik und das von ihr verbreitete Wissen als antiquiert wahrgenommen und mit einem Verfallsstempel versehen. Nicht nur der von der Literaturwissenschaft favorisierte Kanon literarischer Werke geriet in die Kritik, sondern ebenso das als gesichert geltende Fachwissen. Der Germanistik gegenüber wurden die Vorwürfe erhoben, eine Disziplin ohne ein Objekt im Sinne moderner Wissenschaft zu sein, das Wissen anderer Fächer nicht zur Kenntnis zu nehmen und die zeitgenössische Literatur zu ignorieren. Das Fach wurde so weit destabilisiert, dass seine Einheit zu zerbrechen drohte.
Die moderne Gesellschaft ist von Veränderungen epistemischer und institutioneller Strukturmerkmale der Wissenschaft geprägt, die ihrerseits einen Wandel in anderen Bereichen der Gesellschaft auslösen. In diesem Zusammenhang – wie auch in der neuzeitlichen Wissenschaftsentwicklung überhaupt – kommt der Sprachlichkeit, dem Kulturphänomen "Wissenschaftssprache", eine eminente Rolle zu, etablierte sich doch in den letzten Jahrzehnten eine „linguistische Teildisziplin der Wissenschaftssprachforschung“ (vgl. KRETZENBACHER 1992: 1; HESS-LÜTTICH 1998). "Wissenschaft" scheint mir jedoch ein (interkultureller) Problembegriff zu sein, beispielsweise auch schon deswegen, da dieses Wort (samt seinen Ableitungen wie Wissenschaftler, wissenschaftlich, Wissenschaftlichkeit) stark kulturbedingt ist (vgl. CLYNE/KREUTZ 2003: 60); so korreliert etwa der deutsche Terminus Wissenschaft nicht mit dem englischen science etc. Das Englische kann zweifellos auf eine konkurrenzlose Karriere als wissenschaftliche Universalsprache zurückblicken: Wissenschaftler – auch deutschsprachige – bedienen sich bei der Veröffentlichung wichtiger Forschungsergebnisse zunehmend der englischen Sprache. Der Anteil der wissenschaftlichen Publikationen auf Englisch beträgt heute weltweit über 90 Prozent, während nur noch wenige Prozent des wissenschaftlichen Publikationsaufkommens deutschsprachig sind. Auch die Zahl der wissenschaftlichen Tagungen (selbst im deutschen Sprach- und Kulturraum), die ausschließlich Englisch als Konferenzsprache zulassen, nimmt stetig zu. Außerdem werden immer mehr Vorlesungen bzw. ganze Studiengänge an sonst deutschsprachigen Universitäten in Englisch angeboten. „Die Spitzenforschung spricht englisch“ – stellte der spätere Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Hubert Markl, bereits vor zwanzig Jahren lapidar fest (Quelle: DUZ, 22/2002, S. 12). Gleichwohl wird immer wieder – oft etwas euphorisch – auf Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa verwiesen, die traditionell als ein Refugium des Deutschen u.a. auch als Wissenschaftssprache galten bzw. auf weiten Strecken nach wie vor gelten. So kann exemplarisch die „Physikalische Zeitschrift der Sowjetunion“ erwähnt werden, die von 1932 bis 1937 auf Deutsch erschien. In diesem interessanten und zugleich äußerst komplexen Spannungsfeld soll es sich im vorliegenden Beitrag um das Thema ‘Sprachen in den Wissenschaften’ als Denk- und Darstellungsmedia handeln. Dabei soll zum einen die Problematik der Mehrsprachigkeit der Wissenschaften (mit besonderer Berücksichtigung des Deutschen) im mehrsprachigen, multikulturellen und kultursensiblen Kontaktraum Mittel- und Osteuropa angesprochen werden, zum anderen – weil ja auf unserer Tagung auch andere Teilareale, wie z.B. Rumänien, vertreten sind – soll der besondere Schwerpunkt auf Ungarn liegen. Hauptziel der Erörterungen besteht darin, die Entwicklung der in dieser Region wirksamen Wissenschaftssprachen diachron herauszuarbeiten, den derzeitigen Stand für die Bereiche Sprachen in der akademischen Lehre, Forschungssprachen (d.h. Sprachen der Forschungskommunikation) und Publikationssprachen – auch mit Hilfe empirischer Daten – mehrperspektivisch zu dokumentieren und aktuelle Tendenzen reflektorisch aufzuzeigen.
Birgit Stark ist Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie ist Sprecherin des Forschungsschwerpunkts Medienkonvergenz und leitet als Co-Direktorin das Mainzer Medieninstitut. Ihre Forschungsarbeiten thematisieren die Folgen des digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit auf Medieninhalte und -nutzung. Dabei fokussiert sie sich auf die Rolle von Informationsintermediären (z. B. Google, Facebook) und analysiert die Auswirkungen algorithmenbasierter Informationsnutzung. Ihre derzeitigen DFG-geförderten Projekte untersuchen ländervergleichend demokratische Medienqualität und die Folgen fragmentierter Mediennutzung auf gesellschaftliche Integrationsprozesse.
Wissenschaftliche Poster (und die Posterpräsentation) sind wesentlicher Bestandteil zahlreicher (Online-)Tagungen und Kongresse. Schließlich bieten wissenschaftliche Poster die Möglichkeit, Sachverhalte oder Ergebnisse aktueller Forschung auf einfache und prägnante Weise an Interessierte weiterzugeben. Allerdings sind wissenschaftliche Poster mit erläuternden Abbildungen und Visualisierungen ausgestattet. Schließlich sollen Interessierte über die wesentlichen Informationen zum Forschungsvorhaben (Ausgangspunkt, Methode, Ergebnisse und Ausblick) „im Vorbeilaufen“ in Kenntnis gesetzt werden. Insbesondere für Personen mit Beeinträchtigung des Sehens und Blindheit kann dies zu Problemen führen. Aber auch interessierte Personen, die eine Auseinandersetzung mittels des auditiven Kanals bevorzugen, sind benachteiligt. Daher gilt es, Alternativen bereitzustellen. Im Beitrag soll an einem Beispiel vorgestellt werden, wie mithilfe von Q R-Codes, Alternativtexten und Beschreibungen, eine barrierefrei(r)e Fassung des Posters zur Verfügung gestellt werden kann, um möglichst alle Nutzer*innen einzubeziehen.
Mit der Entscheidung für eine Promotion und dem daran anschließenden Prozess der Realisierung dieser, wird eine besondere Phase im Lebenslauf von Wissenschaftler_innen eingeläutet. Die Biografie des Einzelnen wird dabei zum Bezugsrahmen des jeweiligen Ausgestaltungsprozesses, die Steuerung(sversuche) des eigenen Lebenslaufs zum Gegenstand individueller Karrierevorstellungen. Darüber lässt sich der vorliegende Beitrag zur Jahrestagung der Sektion Erwachsenenbildung der DGfE 2016 in das Thema "Biografie – Lebenslauf – Generation" einbetten, der einige Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichten Längsschnittstudie (Kubsch 2016) in den Blick nimmt. ...
Wissenschaft oder Wahn? : Bemerkungen zur Münchener Dissertation von Josef Mengele aus dem Jahr 1935
(2008)
In dem Beitrag wird die Dissertation analysiert, mit der Josef Mengele in München seinen ersten Doktortitel (Dr. phil.) erlangte. Die Arbeit mit dem Titel "Rassenmorphologische Untersuchung des vorderen Unterkieferabschnittes bei vier rassischen Gruppen" (Betreuer: Prof. Dr. Theodor Mollison) wurde 1935 eingereicht (Rigorosum: 1935) Die Druckfassung erschien 1937.
Wissenschaft
(2018)
Das Wort 'Wissenschaft' markiert eine lexikalische Lücke - im Englischen. Es ist für diese Sprache ein 'intraduisible'. Mindestens zwei Wörter braucht das Englische, um das Gemeinte zu bezeichnen: 'science' für die Naturwissenschaften und - symptomatisch in Pluralform und Variabilität - 'arts' oder 'humanities' für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Einheit 'der Wissenschaft' lässt sich im Englischen und anderen Sprachen, die über das inklusive 'Wissenschaft' nicht verfügen, also nicht einfach ausdrücken.
Wissenschaft
(2022)
Georg Toepfer wendet sich Ganzheitsidealen der Wissenschaft und ihrer Theorie von der Antike bis zur zeitgenössischen Wissensgeschichte zu. Ganzheit kann dabei auf unterschiedlichen Ebenen zum Tragen kommen. Die Wissenschaft beschäftigt sich mit ihrer inneren Einheit auf methodologischer Ebene, sie fragt nach der Ganzheit oder Ganzheitlichkeit ihrer Gegenstände (im Rahmen etwa einer Überwindung des Leib-Seele-Dualismus), sie kann eine Summe aller Wissenschaften als Ganzheit in Aussicht stellen oder den Versuch unternehmen, eine Einheit oder Ganzheit der gesamten Menschheit zu befördern. Insgesamt sei festzuhalten, dass Forderungen nach einer Einheit der Wissenschaft verstärkt zu Zeiten aufkämen, in denen sich epistemologisch wie praktisch das exakte Gegenteil beobachten lasse. Auch wirke die Ganzheitsrhetorik der Wissenschaft "mitnichten integrativ", sondern arbeite im Gegen teil oft "mit massiven Ausgrenzungen". Das Ganzheitsproblem habe die wissenschaftliche Selbstreflexion oft auch hinsichtlich ihrer eigenen Visualisierbarkeit beschäftigt. Dies findet seinen Niederschlag in frühneuzeitlichen Diagrammtypen wie dem Baum, dem Haus oder dem Bergwerk, in der zweidimensionalen Landkarte der 'Encyclopédie' oder in einer von Jean Piaget noch im 20. Jahrhundert bearbeiteten Kreisfigur. Solche Formen des Ganzen offenbarten die "Simplifikation" des wissenschaftstheoretischen Zugriffs und müssten oft ganze Wissensbereiche ausschließen; im Fall Piagets etwa die kompletten Geisteswissenschaften.
Wissensarchäologie statt Bologna-Falle : Annäherungen an die russische Germanistik als Wissenschaft
(2008)
Der fremdkulturelle Blick der Deutschen auf die Germanistik in Russland wird vor allem durch die Tätigkeit der großen Mittlerorganisationen, allen voran des DAAD und des Goethe-Instituts, geprägt. Beide haben größte Verdienste daran, dass das kollegiale Netz zwischen Ost und West inzwischen ein wenig engmaschiger geworden ist, sie ermöglichen durch Wissenschaftsaustausch und Kulturtransfer allererst die gegenseitige Wahrnehmung der Germanistiken in beiden Ländern, aber sie definieren in dieser Stellung auch in einer gar nicht zu vermeidenden Weise die Logik, durch die die kulturelle Fremdwahrnehmung auf deutscher Seite gesteuert wird.
Der Psychologe Albert Michotte setzte sich in technisch gestützten Experimentalanordnungen mit philosophischen und psychologischen Sehstörungen auseinander, wie der Text von Sigrid Leyssen darstellt. Michotte bemühte sich, Sehstörungen experimentell festzuhalten, um 'reines' Sehen von wissendem, glaubendem und durch jede Art von Erfahrung beeinflusstem Sehen zu unterscheiden. Was Helmholtz gerade für unmöglich gehalten hatte - reines Sehen des sinnlich Gegebenen - war für Michotte dank eines erweiterten Wahrnehmungskonzeptes in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder das, was es zu entdecken galt. Die Einflüsse von Erinnerungen sowie durch Wissen oder Glauben entstandenen Vorstellungen verfolgte Michotte mit dem Ziel, verbreitete wissenschaftliche Sehstörungen offenzulegen.
Wirtschaftsrecht
(1974)
In dem Beitrag wird die Vermittlung sachbezogenen Wissens im Wirtschaftsdeutschunterricht thematisiert. Hierbei geht es um die Frage, wie wichtig wirtschaftsbezogene Inhalte im Sprachunterricht in der Germanistik sein können: Ist der Erwerb praktischer Kenntnisse und Fähigkeiten, die man später im Berufsleben anwenden kann, hier nur ein peripherer Bereich? An zwei Fachbereichen, der Touristik und der Logistik, wird gezeigt, dass man auch an der philologischen Fakultät erfolgreich sachbezogenen Fremdsprachenunterricht einsetzen kann. Ein solcher Unterricht, in dem konkrete Inhalte vermittelt und praktische Skills trainiert werden, erfreut sich bei den Studenten eines großen Interesses. Gerade Kursprogramme, die sich mit wirtschaftlichen Aspekten befassen, scheinen aufgrund der direkten Bezüge zum Arbeitsmarkt sehr begehrt. Wie aus den Erfahrungen mit den Studenten des Germanistikstudiums hervorgeht, sind Veranstaltungen, die mehr lehren, als lediglich den perfekten Umgang mit der Fremdsprache, besonders gefragt. So ist es die Rolle des Dozenten, nicht nur die Sprache zu unterrichten, sondern auch Wirtschaftswissen zu vermitteln. Ist etwa eine Neuorientierung des Sprachunterrichts an den philologischen Fakultäten im Gange? Diese Frage wird hier bejaht. Im praktisch angelegten Deutschunterricht rückt Wirtschaftsdeutsch immer mehr von der Peripherie ins Zentrum.
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Rolle der Frau bei der Verbreitung, Förderung, öffentlichen Etablierung und Produktion von Kunst und Literatur des Expressionismus. Unter der Schirmherrschaft der engagierten Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Ida Dehmel (1870–1940) sowie der ersten promovierten Kunsthistorikerin Deutschlands Rosa Schapire (1874–1954) gelang 1916 in Hamburg die Gründung des „Frauenbundes zur Förderung deutscher bildender Kunst“. Dieser leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der professionell geführten Kunstförderung durch Frauen – in diesem Fall bei der Kunst des Expressionismus. Er steht in der Tradition von Vereinen, die sich im Umfeld der Aktivitäten der deutschen Frauenbewegung herausbildeten, beerbt also letztlich ein politisches Engagement zugunsten eines gesellschaftlichen Status der Frau im Deutschen Kaiserreich und festigt ein neues weibliches Selbstverständnis. Die Bedeutung der Frau in Wirkungsbereichen des Expressionismus beweisen des Weiteren diverse Publikationen in der vielfältigen Zeitungslandschaft des Expressionismus. Es lassen sich zahlreiche literarische Texte von Schriftstellerinnen sowie politische Stellungnahmen von Frauenrechtlerinnen sichten, die eine individuelle, kritischreflexive Sichtweise der wirtschaftlichen und sozialen Stellung der Frau offenbaren.
Aktuell werden im Bund-Länder-Programm für bessere Studienbedingungen und mehr Qualität in der Lehre hochschuldidaktische Programme vieler deutscher Universitäten und Hochschulen auf 5+5 Jahre gefördert. Nach Abschluss der ersten fünf Jahre müssen die hochschuldidaktischen Maß-nahmen in einer Wirksamkeitsmessung bestehen, wenn sie weitere fünf Jahre Förderung erhalten wollen. Dieser Beitrag berichtet über einige bekannte Wirksamkeitsstudien der hochschuldidaktischen Forschung, zeigt messmethodische Ansätze auf und beleuchtet Empfehlungen zur Generierung weiterer Messmethoden, die zur Evaluation der ersten fünf Jahre eingesetzt werden könnten.
Erzählen ist eine grundlegende Form unseres Zugriffs auf Wirklichkeit. In den verschiedensten Bereichen der alltäglichen Lebenswelt und nicht zuletzt auf den Gebieten wissenschaftlicher Erkenntnis orientieren und verständigen wir uns mit Hilfe von Erzählungen. Reportagen des investigativen Journalismus, Selbstdarstellungen von Politikern im Wahlkampf, Erlebnisberichte in Internetblogs, Anamnesen im medizinischen Patientengespräch, Plädoyers vor Gericht, Vermittlungen von Verhaltensnormen in populärer Ratgeberliteratur, Heilserzählungen im Gottesdienst, Fallgeschichten in juristischen Lehrbüchern, ökonomische Prognosen von Kursverläufen – all diese Kommunikationen erfolgen wesentlich in erzählender Form. Anders als in den erfundenen Geschichten der Literatur bezieht man sich in diesen Erzählungen direkt auf unsere konkrete Wirklichkeit und trifft Aussagen mit einem spezifischen Geltungsanspruch: 'So ist es (gewesen)'. Solche Erzählungen mit unmittelbarem Bezug auf die konkrete außersprachliche Realität nennen wir Wirklichkeitserzählungen. In den vergangenen Jahrzehnten wurde die referentielle Leistung sprachlicher Kommunikation im Zeichen strukturalistischer und poststrukturalistischer Theorien allzu oft zugunsten eines pauschalen 'Panfiktionalismus' unterschlagen. Zweifellos 'konstruieren' Wirklichkeitserzählungen in erheblichem Maße eine Realität; aber sie sind eben auch auf eine intersubjektiv gegebene Wirklichkeit bezogen. Wirklichkeitserzählungen sind sowohl konstruktiv als auch referentiell – darin liegt ihre besondere erkenntnistheoretische Bedeutung. Es gilt, den referentiellen Aspekt von Wirklichkeitserzählungen angemessen zu berücksichtigen, ohne deren konstruktive Elemente zu vernachlässigen.
Um seine deutschtümelnden Leser zu unterhalten, die auch zur Faschingszeit die deutsch-nationale Bewegung nicht vergessen sollten, verwendete "Der Treue Eckart" (Brünn, 1884-1887) verschiedene Textsorten. Angesichts der politischen Entwicklung in Wien, wo Alois Pražák in den Jahren 1879-1892 als Minister-Landsmann in der Regierung von Eduard Taaffe tschechische Interessen vertrat, verstärkt das Brünner Periodikum seine antitschechische Tendenz. Nicht nur die ernsthaften journalistischen Textsorten, wie Leitartikel, Bericht oder politischer Kommentar, sondern auch leicht satirische Korrespondenz mit einem Autor von Leserbriefen, gehen in diese Richtung. Eine dieser Satiren ist Gegenstand der Analyse.
Diese ursprünglich als Akademieabhandlung erschienene und in den späteren Auflagen um diverse Textfragmente ergänzte Studie stellt Diltheys definitiven, jedoch nicht mehr zu einem Abschluß gekommenen Versuch einer logischen Grundlegung der geisteswissenschaftlichen Erkenntnis dar, wie er ihn erstmals in seiner 1883 erschienenen Einleitung in die Geisteswissenschaften unternommen hatte, als deren Fortsetzung Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften verstanden werden muß...
"Wir haben kein Wort, um Geist-Körper – beides im wechselseitigen Vollzug vereint – zu benennen." Diese Behauptung John Deweys über das fehlende Einheitswort klingt nach wie vor wahr, trotz der vielen Jahrzehnte, die seit ihrer Äußerung vergangen sind. Der Gelehrtengemeinschaft fehlt es an der Möglichkeit, den Körper so zu diskutieren, dass vermöge ein und derselben Konzeption dessen qualiagesättigte phänomenale Eigenschaften (d.h. die lebendige Erfahrung) und dessen kausalitätsrelevante physikalische Eigenschaften (d.h. der stofflich zusammengesetzte Körper) gemeinsam anerkannt würden. Natürlich sind sich viele Forscher dieser Situation bewusst und appellieren an die fragliche Einheit mittels Zwei-Wort-Wendungen wie etwa Deweys "Geist-Körper". In diesem Sinne spricht auch Richard Shusterman vom "empfindsamen Soma" ("sentient soma") und fügt folgenden Vorbehalt hinzu: "Soma" sei so zu verstehen, dass es "bereits Leben und ein bestimmtes Maß an zielorientiertem Empfindungsvermögen beinhaltet, womit Soma vom bloßen Körper (der sich in einem leb- und empfindungslosen Zustand befinden kann) unterscheidbar ist".
The interest of this work devotes itself to the repeating linguistic actions of the students in the DaF conversation lessons. Repetitions in the lesson discourse are functionally different than repetitions in the daily discourse. The support of repetitions by the students in the class discourse is tried to be demonstrated here on the basis of examples. Recordings from the DaF conversation lessons were transcribed and reconstructed according to Hiat. The kinds of the repetitions and their functions in these DaF conversation lessons are limited with this study. The findings of the study should be concerned consciously in order to accomplish a better understanding and reacting to these repeating actions of the students like inquiry, correction, confirmation, precautionary self-control, verification and confirmation in the conversation lessons –most of which are accomplished by the students for a certain aim however unconsciously.
Jan Niklas Howe untersucht Freuds Modell des Unheimlichen im Hinblick auf ästhetische und reale Emotionen und bezieht sich dabei auf neuere psychologische Forschungen von 'mere exposure', 'prototypicality' und 'cognitive fluency'. Das Gefühl des Unheimlichen lässt sich Howe zufolge auf Wiederholungsprozesse zurückführen und als Rekontextualisierung ästhetischer Lust beschreiben, die notwendig zu höchst realer ästhetischer Unlust führt.
Wie wir unseren Tod verloren : Biopolitik, Raum und Unheimlichkeit zwischen Neuzeit und Moderne
(2011)
Matthias Korn befasst sich mit einem Phänomen, das für gewöhnlich unter dem Signum der 'Verdrängung des Todes' gefasst wird. Er argumentiert jedoch, dass in Anbetracht der historischen Dokumente über den Umgang mit dem Tod und den Toten seit dem Mittelalter präziser von einem Ausschleichprozess gesprochen werden muss. Am Beispiel des neuzeitlichen Verhältnisses zum eigenen Tod als einem Gegenüber (Descartes) zeichnet Korn die biopolitischen Maßnahmen nach, die zu seiner allmählichen gesellschaftlichen Marginalisierung geführt haben und in die Errichtung von Friedhöfen außerhalb der Städte mündeten. Dies wird anschließend mit der Methode des Physiologen Xavier Bichat verglichen, wobei der Nachweis erbracht wird, dass die 'medizinisch-experimentelle' Dezentralisierung des Todes als analoger Versuch zu verstehen ist, dessen Unheimlichkeit zu bannen.
Ein wichtiger Ausgangspunkt der Tagung war das lnteresse an der aktuellen Situation "des deutschen Buches" und an der materiellen Zukunft der gedruckten Überlieferung in Deutschland. Dieser Ausgangspunkt wurde in der abschließenden Podiumsdiskussion noch einmal ausdrücklich aufgegriffen. Die wichtigsten Statements sind im folgenden wiedergegeben. [...] [Die Moderation fragte] die Gesprächsteilnehmer insbesondere nach den spezifischen Möglichkeiten von Organisationen der Wissenschaftsförderung bzw. nach denen der staatlichen Seite, um praktische Fortschritte bei der Erhaltung des schriftlichen Kulturguts zu unterstützen. Die Bibliotheken und Archive allein seien mit dieser Aufgabe überfordert. Die Anregung der Kultusministerkonferenz aus den neunziger Jahren, ein Prozent der Erwerbungsmittel für Aufgaben der Bestandserhaltung einzusetzen, reiche nicht aus und führe angesichts der rückläufigen Erwerbungsetats zu immer unbedeutenderen Beträgen.
This paper examines whether gender features (masculine, feminine, neuter) in German have to be interpreted semantically, along their specific gender, or whether they allow for a gender unrelated interpretation. As to this, two experiments with two different classes of nouns (gender marked and sex marked nouns vs. gender marked and sex neutral nouns) were conducted. The first experiment supports the view that in their function as nominal predicates masculine nouns, contrary to feminine (and neuter) nouns, have the widest extension – which confirms the existence of a ‘Generic Masculine’ (Generisches Maskulinum). On the other hand, the second experiment shows that in their function as subjects masculine nouns, contrary to feminine (and neuter) nouns, are the least flexible agreement controllers – hardly allowing for gender mismatches. Thus, masculine nouns behave differently depending on whether they appear as controllers/sources of agreement or as targets of agreement. The findings are supplemented by corpus data.
Tief im Osten, gleichsam „am Rande der Welt“, in der Republik Burjatien (Russische Föderation), hinter dem Baikalsee gelegen und viele tausend Kilometer von europäischen Großstädten entfernt, hat der Erwerb der deutschen Sprache einen hohen Stellenwert – insbesondere für Deutschlehrer, Deutschlehrerausbilder und Deutschstudierende.
Den Menschen als Abbild Gottes aufzufassen, war mehr als nur eine theologische Richtungsentscheidung im spätantiken Europa. Sie betraf auch die Literatur. Grundsätzlicher als bisher von den Literaturgeschichten in den Blick genommen, ist die Bedeutung der christlichen Anthropologie für die europäische Literatur – das ist die These, die hier plausibilisiert werden soll. Doch nicht so, als dass diese europäische Literatur seit der Spätantike einfach christlich in ihren Themen noch in ihren Formen geworden wäre. Das ist sie sicherlich auch vielfach der Fall, man denke nur an die Durchsetzung etwa des Codex anstelle der Buchrolle, der Entfaltung neuer Gattungen wie der Legenden oder christlicher Moralvorstellung in den Büchern von Sebastian Brant bis Dostojewski. Vielmehr so, dass die europäische Literatur eine andere geworden ist, weil sie sich mit der christlichen Auffassung vom Menschen als Abbild Gottes auseinanderzusetzen hatte. Denn diese Lehre stellt die Literatur und andere Künste grundsätzlich in Frage, eben weil sie den Menschen so radikal in Frage stellt.
Die meisten Maler und Zeichner der Romantik haben von den in dem erzählten Märchen wachgerufenen Innenbildern berichtet und von ihnen bei ihrer Arbeit profitiert. [...] Bekanntlich rehabilitieren die romantischen Künstler nicht nur die erzählenden volkstümlichen Gattungen, die Legende, das Märchen, die Anekdote und das Volksbuch, sondern auch die volkstümlichen Formen der bildenden Kunst: die Scherenschnitte, die Silhouetten,
die Schattenrisse etc. [...]
Die Rede von einer ‚Berliner Frühromantik’ ist falsch, wenn damit das ‚Athenaeum’ der Berliner Salonkultur angegliedert und die frühromantische Forderung nach Urbanität mit der zeitgenössischen Berliner Wirklichkeit verbunden werden sollen. Das ‚Athenaeum’ ist vielmehr ein Zeugnis akademisch gelehrter Schriftsteller, deren eigene Formen der Geselligkeit – die Berliner Wohngemeinschaft und der gemeinsame Jenaer Hausstand – nichts mit großstädtischer Salonkultur zu tun haben, sondern ganz im Gegenteil homogene Exklusivgemeinschaften sind: ein einseitiger, enger Umgang, müsste man mit Nicolai und Garve sagen, der das kleinstädtische Risiko trägt, sich an sich selbst zu ermüden und zu frustrieren. So ist es dann ja auch gekommen.
Susanne Klimroths Beitrag widmet sich den Texten zu Oskar Kokoschkas Alma-Mahler-Puppe und stellt den fiktionalisierten Status insbesondere der eigenen Schilderungen der 'Puppenepisode' des doppelbegabten Künstlers heraus. Sie argumentiert für eine Widerspenstigkeit sowohl der Materialität der Puppe als auch der Überlieferung der literarisierten Puppe.
Sophie-C. Hartisch untersucht die Funktion der Konstellationsmetapher im Diskurs der geisteswissenschaftlichen Selbstbeschreibungen im frühen 20. Jahrhundert. Die doppelte Grundlagenkrise sowohl der Naturwissenschaften als auch der historisch arbeitenden Geisteswissenschaften bewirken in ihren Augen die Attraktivität eines Denkens in 'Konstellationen'. Mit der (streng genommen) falschen Suggestion eines sogenannten 'Sternbildes' würden abstrakte Strukturen vermeintlich anschaulich und könne Totalität als "Kippfigur zwischen Werden und Darstellung" repräsentiert werden, die die Ganzes-Teil-Problematik neu konfiguriere. Zwar verspreche die 'Konstellation', die Geisteswissenschaften mittels einer Anlehnung an die Astronomie gegen die zeitgenössischen Naturwissenschaften zu profilieren. Allerdings ist die für die Konstellation zentrale Kategorie der 'Bedeutsamkeit' (der Sterne) keine astronomische, sondern eine astrologische Vorstellung. Die als Pseudowissenschaft verpönte Astrologie wird in den Geisteswissenschaften unter der Hand zum Garanten für die Legitimität und Objektivität historisch ausgerichteter Wissenschaften.
Westthrakien zwischen Europa und Asien : die musivische Grundordnung einer griechischen Region
(2013)
Dass sich Europa nach Osten verschoben hat, ist in einem doppelten Sinn richtig: Erstens wurde die Europäische Union in den letzten beiden Erweiterungen - 2004 um die Luxemburg-Gruppe, 2007 um Bulgarien und Rumänien - nach Osten hin erweitert. Zweitens hat die Erweiterung der EU um frühere Ostblockstaaten vor Augen geführt, dass Europa nach Westen hin zwar aufhört, nach Osten hin aber erweiterungsfähig ist. Nachdem es ein halbes Jahrhundert lang geglaubt hat, mit Amerika einen Teil der 'westlichen Welt' zu bilden, merkt Europa, dass es tatsächlich durch eine große Landmasse mit dem Osten verbunden ist, vom Westen aber durch die Weiten des atlantischen Ozeans getrennt. Europa wurde nach dem Lüften des Eisernen Vorhangs also nicht nur um einige östliche Staaten erweitert. Es hat sich als Ganzes nach Osten verschoben. An eine Ostgrenze war Europa allerdings schon 1981 bei seiner ersten Osterweiterung gestoßen: Spätestens hinter Griechenland, genauer gesagt hinter Thrakien, einer Landschaft, die den nordöstlichen Teil Griechenlands umfasst, die südliche Hälfte Bulgariens und den europäischen Teil der Türkei, begann der Orient, begann Asien. Unter Kaiser Claudius wurde die Landschaft im Jahr 46 nach den Stämmen der Thraker benannt und zur römischen Provinz geformt. Als das römische Reich 395 in zwei Teile zerfiel, wurde Thrakien zur Schlussetappe auf dem Weg von Rom nach Konstantinopel, vom westlichen Rom nach dem zweiten Rom. Wie weit sich die EU schon damals, 1981, den Orient ins europäische Haus holte, war wohl nur den wenigsten bewusst. Denn Griechenland grenzt nicht nur an die Türkei, mit Westthrakien hat es Anteil an der Kulturlandschaft Thrakien, die zwar in Europa liegt, deren Grundordnung allerdings vom Osten her bestimmt ist.
[Volker Mertens] will den im Berliner Ms.germ.fol. 640 (Tristan-Hs. P, Eilhart-Hs. D) überlieferten Tristan-Roman als Ganzes interpretieren und [beschreibt] zu diesem Zweck zuerst die Textgestalt beider Komponenten. Die Komplexität von Gottfrieds Konzeption, ihre gewollte Ambivalenz ist im Berliner ‚Tristan’ zwar reduziert, aber nicht aufgegeben. Gottfried stellt die Uneindeutigkeit durch die Spannung von Erzählfabel und Kommentar einerseits und innerhalb der Kommentare durch sprachliche Momente her – dem gegenüber bedeutet die Eilhart-Fortsetzung allerdings eine Vereindeutigung, die nachträglich auch das Verständnis Gottfrieds überformt und die Ambivalenz reduziert. Der Verzicht auf jegliche Kommentierung bedeutet aber auch einen Appell an die Offenheit für Verstehensmöglichkeiten seitens des Lesers. Diese sind durch Ausdeutung der Fabel bereits sensibilisiert und präformiert und können dann bei der Lektüre des abschließenden Eilhart-Textes aktualisiert werden. Sein Schluß in seiner lapidaren Eindringlichkeit ist gar nicht so weit von Thomas’ überliefertem Ende – der ganze konsolatorische Apparat Ulrichs und Heinrichs bleibt ja weitgehend ausgespart. Der schaden für Gottfrieds ‚Tristan’ in der Berliner Fassung ist nicht so groß, wie es aufs erste scheint: seine kunstliche geschichte wirkt wie der Trank auch nach dem Tode des Autors weiter und gibt dem Eilhart-Schluß eine Minne-Konzeption vor, die Heil und Heil-Losigkeit der Geschlechterliebe umgreift.